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Erschienen in:

Open Access 09.05.2022 | originalarbeit

Aktuelle Konflikte in Partnerschaften vor dem Hintergrund vergangener Beziehungserfahrungen

verfasst von: Petra Grilz

Erschienen in: Psychotherapie Forum | Ausgabe 1-2/2022

Zusammenfassung

Die aktuelle Forschungslage kann nicht klar beantworten, ob die frühen Eltern-Kind-Interaktionen für einen späteren Umgang mit Konflikten in Partnerschaften die Weichen stellen, oder lediglich ein Fundament bieten, auf dem man aufbauen kann. In der vorliegenden Studie wurde der Einfluss von vergangenen, zwischenmenschlichen Beziehungen auf die aktuelle, konflikthafte Paardynamik untersucht. Hierbei wurde überprüft, ob sich zwischen der aktuellen Partnerschaft und vorherigen Beziehungserfahrungen (insbesondere aus der Herkunftsfamilie) ähnliche Interaktionsmuster hinsichtlich angewandter Bewältigungsstrategien in Konfliktsituationen erkennen lassen. Der Umgang mit Konflikten in aktuellen und vergangenen Beziehungserfahrungen wurde mittels problemzentrierten Interviews erhoben, bei welchen acht Paare getrennt voneinander in Einzelinterviews befragt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass die frühen Eltern-Kind-Interaktionen für die spätere Konfliktgestaltung in der Partnerschaft von besonderer Bedeutung sind. Entsprechend der erlernten Konfliktgestaltung wurde der Umgang mit Konflikten in der Herkunftsfamilie in ähnlicher oder gleicher Weise in der späteren Partnerschaft fortgesetzt. Demzufolge deutet in diesem Kontext vieles darauf hin, dass die vergangenen Lebensumstände, bzw. der in der Herkunftsfamilie erlernte Umgang mit Konflikten für die Konfliktgestaltung in der Partnerschaft entscheidend sind.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Die Bindung gilt nach Sternberg (1986) als ein wesentliches Element in der Partnerbeziehung. Bowlby (2018), ein Pionier der Bindungstheorie, versteht unter Bindungsverhalten jene Verhaltensweisen, welche die Nähe zu einem anderen Menschen ermöglichen und aufrechterhalten. Er erforschte das Interaktions- und Bindungsverhalten von Kindern und ihren Bezugspersonen und beschäftigte sich eingehend mit dem Einfluss früher zwischenmenschlicher Bindungserfahrungen auf die Entwicklungsgeschichte eines Individuums. Insbesondere die Qualität der frühen Beziehungserfahrungen soll seiner Meinung nach einen besonders prägenden Einfluss auf die weitere emotionale und soziale Entwicklung eines Menschen haben. Ein weiterer Begriff von Bowlbys Bindungstheorie sind „Bindungsrepräsentationen“, welche, wie Bierhoff und Grau (1999) dies näher ausführen, auch als internale Arbeitsmodelle bezeichnet werden. Das Kleinkind behält die angenehmen und unangenehmen Erfahrungen mit den Bezugspersonen im Gedächtnis und bildet ein verinnerlichtes, unbewusstes Konzept von Bindung auf der Basis von individuellen Bindungserfahrungen. Internale Arbeitsmodelle umfassen verinnerlichte Handlungsmuster, welche aus den Interaktionserfahrungen mit den frühen Bezugspersonen resultieren. Die gelernten internalisierten Handlungsmuster reduzieren den Planungs- und Handlungsaufwand und sind funktional, bzw. dienen der Bedürfnisbefriedigung. Der unbewusste Einfluss früherer Beziehungserfahrungen bleibt laut Will (2005) auch im Verlauf der Entwicklungsgeschichte in Abwesenheit der Bezugspersonen bestehen. Bowlby (1995) führt weiter aus, dass unsere internalen Arbeitsmodelle im Säuglingsalter flexibel sind und sich im Laufe der Entwicklung zunehmend verfestigen. Die Modifizierung dieser Handlungsmuster gestaltet sich schwierig, da diese zu einem frühen Zeitpunkt im Leben als geeignete Bewältigungsstrategien zur Bedürfnisbefriedigung eingesetzt bzw. erlernt wurden und keine alternativen Bewältigungsstrategien bestehen. Eine zentrale Annahme der Bindungstheorie ist, dass sich aufgrund von frühen Lernerfahrungen in der Herkunftsfamilie ein persönliches Modell über enge, zwischenmenschliche Beziehungen ausbildet, welches die Partnerwahl und Gestaltung der Partnerschaft im Erwachsenenalter beeinflusst (Schindler et al. 2006). Laut Willi (2012) besteht in einer Partnerschaft aufgrund verinnerlichter Objektbeziehungen eine Tendenz zur Wiederholung des Konfliktgeschehens in der Herkunftsfamilie, welche er als intrafamiliären Wiederholungszwang bezeichnet, d. h. als eine Wiederholung konflikthafter Muster aus der Herkunftsfamilie. Kirsch (2015) untersuchte den Einfluss der Ursprungsfamilie auf die spätere Paarbeziehung und kam zu dem Ergebnis, dass die konflikthaften Interaktionsmuster in alltäglichen Situationen von Generation zu Generation weitergegeben werden. Auch Kaiser (2003) betonte, dass Paarbeziehungen unter einem lebenslangen Einfluss der Herkunftsfamilien stehen, da die früh vermittelten Erfahrungen, wie beispielsweise Erziehung, Lebensstile, Lebenspraxis, Lebenskonzepte, Gewohnheiten, Traditionen und Modellvorstellungen einen prägenden Charakter haben und neuropsychische Anlagen sowie Hirnstrukturen ausbilden. Laut Willi (2002) werden erlernte Interaktionsmuster in Konfliktsituationen aus der Herkunftsfamilie in einer späteren Partnerschaft fortgesetzt, können aber auch durch neue Beziehungserfahrungen korrigiert werden. Aufgrund einer Metaanalyse hielt Dornes (2018) in diesem Zusammenhang fest, dass die gesamte Lebensgeschichte von Bedeutung ist und dass sich laut aktueller Forschungslage nicht eindeutig beantworten lässt, ob die vergangenen oder gegenwärtigen Lebensumstände für den Umgang mit Konflikten in der Partnerschaft bedeutsamer sind. Die folgende Studie hat somit zum Ziel, die Einflüsse der Herkunftsfamilie sowie neuer Beziehungserfahrungen auf aktuelle Paarkonflikte zu eruieren.

Interaktionsverhalten und Bewältigungsstrategien

Die Beziehung der Eltern ist für deren Nachwuchs laut Amato und DeBoer (2001) das erste und wichtigste Modell für eine zwischenmenschliche Beziehung. Die ersten Interaktionsmuster hinsichtlich Konfliktsituationen und damit verbundenen Bewältigungsstrategien und Gewohnheiten der interpersonalen Interaktion entwickeln sich daher bereits in den ersten beiden Lebensjahren und sind von einer wechselseitigen Deutung von Motiven, Erwartungen, Absichten und Gefühlen geprägt (Neumann 1983). Die Kleinkinder erlernen ein bestimmtes Interaktionsverhalten, um die Erfüllung von Grundbedürfnissen bestmöglich zu sichern. Wenn Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden, muss das Kleinkind einen Ausweg finden und Problemlöseversuche adaptieren. Angesichts der frühen Beziehungserfahrungen stellen Bewältigungsstrategien bzw. Problemlöseversuche eine adaptive Lösungsstrategie dar und werden im psychologischen Fachjargon als „Bewältigung“ bezeichnet. Die Bewältigungsstrategien sind dem Spektrum von Flucht (Vermeidung), Unterwerfung (sich fügen oder erstarren) und Überkompensation (Kämpfen) zugeordnet. Je nachdem, welche Interaktionserfahrungen den frühen Beziehungserfahrungen zugrunde liegen, können Bewältigungsstrategien der Überkompensation die Grundbedürfnisse nach Selbstbehauptung und Kontrolle gewährleisten, um die gegebene Situation zu kontrollieren und zu beherrschen. Unterwerfung kann in einer zwischenmenschlichen Beziehung ein funktionales Verhalten darstellen, um Zurückweisung zu vermeiden und Bindung zu erlangen, indem eigene Bedürfnisse, Wünsche, Gefühle und Meinungen nicht durchgesetzt werden. Ein Vermeidungs- oder Fluchtverhalten kann in einem passiven Sinn geschehen, indem sich das Kind aus der zwischenmenschlichen Beziehung heraus zum Selbstschutz zurückzieht oder in aktiver Weise die Flucht ergreift (Roediger et al. 2015). Schwarz (2010) führt näher aus, dass diese Grundmuster einen Bezug zur Evolution haben und auch im Tierreich zu beobachten sind. Jeder Mensch hat aufgrund einer individuellen Entwicklungsgeschichte persönliche Methoden der Konfliktbewältigung. Welche Bewältigungsstrategien eingesetzt werden, ist sehr unterschiedlich und individuell, da jeder Mensch aufgrund vergangener zwischenmenschlicher Beziehungen unterschiedliche Erfahrungswerte aufweist und dementsprechend jene Bewältigungsstrategie wählt, die den geringsten Schaden bzw. Aufwand und den meisten Erfolg verspricht. Diese Einschätzung ist von vergangenen Erfahrungen in zwischenmenschlichen Beziehungen abhängig. Die erlernten Bewältigungsstrategien hatten bereits in der Kindheit einen funktionalen Charakter, um mit schwierigen Situationen zurecht zu kommen. Sie haben daher auch einen prägenden Charakter, da sie immer wieder abgerufen und in das Verhaltensrepertoire aufgenommen wurden. Man könnte sagen, dass sie sich tief „eingebrannt“ haben, da zu einem frühen Zeitpunkt im Leben keine anderen Bewältigungsstrategien im Umgang mit Problemen erlernt wurden (Faßbinder et al. 2016).

Der Umgang mit Konflikten

Die erwähnten Bewältigungsstrategien Überkompensation (Kampf), Vermeidung (Distanzierung bzw. Flucht) und Unterwerfung (Unterordnung im aktiven oder passiven Sinn) können sich in dyadischen Interaktionen unterschiedlich auswirken. Wie genau dies aussehen kann, soll anhand von Roediger et al. (2015) kurz dargestellt werden:
Überkompensation – Überkompensation: Diese Konstellation ist in Konfliktsituationen hochgradig instabil, da beide Partner_innen eine Kampfkonstellation einnehmen und eigene Interessen, Wünsche, Bedürfnisse und Meinungen durchsetzen möchten.
Überkompensation – Vermeidung: Diese Konstellation ist in Konfliktsituationen tendenziell instabil und neigt zu Eskalationen, da eine Person die Konfrontation sucht, während die andere Person sich emotional distanziert, sich einer Konfrontation entzieht und sein Gegenüber dadurch noch mehr reizt.
Überkompensierung – Unterwerfung: Diese Konstellation ist in Konfliktsituationen stabil, jedoch nur so lange diese Konstellation aufrechterhalten wird. Die Strategie der Unterwerfung bedeutet einen Verzicht auf die eigenen Bedürfnisse und ruft langfristig eine Unzufriedenheit hervor, die im Laufe der Zeit mit zunehmendem Leidensdruck verbunden ist und deshalb verändert wird.
Vermeidung – Vermeidung: Diese Konstellation ist in Konfliktsituationen vorübergehend stabil. Konflikte werden nicht besprochen. Die Paare leben meist getrennt nebeneinander her und verhalten sich sehr distanziert. Die Beziehung erstarrt und wird meist instabil, wenn eine Außenbeziehung eine Alternative darstellt.
Jeder Mensch hat aufgrund einer individuellen Entwicklungsgeschichte persönliche Methoden der Konfliktbewältigung. Welche Bewältigungsstrategien eingesetzt werden, ist sehr unterschiedlich und individuell, da jeder Mensch aufgrund vergangener zwischenmenschlicher Beziehungen unterschiedliche Erfahrungswerte aufweist und dementsprechend jene Bewältigungsstrategie wählt, die den geringsten Schaden bzw. Aufwand und den meisten Erfolg verspricht. Diese Einschätzung ist von vergangenen Erfahrungen in zwischenmenschlichen Beziehungen abhängig (Faßbinder et al. 2016).

Studie

Aufgrund der dargestellten Theorien und dem dazugehörigen Forschungsstand stellt sich nachfolgende Forschungsfrage: Stellen die frühen Eltern-Kind-Interaktionen für einen späteren Umgang mit Konflikten in Partnerschaften die Weichen oder bieten sie lediglich das Fundament für eine weitere Entwicklung und können sich in eine vollkommen andere Richtung entwickeln? In der vorliegenden Studie wurde der Einfluss vergangener zwischenmenschlicher Beziehungen auf das aktuelle, konflikthafte Paargeschehen untersucht, indem der Umgang mit Konflikten in aktuellen und vergangenen Beziehungserfahrungen erhoben wurde. Demzufolge wurde ermittelt, ob sich bezüglich der Interaktionsmuster in Konfliktsituationen ein ähnliches Muster in der Beziehungsgeschichte mit der Herkunftsfamilie, Freundschaften und Liebesbeziehungen erkennen ließ, oder ob sich im Rahmen neuer Beziehungserfahrungen ein anderer Umgang mit Konflikten entwickelt hatte.

Methodik

Im Zuge der Datenerhebung wurden acht Paare im frühen Erwachsenenalter (19 bis 40 Jahre) in Einzelinterviews mittels problemzentrierten Interviews getrennt voneinander befragt. Die Dauer der Datenerhebung variierte zwischen 45 und 90 min. Vor der Durchführung der Interviews wurde ein Leitfaden erstellt und in einem Pilotinterview erfolgreich getestet. Bei der Auswahl der Stichprobe wurden inhaltliche Kriterien festgelegt, um die Qualität der Stichprobe zu definieren. Es wurden Einschränkungen hinsichtlich Alter (zwischen 20 und 40 Jahren) und Beziehungsdauer (mindestens drei Jahre) vorgenommen. Das erste Paar wurde zunächst nach den inhaltlichen Kriterien willkürlich ausgewählt und die weitere Rekrutierung der Teilnehmer_innen erfolgte mittels Schneeballmethode. Der Nachteil der Schneeballmethode besteht darin, dass das Verfahren zu geklumpten Stichproben führen kann, da die Weiterempfehlungen meist innerhalb eines gemeinsamen Freundeskreises stattfinden (Flick et al. 1995). Im Wissen um diese Problematik wurde darauf geachtet einer homogenen Gruppe entgegenzuwirken, indem die Paare um Weiterempfehlungen gebeten wurden, die sich nicht nur auf den engen Freundeskreis beziehen, wie beispielsweise das Arbeitsumfeld, Freizeiteinrichtungen und der schulische Kontext. Im Zuge der Studie wurde laufend überprüft, ob alle Bildungsschichten vertreten waren, ein gemeinsamer Wohnort gegeben und die Beziehungsdauer aussagekräftig war, etc. Alle Paare lebten in einem gemeinsamen Haushalt und hatten bisher noch keine Paartherapie in Anspruch genommen. Erwähnenswert ist auch, dass ein Paar ein Kind erwartete. Die nachfolgende Tab. 1 soll einen Überblick der teilnehmenden Paare an der Studie gewährleisten.
Tab. 1
Überblick über relevante soziographische Daten der Studienteilnehmenden
Paar
[Nr.]
Alter
[Jahre]
Beruf
Beziehungsdauer
[Jahre]
Kinder
[ja/nein]
1
32
35
Sozialbetreuerin
Technischer Angestellter
3
Nein
2
38
36
Gemeinsame Firma
Gemeinsame Firma
6,5
Nein
3
25
27
Bürokauffrau
Controller
8
Nein
4
29
30
Pflegehelferin
Bodenleger
8
Ja
5
40
34
Selbstständig
Arbeitssuchend
9
Nein
6
26
31
Studentin, Angestellte
Selbstständig
3
Nein
7
26
29
Studentin, Angestellte
Pflegeassistent, Fachsozialberater
7
Nein
8
23
29
Sozialpädagogin
Pflegehelfer
6,5
Nein

Ablauf

In jeder einzelnen Falldarstellung wurde der Umgang mit Konflikten in aktuellen und vergangenen Beziehungserfahrungen untersucht. Ein besonderes Augenmerk galt dabei den Interaktionsmustern in Konfliktsituationen bezüglich der Herkunftsfamilie sowie der aktuellen Partnerschaft. Bei der Auswertung wurden die jeweiligen Konfliktbereiche und das Konfliktverhalten in Beziehungserfahrungen untersucht, um zu überprüfen, ob der aktuelle Umgang mit Konflikten in der Partnerschaft den früh erlernten Bewältigungsstrategien in Konfliktsituationen entspricht oder ob Veränderungen zu einem späteren Zeitpunkt stattgefunden haben. In der folgenden Auswertung wurden die vier von Roediger (2015) erwähnten Bewältigungsstrategien im Umgang mit Konflikten dargestellt, welche in der dyadischen Interaktion einen typischen Konfliktverlauf einnehmen:
  • Überkompensation – Überkompensation (hochgradig instabil)
  • Überkompensation – Vermeidung (instabil)
  • Überkompensation – Unterwerfung (stabil)
  • Vermeidung – Vermeidung (Erstarrung)
Am Ende jeder Falldarstellung erfolgte eine Typisierung der unterschiedlichen dyadischen Interaktionen in aktuellen und vergangenen Konfliktsituationen:
  • Typ A: Der erlernte Umgang mit Konflikten in der Herkunftsfamilie entspricht dem aktuellen Konfliktverhalten in der Partnerschaft.
  • Typ B: Der erlernte Umgang mit Konflikten in der Herkunftsfamilie wurde im Umgang mit Konflikten erneut abgerufen, nachdem gelegentliche alternative Problemlöseversuche scheiterten.
  • Typ C: Es besteht keine Ähnlichkeit zwischen dem aktuellen und den erlernten Konfliktverhalten aus der Herkunftsfamilie.
  • Typ X: Aufgrund der mangelnden Datenlage konnte dazu keine Aussage getätigt werden.

Ergebnisse

Die nachfolgende Tab. 2 gibt über die konflikthaften Bereiche sowie deren Häufigkeit bei den interviewten Paaren Aufschluss. Die Tab. 3 zeigt zudem die Konfliktkonstellationen der vorherrschenden Bewältigungsstrategien zwischen den Paaren. Tab. 4 gibt durch einen Vergleich bzw. eine Gegenüberstellung Aufschluss über die dyadischen Interaktionen in aktuellen und vergangenen Konfliktsituationen.
Tab. 2
Konfliktbereiche in der aktuellen Partnerschaft, absolute und relative Häufigkeiten, Stichprobe (N = 8)
Konfliktbereiche
Häufigkeit
Prozent (%)
Haushalt
8
100,0
Persönliche Gewohnheiten
8
100,0
Temperament
7
87,5
Beruf
6
75,0
Freizeit
6
75,0
Lebensraumgestaltung
6
75,0
Persönliche Freiheit
5
62,5
Verhältnis zu den Eltern
5
62,5
Digitale Medien
4
50,0
Weltanschauung
4
50,0
Freunde
3
38,0
Zuwendung
3
38,0
Einkommen
3
38,0
Sexualität
3
38,0
Soziale Einstellungen
2
25,0
Vertrauen/Eifersucht
2
25,0
Finanzen
2
25,0
Kindererziehung
1
13,0
Schulbildung
1
13,0
Seitensprung
1
13,0
Tab. 3
Vorherrschende Bewältigungsstrategien im Umgang mit Konflikten in Konfliktsituationen
Paar
Weiblich
Männlich
1
Vermeidung
Vermeidung
2
Überkompensation
Nicht auswertbar
3
Vermeidung
Nicht auswertbar
4
Überkompensation
Vermeidung
5
Überkompensation
Vermeidung
6
Unterwerfung
Überkompensation
7
Überkompensation
Überkompensation
8
Überkompensation
Überkompensation
Tab. 4
Absolute und relative Häufigkeiten der dyadischen Typologie
Typ
Häufigkeit
Prozent (%)
A
8
50
B
6
38
C
0
0
X
2
13
Die Hälfte aller Studienteilnehmenden wurde dem Typ A zugeordnet. Das bedeutet, dass das Konfliktverhalten in der aktuellen Partnerschaft dem Umgang mit Konflikten in der Herkunftsfamilie entsprach, da dieselben Bewältigungsstrategien angewandt wurden. Bei 6 Proband_innen wurde ein ähnliches Konfliktverhalten festgestellt (Typ B). Das bedeutet, dass geringe Abweichungen in der Konfliktgestaltung stattgefunden haben, der Versuch andere Bewältigungsstrategien zu adaptieren jedoch scheiterte, da die erlernten Bewältigungsstrategien im Umgang mit Konflikten immer wieder abgerufen wurden und vorherrschend waren. Einige Teilnehmer_innen berichteten, dass sie die Konfliktgestaltung der Eltern in zwischenmenschlichen Beziehungen nicht übernehmen bzw. praktizieren wollen und auch sehr bemüht seien, eine andere Konfliktgestaltung zu erwirken. Die erlernten Bewältigungsstrategien im Umgang mit Konflikten erwiesen sich in der aktuellen Partnerschaft jedoch als sehr hartnäckig und wurden trotz vorhandener Einsicht hinsichtlich inadäquater Bewältigungsstrategien bei der Konfliktbewältigung erneut angewandt, sodass die damit verbundenen Mühen keinen dauerhaften Erfolg erzielten. Bei zwei Teilnehmenden konnte aufgrund einer unzureichenden Datenlage keine Aussage getätigt werden, sie wurden folglich dem Typ X zugeordnet. Niemand zeigte ein abweichendes Konfliktverhalten, welches dem Typ C entsprochen hätte. Die Konfliktgestaltung in der aktuellen Partnerschaft wurde immer in derselben oder einer ähnlichen Weise wie in der Herkunftsfamilie fortgesetzt. Keine teilnehmende Person konnte somit den Umgang mit Konflikten entgegen den erlernten Bewältigungsstrategien gestalten, sodass die erlernten Konfliktmuster aus der Herkunftsfamilie immer wieder sichtbar wurden. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass der in der Herkunftsfamilie erlernte Umgang mit Konflikten von besonderer Relevanz und für das spätere Konfliktverhalten in einer späteren Partnerschaft ausschlaggebend ist.

Diskussion und Kritik

Dornes (2018) zieht in einer Metastudie das Fazit, dass die gesamte Lebensgeschichte für den aktuellen Umgang mit Konflikten von Bedeutung ist. In diesem Zusammenhang lässt es sich laut aktueller Forschungslage nicht eindeutig beantworten, ob die vergangenen oder gegenwärtigen Lebensumstände für die Konfliktgestaltung in der Partnerschaft prägender sind. In der vorliegenden Studie deutet jedoch vieles darauf hin, dass die vergangenen Lebensumstände, bzw. der in der Herkunftsfamilie erlernte Umgang mit Konflikten für die Konfliktgestaltung in der Partnerschaft entscheidend ist. Die Interaktionsmuster in Konfliktsituationen ähnelten bei Teilnehmer_innen dem frühen Konfliktverhalten und bei der Hälfte der Proband_innen wurden sogar dieselben Bewältigungsstrategien in der Konfliktgestaltung eingesetzt, die auch in der Herkunftsfamilie beschrieben wurden. Entsprechend dem Konfliktmuster vergangener Erfahrungen, wurde der Umgang mit Konflikten in der Herkunftsfamilie in einer späteren Partnerschaft in ähnlicher oder gleicher Weise fortgesetzt. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass die frühen Eltern-Kind-Interaktionen für die spätere Konfliktgestaltung in der Partnerschaft von besonderer Relevanz sind. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass ein verändertes Konfliktverhalten im Sinne einer Nachsozialisation in einer Partnerschaft vollzogen werden kann, auch wenn das in der aktuellen Studie nicht der Fall war.
Der Umfang der Stichprobe war mit N = 16 Teilnehmer_innen aufgrund des immensen Aufwandes sehr klein gehalten und die Ergebnisse sind daher nur eingeschränkt aussagefähig. Für Willi (2002) besteht in einer Partnerschaft die Tendenz zur Wiederholung des Konfliktgeschehens aus der Herkunftsfamilie, wobei es auch möglich ist, dass die vergangenen Beziehungserfahrungen in jedem Lebensabschnitt durch neue Beziehungserfahrungen korrigiert werden. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass das wahrgenommene Kommunikationsverhalten, Konfliktausmaß und Konfliktverhalten in der Herkunftsfamilie die aktuelle konflikthafte Paardynamik beeinflusst und ein konfliktreicher Familienhintergrund mit fehlenden Problemlösekompetenzen Auswirkungen auf die aktuelle Partnerschaft hat. Es wurde vor allem eine Wiederholung des konflikthaften Musters aus der Herkunftsfamilie deutlich.
Trotz der eindeutigen Ergebnislage der vorliegenden Studie gibt es Limitationen, auf die verwiesen werden muss. Da in der Studie nur Paare miteinbezogen waren, die sich mindestens drei Jahre in einer Partnerschaft befanden, könnte ein Bias vorliegen. Es kann keine Aussage darüber gemacht werden, ob sich Paare mit einer geringeren Beziehungsdauer aufgrund nicht kompatibler Muster schon früher trennen. Weiters ist nicht klar einzuordnen, ob die Ergebnisse bezüglich der in der Herkunftsfamilie erlernten Bewältigungsstrategien und der aktuellen, konflikthaften Paardynamik kausal interpretierbar sind, da ein Querschnittdesign vorliegt und die Aussagen retrospektiv erfolgten. Um hier genauere Angaben machen zu können, wäre eine Längsschnittstudie erforderlich. Weiters ist zu berücksichtigen, dass in der Studie nur Personen zwischen 20 und 40 Jahren befragt wurden. Es wurde somit lediglich das frühe Erwachsenenalter erhoben. In zukünftigen Analysen könnten auch ältere Paare mit einer längeren Beziehungsdauer berücksichtigt werden. Letztlich stellt sich die Frage, ob es den Paaren auch ohne Hilfestellung bzw. Paarberatung gelingen könnte, diesem Kreislauf zu entkommen, um alternative Bewältigungsstrategien in der Konfliktgestaltung zu adaptieren, oder ob solche Versuche eher einen aussichtslosen Charakter hätten. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass sich die Kommunikations- und Problemlösefertigkeiten von selbst etablieren, da die erlernten Bewältigungsstrategien im Umgang mit Konflikten immer wieder abgerufen und in das Verhaltensrepertoire aufgenommen wurden, wodurch keine alternative Konfliktgestaltung erworben werden konnte. Möglicherweise könnten diese Fähigkeiten im Rahmen einer Nachsozialisation in der Partnerschaft neu erworben werden, wenn beispielsweise ein/e Partner_in über sehr gute Kompetenzen auf diesem Gebiet verfügt. In der vorliegenden Studie war dies jedoch nicht der Fall.

Interessenkonflikt

P. Grilz gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
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Metadaten
Titel
Aktuelle Konflikte in Partnerschaften vor dem Hintergrund vergangener Beziehungserfahrungen
verfasst von
Petra Grilz
Publikationsdatum
09.05.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Psychotherapie Forum / Ausgabe 1-2/2022
Print ISSN: 0943-1950
Elektronische ISSN: 1613-7604
DOI
https://doi.org/10.1007/s00729-022-00199-4

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