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Ärzte Woche

09.02.2021

Wiener Kaffeehauskultur

Salon und Mauschelecke

verfasst von: Martin Krenek-Burger

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Stundenlang an seinem Verlängerten nippen und plaudern oder still und heimlich andere Gäste beobachten. Einen geselligeren und einsameren Ort als ein Café hat die Wienerstadt nicht zu bieten. Verlegerlegende Christian Brandstätter blickt in seinem neuen Buch weit zurück und ein bissl nach vorn.

„Du bist keine Stadt, eigentlich bist du ein Museum. Dein Ruf, er eilt dir nach und nicht voraus“, spottet das Duo Wiener Blond in dem Lied „Der letzte Kaiser“. In diesem Song wird so ziemlich alles durch den Kakao gezogen, was dem Hauptstädter heilig ist. Alles? Nein, das Café bleibt vom Spott der jungen Künstler verschont. Ich kann mir schon denken, wieso.

Kreative sind ein Teil des Publikums der Wiener Cafés. Seit jeher lassen sich bestimmte Berufsgruppen einzelnen Cafés zuordnen, in Alt-Wien war das ausgeprägter als heute: Im Café Sperl in der Gumpendorfer Straße verkehrte eine Mischung aus Künstlern, vor allem Maler und Militärs, die an der nahe gelegenen k. u. k. Kriegsschule als Generalstabsoffiziere ausgebildet wurden. Journalisten gingen mit Vorliebe ins ehemalige Café Rebhuhn in der Goldschmiedgasse, das noch aus mariatheresianischer Zeit stammte. Im Café Museum nahe von Künstlerhaus und Secession waren hauptsächlich bildende Künstler anzutreffen, aber in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg auch die Schriftsteller Franz Werfel und Elias Canetti. Das Ringstraßencafé Landtmann wird bis heute mit Vorliebe von den Professoren der nahen Universität besucht. Das Café Parsifal in der Walfischgasse unweit der Oper frequentieren ab den 1880er-Jahren in erster Linie Wagnerianer, Sänger und Musiker, aber auch eine Stammtischrunde von Freunden des fast mittellosen Robert Musil.

Mit Liebe zum Detail verwöhnt Verleger und Autor Christian Brandstätter die Leser seines jüngsten Werks „Das Wiener Kaffeehaus“. Das Alt-Wiener Café war ein Spiegel der Stadt selbst: „Die eine Gruppe hat wie in vielen anderen Cafés nicht das Geringste mit der anderen zu tun, man kennt einander kaum, obwohl man sich fast täglich sieht.“

Erlauben Sie mir eine persönliche Anmerkung: Vor einigen Jahren traf ich im Café Korb die streitbare Biochemikerin Renée Schroeder. Die RNA-Forscherin hatte gerade, u. a. aus Protest gegen den hohen Anteil von Cartellverbandsmitgliedern, ihren Austritt aus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erklärt. Ich dachte mir nichts dabei, als sie augenzwinkernd von ihrem Lieblingscafé sprach. Brandstätters Buch liefert mir die Erklärung nach: „Das Korb“ auf der Brandstätte war das erste Wiener Kaffeehaus, in dem Damen verkehrten. Was um die Jahrhundertwende nicht auf ungeteilte Freude stieß. Die Damenwelt habe den Zauber aus dem geistigen Raum der Kaffeehäuser vertrieben, klagte der Schriftsteller Otto Friedländer. Brandstätter zitiert: „Das Kaffeehaus war einmal wie der Vatikan eine Männerwirtschaft: prächtig, unbequem, schlampig, eine Domäne männlichen Geistes und männlicher Einsamkeit.“

„Caffée in einem offenen Gewölb ausschäncken“: Dieses Privileg erhielt 1685 ein gewisser Theodat vom Kaiser. Somit ist sein Mokka der Urahn dessen, was man als Wiener Kaffeehauskultur kennt, und über dessen Eigenart sich trefflich bei einer Schale Gold debattieren lässt.

Autor Brandstätter ist selbstredend ein Caféhausbesucher, seine Stammtische änderten sich im Lauf seines Lebens allerdings mehrfach. Ärzte Woche -Kolumnist Ronny Tekal lebte bis zum Lockdown praktisch im Café. Seine Top-3 (in absteigender Reihenfolge) stehen fest: das Eiles, das Westend („eines der Ursprünglichsten“), das Hawelka („nur in der Früh, sonst zu touristisch“).

Tekal: „Ich halt es da mit Altenberg: Nicht zu Hause und doch nicht an der frischen Luft.“ Ein Buch über das Wiener Kaffeehaus wäre nicht komplett ohne eine Erwähnung des Dichters mit dem Walrossbart und dem traurigen Blick. Sein Stamm-Café Central ist heute eine Pilgerstätte. Über die Alfred Polgar schrieb: „Seine Bewohner sind größtenteils Leute, deren Menschenfeindlichkeit so heftig ist wie ihr Verlangen nach Menschen, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen.“

Buchtipp:

Das Wiener Kaffeehaus von Christian Brandstätter, 312 S., Hardcover 70 Euro, Brandstätter Verlag 2020, ISBN 978-3-7106-0453-9

© Robert Kalb / picturedesk.com / picture alliance

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Das Café Sperl in der Gumpendorfer Straße wurde 1880 als Café Ronacher eröffnet und von zwei Schülern Theophil Hansens eingerichtet

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Das Café Frauenhuber, 1824 vom Fleischmarkt in die Himmelpfortgasse übersiedelt, ist eine Gerüchtebörse der Akteure des nahen Finanzministeriums.


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Metadaten
Titel
Wiener Kaffeehauskultur
Salon und Mauschelecke
Publikationsdatum
09.02.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 6/2021

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