Skip to main content
Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie 3/2023

Open Access 28.09.2023 | Originalien

Chirurgie des obstruktiven Defäkationssyndrom (ODS)

verfasst von: PD Dr. med. Daniel C. Steinemann, Fabio Nocera

Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie | Ausgabe 3/2023

Zusammenfassung

Das obstruktive Defäkationssyndrom (ODS) ist eine Erkrankung, bei der Patienten Schwierigkeiten haben, den Enddarm zu entleeren. Es kann verschiedene Ursachen haben, darunter anatomische Veränderungen oder funktionelle Störungen. Patienten klagen oft über Symptome wie verlängertes Pressen, häufigen Stuhlgang und unvollständige Entleerung. Die Diagnosestellung ist schwierig, da es fliessende Übergänge zu anderen Erkrankungen gibt. Die Diagnose basiert auf einer ausführlichen Krankengeschichte, körperlichen Untersuchungen und speziellen Untersuchungen wie der MR-Defäkographie und der anorektalen Manometrie. Die Wahl der Behandlung hängt von der Ursache und den Symptomen ab. Konservative Behandlungsoptionen sollten vor einer Operation ausgeschöpft werden. Bei Versagen der konservativen Therapie können verschiedene chirurgische Verfahren eingesetzt werden. Die minimal-invasive, laparoskopische oder robotische, ventrale netzverstärkte Rektopexie setzt sich zunehmend als Therapie der Wahl des strukturellen ODS durch.
Hinweise
QR-Code scannen & Beitrag online lesen

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Obstipation ist eine der häufigsten Beschwerden in der Grundversorgung. Die Prävalenz in der gesunden Bevölkerung variiert sehr stark nach Geschlecht, Alter, sozialem Status und geografischer Region [1]. Die weltweite Prävalenz der chronischen Obstipation liegt bei etwa 14 % [2]. Die Obstipation wird anhand der Rom-IV-Kriterien definiert, wenn mindestens zwei der folgenden Symptome vorliegen: starkes Pressen, harter oder klumpiger Stuhl, Gefühl der inkompletten Entleerung oder analen Blockade oder manuelles Nachhelfen in jeweils mehr als 25 % der Entleerungen sowie weniger als drei Entleerungen pro Woche.
Mannigfaltige Ursachen der Obstipation sind bekannt wie eine einseitige und unausgewogene Diät, Bewegungsmangel, Hormonstörungen, Erkrankungen des Nervensystems, psychiatrische Erkrankungen, Medikamente, Tumorerkrankungen oder anale Obstruktionen (Stenosen, Fisteln, Prolaps). Zu den häufigsten Ursachen gehören jedoch funktionelle Störungen wie das Reizdarmsyndrom, die Slow-transit-Obstipation und das obstruktive Defäkationssyndrom (ODS). Das ODS wird auch als „outlet obstruction“ oder allgemein als Stuhlentleerungsstörung bezeichnet.
Das ODS ist charakterisiert als eingeschränkte Fähigkeit zur Stuhlentleerung bei vorhandenem Stuhldrang. Es kann im Rahmen einer Beckenbodendyssynergie (Anismus) oder eines Reizdarmsyndroms auftreten, aber auch durch eine strukturelle Blockierung der Stuhlentleerung bei Beckenbodensenkung begründet sein. Nur bei Vorliegen einer solchen anatomischen Behinderung der Stuhlentleerung kommt eine chirurgische Therapie in Frage.
Patienten mit einem ODS erleben oft hohe körperliche und emotionale Belastungen. Das ODS kann zu einer starken sozialen Einschränkung und zu erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität führen. Betroffene klagen typischerweise über Symptome wie verlängertes oder wiederholtes Pressen, Gefühl der inkompletten Entleerung, häufigen erneuten Stuhlgang vor oder nach der Stuhlentleerung, erfolglose Defäkationsversuche und langes Sitzen auf der Toilette. Bei einigen Patientinnen ist eine vollständige Entleerung nur durch manuellen Druck auf die Scheidenhinterwand oder durch digitale Ausräumung transanal möglich. Es ist auch häufig der Gebrauch von Laxanzien zu beobachten, und in manchen Fällen ist die Entleerung nur durch Einläufe möglich. In seltenen Fällen bemerken die Patienten eine Vorwölbung der Vaginalhinterwand oder einen vaginalen Prolaps (Vorfall aus der Scheide). Ausserdem können weitere Beschwerden einer Beckenbodensenkung wie ein Druckgefühl oder Schmerzen im Becken auftreten. Teilweise bestehen auch, trotz erschwerter Entleerung, Symptome der Stuhlinkontinenz wie auch imperativen Stuhldrang oder Stuhlschmieren (Tab. 1; [3]). Häufig betrifft die das ODS auslösende Beckenbodeninsuffizienz nicht nur das hintere, sondern auch das mittlere und vordere Kompartiment und verursacht urogynäkologische Beschwerden wie einen Genitalprolaps, Dyspareunie, Urininkontinenz oder eine Blasenentleerungsstörung.
Tab. 1
Typische Symptome beim obstruktiven Defäkationssyndrom (ODS)
Typische Symptome beim ODS
Verlängertes, wiederholtes oder intensives Pressen
Gefühl der inkompletten Entleerung
Erfolglose, wiederholte Defäkationsversuche
Häufiger Stuhldrang vor oder nach der Stuhlentleerung
Gebrauch des Fingers zur Stuhlentleerung
Abführmittel/Einläufe notwendig zur Stuhlentleerung
Langes Sitzen auf der Toilette
Druckgefühl und Schmerzen im Enddarm/Becken
Stuhlschmieren
Schwierigkeiten, den Stuhl unwillkürlich zurückzuhalten
Peranaler Blutabgang
Während die obstruktive Defäkation bei Beckenbodendyssynergie bei beiden Geschlechtern gleichermassen auftreten kann, ist das ODS bei Beckenbodeninsuffizienz sehr viel häufiger bei Frauen anzutreffen.

Diagnostik

Die Diagnose des ODS und die Erörterung seiner Ursachen ist für die Einleitung der Therapie und insbesondere für die Indikationsstellung zu einer Operation von grosser Wichtigkeit.
Die detaillierte Anamnese umfasst die Stuhlfrequenzen, Stuhlkonsistenz und die Abfrage von Beschwerden bei der Stuhlentleerung (Tab. 1). Im Weiteren werden Vorerkrankungen, Medikamente mit Einfluss auf die Darmtätigkeit, Voroperationen und Geburten erfragt. Bei den Geburten sind insbesondere schwierige Entbindungen und Episiotomien von Interesse. Nebst den auf die Stuhlentleerung bezogenen Symptome sollten auch Miktionsbeschwerden, Urinkontinenz und Dyspareunie erfragt werden. Das Ausmass der funktionellen Beeinträchtigung, sowie deren Einfluss auf die Lebensqualität, ist objektivierbar mittels Einsatz von standardisierten Fragebögen oder Scores. Die etabliertesten Fragebögen zur Evaluation des ODS sind der Obstructed Defecation Syndrom Score [4] und der Cleveland Clinic Constipation Score [5]. Inkontinenzbeschwerden werden mit dem Vaizey-Wexner Fecal Incontinence Score [6] oder der Fecal Incontinence Quality of Life (FIQL) Scale [7] quantifiziert. Symptome wie Blähungen oder Schmerzen können Hinweise für ein Reizdarmsyndrom sein. Blutung, paradoxe Diarrhoe, Anämie oder Gewichtsverlust können Hinweise auf eine Tumorerkrankung hinweisen, die eine entsprechende Diagnostik erfordert [3].
Eine klinische proktologische Untersuchung mit digital rektaler Untersuchung, digitaler Prüfung des Ruhe- und Klemmtonus sowie eine Anoskopie und ein Pressversuch geben Informationen über das Vorliegen eines die Beschwerden mitverursachenden höhergradigen Hämorrhoidalleidens, eines äusseren Rektumprolapses und Informationen über die Schliessmuskelfunktion.
Bei Verdacht auf eine Sphinkterverletzung kann eine Endosonographie durchgeführt werden. Dies ist insbesondere deshalb wichtig, weil eine Intussuszeption eine Sphinkterschwäche maskieren kann und es dann nach operativer Korrektur der Beckenbodensenkung zu einer manifesten Inkontinenz kommen könnte.
Patientinnen mit berichteten urogenitalen Symptomen sollten präoperativ auch urogynäkologisch abgeklärt werden. Ein multikompartimentaler Organprolaps im Becken ist häufig [8] und sollte je nach vorherrschendem Beschwerdebild kombiniert behandelt werden.
In der klinisch-proktologischen Untersuchung können sowohl eine Rektozele wie auch eine Intussuszeption zur Darstellung kommen, allerdings kann in einer statischen Untersuchung nicht abgeschätzt werden, ob diese auch zu einer manifesten Stuhlentleerungsstörung führen. Aus diesem Grund hat die dynamische Defäkographie bei der Abklärung der Stuhlentleerungsstörung einen hohen Stellenwert.

Defäkographie

Die Defäkographie erlaubt mit hoher Sensitivität und Spezifität ursächliche Pathologien für ein ODS bildmorphologisch darzustellen. Bei der konventionellen röntgenologischen Defäkographie werden etwa 150 ml Barium in den Enddarm eingeführt, um einen Stuhlgang zu simulieren. Die Magnetresonanz-Defäkographie (dynamische Beckenboden-MRT) ist mittlerweile die bevorzugte Alternative mit der Möglichkeit einer vollständigen Visualisierung des gesamten Beckenbodens inklusive aller Kompartimente und seiner Organe. Häufige morphologische Befunde sind die Rektozele, die rektale Intussuszeption und die Enterozele. Zudem können auch funktionelle Ursachen einer Entleerungsstörung mittels dynamischer Visualisierung nachgewiesen werden (z. B. Koordinationsstörung, rektoanale Dyssynergie, Anismus). Hierbei kommt es trotz Pressversuch zur Kontraktion des M. levator ani und des M. puborectalis und damit zu einer fehlenden konsekutiven Abflachung des anorektalen Winkels. Es entfällt hier die Möglichkeit einer vollständigen Entleerung aufgrund des fehlenden Tiefertretens des Beckenbodens. Die dynamische Bildgebung hat einen hohen Stellenwert zur Differenzierung zwischen funktionellen und morphologischen Ursachen für ein ODS. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die bildmorphologische Relevanz erhobener Befunde nicht automatisch mit der funktionellen Bedeutung übereinstimmt [3, 9, 10]. Auch asymptomatische Personen können anatomische Beckenbodenveränderungen aufweisen. Im Rahmen einer Studie wurden 21 asymptomatische Patienten untersucht, um die Häufigkeit abnormaler Befunde in der Kontrollpopulation zu ermitteln. Bei 67 % der Probanden wurde anhand der Defäkographie entweder eine Rektozele, eine Intussuszeption, eine Beckensenkung oder ein Anismus gefunden [11]. Daher ist es von eminenter Wichtigkeit, die bildmorphologischen Befunde mit den klinischen Angaben zu korrelieren. Während die konventionelle Defäkographie vor allem das hintere Kompartiment abbildet, gibt die MR-Defäkographie (MRD) über alle Beckenkompartimente Auskunft. Die Detektionsgenauigkeit für die Rekto- und Enterozele ist hierbei bei der konventionellen Defäkographie höher, während eine Intussuszeption in der MRD besser erfasst wird [12]. Meistens wird die MRD im Liegen durchgeführt. Im Vergleich der liegenden MRD zur sitzenden MRD („upright MRI“) zeigt sich eine vergleichbare Sensitivität für klinisch relevante Befunde, während hingegen die Detektionsrate für Intussuszeptionen in der sitzenden MRD besser ist [13]. Insbesondere bei hohem klinischem Verdacht auf ein strukturelles ODS und fehlendem Nachweis einer Intussuszeption in einer liegenden Defäkographie sollte eine konventionelle Defäkographie oder eine MRT im Sitzen durchgeführt werden. Organische Befunde, die in einer Defäkographie zur Darstellung kommen, können eine Rektozele, eine rektorektale oder rektoanale Intussuszeption, ein Rektumprolaps, eine Enterozele, eine Kolpozele oder eine Zystozele sein (Tab. 2).
Tab. 2
Systematik der Stuhlentleerungsstörung
Funktionelle Störungen
Morphologisch-organische Störungen
Beckenboden
Kolon und Rektum
Beckenboden
Kolon und Rektum
Dyskoordination
Idiopathische Inertia recti
Vererbliche Myopathie des Internus
Postoperative Inertia recti (autonome Denervation)
Anismus
Gestörte zentrale autonome Innervation (z. B. M. Parkinson)
Internushypertrophie (z. B. Folge gesteigerter Sympathikusaktivität)
Dysganglionose (Läsion des enterischen Nervensystems)
Spastik
Dorsale Sphinkterdysplasie (mangelhafte dorsale Fixierung)
Mangelhafte Internusrelaxation (nach Rektumresektion)
Psychogene Ursachen
Anorektale Stenose
Morbus Hirschsprung (fehlende Internusrelaxation)
Analfissur
Enterozele, Sigmoidozele
Rektozele
Rektumprolaps
Reduzierte Rektumcompliance
Obstruierender Tumor

Rektozele

Die Rektozele (Abb. 1a) ist eine suprasphinktäre Vorwölbung der Rektumwand in lateraler, ventraler oder dorsaler Richtung. Die meisten Patientinnen mit einer Rektozele sind asymptomatisch und bedürfen keiner weiteren Diagnostik oder Therapie. Symptomatische Patientinnen berichten jedoch von dumpfen Schmerzen perineal, Senkungsbeschwerden mit vaginalem Druckgefühl, Dyspareunie, Harnblasenentleerungsstörungen mit oder ohne Harninkontinenz oder können sich auch isoliert mit gynäkologischen Symptomen vorstellen [14, 15]. Die Defäkographie kann auch zeigen, ob sich die Rektozele entleert oder Stuhl retiniert wird.

Intussuszeption und Rektumprolaps

Die Intussuszeption (Abb. 1b) ist ein innerer Darmvorfall, der unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Die unterschiedliche Ausdehnung wird anhand der Oxford-Klassifikation eingeteilt. Hierbei wird zwischen einer rektorektalen und einer rektoanalen Intussuszeption differenziert (Tab. 3). Wenn die Intussuszeption aus dem Analkanal hervorsteht, spricht man von einem exteriorisierten oder externen Rektumprolaps (Grad V, Abb. 1c; [16]). Die Patientinnen und Patienten können eine Vielzahl von Symptomen erleben. Dazu gehören schleimige Durchfälle, Verstopfung, Blutabgänge im Bereich des Afters, Harn- und Stuhlinkontinenz. Viele Betroffene berichten zudem von Schmerzen und einer Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität. Der äussere Rektumprolaps ist eine klinische Diagnose und bedarf keiner Bildgebung [17].
Tab. 3
Oxford-Klassifikation [17]
 
Rektaler Prolaps
Radiologische Charakteristika
Interne Intussuszeption
Rektorektale Intussuszeption
I (hoch rektal)
Absinken bis zum proximalen Rand der Rektozele
II (tief rektal)
Absinken bis auf das Level der Rektozele, aber nicht in den Analkanal
Rektoanale Intussuszeption
III (hoch anal)
Absinken bis an den proximalen Analkanal
IV (tief anal)
Absinken bis in den Analkanal
Externer Rektumprolaps
Exteriorisierter Rektumprolaps
V (extern offensichtlich)
Aus dem Analkanal hervorstehend

Enterozele, Kolpozele und Zystozele

Die Enterozele (Abb. 1d) kann zu einer mechanischen Obstruktion des Rektums und des anorektalen Rings durch ein Absinken des Dünndarmes in das Septum rectovaginale führen. Die Symptome einer Enterozele sind sehr unspezifisch. Beckenschmerzen, ein schwierig einzuleitender Defäkationsvorgang, unvollständige Entleerung und Notwendigkeit einer digitalen Ausräumung sowie ein pelvines Fremdkörpergefühl werden berichtet. In der gleichen Weise kann auch das Absinken der Gebärmutter oder der Harnblase eine Obstruktion verursachen.

Anismus

Beim Anismus (Synonyme: Beckenbodendyssynergie, Puborektalissyndrom) handelt es sich um eine funktionelle Defäkationsstörung mit fehlender Relaxation bzw. paradoxer Kontraktion der Puborektalschlinge und des externen Sphinktermuskels bei der Defäkation. Prädisponierende Faktoren sind physischer bzw. psychischer Stress, vorangegangene anorektale Operationen, Hysterektomie und sexueller Missbrauch; betroffen sind vorwiegend junge Patienten bis in das mittlere Alter [18]. Allerdings muss auch daran gedacht werden, dass eine fehlende Relaxation in der Defäkographie auch situativ bedingt sein kann und nicht einem manifesten Anismus entspricht. Hier ist wiederum die klinische Korrelation wichtig.

Anorektale Manometrie

Die anorektale Manometrie besteht aus einer Reihe von Messungen, die eine Bewertung der analen Schliessmuskelfunktion der rektalen Empfindung des rektoanalen Reflexes und der rektalen Compliance umfasst [19]. Sie dient zum Ausschluss eines Morbus Hirschsprung (Aganglionose), bei welchem sich bei der anorektalen Manometrie ein aufgehobener rektoanaler Inhibitionsreflex nachweisen lässt (fehlende Internusrelaxation). Bei funktionell bedingten Stuhlentleerungsstörung (Anismus) zeigt die anorektale Manometrie eine mangelnde Koordination zwischen rektalem Druckanstieg und Sphinkterrelaxation beim Pressvorgang. Wie auch bei der Defäkographie, kann eine paradoxe Sphinkterkontraktion bei der Manometrie situativ auftreten und zu einem falsch-positiven Nachweis eines Anismus führen. Die Rate an falsch-positiv festgestelltem Anismus ist sowohl in der Defäkographie wie auch in der Manometrie hoch. Entscheidend ist die klinische Korrelation der Befunde. Eine fehlende Kneifreserve ist hinweisend für eine sekundäre Sphinkterinsuffizienz, was bei Patienten mit jahrelanger Obstipation bzw. Entleerungsstörung zu beobachten ist.

Konservative Therapieoptionen

Die initiale Therapie eines ODS ist in der Regel konservativ. Dazu gehören Lifestyle-Veränderungen mit vermehrter Bewegung, stuhlregulierende Massnahmen, Beckenbodengymnastik unter physiotherapeutischer Anleitung, Biofeedback und transanale Irrigation. Insbesondere bei funktionell bedingten Ätiologien ist die Beckenbodengymnastik inklusive anorektalem Biofeedback essenziell [3].
Medikamentös können osmotische Laxanzien (Macrogol), Flohsamen, Probiotika und defäkationslösende Suppositorien eingesetzt werden. Aufgrund der Koinzidenz mit funktionellen Darmbeschwerden (Reizdarmsyndrom) ist der Einsatz von stuhlregulierenden Massnahmen gerechtfertigt und dient auch als Differenzialdiagnostik [20].
Bei Defäkationsstörungen mit Symptomen einer Stuhlinkontinenz hat ein Beckenbodentraining mit Biofeedback unter physiotherapeutischer Anleitung einen hohen Stellwert, obwohl nicht selten nebst der funktionellen Störung auch eine Sphinkterinsuffizienz vorliegt. Das Beckenbodenmuskeltraining verbessert die strukturelle Unterstützung, das Timing und die Stärke der automatischen Kontraktionen, was bei einer Insuffizienz zu einer Verringerung des Auslaufens führt. Das Biofeedback nutzt visuelle und akustische Signale, um den Patienten interne physiologische Ereignisse zu signalisieren. Die Therapie führt zu einer präziseren Unterscheidung der rektalen Empfindungen [20].

Chirurgische Therapie

Nach Ausschöpfung konservativer Massnahmen kann bei einem strukturellen ODS eine chirurgische Behandlung in Betracht gezogen werden. Das ODS kann grundsätzlich über einen transanalen oder einen transabdominellen Zugang versorgt werden. Bei der transanalen Versorgung wird der prolabierende Anteil des Rektums gekürzt oder gerafft. Im Gegensatz hierzu erfolgt bei einer transabdominellen Versorgung eine Reposition des gesenkten Darms und eine Refixation.

Transabdominaler Zugang

In der Literatur werden verschiedenste Rektopexietechniken mit unterschiedlichen Erfolgsraten beschrieben. Während die Resektionsrektopexie nach Frykman-Goldberg lange Zeit als Goldstandard galt, gewinnt gerade beim ODS die ventrale Netzrektopexie nach D’Hoore (VMR) zunehmend an Bedeutung [21]. Die VMR hat sich in den letzten Jahren zur Behandlung des Rektumprolaps und des ODS bei komplexer Rektozele in Verbindung mit einer hochgradigen Intussuszeption (Grad IV) etabliert [22, 23]. Der grosse Vorteil bei dieser Operation ist die Nervenschonung. Bei der VMR wird, im Gegensatz zur Resektionsrektopexie, nur das ventrale Rektum mobilisiert unter Erhaltung der Nerven und der lateralen Ligamente. Nach Erzeugen eines Pneumoperitoneums für die Laparoskopie, wird das Peritoneum im kleinen Becken über dem Promontorium des Sakrums eröffnet (Abb. 2a) und die anteriore Rektumwand bis zum Beckenboden freipräpariert. Am distalen Rektum wird ein Netz mit resorbierbarem Nahtmaterial fixiert und mit moderatem Zug am sakralen Promontorium fixiert (Abb. 2b). Die Fixation am Promontorium kann mittels Spiraltackern oder nichtresorbierbarem Faden durchgeführt werden. Zum Schluss wird das zu Beginn eröffnete Peritoneum mit einer Naht fortlaufend verschlossen und hierdurch der exkavierte Douglasraum obliteriert (Abb. 2c).
Die VMR ist ein effektives Verfahren zur Behandlung des ODS und auch der Stuhlinkontinenz bei Intussuszeption. In einer Metaanalyse mit 963 Patienten nach VMR zeigte sich eine deutliche und signifikante Reduktion des Wexner Constipation Score nach 12 Monaten [24]. Nach VMR zeigt sich eine Verbesserung des Obstructed Defecation Syndrom (ODS) Score um 55–86 %, sowie eine Verbesserung der Inkontinenz um 20–92 % [25]. Die VMR ist eine sichere Operation. So zeigte sich in der Metaanalyse von Manatakis eine postoperative Morbiditätsrate von 8,9 % [24]. Die VMR ist auch bei Patienten > 70 Jahren sicher mit einer Rate an Majorkomplikationen von 0,9 % in einer Datenbankauswertung von 1263 Patienten [26].
Bezüglich der Wahl des Netzmaterials gibt es in der Literatur keinen Konsensus. Die Metaanalyse von Van der Schans et al. mit 32 eingeschlossenen Studien und insgesamt 4001 eingeschlossenen Patienten zeigte eine Inzidenz netzbedingter Komplikationen von 0–2,4 % nach synthetischer und 0–0,7 % nach biologischer VMR. Das ergab eine gepoolte Inzidenz für synthetische Netzte von 1,0 %, während die Daten für biologische Netzte nicht gepoolt werden konnte. Das Rezidivrisiko schwankte zwischen 1,1–18,8 % für synthetische Netze gegenüber 0–15,4 % für biologische Netze. Dies entspricht einer kumulativen Inzidenz von 6,1 % bei synthetischen Netzen und 5,8 % bei biologischen Netzen. Aufgrund der Qualität der eingeschlossenen Studien und der grossen Heterogenität kann jedoch keine endgültige Schlussfolgerung über einen bevorzugten Netztyp gemacht werden [27]. Zu den oben genannten netzbedingten Komplikationen gehören Infektionen und Arrosionen mit Netzmigration. Die Fixierung am Promontorium kann zu Blutungen, Spondylodiszitis und Schäden an Nerven führen. Daher ist eine zweifelsfreie Darstellung des Ligamentum spinale longitudinale anterius über dem Promontorium wichtig.
Die VMR ist eine minimal-invasive Operation. Was die Einführung der Roboterchirurgie betrifft, gibt es bisher wenig Belege für einen objektiven Vor- oder Nachteil gegenüber der Standard-Laparoskopie. Die prospektive randomisierte Studie von Makela-Kaikkonen et al. mit einem 5‑Jahres-Follow-up, welche die laparoskopische und roboterassistierte VMR verglich, fand keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich funktioneller Ergebnisse und Operationszeit [28]. Eine Metaanalyse von 6 Studien, welche die standardmäßige laparoskopische VMR mit der roboterassistierten VMR verglich, zeigte ebenfalls keine signifikant höhere Operationszeit nach Einsatz des Roboters. Es gab keinen signifikanten Unterschied bezüglich den Komplikations- und Konversionsraten, doch zeigte sich eine signifikante Verkürzung der Aufenthaltsdauer nach robotergestütztem Eingriff [28]. Eine weitere Metaanalyse aus China konnte zudem ein geringeren intraoperativen Blutverlust nach Robotereinsatz aufzeigen, hingegen war hier die Operationszeit deutlich länger [29]. In den europäischen Guidelines von 2019 zum ODS [30] wird der Robotereinsatz bei der VMR mit seinen guten Resultaten erwähnt, aber nicht im Therapiealgorithmus eingeschlossen. Einheitliche, gross angelegte, randomisierte Studien sind noch erforderlich, um eine endgültige Empfehlung für die roboterassistierte VMR zu geben. Letztlich liegen die Vorteile der Roboterchirurgie für die VMR jedoch auf der Hand: die exakte Präparation bis zum tiefliegenden Beckenboden und das Setzen der Nähte im engen kleinen Becken sind robotisch im Vergleich zur laparoskopisch deutlich erleichtert.
Zwischen 21 und 34 % der Patientinnen mit einem Prolaps im hinteren Kompartiment leiden auch unter einem symptomatischen Organprolaps im mittleren oder vorderen Kompartiment [30, 31]. Die VMR lässt sich in diesem Fall sehr gut mit einer Kolposakropexie kombinieren und in einem Eingriff durchführen, ohne wesentliche Erhöhung des perioperativen Risikos [32]. Auch für einen effektiven Enterozelenverschluss bietet sich die Kombination einer VMR mit einer Kolposakropexie an.

Transanaler Zugang

Grundprinzip und das Ziel beim transanalen Zugang ist es, redundantes Gewebe zu entfernen. Bei isolierter Rektozele ist das ventrale Delorme-Verfahren oder ein transvaginaler Rektozelenverschluss durch eine hintere Kolporraphie gängig. Bei einer zusätzlichen Intussuszeption sollte kein alleiniger Rektozelenverschluss durchgeführt werden, da hierdurch das ODS nicht adäquat behandelt wird. Hier steht die Indikation zur Stapled-Transanal-Rectal-Resection(STARR)-Operation. Hierbei wird mittels eines Klammernahtgeräts transanal eine Rektummanschette reseziert und damit das Rektum so gekürzt, dass sich keine Intussuszeption mehr ausbilden kann. Gleichzeitig wird auch eine vorliegende Rektozele entfernt. Die STARR-Operation führt zu einer Verkleinerung des Rektums. Bei Patienten mit einer eingeschränkten rektalen Kapazität kann nach einer STARR-Operation eine Verschlechterung einer vorbestehenden Inkontinenz oder eine De-novo-Dranginkontinenz auftreten. In einer Follow-up-Studie von 93 Patienten nach STARR-Operation zeigte sich eine Deterioration der Stuhlinkontinenz bei 22 %. Bei diesen Patienten fand sich manomentrisch eine reduzierte rektale Compliance und ein geringes maximal toleriertes Volumen [33]. Eine präoperative Manometrie vor einer STARR-Operation mit Bestimmung der rektalen Compliance ist daher von grosser Wichtigkeit [3].
In der Literatur wird eine Morbiditätsrate von 17 % nach STARR-Operation postuliert. Die Zufriedenheit der Patienten liegt bei 73−80 % mit einer Rezidivrate von 4,3 % [34]. Hinsichtlich dem Vergleich der STARR-Operation mit der VMR zeigten Borie et al. vergleichbare Resultate bezüglich 1‑monatigen postoperativen Komplikationen (25 %), Zufriedenheit der Patienten (84 % vs. 80 %) und Verringerung des ODS-Score (59 % vs. 56 %). Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer war etwas kürzer um 1,5 Tage nach STARR-Operation (5,6 d vs. 7,1 Tage; [35]). Hingegen konnte eine andere prospektive, randomisierte Studie eine Überlegenheit der VMR gegenüber der STARR-Operation in Bezug auf funktionelle Langzeitergebnisse, Komplikationen, Rezidive (7 % vs. 24 %) und anatomischer Korrektur bei einer Beckenbodensenkung (80 % vs. 0 %) aufzeigen. Die Lebensqualität verbesserte sich signifikant nach 6 Monaten in beiden Gruppen [36]. Die Popularität der STARR-Operation hat in den letzten Jahren auf Grund der möglichen Komplikationen (Urge-Inkontinenz) stark nachgelassen.
Die Wahl der des richtigen Therapieverfahrens ist abhängig von der Ätiologie, der genauen Lokalisation und deren Ausprägung mit den zugrunde liegenden Störungen und Symptomen. Umso wichtiger ist hier die präoperative Abklärung mit genauer Differenzierung der Ätiologien bzw. Krankheitsbilder, in Anbetracht, dass eine singuläre, symptomatische Rektozele transanal, perineal oder transvaginal versorgt werden kann, hingegen bei einer zusätzlichen Intussuszeption ein transabdominales Verfahren in Frage kommt. Wenn weitere Organe aus dem Beckenboden prolabieren, beispielweise in Form eines uterovaginalen Prolapses, sollte eine interdisziplinäres Vorgehen gemeinsam mit den urologynäkologischen Kollegen eruiert werden. [1].

Fazit für die Praxis

  • Beim obstruktiven Defäkationssyndrom (ODS) können funktionelle und anatomische Ursachen vorkommen.
  • Eine akkurate Abklärung ist entscheidend, um die eigentliche Ursache zu diagnostizieren und therapieren.
  • Primär sollten konservative Massnahmen ausgeschöpft werden.
  • Bei den operativen Verfahren setzt sich zunehmend die minimal-invasive ventrale netzverstärkte Rektopexie (VMR) durch.
  • Bei kombinierten Befunden mit hohen morphologischen Ursachen oder des mittleren Kompartiments kann die VMR mit einer Kolposakropexie kombiniert werden.
  • Die Resultate der VMR und der robotergestützten VMR sind erfolgversprechend.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

D.C. Steinemann und F. Nocera geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
12.
35.
Metadaten
Titel
Chirurgie des obstruktiven Defäkationssyndrom (ODS)
verfasst von
PD Dr. med. Daniel C. Steinemann
Fabio Nocera
Publikationsdatum
28.09.2023
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Schweizer Gastroenterologie / Ausgabe 3/2023
Print ISSN: 2662-7140
Elektronische ISSN: 2662-7159
DOI
https://doi.org/10.1007/s43472-023-00107-4

Weitere Artikel der Ausgabe 3/2023

Schweizer Gastroenterologie 3/2023 Zur Ausgabe

Editoriale

Editoriale

Editorial

Editorial

Éditorial

Éditorial