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Erschienen in: Journal für Urologie und Urogynäkologie/Österreich 2/2022

Open Access 01.06.2022 | Originalien

Update männliche Harnröhrenrekonstruktion

verfasst von: Dr. med. univ. Klara Konstanze Pohl, Univ.-Prof. Dr. med. Sascha Ahyai

Erschienen in: Journal für Urologie und Urogynäkologie/Österreich | Ausgabe 2/2022

Zusammenfassung

Die Harnröhrenstriktur des Mannes ist eine pathologische Verengung der anterioren Harnröhre und ein häufiges urologisches Krankheitsbild. Sie ist in der westlichen Welt meist iatrogen oder idiopathisch bedingt. Betroffene Patienten geben in der Regel eine bedeutende Einschränkung der Lebensqualität an, welche mittels validierter Fragebögen prä- und postoperativ erhoben werden möchte. Die chirurgische Therapie wird abhängig von Ätiologie, Strikturlokalisation, -länge und -beschaffenheit, Voroperationen sowie individuellen Patientenwünschen gewählt. Die Therapiemöglichkeiten sind vielseitig, teils komplex und sollten allesamt von den behandelnden plastisch-rekonstruktiven ChirurgInnen beherrscht und an spezialisierten Zentren durchgeführt werden. Zu den endourologischen Therapiemöglichkeiten gehören die Harnröhrenbougierung und die Sichturethrotomie. Diese kommen grundsätzlich für einzelne, kurzstreckige primäre bulbäre Harnröhrenstrikturen oder segelförmige Strikturen ohne Spongiofibrose in Frage. Langstreckige, multilokuläre, komplexe, rezidivierende oder penile Harnröhrenstrikturen sollten bei gegebenem gutem Allgemeinzustand des Patienten einer offenen Harnröhrenrekonstruktion unterzogen werden. Zu den offen-chirurgischen Therapien gehören die End-zu-End-Anastomose, die Substitutionsharnröhrenplastik mit einem (Mundschleimhaut‑)Gewebstransplantat und die Rekonstruktion mittels Spalthauttransplantation (Meshgraft) oder als gestielte Lappenplastik. Eine perineale Urethrostomie (Boutonniere) ist eine Alternative für Patienten mit komplexen, vorwiegend penilen Harnröhrenstrikturen und insbesondere für Patienten geeignet, die sich keiner (weiteren) offenen Harnröhrenrekonstruktion unterziehen möchten oder können.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Die Harnröhrenstriktur des Mannes stellt ein urologisches Krankheitsbild dar, welches eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität verursachen und im Falle verzögerter Diagnosestellung und Therapie langfristige Schädigungen des gesamten Urogenitaltraktes nach sich ziehen kann [1, 2]. Harnröhrenstrikturen können Patienten jeder Altersklasse betreffen. Die Inzidenz ist in der Literatur mit 0,6 % beschrieben [3, 4], steigt mit zunehmendem Alter deutlich an und zeigt in industrialisierten Ländern einen starken Anstieg ab einem Alter von 55 Jahren [5, 6], was wiederum gesundheitsökonomisch eine bedeutende Rolle spielt. Alwaal et al. zeigten, dass die Anzahl der ambulanten Krankenhausbesuche aufgrund einer Harnröhrenstriktur der Hälfte jener entspricht, welche durch Urolithiasispatienten zustande kommt [7]. Die Diagnose einer Harnröhrenstriktur führte laut Santucci et al. in den USA im Jahr 2002 zu einer Erhöhung der Kostenbelastung des Gesundheitssystems von 6000 US-Dollar pro Person [5]. Behandelnde FachärztInnen sind dementsprechend gefragt, aus den vielfältigen aus einer Harnröhrenstriktur möglichen resultierenden Beschwerden zum richtigen Zeitpunkt die richtige Diagnostik und Therapie zu veranlassen. Dieser Übersichtsartikel möchte genau dabei unterstützen und bezieht sich auf die anteriore männliche Harnröhre (Meatus urethrae externus, Fossa navicularis, penile und bulbäre Harnröhre). Stenosen der posterioren männlichen Harnröhre (membranöse, prostatische Harnröhre und Blasenhals) werden therapeutisch gesondert behandelt und an dieser Stelle nicht erörtert.

Definition, Ätiologie, Pathogenese

Die Harnröhrenstriktur bezeichnet eine pathologische Verengung der anterioren Harnröhre in einem Bereich, welcher umgeben ist vom Corpus spongiosum, dem Harnröhrenschwellkörper, und welche mit einem Gewebsumbau im Sinne einer Spongiofibrose einhergeht [8].
Die Ätiologie (Tab. 1) kann maßgebend für die Therapieplanung sowie deren langfristigen Erfolg sein und möchte nach Möglichkeit abgeklärt sein [8]. Die Ursache von Harnröhrenstrikturen unterliegt geografischen sowie altersbezogenen Unterschieden und hat in den Industrienationen zu großen Teilen eine idiopathische oder iatrogene Genese. Insbesondere bei Patienten mit Strikturen im Bereich der bulbären Harnröhre und bei Patienten jünger als 45 Jahre bleibt die Ursache in vielen Fällen ungeklärt [810]. Iatrogene Verletzungen sind die mithäufigsten Ursachen in den Industrienationen (32–79 %) und werden meist durch Katheterisierung, transurethrale diagnostische und operative Eingriffe sowie Brachytherapien verursacht [10]. Dies erklärt den deutlichen Anstieg der Inzidenz ab der 5. Lebensdekade und impliziert einen vorsichtigen Umgang mit Indikationen und Manipulationen an der männlichen Harnröhre. Der Lichen sclerosus macht rund 13 % der inflammatorisch bedingten Harnröhrenstrikturen aus und ist für 50 % der panurethralen Strikturen verantwortlich [9].
Tab. 1
Ätiologie anteriorer Urethrastrikturen [11]
 
Ursache
Inzidenz (%)
Penile Harnröhre
Idiopathisch
15
Iatrogen
40
Inflammatorisch
40
Traumatisch
5
Bulbäre Harnröhre
Idiopathisch
40
Iatrogen
35
Inflammatorisch
10
Traumatisch
15
Histopathologisch kommt es durch traumatische, chemische oder infektiöse Einflüsse zu einem Umbau des Urothels zu Plattenepithel. Dieses ist den lokalen Verhältnissen gegenüber labiler und neigt unter Miktionsdruck dazu, einzureißen. Die konsekutive Urinextravasation in das umliegende subepitheliale Gewebe und die dadurch verursachte Entzündungsreaktion führen zu einer Fibrosierung und Plaquebildung des Corpus spongiosum. Tritt der Gewebsumbau zirkulär auf, kommt es zur Strikturbildung [2, 11].

Diagnostik

Eine ausführliche Anamneseerhebung will neben allgemeinen urologischen Symptomen auch die Fragen nach Schmerzen im Urogenitalbereich, stattgehabten Traumata, transurethralen Interventionen, Voroperationen, Strahlentherapien und lokalen Entzündungen beantworten. Harnröhrenstrikturen sind typischerweise mit folgenden Symptomen vergesellschaftet: „lower urinary tract symptoms“ (LUTS, 54,3 %), akute Harnverhalte (22,3 %), Harnwegsinfekte (6,1 %) und schwierige Katheterisierungen (4,8 %) [12]. Seltener werden sie mit schwerwiegenden Komplikationen wie Harnröhrenabszessen und nekrotisierender Fasziitis (2,3 %) oder Nierenversagen (1,3 %) in Verbindung gebracht [1].
Die Objektivierung der Symptome und Einschränkung der Lebensqualität möchten mittels standardisierter Fragebögen („patient reported outcome measure“ [PROM]) erhoben werden. Ebenso wird die Erhebung der Sexualfunktion vor Planung eines chirurgischen Eingriffes laut Leitlinie der European Association of Urology (EAU) dringlich empfohlen, da diese sowohl durch das Krankheitsbild selbst, als auch im Rahmen postoperativer Nebenwirkungen beeinträchtigt sein kann [12].
Die körperliche Untersuchung bedeutet die Exploration und Palpation des äußeren Genitales (Vorhaut, Lokalisation und Beschaffenheit des Meatus, Fisteln, Vernarbungen, Lichen sclerosus). Die Uroflowmetrie kann als einfache und kostengünstige Untersuchungsmethode zur Objektivierung einer Harnblasenentleerungsstörung eingesetzt werden und ist insbesondere als Verlaufskontrolle und zur Erkennung von Rezidiven nach Operationen hilfreich [2, 13]. Die retrograde Urethrographie (RUG) in Kombination mit einer Miktionszystourethrographie (MZU) sind in der klinischen Routine das diagnostische Mittel der Wahl, um Lokalisation, Länge und Ausmaß der Striktur abschätzen zu können (Abb. 1). Eine suffiziente präoperative Evaluation ist überwiegend durch die Kombination dieser beiden Urethrographien (kombiniertes RUG/MZU) möglich. Eine Urethrozystoskopie (retrograd/antegrad) ist fakultativ und nur begrenzt aussagekräftig, da die Striktur meist nicht atraumatisch überwindbar ist und somit die Harnröhre nur bis zur Striktur gespiegelt und eingesehen werden kann. Der dynamische Ultraschall der Harnröhre konnte sich in der klinischen Routine bisher nicht etablieren, obwohl hier Lokalisation und Länge und v. a. das Ausmaß der Spongiofibrose besser bestimmt werden können [14].

Operative Therapie

Die operativen Therapiemöglichkeiten möchten nach ausführlich durchgeführter Diagnostik, wobei v. a. die Lokalisation, die Länge und das Ausmaß der Vernarbung (Spongiofibrose) der Harnröhrenstriktur entscheidend sind, ausführlich besprochen werden. Individuelle Patientencharakteristika und -erwartungen können zusätzlich einen entscheidenden Einfluss auf die Art der Harnröhrenrekonstruktion nehmen. Die abschließende Evaluation der Striktur erfolgt intraoperativ und erfordert von plastisch-rekonstruktiv tätigen HarnröhrenchirurgInnen das Beherrschen unterschiedlicher OP-Techniken, um flexibel und adäquat auf die lokalen Begebenheiten reagieren zu können. Es liegt auf der Hand, dass der operative Erfolg dieser Techniken mit dem operativen Harnröhrenchirurgievolumen der behandelnden UrologInnen korreliert [15]. Somit ist eine Bündelung von Harnröhrenrekonstruktionen in Zentren gleichermaßen sinnvoll und wünschenswert wie bei großen onkologischen Operationen.

Endourologische Therapie

Für primäre, singuläre und kurzstreckige (max. 1–2 cm) bulbäre Harnröhrenstrikturen, idealerweise segelförmige Strikturen ohne Spongiofibrose, werden entsprechend der EAU-Leitlinien die Harnröhrenbougierung und die Sichturethrotomie als endourologische Verfahren der Wahl empfohlen [16]. Beide Eingriffe erzielen vergleichbare Erfolgsraten [17], zeigen aber in der Literatur frühe und hohe Rezidivraten sowie drastisch sinkende Erfolgsraten ab einem Follow-up-Zeitraum von über 12 Monaten [4, 18, 19]. Die Harnröhrenbougierung und -schlitzung können dementsprechend initial als Therapieversuch angeboten werden, sollten jedoch insbesondere bei einem frühen Rezidiv nicht erneut durchgeführt werden. Mit anderen Worten ist jede zweite Schlitzung oder Bougierung schon zu viel. Risikofaktoren für ein Strikturrezidiv sind insbesondre das Ausmaß der präoperativen Harnflusseinschränkung, die zunehmende Strikturlänge, die nichtidiopathische Striktur und ein Diabetes mellitus [20]. Bei sehr kurzstreckigen Strikturrezidiven nach stattgehabter offener Harnröhrenrekonstruktion kann eine Sichturethrotomie in Einzelfällen eine Therapiemöglichkeit sein [16], wobei 15 Monate nach dem Eingriff eine Erfolgsrate von lediglich 60 % beobachtet werden konnte [21]. Bessere Langzeiterfolgsraten von 68,8–91,2 % konnten hingegen mit einem wiederholten offen-rekonstruktiven Eingriff erreicht werden [2224].
Bei Patienten in einem ausreichenden Allgemeinzustand, mit penilen oder langstreckigen, komplexen oder rezidivierenden Strikturen mit deutlicher Spongiofibrose der anterioren Harnröhre ist (primär) die zeitnahe offene Rekonstruktion indiziert.

Offen-chirurgische Therapie

Bulbäre Harnröhrenstrikturen

End-zu-End-Anastomose.
Die primäre Strikturresektion mit spannungsfreier End-zu-End-Anastomosierung ist das Therapieverfahren der Wahl bei kurzstreckigen bulbären Harnröhrenstrikturen < 2 cm [25, 26]. Hierbei werden in der Literatur sehr hohe Erfolgsraten von > 90 % beschrieben [25, 2729]. In Ausnahmefällen bzw. bei speziell selektionierten Patienten können auch langstreckige Strikturen von bis zu 5 cm [30] auf diese Weise therapiert werden, jedoch gehen diese mit einem erhöhten Risiko für postoperative sexuelle Empfindungsstörungen, Erektionsbeeinträchtigungen, Gliedverkürzung und -verkrümmung einher [31]. Aufgrund dieser Komplikationen wird eine „excision and primary anastomosis“, wie die klassische End-zu-End-Anastomose im englischen Sprachraum bezeichnet wird, nicht im Bereich der penilen Harnröhre angewandt. Die Exzision der Narbe bedeutet eine komplette Durchtrennung der Harnröhre samt Corpus spongiosum. Bei sehr kurzen bulbären Strikturen mit wenig ausgeprägter Spongiofibrose des Harnröhrenschwellkörpers wird zunehmend die „non-transecting“ Technik angewendet (Abb. 2). Analog zur tradierten Heinke-Mikulicz-Technik der Pylorusstenose wird dabei die mobilisierte bulbäre Harnröhre dorsal längs inzidiert und quer vernäht. Dadurch kann im Vergleich zur „transecting“ End-zu-End-Anastomose die erektile De-novo-Dysfunktion signifikant reduziert werden (4,3 % vs. 14,3 %, [28]).
Substitutionsharnröhrenplastik.
Scheint primär aufgrund der Länge der Striktur eine spannungsfreie End-zu-End-Anastomose bulbär nicht möglich, muss auf eine Substitutionsharnröhrenplastik gewechselt werden. Im klinischen Alltag wird heute die deutliche Mehrheit der bulbären Strikturen (> 90 %) mit einem autologen Mundschleimhauttransplantat einer durchschnittlichen Länge von 3–5 cm aus der Wangeninnenseite oder Zungenunterseite versorgt [32]. Die Mundschleimhaut hat den Vorteil, dass ihre Entnahmestelle verborgen ist und fast jeder Patient sofort und meist ausreichend darüber verfügt. Sie ist leicht entnehm- und handhabbar, elastisch, haarlos und schrumpft nur geringgradig. Außerdem ist sie in feuchter sowie trockener Umgebung beständig, zeigt eine gute Transplantatannahme und neigt bei Urinkontakt, im Vergleich zu normaler Haut, weniger zu Entzündungen [33, 34]. Die Entnahme von Mundschleimhaut ist gut verträglich und zeigt eine sehr hohe Patientenzufriedenheit (98 %; [35]). Die häufigste Spätkomplikation ist ein Taubheitsgefühl in der ersten postoperativen Woche (73,4 %) bzw. nach 3 Monaten (3,77 %; [35]). Bei der Entnahme von der Wangeninnenseite macht es in Bezug auf Schmerzen und Morbidität keinen Unterschied, ob die Entnahmestelle offen verbleibt oder verschlossen wird [36].
Es besteht kein signifikanter Unterschied der Erfolgsraten der bulbären Mundschleimhautsubstitutionsharnröhrenplastiken zwischen dorsalem und ventralem Onlay (Abb. 3; [37]). Die Entscheidung, welche Technik gewählt wird, hängt somit in der Regel von der chirurgischen Schule des Operateurs ab, wobei das ventrale Onlay von der Zugänglichkeit der Harnröhre sehr wahrscheinlich leichter erlernbar ist. Eine Kombination aus End-zu-End-Anastomose und Substitutionsurethroplastik ist in Form der sog. augmentierten End-zu-End-Anastomose möglich und in Einzelfällen sinnvoll. Die Striktur wird hierbei exzidiert, die beiden Enden der Harnröhre werden dorsal anastomosiert und das Urethralumen ventral durch ein rautenförmiges Augmentationstransplantat verschlossen [38]. Auch bei Z. n. Bestrahlung bzw. radiogenen bulbären Harnröhrenstrikturen erzielt eine Mundschleimhautsubstitutionsharnröhrenplastik akzeptable Behandlungserfolge [39].

Penile Harnröhrenstrikturen

Die penile Harnröhre weist ventral deutlich weniger Corpus spongiosum auf als die bulbäre Harnröhre. Durch eine dorsale Platzierung der Mundschleimhaut kann diese durch die ebenfalls dorsal gelegenen Corpora cavernosa besser gestützt werden. Dieses sog. dorsale Inlay platziert der Chirurg entweder durch die Technik nach Asopa oder Barbagli. Bei der Asopa-Technik wird die strikturierte penile Harnröhre 2‑mal inzidiert – erst ventral und dann dorsal (Abb. 4).
Bei der (modifizierten) Barbagli-Technik wird die penile Harnröhre soweit mobilisiert, dass sie rotiert werden kann und nach einer dorsalen Längsinzision das Einnähen der Mundschleimhaut fortlaufend möglich ist. Alternativ zur frei transplantierten Mundschleimhaut können, mit ähnlichen Erfolgsraten, jedoch höherer Morbidität, auch gestielte Flaps von der unbehaarten Penisschafthaut (z. B. der sog. Orandi-Lappen [„Orandi flap“], Abb. 5) zur penilen Harnröhrenrekonstruktion verwendet werden. Hier kommt der „flap“ ventral zu liegen. Einige rekonstruktive Chirurgen nähen analog zum „flap“ auch im penilen Bereich die Mundschleimhaut ventral ein.
Wenn die Entnahme von Mundschleimhaut nicht ausreichend ist oder von zu hoher Morbidität begleitet wäre – v. a. bei panurethralen Strikturen –, können alternativ Spalthauttransplantate (Meshgrafts) verwendet werden. Die Gewinnung ist unkompliziert und hat nur geringe Komplikationsraten. Die Haut wird mithilfe eines Dermatoms oberhalb der Schicht der Haarfollikel gewonnen, was ein haarloses Transplantat garantiert [40]. Nach der Transplantatgewinnung wird dieses maschinell aufbereitet und mit Stichinzisionen versehen („meshed“). Dies führt zu einer Oberflächenvergrößerung einerseits und fördert postoperativ die Ableitung des Wundsekrets [41]. Bei der Harnröhrenrekonstruktion mit Verwendung von Spalthauttransplantaten handelt es sich stets um zweizeitige Verfahren. Die erste Sitzung dient der Verpflanzung des Transplantats. Nach Einheilung der Spalthaut wird in der zweiten Sitzung, welche in der Regel frühestens 3 Monate nach dem Ersteingriff stattfindet, die Neourethra über einem Katheter geformt und das äußere Genitale rekonstruiert.

Komplexe Fälle

Bei besonders komplexen Befunden und geschädigtem lokalem Gewebe sind zweizeitige Rekonstruktionsverfahren das Mittel der Wahl und den einzeitigen Verfahren überlegen (Erfolgsrate 90,5 % vs. 75,7 %; [37]). Als komplexe Fälle gelten typischerweise Patienten mit fehlgeschlagener Voroperation, Hypo- und Epispadien, Befunde mit Fisteln, massiver Vernarbung oder Spongiofibrose sowie Lichen sclerosus [42]. In solchen Fällen kann nach Exzision des ungesunden Gewebes ein geeignetes Widerlager rekonstruiert werden. Auf diesem wird anschließend das (Mundschleimhaut‑)Transplantat angebracht und eingenäht. Lichen-sclerosus-Patienten werden wiederum etwas gesondert behandelt. Bei ihnen ist die Verwendung von genitaler Haut zur Rekonstruktion in der Regel obsolet.
Alternativ kann bei komplexen Harnröhrenstrikturen, v. a. wenn die proximale bulbäre Harnröhre noch intakt ist, statt einer aufwendigen Rekonstruktion der penobulbären Harnröhre dem Patienten auch die Anlage einer perinealen Urethrostomie bzw. Perineostomie (von franz. „boutonnière“: Knopfloch) angeboten werden. Sie kann vorübergehend angelegt werden oder als dauerhafte Therapiemöglichkeit erfolgen. Letztere ist bei Patienten indiziert, deren Harnröhrendurchgängigkeit chirurgisch nicht mehr anders wiederherstellbar ist, oder bei Patienten, welche sich aufgrund ihrer Komorbiditäten, Vorgeschichte oder persönlichen Vorstellungen keiner (weiteren) rekonstruktiven Operation unterziehen möchten [16]. Barbagli et al. konnten zeigen, dass 97,1 % der Patienten zufrieden oder gar sehr zufrieden mit dem Operationsergebnis waren und sich ein ebenso hoher Prozentsatz erneut dem Eingriff unterziehen lassen würde. Erstaunlicherweise waren diese Ergebnisse altersunabhängig [43].

Fazit für die Praxis

  • Die ausführliche Anamneseerhebung kann durch standardisierte Fragebögen zu Symptomatik und Lebensqualität ergänzt werden.
  • Die Bildgebung mittels retrograder Urethrographie und Miktionszystourethrogramm sollte vor jedem Eingriff zur Behandlung einer Harnröhrenstriktur erfolgen.
  • Idealerweise werden Manipulationen an der Harnröhre (Bougierung, transurethrale Katheterisierung…) 3 Monate vor Durchführung einer bildgebenden Diagnostik und/oder Operation unterlassen.
  • Wiederholte Urethrotomien führen zu mehr Schaden als Nutzen.
  • Die Betreuung in spezialisierten Zentren durch versierte ChirurgInnen, die aufgrund der hohen Operationsvolumina alle operativen Verfahren beherrschen, ist sinnvoll.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

K. K. Pohl und S. Ahyai geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
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Metadaten
Titel
Update männliche Harnröhrenrekonstruktion
verfasst von
Dr. med. univ. Klara Konstanze Pohl
Univ.-Prof. Dr. med. Sascha Ahyai
Publikationsdatum
01.06.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Urologie und Urogynäkologie/Österreich / Ausgabe 2/2022
Print ISSN: 1023-6090
Elektronische ISSN: 1680-9424
DOI
https://doi.org/10.1007/s41972-022-00166-w

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