29.04.2019 | Intensivmedizin
Übertherapie in der Intensivmedizin
Erschienen in: Wiener klinisches Magazin | Ausgabe 3/2019
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Übertherapie – als eine nicht indizierte oder vom Patienten nicht gewünschte Therapie und Diagnostik („non-beneficial therapy“) – ist ein inhärentes und schwerwiegendes Problem der modernen Medizin und insbesondere der Intensivmedizin. Übertherapie zieht sich durch alle Bereiche der Intensivmedizin, kann schon am Notfallort beginnen, betrifft (ungerechtfertigte) Aufnahmen auf die Intensivstation, die Überdiagnostik und vor allem die Blutabnahmen, eine überhöhte Invasivität oder den inadäquaten Einsatz maschineller Verfahren. Sie manifestiert sich an einem „Zuviel“ an Sedierung, Relaxation, Volumengabe, Sauerstoff, Kreislauftherapie, an Blutprodukten, Antibiotika und anderen Medikamenten und Ernährung. Übertherapie betrifft aber insbesondere auch das Lebensende, wenn ein kuratives Therapieziel nicht mehr erreicht werden kann. Übertherapie hat wesentliche ethische Implikationen, missachtet alle 4 medizinethischen Grundsätze, die Autonomie, Würde und Integrität der Patienten, ist mit keiner Benefizienz verbunden, steigert Schmerz, Leid, verlängert Sterben, vermehrt das Leid von Angehörigen, führt zu Frustrationen im Team, missachtet die Verteilungsgerechtigkeit und schädigt bei prinzipiell limitierten Ressourcen die Gesellschaft insgesamt. Sie ist auch ein rechtliches Problem geworden und kann als Verursachung ungerechtfertigten Leides juristisch geahndet werden. Übertherapie ist schlechte Medizin, kein Kavaliersdelikt; alle müssen kontinuierlich daran arbeiten, eine nichtgerechtfertigte Therapie zu vermeiden.
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