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Erschienen in: Psychotherapie Forum 1-2/2022

Open Access 17.05.2022 | originalarbeit

Teilnahmeinteresse, Wünsche und Visionen österreichischer Psychotherapeut_innen zur Psychotherapieforschung – Ergebnisse einer Online-Befragung

verfasst von: Christin Figl, Anton-Rupert Laireiter

Erschienen in: Psychotherapie Forum | Ausgabe 1-2/2022

Zusammenfassung

Praxisorientierte Psychotherapieforschung benötigt die Erfahrung, Sichtweisen und Mitarbeit praktizierender Psychotherapeut_innen. Es ist erstaunlich, dass bisher erst eine bereits 15 Jahre alte Studie über die Einstellung österreichischer Psychotherapeut_innen zur Psychotherapieforschung existiert. Um diese Forschungslücke zu schließen, wurden in einer Onlinestudie das Teilnahmeinteresse und die Wünsche und Visionen von österreichischen Psychotherapeut_innen (N = 855; 72.8 % Frauen, 28 bis 80 Jahre) zur Psychotherapieforschung erhoben. Die Ergebnisse zeigen, dass ein generelles Interesse an Studienteilnahmen besteht. Eine stärkere Förderung von Psychotherapieforschung wird stark unterstützt. Eine Ablehnung von Studienteilnahmen wurde primär mit Zeitmangel begründet und eine Belohnung für Teilnahmen gewünscht. Ein positives Erleben von Anfragen, bisherige Studienteilnahmen, eine positive Einstellung und ein weniger stark ausgeprägtes forschungskritisches professionelles Selbstverständnis konnten die Teilnahmebereitschaft signifikant vorhersagen. Therapeut_innen‑, Wirkfaktoren- und Wirksamkeitsstudien, qualitative oder kombiniert quantitativ-qualitative Methoden, Schulen übergreifende Fragstellungen sowie die Durchführung von Studien durch interdisziplinäre Teams oder Psychotherapeut_innen im Kontext von Psychotherapieforschungsinstituten erwiesen sich als die stärksten Motivatoren für Studienteilnahmen. Die Ergebnisse bieten Anknüpfungspunkte für Psychotherapiestudien: Einbezug und Berücksichtigung von Psychotherapeut_innen-Interessen, eine verstärkte Aufklärung über Möglichkeiten, sich an Forschungsprojekten zu beteiligen und eine adäquate Belohnung für Studienteilnahmen.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Psychotherapieforschung, insbesondere praxisorientierte Forschung (z. B. Castonguay und Muran 2015), benötigt die Erfahrungen, Sichtweisen und die Mitarbeit von Psychotherapeut_innen. Dennoch stehen Psychotherapieforschung und Psychotherapiepraxis seit langem in einem Spannungsverhältnis zueinander, welches durch eine Kluft zwischen Praxis und Forschung (research-practice-gap), durch mangelnde Kooperation und gegenseitige Vorbehalte und Kritik charakterisiert ist (Bartholomew et al. 2016; Castonguay 2011; Murdock 2006; Widdowson 2012). Es zeigt sich jedoch auch, ausgehend von der Überzeugung, dass Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis Vorteile für alle Beteiligten bringt (Castonguay et al. 2015), ein Trend in die gegenteilige Richtung, nämlich Forschung und Praxis zu verbinden (Berman et al. 2016) und gemeinsame Forschungsprojekte zu entwickeln und Forschung auch gemeinsam durchzuführen (Castonguay und Muran 2015).
Obwohl in entsprechenden Studien (z. B. Felber und Margreiter 2007; Taubner et al. 2016) seitens befragter Psychotherapeut_innen immer wieder großes Interesse an Psychotherapiestudien geäußert wird, zeigen vielfache Erfahrungen und Studien, dass nur wenige Therapeut_innen aktiv an Therapiestudien teilnehmen (Bednar und Shapiro 1970; Protz et al. 2012). Gründe und Faktoren herauszufinden, die für und gegen eine Teilnahme sprechen, sowie das Stärken der Motivation zur Teilnahme an entsprechenden Studien sind daher für die Zukunft der Therapieforschung äußerst relevant.
In bisherigen Studien (z. B. Taubner et al. 2016) wurden als Gründe für eine Teilnahme an Psychotherapiestudien insbesondere ein umsetzbarer Aufwand und Transparenz des Projekts, garantierter Datenschutz, Unterstützung bei der Studienimplementierung und eine finanzielle Kompensation sowie die Qualität des Forschungsprojektes, für Therapeut_innen relevante Forschungsfragen, nicht-experimentelle Methoden, qualitative Designs, Forscher_innen mit klinischer Erfahrung und ein ungestörter therapeutischer Prozess genannt. In anderen Studien (Protz et al. 2012; Vachon et al. 1995) wurden zusätzlich noch eine materielle Entschädigung sowie ein Forschungsdesign ohne Video‑/Audioaufnahmen, sowie Klarheit des Forschungsanliegens und Forscher_innen, die sich auch auf Diskussionen mit den Praktiker_innen einlassen, als wichtig empfunden. Letzteres belegt vor allem den Wunsch der Psychotherapeut_innen nicht nur beforscht, sondern emanzipiert an der Entwicklung und Gestaltung des Forschungsprozesses beteiligt zu werden (Protz et al. 2012).
Als Gründe für eine Nicht-Teilnahme an Psychotherapieforschung erbrachten verschiedene Studien überwiegend Zeitmangel, einen zu großen Aufwand und eine grundlegende Kritik am Studiendesign, den Forschenden oder den Forschungsinstrumenten, weiters Zweifel am Datenschutz und Angst vor Bewertung oder Einfluss auf die therapeutische Beziehung (Bartholomew et al. 2016; Bednar und Shapiro 1970; Taubner et al. 2016).
Untersuchungen zur therapeutischen Orientierung und dem Teilnahmeinteresse zeigen indifferente Ergebnisse. So wurde wiederholt kein Zusammenhang zwischen Schulenzugehörigkeit und Studienteilnahme gefunden (Bednar und Shapiro 1970; Taubner et al. 2016; Ward und Richards 1968), jedoch auch ein großer Widerstand bei psychodynamisch orientierten nicht teilnehmenden Therapeut_innen (Morrow-Bradley und Elliott 1986).

Aktuelle Studie

Die meisten Studien stammen aus dem angloamerikanischen Bereich, lediglich Taubner und Mitarbeiter_innen (2016) haben Daten aus dem deutschsprachigen Raum – primär aus Deutschland – erhoben. Angesichts der Tatsache, dass Österreich eine sehr spezifische staatliche Psychotherapieregelung mit expliziter Forderung nach Psychotherapieforschung besitzt, ist es doch erstaunlich, dass bisher nur eine veröffentlichte Studie über die Einstellungen österreichischer Psychotherapeut_innen zur Psychotherapieforschung (Felber und Margreiter 2007) vorliegt. Um diese Forschungslücke zu schließen und um mehr über die Interessen und Visionen österreichischer Psychotherapeut_innen zur Psychotherapieforschung zu erfahren, wurde vorliegende Studie geplant und durchgeführt. Aufgabe und Ziel ist es das allgemeine und spezifische Interesse der Teilnahme an Studien sowie die Wünsche und Visionen in Bezug auf Psychotherapieforschung speziell in Österreich zu erheben. Dabei handelt es sich um einen Ausschnitt aus einer größer angelegten Arbeit, in der auch noch andere Aspekte beforscht wurden (Figl 2019).

Methodik

Design

Die vorliegende Studie wurde als Onlinebefragungsstudie konzipiert und an alle 6234 in der Psychotherapeut_innenliste mit einer E‑Mail Adresse eingetragenen Psychotherapeut_innen mittels personalisierter Mail ausgeschickt. 1101 Personen schlossen die Befragung ab, 855 füllten den Online-Fragebogen vollständig aus (= 14,6 % Rücklauf).

Untersuchungsinstrument

Um das Teilnahmeinteresse und die Wünsche und Visionen zu erfassen, wurden vier Abschnitte aus einem breiteren Fragebogen zu Einstellungen, Erfahrungen, Wünschen und Interessen österreichischer Psychotherapeut_innen in Bezug auf Psychotherapieforschung ausgewählt. Die Itemgenerierung basiert auf Literaturanalysen und Fragebögen aus der Literatur (z. B. Taubner et al. 2016) sowie auf Gesprächen mit Psychotherapeut_innen (Figl 2019).

Statistische Auswertung

Die Auswertung der Daten erfolgte mit der Software „IBM SPSS Statistics Version 25“. Zusammenhänge wurden mittels Pearson Korrelationen berechnet und Unterschiede mittels t‑Tests für gepaarte Stichproben geprüft. Mittels multipler Regression wurden Determinanten des Teilnahmeinteresses geprüft. Alle Verteilungsvoraussetzungen waren erfüllt, die Hypothesen wurden zweiseitig getestet.

Ergebnisse

Stichprobe

Die Stichprobe bestand aus 855 Psychotherapeut_innen, die den Fragebogen bis zur letzten Seite ausgefüllt hatten. Der Frauenanteil war mit 72,8 % weitaus größer als der Männeranteil und spiegelt die Geschlechterverteilung österreichischer Psychotherapeut_innen wider (Sagerschnig und Tanios 2017). Das Durchschnittsalter betrug 52,79 Jahre (SD = 10,17; Range 28 bis 80 Jahre). Die Verteilung der verschiedenen therapeutischen Orientierungen war in ausreichendem Maße gegeben (psychodynamisch: 24,0 %, humanistisch-existenziell: 38,3 %, systemisch: 27,0 %, verhaltenstherapeutisch: 9,1 %). Die mittlere Dauer der Berufstätigkeit lag bei 15,11 Jahren (SD = 10,58).

Teilnahmeinteresse an Psychotherapiestudien

In einer ersten Annäherung an das Thema wurden aus dem Fragebogen drei Items ausgewählt, die das prinzipielle Interesse an Psychotherapieforschung und der Teilnahme daran widerspiegeln. Diese sind in Tab. 1 dargestellt. Daraus wird deutlich, dass die Teilnehmer_innen ein relativ hohes Interesse an Psychotherapieforschung besitzen und eine mittelhohe bis hohe Bereitschaft zur Teilnahme an Studien. Die Detailauswertung des dritten Items (Teilnahmeinteresse) zeigte, dass insgesamt 50 % diesem zustimmten bzw. voll zustimmten und weitere 27 % etwas zustimmten (22,5 % zeigten eine eher ablehnende Haltung). Mehr als drei Viertel der Befragten wiesen also ein mittleres bis starkes allgemeines Teilnahmeinteresse an Psychotherapiestudien auf.
Tab. 1
Allgemeines Interesse an Psychotherapieforschung und Teilnahme an Psychotherapieforschung
 
M (SD)
Aktuelle Forschungsergebnisse aus Psychotherapiestudien interessieren mich
4,15 (0,96)
Ich finde es wichtig, dass durch eine Teilnahme von Psychotherapeut/innen an der Therapieforschung die klinisch-praktische Perspektive stärker forciert wird
3,93 (1,06)
Ich bin prinzipiell daran interessiert, an Studien rund um Psychotherapie teilzunehmen
3,41 (1,16)
Range 1–5, N = 839–851
Im zweiten Schritt wurde das Interesse sich an speziellen Forschungsaktivitäten zu beteiligen über neun Items differenzierter erfasst (Tab. 2). Der Median über diese Aktivitäten liegt bei 3,0, was bedeutet, dass die befragten Psychotherapeut_innen im Schnitt „etwas“ Interesse verspürten spezifische wissenschaftliche Aktivitäten zu betreiben. Dabei zeigt sich aber eine starke Varianz zwischen den Aktivitäten: Besonderes interessiert zeigte man sich an Kooperationen und Befragungen (als Expert_innen). Von nur geringem Interesse war das Erlernen neuer Manuale und die Mitwirkung an manualisierten (Wirksamkeits-)studien sowie an Prozessstudien mit Ton- und Videoaufnahmen.
Tab. 2
Interesse an speziellen wissenschaftlichen Aktivitäten (absteigendes Interesse)
Forschungsaktivitäten
M (SD)
Zusammenarbeit mit einem interdisziplinären Team
3,80 (1,21)
Sich interviewen lassen
3,76 (1,20)
Zusammenarbeit mit Universitäten
3,70 (1,23)
Fragebögen zu Therapiestunden ausfüllen
3,14 (1,29)
Eine neue psychotherapeutische Methode lernen und anwenden
3,07 (1,40)
Patient/innen bitten, Fragebögen auszufüllen
2,73 (1,38)
Manual lernen und bei Patient/innen kontrolliert anwenden
2,06 (1,27)
Audioaufnahmen von Therapiestunden
1,78 (1,15)
Videoaufnahmen von Therapiestunden
1,60 (1,05)
Range 1–5, N = 832–848
In weiteren Items wurde nach Gründen für die Nichtteilnahme und nach Abgeltungen für Studienteilnahmen gefragt. Dabei gab der überwiegende Teil als Grund für Nichtbeteiligung mangelnde zeitliche Ressourcen an und zu hohen Aufwand. Knapp 2/3 (67,2 %) sprach sich für Belohnungen aus, 61,4 % davon votierten für aufbereitete Informationen zum Forschungsbereich und -Ergebnissen, 48,5 % für ein Punktesystem analog Fortbildungspunkten, 40 % für eine Bezahlung, 12,5 % für eine Spende und nur 8,7 % für eine Verlosung von Gutscheinen. Weitere Vorschläge im freien Antwortformat enthielten u. a. die Anerkennung als Forschungsmitglied im Verein, die Möglichkeit an weiteren Projekten mitzuwirken, Bücher, Abonnements von Fachzeitschriften, kostenlose Teilnahme an Fachtagungen, Supervisionsgutscheine, namentliche Erwähnung bis hin zur Übernahme von Therapiekosten für Patient_innen mit Sozialtarif.

Determinanten des allgemeinen Teilnahmeinteresses

In einer weiteren Fragestellung wurde untersucht, ob und durch welche Faktoren das Interesse an der Psychotherapieforschung und sich daran zu beteiligen bestimmt wird. Dazu wurden die drei in Tab. 1 genannten Items zu einer Skala mit ausreichender interner Konsistenz (Cronbach’s α = 0,72) und guten Trennschärfen zusammengefasst. Der Skalenwert (M = 3,83, SD = 0,85) liegt im oberen Bereich der fünfstufigen Skala. Im zweiten Schritt wurde mittels einer linearen Regression geprüft, welche Variablen dieses Teilnahmeinteresse vorhersagen. Vor der Berechnung wurden Ausreißer ausgeschlossen, was zu einer Stichprobenreduktion auf n = 667 führte. Die Schulenzugehörigkeit wurden als Dummy Variable einbezogen. Die Prüfung des Modells ergab ein signifikantes Regressionsmodell (F (11, 656) = 25,42, p < 0,001) mit einem Determinationskoeffizienten von R2 = 0,30 (korrigiertes R2 = 0,29). Dieser Wert entspricht nach Cohen (2013) einer hohen Anpassungsgüte. Von den elf einbezogenen Prädiktoren sagten vier das Teilnahmeinteresse signifikant voraus (Tab. 3), die positive Einstellung zur Psychotherapieforschung, das positive Erleben bisheriger Studienanfragen, die Anzahl bisheriger Studienteilnahmen sowie ein gering ausgeprägtes forschungskritisches Selbstverständnis. Geschlecht, Alter, akademischer Abschluss, therapeutische Orientierung und Informiertheit über Therapieforschung konnten das Teilnahmeinteresse nicht signifikant vorhersagen.
Tab. 3
Determinanten des Forschungs- und Teilnahmeinteresses: Multiple Regression (N = 667)
Model
B
SE (B)
β
T
p
R2
F (df)
p
      
0,300
25,42 (11, 656)
< 0,001
Geschlecht
−0,03
0,07
−0,02
−0,56
0,648
   
Alter
−0,01
0,01
−0,06
−1,65
0,099
Akadem. Abschluss
−0,04
0,09
−0,02
−0,46
0,646
Verhaltenstherapeut_innen
−0,22
0,13
−0,07
−1,77
0,078
Systemische Thp
−0,03
0,09
−0,01
−0,30
0,765
Humanistische Thp
−0,06
0,09
−0,03
−0,67
0,504
Anzahl Studienteilnahmen
0,01
0,05
0,07
2,14
0,033*
Positives Erleben Anfragen
0,17
0,03
0,17
4,86
< 0,001***
Selbstverständnis
−0,11
0,03
−0,12
−3,38
0,001*
Informiertheit
−0,06
0,03
0,06
−1,59
0,112
Positive Einstellung
0,44
0,03
0,45
12,87
< 0,001***
B unstandardisierter Regressionskoeffizient, SE Standardmessfehler, β standardisierter Regressionskoeffizient, T t-Wert; R2 Regressionskoeffizient
* p < 0,05, ** p < 0,01, ***, p < 0,001

Spezifisches Forschungsinteresse

In einem weiteren Schritt wurden die Teilnehmer_innen danach gefragt, an welchen Studien mit welchen Fragestellungen, Forschungsinhalten, Methoden, Forschenden und institutioneller Verankerung sie aktiv teilnehmen würden. Diese Fragestellung lässt auch Präferenzaussagen zur Psychotherapieforschung zu. Auch wenn sich die Werte der verschiedenen Items pro Bereich statistisch nicht signifikant voneinander unterscheiden (Alpha-Fehler-Korrektur), zeigt Tab. 4 doch ein prägnantes Bild: Die Befragten präferieren relativ klar schulen- und störungsübergreifende Fragestellungen, Studien zu Therapeut_innenfaktoren, zur Wirksamkeit und Wirkfaktoren, qualitative oder mixed-methods-Studien und solche, die von interdisziplinären Teams oder Psychotherapeut_innen in speziellen Forschungseinrichtungen durchgeführt werden.
Tab. 4
Spezifisches Forschungsinteresse sich an Studien mit spezifischen Fragestellungen, Forschungsinhalten, Methodik, Forschenden und Forschungskontexten zu beteiligen
 
M (SD)
Fragestellungen
Schulen übergreifende Fragestellungen
3,93 (1,09)
Störungsübergreifende Fragstellungen
3,93 (1,08)
Störungsspezifische Fragstellungen
3,60 (1,19)
Schulen spezifische Fragstellungen
3,60 (1,21)
Forschungsinhalte
Therapeut_innenfaktoren
4,06 (1,00)
Wirksamkeitsforschung
4,03 (1,04)
Wirkfaktorenforschung
4,01 (1,04)
Prozessforschung
3,90 (1,05)
Patient_innenfaktoren
3,90 (1,10)
Grundlagenforschung
3,77 (1,13)
Versorgungsforschung
3,71 (1,81)
Ausbildungsforschung
3,67 (1,16)
Methodik
Qualitative Methoden
3,99 (1,07)
Komb. quantitative und qualitative Methoden
3,87 (1,09)
Quantitative Methoden
3,43 (1,23)
Forschende
Interdisziplinäres Team
4,00 (1,08)
Psychotherapeut_innen
3,99 (1,07)
Psycholog_innen
3,38 (1,32)
Soziolog_innen
3,31 (1,28)
Mediziner_innen
3,16 (1,30)
Institutioneller Kontext
Psychotherapieforschungsinstitute
3,96 (1,09)
Ausbildungsinstitute
3,78 (1,15)
Unikliniken
3,69 (1,20)
Psychologieinstitute an Universitäten
3,46 (1,26)
Wertebereich der Variablen jeweils von 1 (trifft nicht zu) bis 5 (trifft voll zu)
N zwischen 838 und 843

Wünsche und Visionen zur Psychotherapieforschung

Im letzten Abschnitt der Studie wurden die Teilnehmer_innen nach Wünschen, Vorstellungen und Visionen zur Psychotherapieforschung in Österreich gefragt. Tab. 5 macht sichtbar, dass dabei vor allem fünf Aspekte als besonders wichtig eingestuft wurden: Datenbankzugang für alle Psychotherapeut_innen, intensivere Förderung von Psychotherapieforschung, vermehrte geisteswissenschaftliche und qualitative Methoden und Fokussierung auf das individuelle Therapiegeschehen. Deutlich wird auch, dass Informationen zur Psychotherapieforschung kaum benötigt werden.
Tab. 5
Wünsche, Visionen und Vorstellungen zur Psychotherapieforschung in Österreich
 
M (SD)
Wünsche
Alle eingetragenen Psychotherapeut_innen sollten einen Datenbankzugang zu aktuellen Psychotherapieforschungsergebnissen erhalten
4,44 (0,86)
Psychotherapieforschung sollte in Österreich vermehrt gefördert werden
4,13 (0,90)
Psychotherapie sollte vermehrt mit hermeneutischen und phänomenologischen Methoden untersucht werden
3,68 (1,05)
Psychotherapieforschung sollte verschiedenste Forschungsmethoden wie die Interaktionsanalyse, die Transkriptionsforschung oder Methoden aus der Soziologie miteinschließen
3,59 (1,00)
Statt verallgemeinerten Forschungsergebnissen wünsche ich mir mehr Berücksichtigung des individuellen Therapiegeschehens
3,50 (1,08)
Vernetzungsprojekte und Forschungscluster würden mir den Einstieg in die Psychotherapieforschung erleichtern
3,28 (1,18)
Psychotherapeutische Ausbildungseinrichtungen sollten verpflichtet werden, eigenständige, wissenschaftliche Forschungstätigkeiten durchzuführen
3,24 (1,27)
Ich hätte gerne mehr Informationen über laufende Studien im Bereich Psychotherapieforschung
3,20 (1,30)
Ich hätte gerne mehr Informationen über Teilnahmemöglichkeiten an Forschungsprojekten rund um Psychotherapie
2,65 (1,30)
Wertebereich der Variablen jeweils von 1 (trifft nicht zu) bis 5 (trifft voll zu)
N zwischen 838 und 843

Diskussion

Die vorliegende Studie diente der Untersuchung des Verhältnisses von Psychotherapiepraxis und Forschung in Österreich und näherte sich diesem über Teilnahmeinteresse und Wünsche und Visionen an die Psychotherapieforschung an. Die Ergebnisse zeigen sehr klar ein starkes Interesse österreichischer Psychotherapeut_innen an der Psychotherapieforschung und auch daran sich an entsprechenden Projekten zu beteiligen. Dabei wird besonders die Kooperationsbereitschaft und die Mitarbeit an (qualitativen) Datenerhebungen deutlich. Audioaufnahmen, Videoaufnahmen und dem Erlernen und Anwenden von Manualen sind die Befragten deutlich abgeneigt. Diese Ergebnisse stimmen mit vorangegangen Studien (Felber und Margreiter 2007; Taubner et al. 2016) überein. Dies belegt die nicht nur nationale Gültigkeit der Befunde.
Dennoch gab etwa ein Fünftel an, kaum oder kein Interesse an der Teilnahme an Psychotherapiestudien zu haben. Die Ablehnung von Studienteilnahmen wurde dem Forschungsstand entsprechend primär mit Zeitmangel und hohem Aufwand begründet (Bednar und Shapiro 1970; Taubner et al. 2016) und eine vielschichte Belohnung für Studienteilnahmen wurde sehr stark befürwortet. Aufbereitete Informationen zum Forschungsbereich sowie ein System analog Fortbildungspunkten wurden häufiger gewählt als eine monetäre Abgeltung, Spenden oder eine Verlosung von Gutscheinen. Insbesondere Forschungsarbeiten im Rahmen von Abschlussarbeiten setzen derartige Anreize jedoch oft ein. Dies scheint aber offenbar nicht sehr geschätzt zu werden.
Ein positives Erleben von Studienanfragen, die Anzahl bisheriger Studienteilnahmen, eine positive Einstellung und ein gering ausgeprägtes forschungskritisches Selbstverständnis konnten die Teilnahmebereitschaft vorhersagen. Studienanfragen sollten dementsprechend bewusster und gezielter formuliert und möglichst an den Bedürfnissen der Praktiker_innen orientiert werden. Geschlecht, Studienabschluss und therapeutische Orientierung konnten das Teilnahmeinteresse wie in anderen Studien auch (z. B. Taubner et al. 2016) nicht vorhersagen. Allerdings fanden Taubner et al. ein jüngeres Alter im Gegensatz zur vorliegenden Untersuchung als signifikanten Prädiktor.
Die Analyse der spezifischen Teilnahmebereitschaft lässt erkennen, dass österreichische Psychotherapeut_innen relativ klare Vorstellungen darüber besitzen, an welcher Art von Forschung sie sich besonders gerne beteiligen möchten: schulen- und störungsübergeordnete, Therapeut_innen- und Wirkfaktoren betreffende mit qualitativen und gemischten Methoden von interdisziplinären Teams oder Psychotherapeut_innen im Rahmen spezifischer Forschungseinrichtungen – weniger in Psychologieinstituten oder Universitätskliniken – durchgeführten Studien. Die abschließend erhobenen Wünsche und Visionen zur Psychotherapieforschung in Österreich bestätigen einige dieser Trends. Gleichzeitig wird eine intensivere Förderung der Psychotherapieforschung in Österreich stark befürwortet.
Die Ergebnisse stehen in einem gewissen Widerspruch zur quantitativ dominierten internationalen und auch nationalen Psychotherapieforschung und erklären auch die sehr geringe Teilnahmebereitschaft an Studien mit universitärem Hintergrund und bestimmten Fragestellungen, wie z. B. der Ausbildungsforschung, die der Zweitautor dieser Arbeit betreibt. Im Hinblick auf die Überwindung der Forschungs-Praxis-Kluft ist aus diesen Ergebnissen zu schließen, dass Psychotherapieforscher_innen die Wünsche und Interessen, ebenso wie die Präferenzen und Visionen von Psychotherapeut_innen ernstnehmen müssen, um zu einer auch für Praktiker_innen sinnvollen und hilfreichen Psychotherapieforschung zu kommen. Die Kluft zwischen Forschung und Praxis kann nur durch Austausch und Dialog überwunden werden. Eine verbesserte Zusammenarbeit bedarf der Unvoreingenommenheit und Wertschätzung seitens der Forschung, einen beständigen Dialog mit Praktiker_innen und das Schaffen von Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

Interessenkonflikt

C. Figl und A.-R. Laireiter geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
Zurück zum Zitat Cohen, J. (2013). Statistical power analysis for the behavioral sciences (2. Aufl.). Hoboken: Taylor and Francis.CrossRef Cohen, J. (2013). Statistical power analysis for the behavioral sciences (2. Aufl.). Hoboken: Taylor and Francis.CrossRef
Zurück zum Zitat Figl, C. (2019). Psychotherapieforschung zwischen Wissenschaft und Praxis. Einstellungen und Teilnahmeinteresse österreichischer Psychotherapeut_innen. Unveröffentlichte Masterarbeit. Fakultät für Psychologie. Universität Wien. Figl, C. (2019). Psychotherapieforschung zwischen Wissenschaft und Praxis. Einstellungen und Teilnahmeinteresse österreichischer Psychotherapeut_innen. Unveröffentlichte Masterarbeit. Fakultät für Psychologie. Universität Wien.
Zurück zum Zitat Sagerschnig, S., & Tanios, A. (2017). Psychotherapie, Klinische Psychologie, Gesundheitspsychologie. Statistik der Berufsgruppen 1991–2016. Wien: Gesundheit Österreich. Sagerschnig, S., & Tanios, A. (2017). Psychotherapie, Klinische Psychologie, Gesundheitspsychologie. Statistik der Berufsgruppen 1991–2016. Wien: Gesundheit Österreich.
Metadaten
Titel
Teilnahmeinteresse, Wünsche und Visionen österreichischer Psychotherapeut_innen zur Psychotherapieforschung – Ergebnisse einer Online-Befragung
verfasst von
Christin Figl
Anton-Rupert Laireiter
Publikationsdatum
17.05.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Psychotherapie Forum / Ausgabe 1-2/2022
Print ISSN: 0943-1950
Elektronische ISSN: 1613-7604
DOI
https://doi.org/10.1007/s00729-022-00203-x

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