Um den Forschungsfragen nach epidemiologischem Ausmaß des problematischen Umgangs Heranwachsender mit Medien inklusive dementsprechendem Kontrollverlust und den diesbezüglichen diagnostischen Tools nachzugehen, wurde von der Erhebungstechnik her ein empirisch sozialwissenschaftlich qualitatives Literatursurvey (Booth et al.
2012) sowie vier themenzentrierte Leitfadeninterviews (Gläser und Laudel
2010) durchgeführt. Vom Forschungsdesign her stellen ein Methodenmix aus Praxisforschung und Dokumentenanalyse die Basis dar. Primäres Einschlusskriterium hierfür war die Aktualität der identifizierten Beiträge sowie die Expertise der Befragten im deutschen Sprachraum. Von der Auswertungstechnik her wurde eine qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (
2023) durchgeführt, so dass die vorliegenden Daten zum Zweck des induktiven Schlusses adäquat verdichtet wurden. Um die Wissenschaftlichkeit zu gewährleisten, wurden die global verwendeten qualitativen Gütekriterien von Lincoln und Guba (
1985) angewendet. Im Gegensatz zu vergleichbaren Gegenvorschlägen berücksichtigt dieser Ansatz die Hinzuziehung eines externen Forschungsaudits, das die Güte der Dimensionen „Bestätigbarkeit“, „Zuverlässigkeit“, „Vertrauenswürdigkeit“ und „Übertragbarkeit“ sicherstellt (vgl. Döring
2023). Die Erweiterung des deutschen Drogenaffinitätsberichts für Jugendliche um den „Teilband Computerspiele und Internet“ im Jahr 2011 (BZgA
2020) indiziert zudem, dass die Nutzung neuer Medien nicht nur Chancen bietet, sondern für einen großen Teil der Heranwachsenden auch Gefährdungs- und Abhängigkeitspotenziale impliziert. Mehrere aktuelle Studien kommen im Zusammenhang präferierter Domänen übereinstimmend zu ähnlichen Ergebnissen, indem zwischen 60 und 70 % der Heranwachsenden das Internet unproblematisch nutzen (forsa
2021; mpfs
2022; Bitkom
2022). Der Begriff „problematisch“ bezieht sich dabei im vorliegenden und im diagnostischen Kontext primär auf die Mediennutzungszeiten. Dahingehend ist der Bitkom-Studie zu entnehmen, dass die durchschnittliche Nutzungszeit online-fähiger Geräte in den wichtigen Pubertätsphasen zwischen 13 und 15, sowie zwischen 16 und 18 Jahren mit durchschnittlich 140 bzw. 166 min pro Tag sehr hoch ist und somit trotz aktuell fehlender, definierter Grenzwerte als problematisch bezeichnet werden kann. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kommt in ihrer vergleichbar angelegten Drogenaffinitätsstudie 2019 bereits auf ein arithmetisches Mittel von 205 min (vgl. BZgA
2020); Hansen et al. liegen in einer weiteren ähnlich konzipierten Studie – ebenfalls in Vor-COVID-Zeiten – bereits bei 243 min (vgl. Hansen et al.
2022, S. 435). Die Stichprobengröße lag jeweils zwischen 920 und 1250 Befragten. Bei aller Toleranz für die neuen Medien und deren Präsenz von frühen kindlichen Lebenswelten bis zum Abschluss der Adoleszenz wirkt es auf viele „Digital Immigrants“ vermutlich befremdlich, dass laut Selbstauskunftsbefragung von Bitkom Research (
2022) bereits 21 % der sechs- bis neunjährigen Kinder in Deutschland ein eigenes Smartphone besitzen; das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI
2023) ergänzt, dass 19 % der Kinder dieser Altersgruppe ohne Aufsicht im Internet surfen und Apps benutzen dürfen. In der Altersgruppe 13- bis 15-Jähriger besitzen laut Bitkom-Studie sogar 95 % ein eigenes Smartphone (N
Ges = 920 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 18 Jahren); Das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI
2023) ergänzt hier bezogen auf die Altersgruppe von 10 bis 13 Jahren, dass bereits 65 % ohne Aufsicht im Internet surfen und Apps benutzen dürfen. Eine derart frühzeitige Adaption an ein eigenes Smartphone, das in vielen Fällen sogar selbstverantwortlich genutzt werden darf, stellt nach hier vertretener Auffassung eine risikoexponierte Situation vulnerabler Kinder und Jugendlicher in Richtung problematischem Umgangs mit den neuen Medien dar. Hinzu kommt, dass die bereits referenzierte Bitkom Research-Studie (
2022) zum Ergebnis führte, dass lediglich 28 % der Eltern den eigenen Kindern Vorgaben hinsichtlich der Nutzung digitaler Medien setzen, dies machen mehr als 2/3 (68 %) jedoch nicht.