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Erschienen in: Pädiatrie & Pädologie 2/2020

01.09.2020 | Leitthema

30 Jahre Kinderrechte

„Unseren Kindern geht’s doch eh gut in Österreich. Wozu brauchen wir noch Kinderrechte?“

verfasst von: Mag. Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez

Erschienen in: Pädiatrie & Pädologie | Sonderheft 2/2020

Zusammenfassung

Die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 hält das „Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit“ fest. Dies umfasst auch die Sicherheit und ausreichende Testung von Medikamenten für Kinder und Jugendliche. In Österreich sind nur Teile dieser UN-Konvention im Verfassungsrang. Kinder haben auch das Recht auf Bildung, Schutz vor Gewalt und Ausbeutung sowie Selbst- und Mitbestimmungsrechte, z. B. Meinungsfreiheit.
Dem Netzwerk Kinderrechte Österreich gehören 44 Organisationen an, die sich um die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention bemühen, unter ihnen auch die österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ). Am 20. November 2019 fand bei den Vereinten Nationen in New York eine Sitzung der Hauptversammlung anlässlich 30 Jahre Kinderrechtskonvention statt.
Hinweise
Logo Netzwerk Kinderrechte: Netzwerk Kinderrechte Österreich, National Coalition (NC) zur Umsetzung der UNO-Kinderrechtskonvention in Österreich

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Auf der bunten Blumenwiese geht ein buntes Tier spazieren, wandert zwischen grünen Halmen, wandert unter Schierlingspalmen, freut sich, dass die Vögel singen, freut sich an den Schmetterlingen, freut sich, dass sichʼs freuen kann. Aber dann … Aber dann stört ein Laubfrosch seine Ruhʼ und fragt das Tier: „Wer bist denn du?“ Da steht es und stutzt und guckt ganz verdutzt dem Frosch ins Gesicht: „Das weiß ich nicht.“ Der Laubfrosch quakt und fragt: „Nanu? Ein namenloses Tier bist du? Wer nicht weiß, wie er heißt, wer vergisst, wer er ist, der ist dumm!“ Bumm.1
„Wer nicht weiß, wie er heißt, wer vergisst, wer er ist, der ist dumm! Bumm.“ Der Artikel 7 der Kinderrechtskonvention will dieser Misere entgegensteuern. Dort heißt es: „Das Kind ist unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen und hat das Recht auf einen Namen von Geburt an, das Recht eine Staatsangehörigkeit zu erwerben und, soweit möglich, das Recht seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden.“
In unseren Breiten mag das lächerlich klingen, das Recht auf einen Namen von Geburt an. In den Ländern des Südens ist das bei weitem keine Selbstverständlichkeit. Da werden Kinder monate- oder jahrelang in kein Register eingetragen. Laut einer UNHCR-Studie2 wird aktuell alle 10 min ein staatenloses Kind auf dieser Welt geboren. Staatenlose junge Menschen können selten Schulabschlüsse erwerben, zur Universität gehen oder eine angemessene Arbeit finden. Sie existieren offiziell gar nicht.
Willkommen in der weiten Welt der Kinderrechtskonvention!

Menschenrechte für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren

Kinder- und Jugendrechte sind eine besondere Gruppe von Menschenrechten – speziell und ausschließlich für Babys, Kleinkinder, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Der Begriff Kinderrechte allein ist verkürzend und kann zu Missverständnissen führen, denn es geht immer um Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr. Für alle Menschen egal welchen Alters gelten die Allgemeinen Menschenrechte. Kinder und Jugendliche haben darüber hinaus noch diese speziellen Menschenrechte. Menschenrechte. Die werden also nicht verliehen, die sind kein Gnadenakt, die kann man deswegen auch nicht verlieren. Jeder junge Mensch in Österreich, im Kongo oder in Guatemala ist – juristisch ausgedrückt – Rechtssubjekt, Träger und Trägerin von eigenständigen Menschenrechten.
Menschenrechte! Kinder und Jugendliche müssen vor Gewalt geschützt werden, sie müssen ausreichend versorgt werden (mit Nahrung, Wohnung, Bildung, Gesundheit) und sie haben ein Recht darauf, ihre Meinung zu äußern und Antwort zu bekommen. Es geht um Menschenrechte und nicht darum, dass eine Vierjährige bestimmt, wie viele Zuckerl sie futtert oder ein Sechsjähriger ohne Ende fernsieht und nicht schlafen geht.

20. November – 30 Jahre UN-Kinderrechtskonvention

Die Stellung von Kindern und Jugendlichen in der Gesellschaft hat sich über die Jahrhunderte stark gewandelt – und die Idee, dass Kinder nicht erst als Erwachsene Anspruch auf Respekt und Anerkennung ihrer Kompetenz haben, ist noch gar nicht so alt. „Das Kind wird nicht erst Mensch, es ist Mensch!“ erklärte der polnische Kinderarzt und Pädagoge Janus Korczak Anfang des 20. Jahrhunderts. Seine Gedanken berühren und rütteln auf, damals wie heute: „Ihr sagt: ‚Der Umgang mit Kindern ermüdet uns.‘ Ihr habt Recht. Ihr sagt: ‚Denn wir müssen zu ihrer Begriffswelt hinuntersteigen. Hinuntersteigen, uns herabneigen, beugen, kleiner machen.‘ Ihr irrt euch. Nicht das ermüdet uns. Sondern dass wir zu ihren Gefühlen emporklimmen müssen. Emporklimmen, uns ausstrecken, auf die Zehenspitzen stellen, hinlangen. Um nicht zu verletzen.“ Bis zu einem eigenen Menschenrechtsvertrag für Kinder und Jugendliche hat es noch länger gedauert: Am 20. November 1989 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen schließlich die Konvention über die Rechte des Kindes angenommen. Der 20. November wird deshalb auch immer als Internationaler Tag der Kinderrechte begangen und für verstärkte Medien- und Lobbyarbeit genutzt. Im Jahr 2019 gab es somit ein rundes Jubiläum: die Kinderrechtskonvention wurde 30 Jahre alt! In 30 Jahren hat sich die Kinderrechtskonvention zum erfolgreichsten Menschenrechtsvertrag entwickelt. Sie ist der völkerrechtliche Vertrag, der die breiteste Anerkennung überhaupt gefunden hat. Alle Staaten außer einem haben die Konvention ratifiziert, sich also zumindest irgendwann dazu bekannt, die darin verankerten Rechte umsetzen zu wollen. Nur die USA fehlen! Erfolgreichster Menschenrechtsvertrag heißt nur leider nicht, dass die Kinderrechte uneingeschränkt eingehalten werden.

Der kleinste gemeinsame Nenner für eine kindgerechte Gesellschaft

Die Konvention über die Rechte des Kindes definiert die weltweit gültigen Maßstäbe für eine kindgerechte Gesellschaft sowie die Aufgaben von Staat und Gesellschaft zur Durchsetzung dieser Rechte. Kinder- und Jugendrechte sind der kleinste gemeinsame Nenner. Zur Erinnerung an den Beginn „Wer nicht weiß, wie er heißt, wer vergisst, wer er ist, der ist dumm!“ und das Recht des Kindes auf einen Namen und die Registrierung: Ja, dieses Recht hat für Kinder und Jugendliche in Österreich Gott sei Dank wenig Relevanz. Trotzdem fand man im Vorwort vom damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer in dem Buch der Volksanwaltschaft Junge Menschen und ihre Rechte aus dem Jahr 2013 die folgenden Worte: „Die UN-Konvention hat für Österreich materiell nicht viel Neues gebracht, weil die Rechte des Kindes schon vorher vorbildlich garantiert worden sind. […] vieles darin ist vor allem für Entwicklungsländer von besonderer Bedeutung.“

Auch in Österreich werden tagtäglich Kinderrechte verletzt

Grundsätzlich geht es Kindern und Jugendlichen in Österreich natürlich sehr gut, wenn man vergleicht, wie es Kindern und Jugendlichen in anderen Ländern der ganzen Welt geht. Hier bei uns dürfen alle Kinder in die Schule gehen. Es ist verboten, Kindern weh zu tun, also sie zu schlagen, sie zu beschimpfen oder sie einzusperren. Kein Kind muss arbeiten gehen, damit die Familie überhaupt etwas zu essen hat. Aber! Aber es gibt leider auch in Österreich viel zu viele Kinder, die trotzdem Gewalt erfahren, viel zu viele Kinder, die es im Winter kalt zu Hause haben, viel zu viele Kinder, die kein gesundes Essen und nicht rechtzeitig die richtige Medizin und Therapie bekommen, wenn sie krank sind, viel zu viele Kinder, die keine Unterstützung bekommen, um in die Wunschschule zu gehen oder später einmal den Wunschberuf zu erlernen, viel zu viele Kinder, die weder in der Schule auf Projekt- oder Sportwoche noch mit ihren Familien in den Urlaub fahren oder einmal ins Kino gehen können. In dieser Gruppe von Kindern finden wir leider die meisten Kinder und Jugendlichen, die zu uns nach Österreich aus einem Land mit Krieg geflüchtet sind. Und dass, obwohl sie im gleichen Land leben und alle die gleichen Rechte haben.

Das Recht auf Schutz vor Gewalt zum Beispiel3

Jegliche Form von Gewalt, also physische und psychische, ist in Österreich seit 1989 verboten. Österreich war somit der vierte Staat weltweit nach Schweden, Finnland und Norwegen, der gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert hatte. Der Einstellungswandel zur Gewalt in der Erziehung hat sich in den Jahren insoweit verändert, als dass gesamtgesellschaftlich gesehen Gewalt in der Erziehung abgelehnt wird. Eine Studie des Bundesministeriums für Familie4 aus dem Jahr 2014 zeigt, dass alle Formen der körperlichen Gewaltanwendung wie Schlagen mit der Hand (von 78 % abgelehnt, ein Zuwachs bei der Ablehnung gegenüber 1977 von 51 %), heftige Ohrfeigen (Ablehnung stieg um 34 %), leichter Klaps (Ablehnung nahm um 30 % zu) deutlich weniger akzeptiert sind, als im Vergleichszeitraum 1977.
Allerdings zeigt dieselbe Studie auch, dass Gewalt, die die Befragten selbst erlebt haben, ein zum Teil gegenteiliges Ergebnis bringt: So haben 62 % der Befragten körperliche Züchtigung durch einen leichten Klaps selbst erlebt. Hier war insgesamt eine Zunahme um 14 % im Vergleich zu 1977 zu beobachten. Auch andere körperliche Züchtigungen, wie auf die Finger schlagen, Ohrenziehen, Haarreißen usw. nahmen ebenfalls zu (plus 5 %), ebenso Prügeln mit Gegenständen (plus 7 %). Besonders stark zugenommen haben die Erziehungsmittel ohne körperliche Einwirkung, längere Zeit nicht miteinander reden (plus 19 %), böse sein und tadeln (plus 25 %), schreien und ausschimpfen (plus 32 %). Schläge mit der Hand (minus 3 %), heftige Ohrfeigen (minus 1 %) nahmen leicht ab.
Aus diesem Ergebnis kann geschlossen werden, dass massive Gewalt in der Erziehung zwar weitläufig abgelehnt wird, aber immer noch passiert, dass leichtere Formen von Gewalt deutlich stärker abgelehnt werden als noch 1977, aber zum Teil sogar ansteigen. Das heißt, es gibt wohl ein verändertes Bewusstsein, die Umsetzung des Gewaltverbots gelingt jedoch nicht flächendeckend. Die Zahlen dieser Studie zeigen zudem auch, dass psychische Gewalt in der Erziehung ansteigt, ausgelöst etwa durch Überforderung oder mangelndes Bewusstsein über die Auswirkungen psychischer Gewalt.
Eine Studie der möwe Kinderschutzzentren von 20165 mit 1000 Befragten zeigt, dass zwar 95 % eine Tracht Prügel vom Vater eindeutig als Gewalt benennen, eine leichte Ohrfeige von lediglich 34 % als gewaltvolle Handlung eingestuft wird. Diese Studie verdeutlicht auch, dass verschiedene Formen psychischer Gewalt, wie z. B. tagelang als Strafe nicht mit dem Kind reden, nur von 26 % als Gewalt verstanden werden.

Wie wird die Einhaltung der Kinderrechte in jedem Staat kontrolliert? Österreich ist aktuell 2019 dran …

Ungefähr alle fünf Jahre wird von den Vereinten Nationen überprüft, was alles für Kinder und Jugendliche in Österreich nicht optimal läuft und verbessert werden sollte. Bei dieser Kinderrechtsprüfung machen sich die 18 Expertinnen und Experten des UN-Kinderrechtsausschusses ein Bild von der Situation in Österreich. Dies war nun 2019/2020 wieder soweit. Grundlage der aktuellen Kinderrechtsprüfung durch den UN-Kinderrechtsausschuss waren folgende Berichte: der Staatenbericht, der Ergänzende Bericht des Netzwerks Kinderrechte Österreich6, der Ergänzende Bericht der Kinder- und Jugendanwaltschaften, der Kinder- und Jugendbericht und zusätzlich ein Kurzfilm von Jugendlichen zu Chancengleichheit7.

Kinderrechtliche Problemfelder 2019: Gewalt, Armut und Asyl

Als Schwerpunkte haben die 44 Mitgliedsorganisationen des Netzwerks Kinderrechte Österreich im Prozess der Berichterstellung die drei Themenfelder Gewalt, Armut und Asyl- und Flüchtlingswesen definiert. Das Thema Kinderarmut zum Beispiel zeigt sehr offensichtlich und klar einen Widerspruch zur Sicht des Staates Österreich: Im Staatenbericht findet sich dazu ein einziger Satz: „213. Angesichts der problematischen Auswirkungen von Armut, ist es erfreulich, dass sich im Berichtszeitraum ein viel versprechender Trend zu einem kontinuierlichen Rückgang der Kinderarmut in Österreich feststellen lässt.“ Im Ergänzenden Bericht der Nichtregierungsorganisationen wird hingegen auf sieben Seiten (!) auf das Ausmaß von Kinderarmut in Österreich und vor allem auch auf erwartete negative Auswirkungen jüngster politischer Gesetzesvorhaben eingegangen.
Im Juni 2019 fand ein nichtöffentliches Hearing mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft (also des Netzwerks Kinderrechte, der Kinder- und Jugendanwaltschaften und mit Jugendlichen selbst) in Genf statt. Im Januar 2020 folgte ein öffentliches Hearing mit Vertreterinnen und Vertretern der Regierung in Genf. Abschluss der Kinderrechtsprüfung sind Empfehlungen des UN-Kinderrechtsausschusses an Österreich. Diese Empfehlungen des UNO-Kinderrechtsausschusses, die seit Februar 2020 nun vorliegen, können richtungsweisend sein. Sie können richtungsweisend sein, weil es keine Sanktionsmöglichkeiten gibt und es – wie auch in den vergangenen Jahrzehnten – vom politischen Willen in Österreich abhängt, ob konkrete Verbesserungen für Kinder und Jugendliche in unserem Land in Angriff genommen werden oder nicht.

„Kinder brauchen langfristige Politik mit Zielen, auf die man Schritt für Schritt hinarbeitet“

Renate Winter, erste und einzige Österreicherin im 18-köpfigen Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen seit 2013 sagte in einem Zeitungsinterview auf die Frage „Welchen Stellenwert haben Kinderrechte in Österreich?“: „Einen relativ geringen, weil alle davon überzeugt sind, dass sowieso alles in Ordnung ist. Alle Politiker sagen: ‚Kinder sind die Zukunft.‘ Aber ich frage mich: ‚Was ist mit den Kindern in der Gegenwart?‘ Ich habe überall auf der Welt gesehen, dass Politiker nicht an Kindern interessiert sind, weil sie keine Stimme bei Wahlen haben. Und an Kindern, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen, oder Flüchtlingskindern, haben sie schon gar kein Interesse. Kinder brauchen langfristige Politik mit Zielen, auf die man Schritt für Schritt hinarbeitet.“

Resolution zur Unterstützung der Rechte von Kindern, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen können

Ein solches „Ziel, auf das man Schritt für Schritt hinarbeitet“, ist die Unterstützung der Rechte von Kindern, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen können. Anlässlich des 30-Jahr-Jubiläums der UN-Kinderrechtskonvention hat die UN-Generalversammlung im Herbst 2019 dazu eine Resolution verabschiedet. Die Europäische Union koordinierte stellvertretend für die UN-Mitgliedsstaaten die Formulierung der Resolution. SOS-Kinderdorf International vertrat als Nichtregierungsorganisation die Anliegen der betroffenen Kinder in den Verhandlungen über den Resolutionstext. Die Resolution sollte es in den kommenden Jahren erleichtern, Regierungen davon zu überzeugen, entsprechende Maßnahmen zu setzen, dass Kinder ohne elterliche Betreuung besonderen Schutz und Unterstützung brauchen. Die nötigen Maßnahmen können je nach Land von der Sicherstellung der Grundversorgung, über die Definition, Finanzierung und Überprüfung von Mindeststandards in Betreuungsqualität bis zur Starthilfe im Berufsleben reichen.

„Kinder sollen in einer Familie umgeben von Glück, Liebe und Verständnis aufwachsen“

In der Präambel der Kinderrechtskonvention wird die zentrale Rolle der Eltern und der Familie betont. So soll der Familie als Grundeinheit der Gesellschaft und natürliche Umgebung für das Wachsen und Gedeihen all ihrer Mitglieder, insbesondere der Kinder, der erforderliche Schutz und Beistand gewährt werden. Und Kinder sollen „zur vollen und harmonischen Entfaltung ihrer Persönlichkeit in einer Familie und umgeben von Glück, Liebe und Verständnis aufwachsen“. Die Familie wird also als beste Umgebung für die Entwicklung des Kindes bezeichnet. Die Kinderrechtskonvention schränkt die Rolle der Eltern nicht ein. Sie streicht aber auch hervor, wie wichtig es ist, dass die Eltern die Meinung ihrer Kinder ernst nehmen und sie bei Entscheidungen einbeziehen.

Das Recht auf die eigene Meinung

Infobox 1 Artikel 12 UN-Kinderrechtskonvention
Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.
Das Recht auf Beteiligung ist vielleicht das Kinder- und Jugendrecht, wo sich bei uns in Österreich in den vergangenen Jahren die meiste Bewegung zeigt. In Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe kommt es immer mehr an, in der Schule, selbst in der Politik: Österreich war 2007 mit Einführung der Wahlaltersenkung zum Beispiel das einzige Land Europas, in dem junge Menschen schon mit 16 Jahren wählen dürfen. Seit 2018 ist nun auch Malta hinzugekommen.
In einem Folder von SOS Kinderdorf Österreich (eine der 44 Mitgliedsorganisationen des Netzwerks Kinderrechte – wie aus dem Gesundheitsbereich zum Beispiel auch die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit) – finden sich folgende Anregungen zur eigenen Haltung gegenüber Kindern und Jugendlichen:
1.
Reden Sie mit Ihren Kindern! Viel öfter und gleich jetzt!
 
2.
Fragen Sie Kinder und Jugendliche konkret nach ihren Wünschen und Vorstellungen! Hören Sie zu! Finden Sie gemeinsam Lösungen!
 
3.
Erwachsene wissen nicht immer im Vorhinein, was das Beste für Kinder und Jugendliche ist. Zuhören, nachdenken, unterstützen und nicht bevormunden – das ist kein leichtes Unterfangen und kennt selten eine einzige Lösung.
 
4.
Erinnern Sie sich, wie es war, als Sie selbst ein Kind waren:
Wann haben Sie sich groß und stark gefühlt?
Was hat Sie zum Weinen gebracht?
Wenn Sie sich immer wieder in junge Menschen hineindenken, wird das Zusammenleben für Sie alle gelassener werden.
 
5.
Trauen Sie Kindern und Jugendlichen Entscheidungen zu!
Nehmen Sie Kinder und Jugendliche ernst!
 
6.
Vergessen Sie trotz allem nicht Ihre Verantwortung!
Sie haben als Erwachsene für das Wohl der Kinder und der Jugendlichen zu sorgen! Beteiligung heißt nicht, dass Kinder und Jugendliche allein alle Entscheidungen treffen. Sagen Sie ehrlich und klar, wo Sie Grenzen setzen und warum Ihnen das wichtig ist! Bleiben Sie aber auch offen für die Argumente der jungen Menschen!
 

Buch Ärztliche Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen8

In dem Buch Ärztliche Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen heißt es „Richtig kommunizieren kann gelernt werden!“: „Hierzulande ist es meistens ist so, dass vor allem bei Buben und Mädchen im Kindergartenalter über das Kind gesprochen wird, sei es mit den Eltern, Großeltern oder Kollegen. Das kranke Kind, das ebenso unter Ängsten und Unsicherheit wie erwachsene Patienten leidet, steht im Abseits. Zum einen deswegen, weil viele Ärztinnen und Ärzte nicht wissen, wie man mit einem Kind adäquat spricht – vorrangig deshalb, weil es an den Universitäten noch nicht gelehrt wird. Eine gute Arzt-Kind-Kommunikation bedarf einiger ‚Fertigkeiten‘ – wie zum Beispiel dem Kind in die Augen schauen, sich vorstellen, nach dem Namen fragen, sowie kontinuierliches Beschreiben der Untersuchungs- und Behandlungsvorgänge und insgesamt einer Haltung, die die Heranwachsenden als Gegenüber ernst nimmt.“

Den Kinderrechten Leben einhauchen, das können wir alle!

Die wichtigste Voraussetzung von Beteiligung ist, dass Erwachsene Kindern zutrauen, bei Entscheidungen mitzureden. Den Kinderrechten Leben einhauchen, das können wir nämlich alle, in unseren Familien und in unserer Arbeit mit Kindern. Kinderrechte leben heißt, junge Menschen ernstnehmen, ihnen zuhören und sie mitbestimmen lassen. Die eigene Omi, Jahrgang 1916, hatte in ihrem 90-jährigen Leben wohl nie den Begriff der Kinderrechte gehört, lebte die Kinderrechte aber wie keine andere. Das anfangs zitierte Buch „Das kleine ICH BIN ICH“ von Mira Lobe war ein Geschenk von ihr, die Widmung auf der ersten Seite erinnert daran: „Unserer lieben Elisabeth zum Geburtstag! Von Omi und Opi. 25. Jänner 1978“. Mit solchen Menschen, mit solchen Geschichten, mit solchen Erfahrungen werden Kinder starke Kinder, die wissen, was sie brauchen, was sein darf und was nicht. Und wer das nicht weiß, ist dumm. Bumm. Sagt der Laubfrosch.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

E. Schaffelhofer-Garcia Marquez gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Fußnoten
1
Lobe Mira: Das kleine ICH BIN ICH (Illustriert von Susi Weigel), Verlag Jungbrunnen Wien 1972 ISBN 3‑7026-4850‑3.
 
3
Aus ERGÄNZENDER BERICHT zum 5. und 6. Bericht der Republik Österreich an die Vereinten Nationen, Netzwerk Kinderrechte Österreich – National Coalition zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Österreich, 2019, www.​kinderhabenrecht​e.​at.
 
4
Vgl. dazu DAS RECHT AUF EINE GEWALTFREIE KINDHEIT 25 Jahre gesetzliches Gewaltverbot – eine Zwischenbilanz, https://​www.​frauen-familienjugend.
bka.gv.at/dam/jcr:cf6bc384-8306-46 f5-a6c0-724de34f924d/Gewaltfr%20Kindheit.pdf.
 
5
Vgl. dazu Studie Einstellung zu Gewalt und Missbrauch, die möwe Kinderschutzzentren, https://​www.​die-moewe.​at/​de/​projekt/​studie-einstellungzu-gewalt-und-missbrauch.
 
6
Das Netzwerk Kinderrechte Österreich ist ein Zusammenschluss von aktuell 44 Organisationen, die sich alle für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Österreich einsetzen: www.​kinderhabenrecht​e.​at.
 
7
Alle Berichte sind zu finden auf www.​kinderhabenrecht​e.​at. Der Kurzfilm kann hier angesehen werden: https://​www.​youtube.​com/​watch?​v=​UnfxAHuQd_​U.
 
8
„Ärztliche Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen“ (Medizin, Band 17) Taschenbuch, von Lilly Damm, Ulrike Leiss, Wolfgang Habeler, Ulrike Habeler (Herausgeber).
 
Metadaten
Titel
30 Jahre Kinderrechte
„Unseren Kindern geht’s doch eh gut in Österreich. Wozu brauchen wir noch Kinderrechte?“
verfasst von
Mag. Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez
Publikationsdatum
01.09.2020
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Pädiatrie & Pädologie / Ausgabe Sonderheft 2/2020
Print ISSN: 0030-9338
Elektronische ISSN: 1613-7558
DOI
https://doi.org/10.1007/s00608-020-00783-4

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