Open Access 30.10.2020 | Neurochirurgie | Originalien
Aktueller Stand der Hypophysenchirurgie
Erschienen in: Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel | Ausgabe 4/2020
Zusammenfassung
Eine gut funktionierende Kooperation zwischen Neurochirurgie und Endokrinologie sowie die enge Zusammenarbeit mit Neuropathologie, Neuroradiologie und Neuroophthalmologie sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung von Hypophysenadenomen. Hypophysenadenome können heute durch den technologischen Fortschritt immer sicherer und komplikationsärmer operiert werden. Dazu gehört neben einer High-Tech-Ausrüstung auch eine spezielle histologische bzw. molekulare Aufarbeitung des Tumorgewebes, um eine optimale multimodale Therapie anbieten zu können. Um ausgedehnte, invasive und aggressiv wachsende Hypophysenadenome, die ein interdisziplinäres Vorgehen benötigen, behandeln zu können, ist es heutzutage notwendig, dies in spezialisierten Zentren durchzuführen.
Hypophysenadenome machen 15 % aller intrakraniellen Tumoren aus und treten mit einer Inzidenz von 2,7/100.000 und Jahr auf [1]. Mit 65 % sind hormonaktive Adenome häufiger als hormoninaktive (35 %). Hormonaktive Adenome setzen sich zusammen aus: PRL-produzierenden Adenomen (25–41 %), GH-Zell-Adenomen (10–15 %), ACTH-Zell-Adenomen (15 %) und TSH-Zell-Adenomen (2 %) [1, 2].
Die chirurgische Entfernung ist trotz Verbesserungen im Bereich der medikamentösen Therapie als auch der Strahlentherapie weiterhin die Therapie der ersten Wahl bei allen Hypophysenadenomen, ausgenommen den PRL-produzierenden Adenomen, die standardmäßig medikamentös mit Dopaminagonisten behandelt werden.
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Eine chirurgische Behandlung kann bei bestimmten Prolaktinomen in Erwägung gezogen werden:
1.
bei zystischen bzw. eingebluteten Prolaktinomen, die einen Masseneffekt oder eine Apoplexie mit Sehverlust verursachen,
2.
3.
bei nichtinvasiven Mikroprolaktinomen auf ausdrücklichen Patientenwunsch als Alternative zur meist lebenslangen medikamentösen Behandlung [8].
Technologische Fortschritte haben die chirurgische Behandlung von Hypophysenadenomen in den letzten Jahren sicherer und effektiver gemacht:
Der chirurgische Zugang zur Resektion von Hypophysenadenomen – nämlich, ob auf transkraniellem oder transsphenoidalem Weg – war vor Jahrzehnten noch ein Diskussionsthema. Mittlerweile ist jedoch der transnasale, transsphenoidale Zugang der weltweit am meisten angewandte und akzeptierte Zugangsweg [9]. Die Diskussion dreht sich nun um die Frage, ob der traditionell mikroskopischen oder neu eingeführten endoskopischen Visualisierungstechnik der Vorzug gegeben werden soll. Während der endoskopische Ansatz eine direkte Sicht, ein breiteres Sichtfeld und den Blick auf seitliche Strukturen mittels Winkeloptiken liefert, besteht der Nachteil darin, dass die Tiefenwahrnehmung durch ein zweidimensionales Bild erschwert wird [10, 11].
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Trotz dieser offensichtlichen Vorteile der Endoskopie konnte eine rezente Metaanalyse keine signifikante Verbesserung in Bezug auf Komplikationen und Heilungsrate finden [12].
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Jedoch kann v. a. bei ausgedehnten und komplex konfigurierten Hypophysenadenomen durch das Endoskop und damit möglich gewordene „Extended“-Zugänge ein höheres Maß an Tumorresektion erzielt werden.
Die Invasivität von Hypophysenadenomen ist unabhängig von der Operationstechnik der limitierende Faktor der chirurgischen Heilung. Invasivität ist definiert als infiltratives Wachstum in Dura, Knochenstrukturen und paraselläre Bereiche wie den seitlich angrenzenden Sinus cavernosus.
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Paraselläres Wachstum tritt bei ca. 6–10 % aller Hypophysenadenome auf, in chirurgischen Serien wurden jedoch Anzeichen einer Invasivität in bis zu 40 % der Fälle beschrieben [13‐17]. Die genaue Kenntnis der parasellären Anatomie des Sinus cavernosus ist für Operationen in diesem Bereich von entscheidender Bedeutung. Basierend auf den Pionierarbeiten von Parkinson und Dolenc wurde die Operation von Tumoren, die in den Raum auftreten, mit geringen Komplikationsraten möglich [18‐20].
Die mediale Wand des Sinus cavernosus ist dabei eine kritische Struktur; sie ist eine dünne Membran, die an den lateralen Teil der Hypophyse angrenzt. Nur die A. hypophysialis inferior und die Hypophysenvenen verlaufen durch diese Wand. Alle sonstigen Öffnungen in der medialen Wand des Sinus cavernosus, die während der Operation beobachtet werden, sind durch ein invasives Tumorwachstum verursacht. Invasive Hypophysenadenome neigen dazu, sich durch die mediale Wand im Sinus cavernosus auszubreiten.
Abhängig von verdrängendem oder invasivem Adenomwachstum wird die im Sinus cavernosus verlaufende A. carotis interna durch den Tumor entweder verdrängt oder invasiv umschlossen.
Die Klassifikation nach Knosp ist wichtig, weil sie die paraselläre Tumorausdehnung auf den präoperativen MRT-Bildern in Bezug auf die Lage der A. carotis interna beurteilt: Je höher der Knosp-Grad ist, desto schwieriger ist eine vollständige chirurgische Entfernung, und desto wahrscheinlicher ist eine postoperative medikamentöse oder radiochirurgische Therapie [16, 21].
Daher ist v. a. bei invasiven Hypophysenadenomen ein interdisziplinäres Vorgehen, welches nur in großen Zentren möglich ist, zur Behandlung dieser Tumoren nötig.
Präzision ist entscheidend für den Erfolg eines neurochirurgischen Eingriffs. Daher wurde in den letzten 2 Jahrzehnten in vielen Teilgebieten der Neurochirurgie die Neuronavigation implementiert und etabliert [22‐27]. In der transnasalen transsphenoidalen Hypophysenchirurgie erhalten Neurochirurgen durch die Neuronavigation die Möglichkeit, intra- und paraselläre Strukturen intraoperativ zu verifizieren [28]. Die Registrierung ist dabei der Schlüsselschritt in der navigationsgesteuerten Chirurgie und wird definiert als die Bestimmung einer geometrischen Transformation, die die Bildgebung des Patienten mit dem physischen Patienten in Beziehung setzt [29]. So kann die räumliche Position eines verfolgten Instruments relativ zum Patienten (über einen am Kopf oder an der Kopffixierungsklemme angebrachten Tacker) während des Eingriffs bestimmt werden.
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Unter Zuhilfenahme der Neuronavigation konnte gezeigt werden, dass durch die verbesserte Orientierung die Rate an Komplikationen bei komplexen Fällen, aber v. a. bei Rezidiveingriffen gesenkt werden kann [30].
Ziel der chirurgischen Resektion von Hypophysenadenomen ist es, das Ausmaß der Tumorresektion zu maximieren, während die Funktion der Hypophyse erhalten bleibt. Die Lage eines möglichen Adenomrests kann aber vom Chirurgen während des Eingriffs nicht immer sicher festgestellt werden.
Das intraoperative Magnetresonanztomogramm (MRT) ermöglicht dem Chirurgen eine hochauflösende Darstellung des Resektionsausmaßes bereits während des Eingriffs. Dies ist v. a. bei großen und komplex konfigurierten Tumoren von Vorteil, um Adenomreste zu lokalisieren. Zusätzlich können durch die intraoperative Bildgebung die Neuronavigation aktualisiert werden und Komplikationen wie z. B. Tumoreinblutungen bereits während des Eingriffs antizipiert werden [31‐33].
Der Nachteil dieser Technologie sind jedoch die hohen Anschaffungs- und Erhaltungskosten.
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Ein wichtiger, die Remissionsrate von Hypophysenadenomen beeinflussender Faktor ist die Expression von Proliferationsmarkern. Das Ki-67(MIB-1)-Protein ist ein Proliferationsmarker, der in einer Reihe von Tumorentitäten (z. B. Brust- und Prostatakrebs, neuroendokrine Tumoren und Hirntumoren) angewendet wird, um den Grad der Zellproliferation während aller aktiven Phasen des Zellzyklus zu erfassen [34].
In der aktuellen WHO-Klassifikation von 2017 wurde dieser Proliferationsmarker zwar als Kriterium einer erhöhten Tumoraktivität gewertet, jedoch wurden klare Grenzwerte, um aggressive Hypophysenadenome zu klassifizieren, nicht festgesetzt. Aufgrund mangelnder Reproduzierbarkeit in mehreren Studien, die zu dieser Entscheidung der WHO geführt hatten, wurde durch Trouillas et al. eine multizentrische Fall-Kontroll-Studie mit klaren Grenzwerten durchgeführt. In ihrer Analyse zeigten Hypophysenadenome, die ein invasives Wachstum sowie die Expression von Proliferationsmarkern zeigen, ein hohes Risiko für ein Wiederauftreten oder Fortschreiten eines Resttumors [14].
Darüber hinaus konnte bei Tumoren, die eine Kombination mehrerer Transkriptionsfaktoren aufweisen, ein erhöhtes Risiko für ein aggressives Verhalten nachgewiesen werden [35].
Radiochirurgie und externe Strahlentherapie werden als zusätzliche Behandlungen von Hypophysenadenomen eingesetzt, falls folgende Kriterien zutreffen: unvollständige chirurgische Resektion, Wiederauftreten des Tumors oder Versagen der medikamentösen Behandlung.
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Im Falle einer externen Strahlentherapie von Hypophysenadenomen besteht das Behandlungsschema aus einer Gesamtstrahlungsdosis von 45–54 Gy, die in 25- bis 30-täglichen Fraktionen abgegeben wird; diese wird hauptsächlich eingesetzt, wenn größere Tumoranteile sich am Sehnerv befinden, die chirurgisch nicht mehr reseziert werden können [36].
Im Gegensatz dazu hat die Gamma-Knife-Radiochirurgie (GKN) den Vorteil einer Einzelsitzungstherapie mit hochkonzentrierten Dosen, die an das Ziel abgegeben werden. Die GKN verwendet mehrere Isozentren, um aufgrund unterschiedlicher anatomischer Bedingungen einen fokussierten Dosisplan zu erstellen. Ein steiler Dosisabfall kann dadurch das umgebende Gewebe schonen. Aufgrund der fehlenden medikamentösen Alternative bleibt sie die Zweitlinienbehandlung für nichtfunktionell aktive Strahlentherapie. Eine Kontrolle des Resttumorvolumens kann dabei in 50–80 % der Fälle erreicht werden [37].
Als Third-Line-Therapie ist die Radiochirurgie bei GH-produzierenden Adenomen im Falle einer parasellären Invasivität besonders wichtig. In der Literatur gibt es eine große Variabilität der endokrinen Remissionsraten (0–100 %) sowie des Zeitintervalls zwischen der radiochirurgischen Behandlung und der endokrinen Remission (3 Monate bis 8 Jahre) [36, 38, 39].
Die häufigste Nebenwirkung der Radiochirurgie ist jedoch die hypophysäre Insuffizienz, die in bis zu 70 % der Fälle auftritt und dosisabhängig ist, gefolgt von einer in ca. 4 % neu aufgetretenen Seheinschränkung [40].
A. Micko, S. Wolfsberger, G. Vila, R. Höftberger, A. Luger und E. Knosp geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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