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Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz 4/2021

Open Access 29.10.2021 | Orthomolekulare Medizin

Die „kleine Hormonschule“ oder: Was der Frauenarzt grundsätzlich zur Hormonanalytik wissen muss

verfasst von: Prof. Dr. Christoph Keck

Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz | Ausgabe 4/2021

Zusammenfassung

Hormondiagnostik gehört zu den zentralen diagnostischen Massnahmen in der gynäkologischen Praxis. Um aus den Ergebnissen der Untersuchung die richtigen therapeutischen Schlüsse zu ziehen, müssen bestimmte Grundvoraussetzungen zur Präanalytik, Analytik und Interpretation der Befunde beachtet werden. Der vorliegende Beitrag gibt hierzu entsprechende Empfehlungen und beschreibt das konkrete Vorgehen in der Praxis.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Die Hormonanalytik stellt einen zentralen Bestandteil der Diagnostik in der frauenärztlichen Praxis dar. Sie ist unter anderem für die Beurteilung der ovariellen Funktion in den verschiedenen Lebensphasen der Frau unabdingbar. Störungen der Pubertätsentwicklung, der Fertilität, des Schwangerschaftsverlaufs sowie des Übergangs von der fertilen zur nicht mehr fertilen Lebensphase können nur mithilfe gezielter Hormonanalytik beurteilt werden.
Ebenso lassen sich in der gynäkologischen Praxis häufige Fragestellungen wie verstärkte Behaarung/Haarausfall, Stimmungsschwankungen, ungewollte Gewichtsveränderungen, Libidoverlust etc. nur mithilfe der endokrinologischen Diagnostik klären. Mit Inkrafttreten der Laborreform 2018 haben einige Kolleginnen und Kollegen versucht, Einsparungen bei der Hormondiagnostik vorzunehmen. Dies führt im Zweifelsfall zu Laborbefunden mit geringer Aussagekraft und letztlich zu einer Verschlechterung der medizinischen Behandlungsqualität.
Im vorliegenden Beitrag soll dargestellt werden, wie in der gynäkologischen Sprechstunde Hormonuntersuchungen geplant und durchgeführt werden können und dabei sowohl eine hohe medizinische Qualität, als auch die angemessene Wirtschaftlichkeit gewahrt werden.
Um diesem Anspruch gerecht zu werden müssen bereits im Vorfeld bestimmte Fragen geklärt werden:
  • Was ist die Indikation zur Untersuchung bzw. wie lautet die klinische Fragestellung?
  • Welche Parameter werden benötigt, um die o. g. Fragestellung zu beantworten?
  • Welche Präanalytik ist zu beachten (Abnahmebedingungen/Abnahmezeitpunkt; Vorbereitung der Patientin etc.)?

Präanalytik

Im Rahmen der Präanalytik sind Einflussfaktoren und Störfaktoren von Bedeutung. Bei den Einflussgrössen für die Analytik sind unveränderliche und veränderliche Faktoren zu unterscheiden. Die Störfaktoren werden in körpereigene und körperfremde unterteilt. Diese Einflüsse können die Messtechnik, die in der Analytik eingesetzten Reagenzien und in Folge das Messergebnis beeinträchtigen (Tab. 1).
Tab. 1
Präanalytik: Einflussgrössen und Störfaktoren
Unveränderliche Einflussfaktoren
Veränderliche Einflussfaktoren
Körpereigene Störfaktoren
Körperfremde Störfaktoren
Geschlecht
Lebensalter
Hyperlipidämie (lipämisches Serum, Plasma)
Medikamente
Körpergewicht
Ethnische Zugehörigkeit
Ernährung
Hyperbilirubinämie (ikterisches Serum, Plasma)
Antikoagulanzien
Nikotin, Alkohol, Drogen
Genetische Prädisposition
Körperliche Aktivität
Hämoglobinämie (hämolytisches Serum, Plasma)
Kontamination (Bakterien)
Körperlage
Etc.
Stress
Hämoglobinurie
Etc.
Zirkadiane Rhythmik
Schwangerschaft
Etc.
Etc.
Ebenso können Medikamente das Analyseergebnis von Hormonen sowohl direkt als auch indirekt deutlich beeinflussen. Somit sollte eine Medikamentenanamnese in jedem Fall vor Bewertung von Hormonparametern erfolgen, um ausserhalb der Referenzbereiche gelegene Werte nicht fälschlich als pathologisch einzustufen. So sind beispielsweise niedrige Östradiolspiegel unter Anwendung ethinylöstradiolhaltiger hormoneller Kontrazeptiva zu beobachten, da durch die Präparate der gewünschte Effekt der Suppression der Gonadotropine und konsekutiv der ovariellen Östrogensynthese erreicht wird. Die im Körper vorhandene systemische Östrogenwirkung ist hier nicht messbar. Unter östradiol-/östradiolvalerathaltigen Präparaten (im Rahmen einer Kontrazeption oder Hormontherapie) liegen dagegen durchaus messbare Werte vor. Prolaktin ist ein typisches Beispiel eines hormonellen Parameters, der durch Medikamenteneinnahme deutlich beeinflusst wird. Insbesondere die Einnahme von Neuroleptika, Antidepressiva, Gastroprokinetika, aber auch einiger Antihypertensiva führt zu erhöhten Prolaktinwerten im Serum und kann so auch klinische Symptome (Galaktorrhö, Oligo‑/Amenorrhö) bewirken.
Da die meisten Hormone im Blut an Bindungsproteine gebunden sind, kann ihre Serumkonzentration auch indirekt durch Veränderung der Bildung von Bindungsproteinen in der Leber beeinflusst werden. Sexualhormonbindendes Globulin (SHBG) bindet mit höchster Affinität Dihydrotestosteron (DHT), aber auch Testosteron sowie Östradiol und nur in geringem Masse Östron, Dehydroepiandrosteron (DHEA), Androstendion und Östriol. Es wird in der Leber östrogenabhängig gebildet. Neben der Dauer der Östrogeneinwirkung spielt auch die Art des Östrogens eine Rolle bei der Beeinflussung der SHBG-Synthese. Ein besonders starker Effekt kann dabei durch Ethinylöstradiol erzielt werden. Diesen günstigen Nebeneffekt macht man sich bei Anwendung hormoneller Kontrazeptiva zunutze, um durch Steigerung des SHBG den Anteil des freien Testosterons im Blut zu senken und damit indirekt Androgenisierungserscheinungen zu reduzieren. Auch weitere Bindungsproteine (kortisolbindendes Globulin [CBG], thyroxinbindendes Globulin [TBG]) werden durch Östrogen enthaltende Hormonpräparate beeinflusst, hier kommt es ebenfalls zu einer Steigerung der Synthese, sodass indirekt zunächst im Falle des CBG der Anteil des freien Kortisols gesenkt wird und es infolgedessen zu einem Anstieg des Gesamtkortisols kommt. Hohe Gesamtkortisolspiegel unter Einnahme eines kombinierten oralen Kontrazeptivums sind daher nicht als pathologisch zu interpretieren. Ähnliches gilt für TBG: Bei Einnahme östrogenhaltiger Hormonpräparate kommt es auch zu einer Steigerung der TBG-Synthese und dadurch zu einer Senkung der freien Schilddrüsenhormone. Kompensatorisch wird thyreoideastimulierendes Hormon (TSH) vermehrt sezerniert. Somit gilt auch hier, dass unter Anwendung kombinierter hormoneller Kontrazeptiva dieser Effekt bei der Bewertung der TSH-Spiegel berücksichtigt werden muss [4].

Analytik

Die endokrine Labordiagnostik geniesst gegenüber der bildgebenden Lokalisationsdiagnostik Vorrang. Dabei stellt die basale Hormonkonzentration, also die Konzentration eines Hormons ohne Stimulation, Suppression oder andere Interventionen (z. B. körperliche Anstrengung), die Grundlage der Beurteilung dar. Im Rahmen von Funktionstests können dann Reihenuntersuchungen, meist mit Stimulation, ergänzende Informationen liefern. Zu bedenken ist, dass die Regulation der Hormonausschüttung häufig durch weitere Hormone oder metabolische Veränderungen geschieht. Es ist daher von Vorteil, zusammengehörige Parameter gemeinsam zu bestimmen und als „diagnostische Paare“ in Kontext zu setzen (z. B. Östradiol und das follikelstimulierende Hormon [FSH]).
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass nur ein geringer Anteil der Hormone frei im Blut zirkuliert. Ein grosser Teil ist an Transportproteine gebunden, sodass auch deren Einfluss berücksichtigt werden muss. Erhöht sich die Menge an Transportproteinen (z. B. SHBG, TBG), so führt dies zu einer Erhöhung der Gesamthormonkonzentration. Für die Wirkung der Hormone ist jedoch nur die ungebundene Fraktion verantwortlich.
Die Messung selbst erfolgt mittels unterschiedlicher Verfahren. Eine orientierende Übersicht gibt Tab. 2.
Tab. 2
Analytische Messverfahren in der Endokrinologie
Enzyme-linked immunosorbent assay (ELISA)
Radioimmunassay (RIA)
Analytische Chemie (z. B. Massenspektrometrie)
Polymerase-Kettenreaktion (PCR): chromosomale Aberrationen
Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH): chromosomale Aberrationen
Komparative genomische Hybridisierung (CGH)
DNA-Sequenzanalyse
Biochipverfahren (DNA-/RNA-Sonden): Multiparameteranalytik (Untersuchung mehrerer Tausend Gene auf Mutationen)

Beurteilung von Testergebnissen

Die Beurteilung der Ergebnisse basiert auf der Sensitivität, der Spezifität und dem Vorhersagewert eines Testverfahrens. Die Sensitivität ist dabei ein Mass, wie geeignet ein Test ist, Personen mit einer Erkrankung als krank zu identifizieren. Die Spezifität gibt an, wie geeignet ein Test ist, Personen ohne Erkrankung als gesund zu erkennen. Sensitivität und Spezifität sind fixe Grössen eines diagnostischen Verfahrens. In der klinischen Praxis ist es oft wichtiger zu wissen, wie hoch bei einem positiven Testergebnis die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Person an der Krankheit leidet; dies wird durch den positiven Vorhersagewert ausgedrückt, der neben Sensitivität und Spezifität auch die Prävalenz berücksichtigt (Anzahl der Erkrankungen in einer Population zu einem bestimmten Zeitpunkt).
Was muss somit der Frauenarzt/die Frauenärztin zur Labordiagnostik berücksichtigen:
1.
Eine Hormonanalytik unterliegt vielfältigen exogenen sowie endogenen Einflussfaktoren.
 
2.
Ein einzelner Befund entscheidet nicht apodiktisch zwischen „krank“ und „gesund“, sondern sollte immer im Kontext mit der Klinik und der Fragestellung interpretiert werden.
 
3.
Bei Beurteilung der Hormonparameter erfolgt eine statistische Einteilung des Wertes in die Werte eines unausgewählten Kollektivs nicht kranker („normaler“) Probanden. Daher spricht man auch nicht vom „Normbereich“, sondern nur vom „Referenzbereich“.
 

Zyklusdiagnostik

Bei regelmässigem Blutungsmuster (ohne Medikation) im Sinne einer Eumenorrhö kann man zunächst einmal von einem ovulatorischen Zyklus ausgehen. Damit sind schwerwiegende hormonelle Störungen sehr unwahrscheinlich. Eine Hormonanalytik kann dennoch im Sinne des Zyklusmonitorings vorgenommen werden, hierzu erfolgt die Basisbestimmung zur Erfassung der ovariellen Funktion am Zyklusanfang (2.–5. Zyklustag; [1]). Zu diesem Zeitpunkt finden sich typischerweise niedrige Östradiol- und Gonadotropinspiegel. Ein frühfollikulär erhöhter FSH-Serumspiegel (>12 U/l) weist auf eine ovarielle Störung hin, deren Ursache weiter abgeklärt werden muss. Die Erfassung eines der Ovulation 1–2 Tage vorausgehenden LH-Peaks in der Zyklusmitte ist möglich, jedoch sind hierzu ggf. mehrere LH-Messungen erforderlich. In der Praxis hat sich daher die einmalige Messung von Östradiol und LH in der Zyklusmitte und/oder die gleichzeitige sonographische Beurteilung des Endometriums sowie der Follikelanzahl und -grösse durchgesetzt. Die Erfassung des LH-Peaks ist ansonsten auch mit kommerziell erhältlichen, urinbasierten Ovulationstests mit akzeptabler Genauigkeit möglich [2]. Die zweite Hälfte eines ovulatorischen Zyklus ist durch ansteigende Progesteronspiegel (>5 ng/ml) aus dem Corpus luteum gekennzeichnet. Die Beurteilung der optimalen Sekretionsleistung oder im Gegenschluss der Nachweis einer Gelbkörperschwäche (Corpus-luteum-Insuffizienz) anhand klar definierter Grenzwerte für Östradiol und Progesteron ist aufgrund der dazu erforderlichen klaren Eingrenzung des Messzeitpunktes in Verbindung zur vorausgegangenen Ovulation (ca. 5–7 Tage vorher) und bereits oben angesprochenen Variation des Zyklusgeschehens schwierig. Dies ist ein wesentlicher Grund, warum die Beurteilung der Qualität der Lutealphase heute eher klinisch/anamnestisch und weniger laborchemisch erfolgt. Die „Corpus-luteum-Insuffizienz“ wird anhand eines verkürzten Zyklus bzw. prämenstrueller Blutungsstörungen diagnostiziert und weniger anhand von Progesteronmessungen.

Endokrinologische Diagnostik bei Zyklusstörungen

Eine klare Indikation zur ausführlicheren hormonellen Diagnostik besteht bei Zyklusstörungen, die sich als Regeltempo- oder Regeltypusstörung darstellen können. Nach Ausschluss organischer Ursachen (Myome, Polypen, Endometriose, Gerinnungsstörungen etc.) sollte die Hormonanalytik so geplant werden, dass die ovarielle Funktionslage (durch Östradiol‑, FSH- und LH-Bestimmung) sowie die typischen „Störfaktoren“ (Prolaktin, Androgene, TSH) erfasst werden. Besteht der Verdacht auf eingeschränkte ovarielle Reserve, so kann eine AMH-Bestimmung sinnvoll sein, es sollte jedoch beachtet werden, dass die AMH-Messung zur Erfassung der physiologischen perimenopausalen Symptomatik in aller Regel nichts beiträgt und damit entbehrlich ist (s. unten). Wie bereits für die Corpus-luteum-Insuffizienz dargestellt, erfolgt die Diagnostik perimenopausaler Blutungsstörungen auch eher klinisch und nicht zwingend laborchemisch.

Hyperandrogenämie

Die Hyperandrogenämie gehört zu den häufigen Themen in der gynäkologischen Sprechstunde. Neben der „zufälligen“ Entdeckung einer Hyperandrogenämie im Rahmen der Abklärung von irregulären Zyklen oder bei Kinderwunsch, erfolgt die gezielte Abklärung z. B. bei kutanen Androgenisierungserscheinungen. Es muss zwischen Hyperandrogenämie und Hyperandrogenismus sorgfältig unterschieden werden: Unter Hyperandrogenämie wird der Nachweis erhöhter Androgenspiegel verstanden, während Hyperandrogenismus eine verstärkte Androgenwirkung am Endorgan (z. B. Haut und Haare) beschreibt, die jedoch im Zweifelsfall auch mit normalen Androgenspiegeln einhergehen kann. Für die differenzialdiagnostische Abklärung einer Hyperandrogenämie bzw. eines Hyperandrogenismus werden vor allem folgende Parameter als „Basisprofil“ bestimmt: Testosteron, DHEAS, Androstendion und SHBG (Tab. 3). Aus der Testosteron- und SHBG-Serumkonzentration lässt sich dann auch der freie Androgenindex (FAI) als Mass für den Anteil der freien und damit biologisch wirksamen Androgene ermitteln. Die Bestimmung der Androgene sollte möglichst am Zyklusbeginn erfolgen bzw. in einer Phase der ovariellen Funktionsruhe, da bis auf DHEAS die Androgenspiegel zyklusabhängig variieren [3]. Bei Erhöhung der adrenalen Androgene (DHEAS, Androstendion) wird differenzialdiagnostisch – bei entsprechender Klinik – ein Cushing-Syndrom als Ursache der Hyperandrogenämie ausgeschlossen (Bestimmung von Kortisol). Im Fall einer Kortisolerhöhung erfolgt ein Dexamethasonkurztest. Ebenso sollte bei einer Erhöhung der adrenalen Androgene ein adrenaler Enzymdefekt durch frühzyklische Kontrolle von 17-Hydroxyprogesteron (17-OHP) ausgeschlossen werden. Bei erhöhten 17-OHP-Spiegeln (>2 ng/ml) wird ein ACTH-Stimulationstest durchgeführt. Bei auffälligem ACTH-Test wird eine entsprechend molekulargenetische Diagnostik zur Spezifizierung des Enzymdefektes vorgenommen (Abb. 1; [4]).
Tab. 3
Basisdiagnostik und erweiterte Diagnostik bei Hyperandrogenämie/Hyperandrogenismus
Basisdiagnostik
Testosteron
SHBG
FAI
Androstendion
DHEAS
Erweiterte Diagnostik
Kortisol (ggf. Dexamethasonkurztest)
17-OH-Progesteron (ggf. ACTH-Test sowie molekulargenetische Analyse)
oGTT
Testosteronspiegel >1,5–2 ng/ml oder DHEAS-Spiegel >7 µg/ml sowie rasch progrediente Androgenisierungssymptome sprechen für einen androgenbildenden Tumor. In diesen Fällen führt meist die gezielte Bildgebung zur Diagnose und zur chirurgischen Intervention.
Lässt sich die Hyperandrogenämie bzw. der Hyperandrogenismus auf ein PCO-Syndrom zurückführen, so wird in der Basisdiagnostik zusätzlich ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) empfohlen, um eine Insulinresistenz auszuschliessen, die sich bei >30 % der Betroffenen nachweisen lässt.

Hyperprolaktinämie

Prolaktin spielt eine elementare Rolle in der Regulation des weiblichen Zyklus, der Laktation sowie anderer endokriner Funktionen. Die Prolaktinbestimmung erfolgt vor allem bei Zyklusstörungen oder Galaktorrhö, jedoch können auch andere Endokrinopathien (z. B. Hypothyreose) Anlass für eine Prolaktinbestimmung sein. Die Prolaktinserumkonzentration unterliegt durch zahlreiche Einflussfaktoren starken Schwankungen, so müssen anamnestisch mögliche Einflussfaktoren erfasst werden und es muss sorgfältig auf präanalytische Störfaktoren geachtet werden (Tab. 4). Zahlreiche Medikamente haben Einfluss auf die Prolaktinserumkonzentration (Tab. 5). Dies muss bei der Interpretation der Werte und den daraus abgeleiteten Therapieempfehlungen beachtet werden [5].
Tab. 4
Ursachen der Hyperprolaktinämie. (Mod. nach [5])
Physiologische Ursachen
Stress
Brustuntersuchung
Koitus
Schwangerschaft/Laktation
Corpus-luteum-Phase
Operationen
Schlaf
Venenpunktion
Pathologische Ursachen
Prolaktinsezernierende Hypophysentumoren
Prolaktin‑/Somatotropin(GH)-sezernierende Tumoren
Ektope Prolaktinsekretion
Andere Gehirntumoren, Enzephalitis
Adrenale Erkrankungen (Morbus Addison, Hyperplasie, Karzinom)
Hypothyreose
Pharmakologische Ursachen
Neuroleptika/Antidepressiva
Metoclopramid
Östrogene
Orale Kontrazeptiva (20–30 % der Patientinnen mit 35 µg Ethinylöstradiol)
Tab. 5
Auszug von Medikamenten, die eine Hyperprolaktinämie bewirken können
Substanzgruppe
Wirkstoff
Antidepressiva
Amitriptylin
Clomipramin
Doxepin
Escitalopram
Fluoxetin
Imipramin
Opipramol
Sertralin
Neuroleptika
Haloperidol
Levomepromazin
Olanzapin
Risperidon
Antihypertonika
Verapamil
Diltiazem
Reserpin
Clonidin
Minoxidil
Gastroprokinetika
Metoclopramid
Domperidon
Ulkustherapeutika
Cimetidin
Ranitidin
Omeprazol
Pantoprazol

AMH

Nur wenige hormonelle Parameter wurden in den letzten Jahren so kontrovers diskutiert wie das Anti-Müller-Hormon (AMH). Zunächst als „Kristallkugel reproduktiven Alterns“ angepriesen entwickelten sich mit der Zeit erste Zweifel an der scheinbar apodiktischen Aussagekraft dieses hormonellen Parameters. AMH korreliert positiv mit dem Primordialfollikelpool und stellt damit ein Mass für die ovarielle Reserve dar. Der AMH-Wert steigt im Laufe der Pubertät physiologischerweise an und erreicht einen Peak um das 25. Lebensjahr [6]. Durch Abnahme des Follikelvorrats mit zunehmendem Alter sinkt der AMH-Wert anschliessend wieder. Ein AMH-Spiegel unterhalb der Nachweisgrenze bedeutet dabei nicht, dass nun die Menopause eingetreten ist – selbst bei AMH-Werten unterhalb der Nachweisgrenze können noch ovulatorische Zyklen auftreten. Der AMH-Wert wird durchschnittlich bereits 5–6 Jahre vor der Menopause negativ.
Die AMH-Bestimmung allein – ohne Berücksichtigung der anamnestischen Faktoren etc. – lässt keine Aussagen darüber zu, wann und ob eine Frau schwanger werden kann. Aus den AMH-Werten lässt sich allenfalls abschätzen, wie gut oder schlecht eine Frau auf eine ovarielle Stimulationstherapie reagiert. Ein unbestrittener Vorteil der AMH-Bestimmung besteht in den im Vergleich zu anderen Parametern wie FSH und Östradiol deutlich geringeren zyklusabhängigen Schwankungen des Hormonwertes [7].
Gerade vor Durchführung von Massnahmen assistierter Reproduktion erfolgt häufig eine Bestimmung des AMH-Wertes, um zu prüfen, ob ein hohes/geringes Ansprechen auf eine Stimulationstherapie zu erwarten ist. In der Tat konnten Untersuchungen zeigen, dass AMH mit der Anzahl der gewonnenen Eizellen nach Stimulationstherapie korreliert. Somit kann ein überschiessendes Ansprechen und infolgedessen die Entwicklung eines Überstimulationssyndroms bei hohen AMH-Werten durch eine reduzierte Startdosis und die Wahl des entsprechenden Stimulationsprotokolls vermieden werden.

Einschränkung der Aussagekraft hormoneller Parameter unter Medikation

Medikamente können das Analyseergebnis von Hormonen sowohl direkt als auch indirekt beeinflussen. Somit sollte zur Bewertung eines Hormonbefundes immer auch die Medikamentenanamnese berücksichtigt werden, um ausserhalb der Referenzbereiche gelegene Werte nicht fälschlich als pathologisch einzustufen. Ein typisches Beispiel ist die Östradiolbestimmung unter Pilleneinnahme: Durch die Einnahme eines Kontrazeptivums kommt es – gewollt – zur Suppression der Gonadotropine und damit zu niedrigen Östradiolserumwerten. Bei fehlender Information zur Pilleneinnahme kann es folglich zur Fehlinterpretation der niedrigen Östradiolserumspiegel kommen [4].

Fazit für die Praxis

Endokrinologische Untersuchungen sind ein wesentlicher Bestandteil der gynäkologischen Diagnostik. Unter Berücksichtigung der präanalytischen Vorgaben, Auswahl des geeigneten Analyseverfahrens und Beachtung der oben genannten Hinweise zur Indikationsstellung und zur Auswahl der zu untersuchenden Parameter trägt die Hormonanalytik zur Diagnosefindung und vor allem zur Auswahl des jeweils optimalen Therapiekonzeptes bei. Damit kann – auch vor dem Hintergrund der gebotenen Wirtschaftlichkeit – eine hohe medizinische Behandlungsqualität erzielt werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

C. Keck gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Sonntag B (2016) Zyklusstörungen – Diagnostik und Therapie. Gynäkologe 49(5):357–371CrossRef Sonntag B (2016) Zyklusstörungen – Diagnostik und Therapie. Gynäkologe 49(5):357–371CrossRef
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Zurück zum Zitat Behre HM et al (2000) Prediction of ovaultion by urinary hormone measurements with the home use ClearPlan® Fertility Monitor: comparison with transvaginal ultrasound scans and serum hormone measurements. Hum Reprod 15:2478–2482CrossRef Behre HM et al (2000) Prediction of ovaultion by urinary hormone measurements with the home use ClearPlan® Fertility Monitor: comparison with transvaginal ultrasound scans and serum hormone measurements. Hum Reprod 15:2478–2482CrossRef
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Zurück zum Zitat La Marca A, Stabile G, Artenisio AC, Volpe A (2006) Serum anti-Mullerian hormone throughout the human menstrual cycle. Hum Reprod 21(12):3103–3107CrossRef La Marca A, Stabile G, Artenisio AC, Volpe A (2006) Serum anti-Mullerian hormone throughout the human menstrual cycle. Hum Reprod 21(12):3103–3107CrossRef
Metadaten
Titel
Die „kleine Hormonschule“ oder: Was der Frauenarzt grundsätzlich zur Hormonanalytik wissen muss
verfasst von
Prof. Dr. Christoph Keck
Publikationsdatum
29.10.2021
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz / Ausgabe 4/2021
Print ISSN: 1995-6924
Elektronische ISSN: 2520-8500
DOI
https://doi.org/10.1007/s41975-021-00218-8

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