Identifikation von Patient*innentypologien
Auf Basis der Hierarchischen Clusteranalyse konnte eine inhaltlich plausible sowie empirisch trennscharfe vier Cluster umfassende Lösung identifiziert werden.
Dabei erweisen sich mit Ausnahme des Geschlechts und Familienstandes alle dichotomen Merkmale in den vier Clustern als signifikant different. Die deutlichsten Unterschiede zeigen sich in der Hauptdiagnose und der Erwerbstätigkeit, welche gefolgt vom Bildungsstand die mit Abstand relevantesten Variablen für die Charakterisierung der Cluster darstellen (siehe Tab.
2).
Tab. 2
χ2-Analysen (Kontingenztafeln) der Cluster bezogen auf die kategorealen Variablen
Geschlecht | 4,84 | 3 | 0,087 | 0,111 | 0,184 |
Erwerbstätigkeit | 280,54 | 3 | 0,555 | 0,706 | < 0,001 |
Familienstand | 6,89 | 3 | 0,104 | 0,132 | 0,075 |
Matura (ja/nein) | 86,99 | 3 | 0,349 | 0,444 | < 0,001 |
Hauptdiagnose | 1079,32 | 6 | 0,795 | 0,945 | < 0,001 |
Migrationshintergrund (ja/nein) | 14,46 | 3 | 0,150 | 0,191 | 0,002 |
N = 629 | | | | | |
Ebenso zeigen sich bedeutsame Unterschiede in den intervallskalierten Merkmalen, welche mit jeweils
p < 0,001 hoch signifikant ausfallen. Entlang der Effektstärken lässt sich das Alter der PatientInnen als die für die Charakterisierung der Cluster relevanteste Variable identifizieren (siehe Tab.
3).
Tab. 3
Univariaten Varianzanalysen (ANOVA) der Cluster bezogen auf die metrisch skalierten Merkmale
Lebensqualität WHOQOL_GLOBAL | 20,67 | 3 | 625 | < 0,001 | 0,090 |
Alter (Zeitpunkt Anmeldung) | 64,80 | 3 | 625 | < 0,001 | 0,237 |
Anzahl Kinder (gemeinsam im Haushalt) | 18,20 | 3 | 625 | < 0,001 | 0,080 |
N = 629 | | | | | |
Die Clusteranalyse brachte ein Ergebnis mit vier trennscharfen und inhaltlich plausiblen Patient*innenclustern hervor, die sich signifikant hinsichtlich der Dimensionen Erwerbstätigkeit, Migrationshintergrund, Bildungsabschluss und Hauptdiagnose nach ICD-10 unterscheiden. Die in Tab.
4 abgebildeten Cluster stellen sich inhaltlich wie folgt dar: Cluster 1 (
n = 201) beschreibt berufstätige, kinderlose Personen mit durchschnittlichem Wohlbefinden, die von neurotischen und Belastungsstörungen betroffen sind. Cluster 2 (
n =
178) beinhaltet die psychosozial am stärksten belastete Gruppe von mehrheitlich erwerbslosen Personen mit niedrigem Bildungsniveau, vielen Kindern, einem niedrigen Wohlbefinden sowie neurotischen und Belastungs- oder affektiven Störungen. Cluster 3 (
n = 61) bildet alleinstehende, berufstätige und kinderlose Personen ab, die bei durchschnittlichem Wohlbefinden an einer Verhaltens- oder Persönlichkeitsstörung leiden. Cluster 4 (
n = 189) enthält junge, kinderlose Patient*innen mit hohem Bildungsniveau, durchschnittlichem Wohlbefinden, die von affektiven Störungen betroffen sind. Das am stärksten trennende Merkmal zwischen den Clustern stellt die Hauptdiagnose dar.
Tab. 4
Übersicht über die Differenzierung der Cluster
Cluster 1 | F4 | M = 30 SD = 9,19 | 93,5 % berufstätig | 77,7 % mit Matura | M = 50 SD = 20,3 | 67,7 % weiblich | 51,1 % nicht in Partnerschaft | 16,9 % mit Kindern im Haushalt | 27,9 % mit Migrationshintergrund |
Cluster 2 | F3 und F4 | M = 41,9 SD = 14,1 | 73 % arbeitslos | 60,1 % ohne Matura | M = 36,94 SD = 20,9 | 59,5 % weiblich | 56,7 % nicht in Partnerschaft | 32,6 % mit Kindern im Haushalt | 19,1 % mit Migrationshintergrund |
Cluster 3 | F6 | M = 31,7 SD = 10,61 | 67,2 % berufstätig | 57,4 % mit Matura | M = 47,13 SD = 20,6 | 54,1 % weiblich | 65,6 % nicht in Partnerschaft | 16,4 % mit Kindern im Haushalt | 9,8 % mit Migrationshintergrund |
Cluster 4 | F3 | M = 27,6 SD = 7,19 | 95,2 % berufstätig | 81 % mit Matura | M = 51,2 SD = 19,3 | 61,4 % weiblich | 61,9 % nicht in Partnerschaft | 10,1 % mit Kindern im Haushalt | 30,2 % mit Migrationshintergrund |
Tab.
4 macht auf den Cluster 2 aufmerksam, zu dem Personen mit einer Diagnose aus der Gruppe F3 oder F4 gehören. Dies legt die Frage nahe, was die Angehörigen dieses Cluster von Cluster 1 und Cluster 4 unterscheidet, in dem jeweils die Diagnose F4 oder F3 dominiert.
Es zeigt sich, dass höheres Alter, Arbeitslosigkeit, niedriges Bildungsniveau und der höchste Anteil an betreuungspflichtigen Kindern sowie die niedrigste Lebensqualität der Patient*innen dieser Gruppe diesen Cluster von Cluster 1 (Diagnose F4) und Cluster 4 (Diagnose F3) unterscheiden. Dies legt eine weitere Analyse nahe, wie sich die Patient*innen mit der Diagnose F4 des Cluster 2 von den Patient*innen mit derselben Diagnose im Cluster 1 unterscheiden, ebenso wie die Patient*innen mit der Diagnose F3 des Clusters 2 von denen mit derselben Diagnose des Clusters 4.
Dies wurde anhand paarweiser Gruppenvergleiche mittels χ2-Analysen bei dichotomen und mit t‑Tests für unabhängige Stichproben bei Merkmalen metrischen Skalenniveaus überprüft.
Die interferenzstatistische Auswertung macht klar: Die Patient*innen mit der Diagnose F4 des Clusters 1 unterscheiden sich signifikant von denen mit derselben Diagnose des Clusters 2 durch die wesentlich höhere Arbeitslosigkeit und das niedrigere Bildungsniveau der Patient*innen im Cluster 2, ebenso die Patient*innen mit der Diagnose F3 des Clusters 2.
Die Lebensqualität, erfasst mit dem WHOQOL-BREF, liegt bei den Patient*innen mit einer Diagnose aus der Hauptgruppe F3 des Clusters 2 in allen Skalen signifikant niedriger als bei den Patient*innen des Clusters 4 bis auf den Wert in der Skala des psychischen Wohlbefindens. Das heißt: Bei bestehender Diagnose einer affektiven Störung, in der vorliegenden Stichprobe einer depressiven Störung, trifft das niedrige Bildungsniveau und die hohe Arbeitslosigkeit mit einer Einschränkung der Lebensqualität in den Bereichen des physischen Wohlbefindens, der sozialen Beziehungen und der Lebensumwelt, nicht aber mit dem Bereich des psychischen Wohlbefindens zusammen.
Bei den Patient*innen mit einer Diagnose aus der Hauptgruppe F4 des Clusters 2 ist die Lebensqualität in allen Skalen des WHOQOL signifikant niedriger als bei den Patient*innen des Clusters 1. Das heißt: Bei bestehender Diagnose einer neurotischen, Belastungs- oder somatoformen Störung geht das niedrige Bildungsniveau und die hohe Arbeitslosigkeit mit einer Einschränkung der Lebensqualität in den Bereichen des physischen Wohlbefindens, des psychischen Wohlbefindens, der sozialen Beziehungen und der Lebensumwelt einher.