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Erschienen in: Journal für Urologie und Urogynäkologie/Österreich 1/2019

Open Access 01.03.2019 | MKÖ

Sextoys: ein Thema von medizinischer Relevanz?

verfasst von: Ao. Univ.-Prof. Dr. Engelbert Hanzal

Erschienen in: Journal für Urologie und Urogynäkologie/Österreich | Ausgabe 1/2019

Zusammenfassung

Instrumente wie Vibratoren, Dildos usw., zusammengefasst als Sextoys, die in Vagina oder Anus eingeführt werden, können durchaus Gegenstand einer medizinischen Konsultation sein, oft im Rahmen einer Sexualtherapie.
Die Beratung muss auf mögliche Risiken hinweisen, wie die technische Sicherheit der Geräte betreffend chemische Weichmacher und Stromquelle, das Infektionsrisiko bei Anwendung ohne Kondom, die Verletzungsgefahr, insbesondere beim Einführen von ungeeigneten Gegenständen.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Die Medizinische Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) widmet sich in erster Linie Tabuthemen. Neben dem unwillkürlichen Verlust von Harn und Stuhl, chronischen Schmerzen und sonstigen gesundheitlichen Problemen, über die Mann und Frau nicht gerne sprechen – nicht einmal in der ärztlichen Sprechstunde, haben deshalb auch Sexualstörungen seit langem einen festen Platz in den wissenschaftlichen Programmen der MKÖ. Aber ein Seminar über Vibrator, Dildo usw.? War das wirklich ernst gemeint? Und was birgt medizinische Relevanz bei den ungewöhnlichen Dingen, die Herr und Frau Österreicher fallweise in ihrem Nachtkästchen verbergen? Genau das versuchten Martina Signer (DGKS, Kontinenz- und Stomatherapeutin, diplomierte Sexualberaterin) und der Gynäkologe Engelbert Hanzal in ihrem Seminar „Sextoys: the good, the bad and the ugly“ im Rahmen der Jahrestagung 2018 in Linz herauszufinden (Abb. 1).
In einem bis auf den letzten Platz vollen Saal wurden Fakten präsentiert, Anschauungsmaterialien verteilt und v. a. viel mit den Teilnehmenden diskutiert. Das Ergebnis war ebenso substanziell wie medizinisch relevant, und die Diskussion war – trotz des an sich ernsten Themas – durchaus nicht frei von Humor.

Geschichte

Spätestens seit Hippokrates war ein mysteriöses Leiden namens „Hysterie“ bekannt, von dem ausschließlich Frauen betroffen waren. Diese fielen durch Nervosität, Unruhe und Reizbarkeit auf, was mitunter zu Symptomen führen konnte, die einer Psychose nicht unähnlich waren. Als Ursache der Erkrankung wurde eine Pathologie der Gebärmutter angenommen, und als empirische Therapie bewährte sich u. a. eine Massage der Geschlechtsorgane. An deren Ende kam es recht regelmäßig zu „hysterischen Krämpfen“, woraufhin für einige Zeit Besserung eintrat. Die Behandlung, die als äußerst anstrengend, langwierig und beim medizinischen Personal als unbeliebt galt, hatte bis ins späte 19. Jh. einen festen Platz in der Medizin. Der Historikerin Rachel Maines fiel bei Recherchen für ein ganz anderes wissenschaftliches Projekt auf, dass in Frauenzeitschriften ab dem Zeitalter der beginnenden Elektrifizierung Werbeinserate für „Massagegeräte“ – sog. Vibratoren – auftauchten. Diese waren zur Selbstbehandlung der Hysterie geeignet, wenn nicht sogar eigens dafür gedacht. Sie publizierte daraufhin das durchaus lesenswerte Buch „The technology of orgasm“. Ihre Recherchen ergaben u. a., dass sich in den USA und in Großbritannien, neben der Glühlampe und dem Toaster, tatsächlich der Vibrator als eines der ersten Elektrogeräte auf dem Markt etabliert haben dürfte [1]. So begann die Geschichte kommerziell erhältlicher Sexspielzeuge, und während die wahren Anwendungen in den bescheidenen Anfängen verschämt verschwiegen wurden, ist das Angebot heute mehr oder minder öffentlich und nahezu unüberschaubar. Der Tabufaktor geht zurück, und es ist zu vermuten, dass die Anwendung – auch unter Patienten – deutlich zunimmt. Unter Sextoys versteht man eine Menge verschiedener Dinge – von erotischer Bekleidung bis zu Sexrobotern. Im Seminar wurden naturgemäß vorwiegend penetrative Sextoys thematisiert [2].

Risiken

Während die positiven Aspekte der Sextoys für die Menschen, die sie anwenden, auf der Hand liegen sollten, können die Risiken – welche vielleicht nicht so geläufig sind – in verschiedenen Kategorien zusammengefasst werden:

Sicherheit

Die gesetzliche Regulation entspricht bei Sextoys nicht den strengeren Vorschriften für Medizinprodukte. So können z. B. manche Fabrikate Weichmacher für Kunststoffe (Phthalate) enthalten, deren Umwelt- und gesundheitliche Verträglichkeit möglicherweise nicht gegeben ist, da sie mit dem Hormonhaushalt interferieren könnten (solche Substanzen sind beispielsweise bei Kinderspielzeug verboten; [3]). Bei elektrisch betriebenen Geräten ist die Gefahr von Stromstößen oder Problemen mit defekten Batterien gegeben. Fragen nach der Widerstandsfähigkeit der Produkte bei Kontakt mit Gleit‑, Reinigungs- oder Desinfektionsmitteln, nach der Beschaffenheit der Oberflächen (glatt oder mit Rissen oder Beschädigungen) sind für eine sichere Anwendung essenziell [4]. Bei der Mitnahme von Sextoys auf Reisen ist zu beachten, dass es Länder gibt, in denen solche Geräte gesetzlichen Verboten unterworfen sind und deren Besitz mit teilweise beträchtlichen Strafen bedroht ist (z. B. Indien, Malaysia, Japan, einige Staaten der USA; [5]).

Gesundheit

Infektionen

Prinzipiell sind bei der Verwendung von Sextoys Infektionsrisiken, wie bei jeder (penetrativen) sexuellen Aktivität, nicht auszuschließen. Glatte, widerstandsfähige Oberflächen (etwa aus gehärtetem Glas oder Kunststoff) sind leicht zu reinigen, zu desinfizieren und notfalls auch zu sterilisieren. Bei raueren und weicheren Materialien ist Vorsicht geboten. Auf der sicheren Seite ist man jedenfalls, wenn man auch bei Dildos und Vibratoren Kondome verwendet. Bislang sind in der Literatur, jenseits der gängigen sexuell übertragbaren Erkrankungen (Herpes, Syphilis, Chlamydien, Gonorrhö, Pilzinfektionen usw., aber auch HIV und Hepatitis) keine Übertragungsrisiken mit anderen Erregern bekannt [6]. Es ist aber immerhin vernünftig, die Empfehlungen für „safer sex“ auch auf den Bereich der Sextoys auszuweiten, besonders, wenn diese gemeinsam mit anderen Personen verwendet werden.

Verletzungen

Abhängig von der Bauweise der verschiedenen Produkte hat das Risiko von Verletzungen eine breite Palette. Wiewohl man annehmen sollte, dass der sog. gesunde Menschenverstand hilfreich genug wäre, um die gröbsten Unfälle zu verhindern, ist dieser durch die Hitze sexueller Erregung manchmal limitiert. Am gefährlichsten dürfte es sein, wenn mit völlig ungeeigneten, weil zweckentfremdeten Gegenständen, z. B. Spraydosen, hantiert wird. Wenn diese dann mit dem Deckel zuerst eingeführt werden, kann dieser mit seinen scharfen Kanten in einem Hohlorgan verbleiben und einigen Schaden anrichten, v. a., wenn aus Schamgefühl erst spät ärztliche Hilfe gesucht wird. Im Seminar wurde von bedauernswerten Frauen erzählt, die sich auf Basis derartiger Verletzungen rektovaginale Fisteln zuzogen. Aber auch mit an sich geeigneten Sextoys muss man vorsichtig sein, besonders bei der Erstanwendung.

„Lost devices“

Einen Spezialfall stellen transanal verwendete Geräte dar. Haben diese mit ihrem größten Umfang einmal den Analkanal nach oben passiert, können sie nur mehr schwer ohne ärztliche Hilfe geborgen werden. Auch hier gilt, dass die Folgen mitunter gravierender ausfallen, wenn Alltagsgegenstände – etwa Glasflaschen, schlanke Vasen, Spraydosen u. a. – zur Verwendung kommen (Abb. 2). Es wurde aus der abdominalchirurgischen Praxis von Fällen berichtet, in denen eine endoskopische Bergung unmöglich war und diese durch Eröffnung des Darmes von abdominal her erfolgen musste.

Privatsphäre

Die Raffinesse moderner Sextoys wird immer größer, und viele der elektrisch betriebenen vibrierenden, pulsierenden und neuerdings auch streichelnden Geräte lassen unterschiedliche, persönlich festlegbare Programmierungen dieser speziellen Eigenschaften zu. Die Steuerung erfolgt zunehmend über das Smartphone, was für Anwendende praktisch und die Industrie nützlich ist. Denn über den Datenstrom der Nutzer wird offensichtlich, was Kunden gerne haben und was weniger. Wie aber sieht es mit dem Schutz dieser Daten aus und wem gehören sie? Diese Fragen sind noch relativ neu, aber hier besteht natürlich das Risiko, dass unerwünschte Informationen in falsche Hände gelangen [7].

Ein paar nützliche Tipps zum Abschluss

  • Am besten ist es, ein Sextoy neu zu kaufen, sich darüber vor Gebrauch genauestens zu informieren (Handhabung, Reinigung, Wartung) und bei der Erstanwendung vorsichtig zu sein.
  • Bei Verwendung von penetrativen Sextoys und solchen mit rauer Oberfläche (besonders bei Benützung gemeinsam mit anderen) ist man mit Kondomen auf der sicheren Seite.
  • Sextoys vor der Anwendung genau auf Oberflächenbeschaffenheit und Defekte überprüfen
  • Es gibt Geräte, die für die anale Anwendung besser geeignet sind als andere (Abb. 3).
  • Vor dem Kauf von Sextoys ist eine professionelle Beratung angezeigt. Dies sollte Betroffenen im Rahmen der Konsultation unbedingt empfohlen werden.
Der Autor erhielt die meisten der hier dargelegten Informationen beim Besuch in einem Fachgeschäft und bedankt sich beim dortigen Personal auf diesem Wege [8].

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

E. Hanzal gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine vom Autor durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
3.
Zurück zum Zitat Hashemipour M, Kelishadi R, Amin MM, Ebrahim K (2018) Is there any association between phthalate exposure and precocious puberty in girls? Environ Sci Pollut Res Int 25(14):13589–13596CrossRef Hashemipour M, Kelishadi R, Amin MM, Ebrahim K (2018) Is there any association between phthalate exposure and precocious puberty in girls? Environ Sci Pollut Res Int 25(14):13589–13596CrossRef
Metadaten
Titel
Sextoys: ein Thema von medizinischer Relevanz?
verfasst von
Ao. Univ.-Prof. Dr. Engelbert Hanzal
Publikationsdatum
01.03.2019
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Urologie und Urogynäkologie/Österreich / Ausgabe 1/2019
Print ISSN: 1023-6090
Elektronische ISSN: 1680-9424
DOI
https://doi.org/10.1007/s41972-019-0059-1

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