Das medulläre Schilddrüsenkarzinom (medullary thyroid cancer, MTC) stellt mit weniger als 5 % aller malignen Schilddrüsentumoren eine seltene Erkrankung dar. Während im lokalisierten und auch im oligometastatischen Setting die Chirurgie einen potenziell kurativen Therapieansatz bietet, sind die Möglichkeiten der zugelassenen systemischen Therapien bei inoperabel lokal fortgeschrittener oder metastasierter Erkrankung auch 2020 noch beschränkt. Derzeit stehen in Österreich zwei zugelassene Tyrosinkinaseinhibitoren (TKIs) zur Verfügung, Vandetanib und Cabozantinib, wobei deren Unterschiede und optimale Sequenzierung bis heute nur wenig untersucht wurden. Weitere Therapiekonzepte umfassen bei progredienter Erkrankung (wenn auch mit sehr niedriger Evidenz) klassische zytostatische Therapien, Peptid-Radio-Rezeptor-Therapie (PRRT) und zunehmend zielgerichtete Therapiekonzepte, wobei hier insbesondere RET-Inhibitoren bei Vorliegen einer entsprechenden Mutation sehr vielversprechend sind und gerade Einzug in die klinische Routine halten. Nicht zuletzt muss auch beachtet werden, dass das MTC selbst im metastasierten Setting oftmals einen nur langsam progredienten Verlauf aufweisen kann, sodass auch „active surveillance“ einen Teil des Managements darstellt. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über etablierte Substanzen und neue therapeutische Konzepte.
Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Epidemiologie und Pathologie
Das MTC zählt zur heterogenen Gruppe der neuroendokrinen Neoplasien und ist neben dem follikulären und papillären Schilddrüsenkarzinom (follicular and papillary thyroid cancer, FTC und PTC), welche als differenzierte Schilddrüsenkarzinome zusammengefasst werden, die dritthäufigste Tumorentität der Schilddrüse [1]. In absoluten Zahlen wird die Inzidenz der Schilddrüsenmalignome in Österreich gemäß Statistik-Austria-Bericht 2017 mit 9,1 Neuerkrankungen pro 100.000 pro Jahr angegeben [2], wobei das PTC die häufigste histologische Diagnose darstellt und gemeinsam mit dem FTC mehr als 90 % der Schilddrüsenkarzinome ausmacht. Das MTC und das anaplastische Schilddrüsenkarzinom repräsentieren mit je < 5 % seltene Entitäten. Auch prognostisch zeigen sich deutliche Unterschiede, und das stadienunabhängige 10-Jahres-Überleben wird mit größer 90 % bei den differenzierten Schilddrüsenkarzinomen (PTC > FTC) und mit ca. 75 % beim MTC angegeben [3]. Drastisch schlechter ist die Prognose des anaplastischen Schilddrüsenkarzinoms mit oftmals nur wenigen Wochen bis Monaten.
Auch histologisch differieren die Subtypen grundlegend; das PTC und das FTC stammen von den Thyreozyten ab, während das MTC in den parafollikulären neuroendokrinen C‑Zellen seinen Ursprung nimmt und somit der Gruppe der neuroendokrinen Neoplasien zugeteilt wird [4]. Hieraus ergibt sich ein weiterer wichtiger Aspekt, da durch die Unabhängigkeit von den Schilddrüsenepithelzellen das MTC nicht den üblichen Wachstumsmechanismen der Schilddrüse und insbesondere nicht der Regulation durch TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon, Thyreotropin) unterliegt und anders als beim PTC und FTC die TSH-suppressive Substitution mit L‑Thyroxin keine Prämisse in der Behandlung dieser Patienten darstellt. Weiters sind die von der Neuralleiste abstammenden C‑Zellen in der Lage, das Neuropeptid Calcitonin zu sekretieren, welches als Gegenspieler des Parathormons nicht nur ein essenzieller Bestandteil des Kalziumstoffwechsels ist, sondern auch als spezifischer Tumormarker beim MTC eine wichtige Rolle hat. Ein weiterer Tumormarker beim MTC ist das Carcinoembryonic Antigen (CEA), das im Zellmembranbereich gespeichert wird und ebenfalls bei einem Teil der Patienten in pathologischen Maßen nachgewiesen werden kann. Beide Proteine (Calcitonin, CEA) korrelieren in absoluten Zahlen nur schlecht mit dem Gesamtausmaß der Erkrankung, die Anstiegszeit und insbesondere die Verdopplungszeit sind jedoch als valide Korrelate zur Geschwindigkeit des Tumorprogresses beschrieben und werden auch zunehmend in den therapeutischen Entscheidungsalgorithmus integriert [5‐7].
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Das MTC kann entweder in sporadischer Form (75 %, Erkrankungsalter 40–60 Jahre, solitäre Manifestation) oder als Teil eines hereditären Komplexes auftreten (25 %, Erkrankungsalter jünger, meist multifokales Wachstum) [6, 7]. Die hereditären Varianten manifestieren sich üblicherweise im Rahmen einer multiplen endokrinen Neoplasie MEN2A oder MEN2B sowie seltener als Teil des Familial Medullary Thyroid Carcinoma (FMTC), wobei alle diese Syndrome mit einer aktivierenden Keimbahnmutation im RET-Protoonkogen einhergehen. Das RET-Protoonkogen spielt jedoch nicht nur bei den familiären MTC eine Rolle, sondern auch bei vermeintlich sporadischen Patienten liegt in bis zu 10 % eine Keimbahnmutation und in bis zu 60 % der Fälle eine somatische Mutation vor. Die häufigste detektierte Variante ist die RET-M918T-Mutation. Interessanterweise wurde eine Zunahme von somatischen RET-Mutationen in Analogie zur Tumorgröße beobachtet, weshalb man annimmt, dass die RET-Mutation vor allem im fortgeschrittenen Tumorstadium als Treibermutation von Relevanz ist [8]. Bis heute stellen RET-Mutationen die häufigste bekannte genetische Aberration beim MTC dar. Zusätzlich können Veränderungen im RAS-Pathway noch in nennenswerter Häufigkeit von rund 10 % nachgewiesen werden, sind aber von untergeordneter therapeutischer Relevanz [9].
Klinische Präsentation
Rund 50 % der Patienten haben bei Erstdiagnose eines MTC eine lokalisierte Erkrankung, während bei etwa einem Drittel ein Überschreiten der Schilddrüse einschließlich Lymphknotenbefall besteht und rund 15 % bereits mit Fernmetastasen diagnostiziert werden [10]. Weiters sind die Rückfallraten selbst bei optimaler chirurgischer Therapie hoch und können 50 % betragen, eine engmaschige bildgebende und biochemische (Calcitonin, CEA) Nachsorge hat somit eine hohe Bedeutung. Auch im Rezidiv ist die R0-Resektion die einzig kurative Therapieoption, sodass selbst bei ausgedehnten Lokal‑/Lymphknotenrezidiven eine chirurgische Sanierung empfohlen wird [6]. Die onkologische Systemtherapie hat erst bei fortgeschrittener und symptomatischer Erkrankung einen Stellenwert. In weiterer Folge werden nun mögliche systemische Therapieoptionen besprochen.
Zugelassene Tyrosinkinaseinhibitoren
Tyrosinkinaseinhibitoren (TKIs) sind sogenannte small molecules, die ihre Wirkung durch Inhibition spezifischer Tyrosinkinasen und Hemmung der hiermit verbundenen Signaltransduktionswege und insbesondere der entsprechenden intrazellulären Wachstumskaskaden ausüben. Basierend auf präklinischen Daten geht man davon aus, dass beim MTC neben der oben bereits diskutierten RET-Mutation auch eine Hochregulierung des vascular endothelial growth factor receptor (VEGFR), des epidermal growth factor receptor (EGFR) sowie des hepatocyte growth factor receptor (MET) und der entsprechenden Pathways eine Rolle spielen, sodass die beiden Multi-TKIs Vandetanib und Cabozantinib, die diese Pathways in unterschiedlichem Ausmaß inhibieren, beim fortgeschrittenen MTC erfolgreich in Phase-III-Studien etabliert werden konnten.
Vandetanib ist ein einmal täglich oral verabreichter TKI, der VEGFR, EGFR und RET inhibiert. In der randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie ZETA wurde die antiproliferative Wirkung von 300 mg Vandetanib täglich beim lokal fortgeschrittenen oder metastasierten MTC untersucht [11]. Weitere Einschlusskriterien umfassten WHO-Performance-Status 0–2 und einen Serumcalcitonin-Level von ≥ 500 pg/ml; sowohl sporadische als auch hereditäre Patienten konnten behandelt werden. Bei definierter 2:1-Randomisierung erhielten insgesamt 231 Patienten die TKI-Therapie und 100 Patienten wurden dem Placebo-Arm zugeteilt. Mehr als 90 % der Patienten hatten bei Therapiestart eine metastasierte Erkrankung, wobei Leber, Lymphknoten und Lungenmetastasen die häufigste Lokalisation darstellten. Bei 59 % im TKI-Arm und 50 % in der Kontrollgruppe war eine RET-Mutation bekannt. Abschließend ist noch erwähnenswert, dass rund 40 % der Patienten zumindest eine vorangegangene systemische Therapie erhalten hatten. Ein Crossover von Placebo zu TKI im Progress war erlaubt. Der primäre Endpunkt progressionsfreies Überleben („progression-free survival“, PFS) wurde mit einer signifikanten Verlängerung bei einer Hazard Ratio (HR) von 0,46 (95 % CI 0,31–0,69, p < 0,001) erreicht, das mediane PFS lag zum Publikationszeitpunkt im Kontrollarm bei 19,3 Monaten und wurde im Therapie-Arm nicht erreicht, jedoch mittels statistischem Modelling auf 30,5 Monate geschätzt. Vandetanib zeigte auch einen signifikanten Benefit hinsichtlich der objektiven Responserate (ORR; 45 % versus 13 %, p < 0,001), der Disease-Control-Rate (DCR; 87 % versus 71 %, p = 0,001) sowie des biochemischen Ansprechens. Der Benefit war auch für die Subgruppe der Patienten mit somatischer RET-Mutation respektive M918T-Mutation nachweisbar. Eine rezente Post-hoc-Analyse bestätigte weiters eine signifikante PFS-Verlängerung in der Subgruppe jener Patienten mit symptomatischer und progredienter Erkrankung (n = 184, HR 0,43, 0,28–0,64, p < 0,001) [12]. Seitens Toxizität waren die häufigsten höhergradigen Nebenwirkungen Diarrhö (Grad 3+ 11 % versus 2 %), Hypertension (Grad 3+ 9 % versus 0 %) und Fatigue (Grad 3+ 6 % versus 1 %); werden alle Nebenwirkungen unabhängig vom Grading beachtet, sind auch Hauttoxizitäten ein häufiges Problem (45 % versus 11 %). Eine Event of Special Interest bei Vandetanib ist das Auftreten von QTc-Verlängerungen, welche bei 14 % im Therapiearm beobachtet wurden. Insgesamt erhielten 35 % der Patienten aufgrund von Toxizitäten eine Dosisreduktion. Auch wenn diese Nebenwirkungen als praxisrelevant betrachtet werden müssen und im Alltag die meisten Patienten im Verlauf eine Dosisreduktion benötigen (Stufe 1 200 mg täglich, Stufe 2 100 mg täglich), lassen sich diese TKI-Toxizitäten vom geschulten medizinischen Onkologen oftmals gut handhaben. Zu beachten ist die lange Halbwertszeit von Vandetanib mit 19 Tagen, die in einer verzögerten Besserung von Nebenwirkungen nach Dosisreduktionen resultiert.
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Cabozantinib ist ein weiterer Multi-TKI, der MET, VEGFR2 und RET als spezifische Targets hemmt. Die antiproliferative Wirkung dieses Compounds konnte in der ebenfalls randomisierten, doppelblinden und Placebo-kontrollierten Phase-III-Studie EXAM gezeigt werden [13]. Während die Basis-Einschlusskriterien im Wesentlichen ident waren (inoperable Erkrankung oder metastasiert, sporadische und hereditäre MTC-Patienten), war ein evidenter Unterschied zum ZETA-Kollektiv, dass ein radiologischer Progress nach RECIST-Kriterien innerhalb von 14 Monaten vor Studienstart vorliegen musste, während bei der Vandetanib-Studie initial keine Information bezüglich Progressionsstatus bei Therapiestart vorlag. Auch in dieser Studie waren Patienten mit Vortherapie erlaubt, wobei erwähnenswert ist, dass 20 % bereits eine vorangegangene TKI-Therapie hatten inklusive 10 % Patienten mit Vandetanib-Vortherapie, sodass sich hier potenzielle Schlussfolgerungen für eine mögliche Sequenzierung der Therapien ableiten lassen. Auch in diesem Kollektiv hatten 90 % der Patienten eine metastasierte Erkrankung (Lymphknoten > Leber > Lunge). In rund 50 % war eine RET-Mutation bekannt. Nach erfolgter 2:1-Randomisierung zu Cabozantinib 140 mg täglich (n = 219) versus Placebo (n = 111) konnte beim EXAM-Trial eine signifikante Verlängerung des medianen PFS von 4,0 Monaten im Placebo-Arm auf 11,2 Monate in der Cabozantinib-Gruppe erreicht werden (HR 0,28; 95 % CI 0,19–0,40, p < 0,001). Beeindruckend war der Unterschied im klinisch relevanten 1‑Jahres-PFS von 47,3 % für Cabozantinib versus 7 % für Placebo, wobei sich im direkten Vergleich zum ZETA-Kollektiv jedoch eine aggressivere Grundpopulation vermuten lässt. Die ORR lag bei 28 % für Cabozantinib und keinerlei radiologischem Ansprechen im Placebo-Arm (p < 0,001). Auch in dieser Studie konnte die Effektivität in allen relevanten Kohorten inklusive der Subgruppen der Patienten mit Vortherapie und RET-Mutation nachgewiesen werden. Hinsichtlich Toxizität zeigte sich ein zu Vandetanib etwas abweichendes Spektrum, mit Diarrhö Grad 3+ in 16 % im TKI-Arm (versus 2 %), Hand-Fuß-Syndrom Grad 3+ in 13 % der Patienten (versus 0 %) sowie über 40 % Gewichtsverlust, Inappetenz, Nausea und Fatigue im Gesamtkollektiv. Weiters wurde von TKI-assoziierten Blutungen, venösen Thromboembolien sowie (gastrointestinaler) Fistelbildung und Wundheilungsstörungen berichtet. Die Rate an Dosisreduktionen war mit 80 % im experimentellen Arm demensprechend hoch, sodass man davon ausgehen muss, dass die hier untersuchte Dosis von 140 mg im alltäglichen Gebrauch insbesondere als Dauertherapie nicht realistisch erscheint (minimal erlaubte Dosis in der Studie 60 mg). Dies spiegelt sich auch in einer Verdopplung der Rate an Serious Adverse Events in der TKI-Gruppe wider (42,1 % versus 22,9 %). Aktuell werden daher niedrigere Dosierungen evaluiert. Zur EXAM-Studie wurde 2017 ein Overall-Survival(OS)-Update veröffentlicht [14]. Es zeigte sich ohne Crossover ein statistisch nicht signifikanter OS-Benefit von 5,5 Monaten (26,6 versus 21,1; HR 0,85, 95 % CI 0,64–1,12). Eine explorative Subgruppenanalyse der RET-M918T-Patienten suggerierte jedoch einen größeren Benefit für diese Kohorte (OS 44,3 versus 19,8; HR 0,6, 95 % CI 0,38–0,94, jedoch ohne Korrektur für multiples Testen).
Zusammenfassend stehen mit Vandetanib und Cabozantinib zwei zugelassene TKI-Therapien zur Verfügung, die zu einer statistisch signifikanten und klinisch relevanten Verlängerung des PFS bei Patienten mit fortgeschrittenem MTC führen können. Dennoch ist bei fehlendem direktem Vergleich zu beachten, dass keine Therapie eine Verlängerung des OS im Gesamtkollektiv zeigen konnte und beide Substanzen mit erheblicher Toxizität verbunden sind. Daher sollte unabhängig von den Einschlusskriterien in den hier diskutierten Studien in der klinischen Praxis ein relevanter Progress beziehungsweise bei unklarem Progressionsstatus ein klinischer Krankheitsdruck vor Therapiestart bestehen, da sonst bei gegebenenfalls „smoldering disease“ eine verfrühte Einschränkung der Lebensqualität in Kauf genommen wird. Mögliche Entscheidungskriterien sind das unterschiedliche Nebenwirkungsprofil, der RET-Mutationsstatus und Vortherapien. Tab. 1 zeigt einen Vergleich der Patientencharakteristika und primären Endpunkte der beiden Studien.
Tab. 1
Gegenüberstellung der Phase-III-Studien für Vandetanib und Cabozantinib [11, 13]
Vandetanib
Cabozantinib
Target
RET, VEGFR, EGFR
RET, VEGFR2, MET
Studiendesign
Placebo-kontrolliert, doppelblind
Placebo-kontrolliert, doppelblind 3
Randomisierte Patienten
331 (2:1)
330 (2:1)
Crossover erlaubt
Ja
Nein
Progress nach RECIST bei Einschluss
Kein Einschlusskriterium
Ja (innerhalb von 14 Monaten)
Baseline
Hereditäre Erkrankung
12 % TKI versus 5 % Placebo
5,5 % TKI versus 7,2 % Placebo
≥ 2 Organe betroffen
87 % TKI versus 92 % Placebo
87,2 % TKI versus 86,5 % Placebo
Vorangegangene Systemtherapie
61 % TKI versus 58 % Placebo
37 % TKI versus 42,3 % Placebo
Vorangegangene TKI-Therapie
Keine Information
20,1 % TKI versus 21,6 % Placebo
RET-Mutation
59 % TKI versus 50 % Placeboa
46,1 % TKI vs. 52,3 % Placebob
RET-M918-Mutation
44 % TKI versus 41 % Placebo
34,2 % TKI vs. 38,7 % Placebo
Medianes PFS (Monate)
30,5 vs. 19,3
(HR 0,46, 95 % CI 0,31–0,69)
11,2 vs. 4,0
(HR 0,28; 95 % CI 0,19–0,40)
Objektive Responserate
45 % TKI vs. 13 % Placebo
28 % TKI vs. 0 % Placebo
Overall Survival (Monate)
Immature (HR 0,89; 95 % CI 0,48–1,65)
26,6 vs. 21,1 (HR 0,85, 95 % CI 0,64–1,12; p = 0,24) [14]
RET M918T 44,3 Monate vs. 18,9 Monate (HR 0,60, 95% CI 0,38–0,94; p=0,003, explorative Subgruppe)
aRET-Mutationsstatus unbekannt in 40 % TKI versus 44 % Placeboarm
bRET-Mutationsstatus unbekannt in 35,2 % TKI versus 34,2 % Placeboarm
Zytostatische Therapie
Seit Etablierung der TKI-Therapien hat die klassische zytostatische Therapie nur eine äußerst untergeordnete Rolle und sollte nur bei absoluter Kontraindikation hinsichtlich der zugelassenen TKIs und bei entsprechend progressiver Dynamik in Betracht gezogen werden. Ansprechraten mittels Monotherapie liegen bei maximal 20 %, wobei Doxorubicin historisch am häufigsten eingesetzt wurde [15]. Kombinationstherapien scheinen etwas effektiver zu sein, größere systematische Daten fehlen jedoch. Der am meisten getestete Kombinationspartner ist Dacarbazin, welches unter anderem in einer rezent publizierten Fallserie in Kombination mit 5‑FU in 3 von 4 Patienten mit „rapid progressive disease“ zu objektiven Remissionen führte [16]. Weitere Kombinationen umfassen Dacarbazin mit Cyclophosphamid und Vincristin oder die die alternierende Gabe von Doxorubicin/Streptozotocin und 5‑FU/Dacarbazin [15]. Letztere Kombination wurde in einer Kohorte von 20 Patienten mit progredienten Metastasen evaluiert, und drei Patienten erzielten eine partielle Remission (15 %), weitere 10 (50 %) eine anhaltende Stabilisierung von zumindest 8 Monaten [17]. Es gibt keine relevanten prospektiven Daten zum Einsatz von Chemotherapie beim MTC.
Zielgerichtete Therapiekonzepte
RET-Inhibitoren
Selpercatinib (LOXO-292), ein selektiver RET-Inhibitor, wurde rezent von der FDA zur Therapie RET-mutierter Patienten mit fortgeschrittenem MTC zugelassen. Dieses Therapiekonzept wurde in der Phase-I/II-Studie LIBRETTO-001 etabliert und im August 2020 im New England Journal of Medicine publiziert [18]. Die finale Analyse zeigte bei 55 Patienten mit TKI-Vortherapie eine ORR von 69 % (95 % CI 55–81) bei noch nicht erreichter medianer Responsedauer (95 % CI 19,1–noch nicht erreicht) und einem 1‑Jahres-PFS von 82 % (95 % CI 69–90). In einer zweiten Kohorte TKI-naiver Patienten (n = 88) konnten vergleichbare Responseraten dokumentiert werden (ORR 73 %, 95 % CI 62–82; 1‑Jahres-PFS 92 %, 95 % CI 82–97). Hinsichtlich möglicher unerwünschter Wirkungen im Gesamtkollektiv der Schilddrüsenkarzinom-Patienten in der LIBRETTO-1-Studie sind Mundtrockenheit (39 %, 0 % davon Grad 3+), Hypertension (30 % gesamt, 12 % Grad 3+), Diarrhö (17 % gesamt, 3 % Grad 3+) und Fatigue (25 % gesamt, 1 % Grad 3+) sowie Erhöhung von Transaminasen (ca. 30 % gesamt, ca. 10 % Grad 3+) als häufigste therapieassoziierte Events gelistet, sodass insgesamt von einer guten Verträglichkeit ausgegangen werden kann. Ein weiterer RET-Inhibitor wird unter dem Namen Pralestinib (BLU-667) entwickelt und zeigt in auf internationalen Meetings gezeigten Daten vergleichbare Ansprechraten wie Selpercatinib [19]. Unter Rücksichtnahme auf fehlende Phase-III- und Langzeitdaten kann somit eine Empfehlung zur Testung des RET-Mutationsstatus bei MTC-Patienten spätestens bei TKI-refraktärer Erkrankung gegeben werden [6].
Somatostatin-Analoga (SSA)
SSA stellen eine etablierte Therapie zur endokrinologischen Symptomkontrolle und auch antiproliferativen Therapie bei neuroendokrinen Tumoren mit gastroenteropankreatischem Ursprung dar. Basierend auf der Beobachtung, dass auch beim MTC eine Somatostatin-Rezeptor(SSR)-Expression vorliegen kann, wurde dieses Konzept in kleinen Serien untersucht, es konnte jedoch bis heute keine eindeutige Antitumoraktivität nachgewiesen werden, sodass keine Empfehlung für SSA als antiproliferative Therapie beim fortgeschrittenen MTC gegeben werden kann [20]. In der Literatur finden sich einzelne Berichte, dass SSA bei Calcitonin-assoziierter Diarrhö eine effektive supportive Maßnahme darstellen und daher in diesem Kontext als potenzielle Substanz in Betracht gezogen werden können.
Peptid-Radio-Rezeptor-Therapie (PRRT)
In Analogie zur klassischen „kalten“ SSA-Therapie wurde auch die PRRT mittels radioaktiv markierter SSA zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem MTC evaluiert, die Daten beruhen jedoch ebenfalls auf kleinen Phase-II-Studien oder retrospektiven Kollektiven. In einer rezent publizierten Serie wurden insgesamt 73 Patienten mit radiologisch progredientem MTC und steigenden Calcitonin-Level für eine PRRT mittels Ga68-PET/CT gescreent, und ein doch beachtlicher Anteil von 43 Patienten (59 %) wies ausreichende SSR-Expression für eine PRRT mit Lu177-DOTATATE auf [21]. Das mediane PFS lag bei 24 Monaten (95 %-CI 15,1–32,9), wobei Patienten, die vor der PRRT eine Calcitonin-Verdoppelungszeit von > 24 Monaten hatten, ein deutlich besseres PFS aufwiesen (median noch nicht erreicht versus 10 Monate). Die ORR nach RECIST lag jedoch nur bei 4 % (partielle Remission n = 2), was in Anbetracht der vorliegenden Daten bei den gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Tumoren eher ernüchternd erscheint, insbesondere da nur ein einziger Patient im Kollektiv zuvor eine systemische Therapie erhalten hatte. Die Autoren betonen jedoch, dass 50 % der Patienten von einem ebenfalls in der Studie erhobenen symptomatischen Benefit berichteten. Etwas ältere Daten wurden 2007 von Iten et al. publiziert [22]. In diese Phase-II-Studie wurden 31 Patienten in einem Rekrutierungszeitraum von fast 10 Jahren (1997–2006) eingeschlossen. Die biochemische Responserate in diesem Kollektiv war mit 29 % vergleichbar mit der rezenten Fallserie. Das mediane OS war mit 10,8 versus 74,5 Monaten (p = 0,02) bei Patienten mit (biochemischem) Response auf die Therapie verlängert. Als Therapeutikum wurde in dieser Studie 90-Yttrium-markiertes DOTATOC eingesetzt.
Ein weiteres nuklearmedizinisches Konzept ist unter anderem die radioaktive Markierung von CEA, wodurch nach vorheriger Verabreichung von anti-CEA/anti-DPTA-Indium-rekombinierten bispezifischen Antikörpern und angeschlossener 131I-Therapie in 29 Hochrisikopatienten ein signifikant verlängertes OS erreicht werden konnte versus einer nicht behandelten Kontrollgruppe (medianes OS 110 versus 61 Monate, p = 0,030) [23]. Zu dieser Strategie fehlen jedoch Folgedaten, und in Anbetracht der mittlerweile großen Erfahrung mit SSR-gerichteter PRRT bei neuroendokrinen Neoplasien ist dieses Konzept deutlich praxisrelevanter und kann in einzelnen Fällen als Salvage-Therapie in Betracht gezogen werden.
Ongoing Clinical Trials und neue Therapiekonzepte
Tyrosinkinaseinhibitoren und beyond
Neben Cabozantinib, Vandetanib und Selpercatinib sind in den letzten Jahren noch etliche weitere bei anderen Turmorentitäten etablierte TKIs untersucht worden, wobei insbesondere Sorafenib, Lenvatinib, Pazopanib und Sunitinib, welche beim PTC/FTC und bei extrathyreoidalen neuroendokrinen Tumoren angewendet werden, sowie Motesanib und Imatinib positive Ergebnisse zeigten, jedoch auf keine Phase-III-Daten zurückgreifen können. Ein weiteres „target of interest“ wäre wie eingangs erwähnt der RAS-Pathway, jedoch gilt RAS an sich als schwer „drugable“, und der in der Entwicklung am weitesten fortgeschrittene RAS-Inhibitor betrifft die KRAS-G12C-Mutation, die beim MTC nur äußerst selten auftritt und somit kein sehr vielversprechendes Target darstellt [24]. Andere Substanzen, die im weiteren Sinne in die Interaktion von RET mit Tumorsupressorgenen und dem RAS/RAF/MEK/ERK-Pathway involviert sind, befinden sich noch in frühen Entwicklungsstadien, weiters werden auch PI3K/AKT/MTOR-Pathway-gerichtete Medikamente evaluiert, wobei auch Everolimus und Derivate in Betracht gezogen werden [25].
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Immuntherapie
Auch wenn sich erst wenige Arbeitsgruppen mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben, scheint es, als wäre das MTC ein Tumor mit wenig T‑Zell-Infiltration und de facto absenter PD-L1-Expression [26]. Dementsprechend gibt es derzeit auch noch keine nennenswerten Daten zur Therapie mit PD-1/PD-L1-gerichteten Checkpointinhibitoren beim MTC, es sind jedoch Studien offen, und insbesondere eine Kombination aus TKI und Checkpointinhibitor – ein Konzept, das zunehmend in der Immunonkologie angewandt wird – könnte in diesem Kontext von Interesse sein. Erste Erfahrungen gibt es zur Tumorvakzinierung mittels dendritischer Zellen auf Basis von Stimulation durch CEA/Calcitonin oder durch individuelle Tumorlysate aus dem chirurgischen Präparat.
Fazit
Das fortgeschrittene MTC ist eine seltene Erkrankung mit nur eingeschränkten systemischen Therapiemöglichkeiten, und während mit den RET-Inhibitoren nun eine neue zielgerichtete Therapie Einzug in die klinische Routine hält, die für einen nennenswerten Teil der Patienten in Frage kommt, spielen andere moderne Strategien wie die Immuntherapie nur eine untergeordnete Rolle. Offene Fragen umfassen neben dem Vorgehen bei Progress unter dem Erstlinien-TKI und der Rolle der personalisierten Medizin insbesondere die Frage nach dem optimalen Zeitpunkt für einen Behandlung, da oftmals auch ohne Therapie eine längerfristige stabile oder asymptomatische Erkrankung im metastasierten Setting vorliegen kann. Ein häufig eingesetzter Parameter in diesem Kontext ist die Verdoppelungszeit des Calcitonins und/oder von CEA, die die Krankheitsdynamik gut widerspiegelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Einschlusskriterien in den klinischen Studien sehr inhomogen sind, was einen „head-to-head“-Vergleich einzelner Subtanzen de facto unmöglich macht.
Neben den in diesem Artikel abgehandelten Therapieoptionen spielt auch die konventionelle externe Strahlentherapie eine Rolle in der palliativen Therapie und kann zum Beispiel bei schmerzhaften Knochen- oder Lymphknotenmetastasen Symptomlinderung und Krankheitskontrolle erbringen, sodass einer multimodalen Versorgung und Therapieentscheidung im Rahmen von Tumorboards mit Beteiligung der medizinischen Onkologie, Strahlentherapie, Chirurgie und auch Nuklearmedizin, Pathologie und Endokrinologie eine hohe Bedeutung im individuellen Management zuteilwird (Abb. 1). Abschließend möchten wir noch auf die rezent publizierte ESMO-Leitlinie verweisen [6].
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
B. Kiesewetter und M. Raderer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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