Skip to main content
Ärzte Woche

11.02.2021 | Tekal

Sind wir schon da?

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Pandemie-Management zwischen Hiobsbotschaften und Salamitaktik.

Man kennt das beliebte Spiel auf Reisen, wenn im dauernden Stakkato: „Sind wir schon da? Ich muss aufs Klo! Ich habe Durst! Mir ist fad!“ durch das Auto tönt. Aber nicht immer sind es die Lebenspartner, die ungeduldig vom Beifahrersitz maulen. Vor allem die Kinder auf der Rückbank fordern Klarheit, wohin die Reise geht und vor allem, wann sie endet. Auch in der aktuellen Pandemie wähnen sich viele im Fond eines Fahrzeuges, ausgeliefert den vagen Angaben der mutmaßlich ortskundigen Erwachsenen.

Die Salamitaktik ist bei Erziehungsberechtigten beliebt: „Nur noch eine Kurve, dann sieht man schon das Meer“ ist angesichts der Tatsache, dass man noch auf der Wiener Südost-Tangente im Stau steht zwar eine gewagte Aussage. Man setzt hier jedoch auf ein rasches Einschlafen des Nachwuchses und eine retrograde Amnesie am Zielort.

Eine derartige Taktik wird auch seitens der politischen Entscheidungsträger in der Pandemie versucht, um im Wochenabstand das Licht am Ende des Tunnels zu verkünden, wo die Masken fallen und das Bier aus den Zapfhähnen der Wirtsstuben fließt. In Erwartung dieser Ereignisse ist man auch gewillt, noch ein klein wenig auszuharren. Doch nach dem gefühlten 24. Lockdown, wo das Herunterfahren von Dingen beschlossen wird, von denen man eigentlich angenommen hat, dass sie bereits an ihrem Tiefpunkt angekommen sind, entbrennt nun die Diskussion über die Redlichkeit einer solchen Vorgehensweise.

Zusehens beschweren sich Oppositionsparteien und Bürger darüber, hingehalten zu werden. Man brauche schließlich Planungssicherheit und müsse wissen, wann man da sei, aufs Klo gehen könne oder etwas zu trinken bekomme. Diese Forderungen basieren allerdings auf der irrigen Annahme, dass der Fahrer tatsächlich auch eine Ahnung von der Route hat. Da bei dieser Pandemie jedoch selbst die Erleuchtetsten im Dunklen tappen, wird die Sache schwierig.

Die Vorgehensweise ist nachvollziehbar: Kleine überschaubare Schritte sind laut Motivationspsychologie leichter zu bewerkstelligen. Ein Berg an Aufgaben kann so überfordernd wirken, dass man bereits beim Anblick in eine tiefe Winterstarre verfällt. Ein kleines Häufchen lässt sich hingegen rasch entsorgen, wie urbane Hundebesitzer wissen. Und eine Milliarde Mal Häufchen wegschaufeln, ergibt auch schon einen kleinen Mount Everest. Natürlich könnte man den verunsicherten Menschen sagen: Nur mehr 1.000-mal schlafen, dann ist die Pandemie überstanden. Das wäre der Berg. Man kann auch jedes Monat auf die bevorstehende Mega-Sause verweisen und diese wie die sprichwörtliche Karotte vor die Nase halten. Das wäre das Häufchen.

Zurzeit kocht der Volkszorn ob der leeren Versprechungen. Wenn wir uns künftig weder als allwissende Reiseleiter noch als unwissende Kinder auf der Rückbank verstehen, lässt sich die Situation im Auto aber vielleicht etwas besser ertragen.

print
DRUCKEN
Metadaten
Titel
Sind wir schon da?
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
11.02.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 6/2021

Weitere Artikel der Ausgabe 6/2021

Redaktionstipp

Das Coron-A-Team