Mitotane oder ortho-para-DDD (Handelsname in Europa: Lysodren®, HRA-Pharma, Paris, Frankreich) ist ein Orphan-Arzneimittel zur adjuvanten Therapie des Nebennierenrindenkarzinoms. Als Monotherapie wird es bei makroskopisch vollständig im Gesunden entfernten Tumoren, die aber ein hohes Rezidivrisiko aufweisen, empfohlen („suggested“, nicht „recommended“ – geringerer Empfehlungsgrad).
Mitotane ist direkt membrantoxisch und hemmt viele Enzyme der adrenalen Steroidbiosynthese, induziert stark und anhaltend das CYP3A4-System (wodurch viele Medikamente metabolisiert werden) sowie die 5α-Reduktase (damit reduzierte Umwandlung von Testosteron in das bioaktive Dihydro-Testosteron). Die relative Selektivität für die Nebennieren dürfte sich aus der Hemmung der Sterol-O-Acyl-Transferase, dem damit Lipid-mediierten Stress im Endoplasmatischen Retikulum und der daraus getriggerten Apoptose der adrenokortikalen Zellen ableiten. Pharmakokinetisch zeichnet sich die Substanz durch lange Wirkdauer (bis 1–2 Jahre nach Absetzen) aus. Wirkungen und Nebenwirkungen sind die Nebennierenzelltoxizität, das Auftreten einer primären Nebenniereninsuffizienz, die Beschleunigung des Abbaus der dafür notwendigen Hydrocortisontherapie (die deshalb mindestens doppelt so hoch wie üblich dosiert werden muss), eine Kontraindikation für Schwangerschaft (Sexualdifferenzierungsstörungen durch die Reduktion der 5α-Reduktase-Aktivität) und – da die Empfängnisbereitschaft nicht beeinträchtigt ist – die Notwendigkeit einer Barrieremethode zur Verhütung (da beschleunigte Metabolisierung von Sexualsteroiden). Beim Hypogonadismus des Mannes ist bei symptomatischen Patienten oder solchen mit schwerer Anämie oder Osteoporose an eine Therapie mit einem (bzw. Umstellung auf ein) Dihydro-Testosteron-Präparat zu denken. Schilddrüsenfunktionsstörungen mit erniedrigtem TSH und fT4 sind möglich.
Bei Alternativen wird die Umstellung auf Medikamente, die keine oder weniger starke Substrate der CYP3A4-Systems sind, ansonsten eine Dosistitration, gegebenenfalls unterstützt durch therapeutisches Drug-Monitoring oder Surrogat-Laborparameter des klinischen Effekts, empfohlen. Eine aktualisiert gehaltene Datenbank findet sich auf https://www.drugs.com/drug-interactions/mitotane.html.
Hinweise
Weitere Literatur beim Verfasser.
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Einleitung
Mitotane, oder auch ortho,para(o,p)-DDD genannt (Abb. 1), ist ein Isomer des p,p‑DDD, chemisch abgeleitet vom Kontakt- und Fraßgift DDT (zwischen 1940 und 1970 als Holzschutzmittel und z. B. in der Kartoffelkäferbekämpfung eingesetzt) und wurde erstmals 1959 als Therapie des Nebennierenrindenkarzinoms (NNR-Ca.) und beim Cushing-Syndrom eingesetzt.
Abb. 1
Chemische Strukturformel von Mitotane (ortho-para-Dichlor-Diphenyl-Dichlorethan)
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Die chemische Struktur in Form der Phenyl-Ethan-Ketten erklärt die große Fettlöslichkeit, die Cl-Residuen die Reaktivität, was die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik des Medikaments vermittelt. Mitotane ist direkt nebennierentoxisch und ein Hemmstoff vieler Enzyme in der adrenalen Steroid-Biosynthese, aber auch ein starker CYP3A4-Induktor und ein 5α-Reduktase-Hemmer, woraus sich die gewünschten und ungewünschten Wirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten herleiten.
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Diese Übersicht soll Ihnen in 5 Abschnitten – (1) Indikationen, (2) Pharmakodynamik/Wirkungen, (3) Pharmakokinetik, Therapiebeginn und Monitoring und vor allem (4) Nebenwirkungen sowie deren Therapie bzw. Prävention und (5) Interaktionen mit Medikamenten – die Therapie mit Mitotane für Patienten mit NNR-Ca. näherbringen. Besprochen werden soll hier nur die adjuvante Mitotane-Monotherapie und nicht jene für das metastasierte NNR-Ca. in Kombination mit Chemotherapie.
Indikationen
Vorausgeschickt werden zwei der Empfehlungen der Clinical Practice Guidelines 2018 der Europäischen Gesellschaft für Endokrinologie (ESE) und des Europäischen Netzwerks zur Studie von Nebennierentumoren (ENSAT), dass die Therapie aller Patienten mit vermutetem und nachgewiesenem NNR-Ca.
a)
in multidisziplinären Team-Meetings (Tumorboards), bestehend aus Ärzten mit Erfahrung in der Betreuung von Nebennierentumoren, mindestens folgender Fachrichtungen diskutiert werden: Endokrinologie, Chirurgie, Pathologie, Onkologie und Radiologie. Zusätzlich sollte dieses Team Zugang zu nebennierenspezifischer Erfahrung in Fächern wie interventioneller Radiologie, Nuklearmedizin, Strahlentherapie, Genetik und Palliativmedizin verfügen, und dass
b)
der Pathologiebericht mindestens folgende Informationen aufweisen sollte: den Weiss-Score (ein Grading-System basierend auf einer Kombination von neun histologischen Kriterien, die auf Hämatoxylin-Eosin-Färbungen angewandt werden können) inklusive exakter Mitosezahl, einen genauen Ki67-score (eine immunhistologische Färbung, die den Aggressivitätsgrad der Karzinomzellen anzeigt), den Resektionsstatus (R0 = komplette Resektion, R1 = mikroskopisch inkomplette‑, R2 = makroskopisch inkomplette Resektion und Rx = unbekanntes Resektionsausmaß), das pathologische Tumorstadium (besonders Invasion von Tumorkapsel, Umgebungsgewebe, umgebenden Organen oder nicht) und den Lymphknotenstatus.
Eine Mitotane-Monotherapie wird für Patienten vorgeschlagen (in Form von „we suggest“, was in obigen Leitlinien als schwache Empfehlung im Gegensatz zu „recommended“ als starke Empfehlung definiert wird), deren Tumor makroskopisch vollständig entfernt wurde, aber ein hohes Rezidivrisiko aufweist. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Empfehlung für eine adjuvante Mitotane-Monotherapie bei Patienten mit niedrigem oder mäßigem Rezidivrisiko (Stadium I–II = Tumor jeder Größe, aber mit mikroskopisch intakter Kapsel und negativen Lymphknoten, R0-Resektion und Ki67-Score <10 %) weder befürwortend noch ablehnend abgegeben werden kann und die adjuvanten Therapieoptionen auf individueller Basis diskutiert werden sollen (Abb. 2).
Mitotane ist direkt membrantoxisch, lagert sich in die Zellmembran ein und beeinflusst die Integrität der Lipid-Bilayer-Membran (Abb. 3).
Abb. 3
Direkt membrantoxische Wirkung von Mitotane. (Nachdruck aus [2], mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)
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Mitotane hemmt viele Enzyme in der adrenalen Steroidbiosynthese (Abb. 4).
Abb. 4
Adrenale Enzymhemmung durch Mitotane. DHEA Dehydroepiandrosteron, HSD Hydroxysteroid-Dehydrogenase
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Für die unerwünschten Wirkungen ist die starke und dauerhafte Induktion des Cytochrom (CYP) 3A4, eines der menschlichen Schlüsselenzyme in der Verstoffwechselung vieler körperfremder Stoffe, verantwortlich (mehr dazu im Abschnitt „Nebenwirkungen und deren Therapie bzw. Prävention“) (Abb. 5).
Abb. 5
Hypothetisches Modell der CYP3A4-Induktion durch Mitotane. PXR Pregnan-X-Rezeptor; RXR Retinoid-X-Rezeptor; XREM xenobiotisches Responseelement-Modul. (Mit Genehmigung aus [3])
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Die relative Nebennieren-Selektivität könnte sich von der Hemmung der Sterol-O-Acyl Transferase und dem lipid-mediierten Zellstress im endoplasmatischen Retikulum mit daraus getriggerter Apoptose der Nebennierenrinden-Zellen herleiten. Außerdem hemmt Mitotane die 5α-Reduktase [4], welche in der Peripherie das von den Hoden gebildete inaktive Testosteron in das biologisch aktive Dihydro-Testosteron umwandelt. Mehr zur Behandlung des aus dieser Hemmung möglichen primären Hypogonadismus des Mannes im Abschnitt „Nebenwirkungen und deren Therapie bzw. Prävention“.
Pharmakokinetik, Therapiebeginn und Monitoring
Nach oraler Gabe werden ca. 40 % absorbiert. Mitotane ist überall nachweisbar, wird aber vor allem in den Nebennieren und im Fettgewebe gespeichert, im Maximum nach 10–20 Tagen, bis auf einen Metaboliten in geringer Konzentration aber nicht in der Cerebrospinalflüssigkeit. Im Plasma lässt sich ein Plateau nach rund 8 Wochen kontinuierlicher Gabe nachweisen.
Die Wirkung des Medikaments kann bereits nach 1–2 Wochen einsetzen (worauf im Abschnitt „Nebenwirkungen und deren Therapie bzw. Prävention“ näher eingegangen wird). Spiegelbestimmungen von Mitotane im Plasma sind bis zum Erreichen des Plateaus nach rund 2–3 Monaten daher häufiger als später durchzuführen, um einen raschen optimalen therapeutischen Effekt mit möglichst geringem Risiko einer Über- oder Unterdosierung zu erreichen (s. unten).
Nach Therapiestopp ist Mitotane noch 6–9 Wochen, Metabolite sind noch bis zu 18 Monate später im Plasma nachweisbar („slow release“ vor allem aus dem Fettgewebe), ebenso lange in Nebenniere und Fettgewebe. Die Plasmaeliminations-Halbwertszeit liegt bei 18–159 Tagen. Die klinischen Implikationen werden im Folgenden und im Abschnitt „Nebenwirkungen und deren Therapie bzw. Prävention“ diskutiert.
Therapiebeginn
Der Therapiebeginn kann mit höherer Dosis und mit rascher Dosissteigerung oder mit geringerer Dosis und einschleichend erfolgen. Erstere Option kann bei hoch aggressiven Tumoren und großem Rezidivrisiko überlegt werden. Dabei wird mit 3–4 g Mitotane/Tag (also 3‑0-3 oder 4‑0-4 Tabl. Lysodren® 500 mg/Tag) begonnen und über 2–3 Wochen gesteigert, bis der optimale Mitotane-Plasmaspiegel (14–20 mg/l – der den besten therapeutischen Effekt vermittelt) erreicht ist. Engmaschigere klinische Kontrollen und Spiegelbestimmungen als bei der zweiten Variante sind erforderlich, da das Nebenwirkungs- und Unverträglichkeitsrisiko höher ist. Wird die Aggressivität des Tumors geringer eingeschätzt, wird mit 1‑0-1 Tabl./Tag begonnen und über 4–12 Wochen bis zu einer Dosis von rund 6 g/Tag gesteigert. Klinische Kontrollen und Spiegelbestimmungen werden bis zum optimalen therapeutischen Bereich von 14–20 mg/l alle 2–3 Wochen vorgeschlagen. Die Plasmaspiegelbestimmungen von Mitotane (Lysodren®) erfolgen in Europa zentral in einem französischen Labor und für die betreuenden Zentren kostenlos über den Lysosafe-Service von HRA-Pharma.
Monitoring
Die adjuvante Mitotane-Therapie wird für 2–3 Jahre (low risk) und für rund 5 Jahre (high risk) vorgeschlagen und dann abgesetzt, vorausgesetzt, der Patient bleibt bis dahin rezidivfrei. Nach allfälliger Rezidivoperation sind eine Dauertherapie, allenfalls in Kombination mit Chemotherapie, oder andere Behandlungsoptionen zu überlegen. Die Mitotane-Plasmaspiegel sollten im Bereich von 14–20 mg/l liegen, Konzentrationen, bei denen die beste Prognose bei geringstmöglicher Unverträglichkeit dokumentiert ist. Neben den klinischen Kontrollen und den Spiegelbestimmungen werden in den ersten 2–3 Jahren alle 3 Monate ein CT von Thorax, Abdomen und kleinem Becken vorgeschlagen sowie ein Monitoring initial erhöhter Steroide (meist Glucocorticoide und/oder Androgene), danach alle 4–6 Monate. Steroid-Metabolom könnte das diagnostische Mittel der Wahl werden, um Rezidive frühzeitig zu erkennen, ist aber derzeit nur an wenigen Zentren und nur in der Forschung verfügbar.
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Nebenwirkungen und deren Therapie bzw. Prävention
Toxische.
Die häufigsten toxischen Nebenwirkungen von Mitotane sind gastrointestinaler (Übelkeit, Anorexie, Diarrhoe) und neurologischer (Schwäche, Gehstörungen, Verwirrtheit) Art. Eine Untersubstitution mit Hydrocortison muss differenzialdiagnostisch dabei immer bedacht werden. In rund einem Drittel führen die Nebenwirkungen zu einer Reduktion der „instrumentellen“ Alltagsaktivitäten (Einkaufen, Kochen, Umgang mit Geld, …), in rund 15 % zu einer Einschränkung der selbstbezogenen Aktivitäten (Anziehen, Ausziehen, Baden/Duschen, WC, Essen, Einnehmen von Medikamenten, …) und nur selten (in rund 3 %) zu einem Therapiestopp.
Hormonelle.
Mitotane hemmt die gesamte adrenale Steroidproduktion, erhöht die Aktivität des CYP3A4-Systems, damit die Inaktivierung vieler Medikamente (auch von Hydrocortison, s. unten) und reduziert jene der 5α-Reduktase (Tab. 1).
Tab. 1
Hormonelle „Neben“-Wirkungen von Mitotane
Hormonsystem
Pharmakodynamik
Therapie
Pharmakokinetik
Monitoring
Beachte
Cortisol
Primäre Nebennierenrindeninsuffizienz
Hydrocortone® 20 mg-Tabl. 2‑0-1 (auch höher), kein Dexamethason (CYP3A4-Induktor)
Abbau von Hydrocortone® beschleunigt, CBG-Abbau verlangsamt
Klinik, RR, Elektrolyte, 24 h-Harn-Cortisol
Substitution über 1–2 Jahre nach Mitotane-Stopp weiter (auch permanent nötig)
Aldosteron
Selten Mineralocorticoid-Insuffizienz
Astonin H® 0,1 mg-Tabl. 1‑0-0 bis 2‑0-1
–
–
Wie bei Hydrocortone®
Testosteron
Primärer Hypogonadismus, Hemmung der 5α-Reduktase
Andractim® 2,5 % Gel (bei Testosteronpräparat allfällig Dosistitration)
Außer bei Cortisol-produzierendem NNR-Ca. sind mit dem ersten Tag der Therapie mit Mitotane auch eine solche mit Hydrocortison zu beginnen, ein Notfallpass für Nebenniereninsuffizienz auszustellen und die Indikationen zur Steigerung der Glucocorticoiddosis nachweislich zu erklären. Durch die starke CYP3A4-Induktion (und damit verstärkte Inaktivierung von Hydrocortison) durch Mitotane genügt die übliche Erhaltungsdosis für Nebenniereninsuffizienz von 20–30 mg (z. B. Hydrocortone® 20 mg ½‑½-0 oder 1‑½-0) pro Tag nicht, sondern muss von Beginn an verdoppelt, manchmal sogar im Verlauf routinemäßig noch höher dosiert werden. Dexamethason ist aufgrund seiner ebenso wie Mitotane CYP3A4-induzierenden Wirkung zu vermeiden. Eine unzureichende Substitution führt nicht nur zu einem erhöhten Risiko von Addison-Krisen, sondern verstärkt allfällige toxische Nebenwirkungen von Mitotane, reduziert damit die Therapietoleranz und -adhärenz. Bei Auftreten toxischer Nebenwirkungen (s. oben) kann bei Verdacht auf Untersubstitution neben einer Mitotane-Spiegelbestimmung auch eine Bestimmung der Cortisolausscheidung im 24 h-Harn (keine Bestimmung von Serum-Cortisol, da Mitotane die Serumkonzentration von CBG, dem Cortisol-bindenden Globulin, erhöht) und eine Erhöhung der Glucocorticoiddosis überlegt werden.
Nach Absetzen von Mitotane ist die Hydrocortison-Substitution, aufgrund der langen Verweildauer von Mitotane in Fett- und Nebennierengewebe, noch für 1–2 Jahre, manchmal sogar permanent, weiter zu geben.
Aldosteronmangel
Eine Substitution mit Fludrocortison ist nicht von Anfang an erforderlich, sondern richtet sich nach Klinik sowie Blutdruck- und Elektrolytkontrollen. Bei Hypotonie, Hyperkaliämie, prärenaler Niereninsuffizienz oder Hyponatriämie ist unter Beachtung der jeweiligen Differenzialdiagnosen auch an eine Substitution mit Astonin H® 0,1 mg-Tabl. (½-0-0 bis 2‑0-1/Tag, je nach Schweregrad) zu denken.
Hypogonadismus der Frau
Mitotane reduziert die Serumkonzentrationen aller weiblichen Sexualhormone, aber erhöht jene von SHBG, dem Sexualhormon-bindenden Globulin. Dies führt aber nicht regelhaft zu einem Hypogonadismus, möglicherweise durch die (bei Hemmung der 5α-Reduktase-Aktivität) vermehrte Umwandlung des – wenngleich auch beim weiblichen Geschlecht in viel geringer Konzentration als beim männlichen – vorhandenen Testosterons in Östradiol. Durch die mögliche Erhöhung des luteinisierenden (LH) und des Follikel-stimulierenden Hormons (FSH) kann es zur Entwicklung von Ovarialzysten kommen. Unterbauchschmerzen, seltene Torsionen und Operationsnotwendigkeit sind beschrieben.
Bei Schwangerschaft ist ein erhöhtes Rezidivrisiko des NNR-Ca. beschrieben. Die Datenlage dazu ist allerdings spärlich. Die Empfängnisbereitschaft ist unter Mitotane-Therapie nicht reduziert. Aufgrund der Sexualdifferenzierungsstörung durch die reduzierte 5α-Reduktase-Aktivität besteht jedoch von Beginn bis zu 1–2 Jahre nach Beendigung der Therapie mit Mitotane eine Kontraindikation für Schwangerschaft. Durch die Inaktivierung allfälliger hormoneller Kontrazeption (CYP3A4-Induktion!) ist auf eine Barrieremethode umzustellen oder diese zu beginnen und für 1–2 Jahre nach Mitotane-Stopp weiterzuführen. Die Patientin ist am Tag der Erstverschreibung von Mitotane nachweislich hierüber aufzuklären.
Hypogonadismus des Mannes
Eine routinemäßige Messung von Testosteron, SHBG und bioverfügbarem Testosteron wird empfohlen. Die alleinige Messung von Gesamt-Testosteron kann durch die SHBG-Erhöhung durch Mitotane fälschlich normal sein und ist nicht ausreichend.
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Bei symptomatischen Patienten oder bei jenen mit schwerer Anämie oder Osteoporose ist unter Beachtung der Kontraindikationen eine Substitutionstherapie zu überlegen. Die üblichen Therapien mit Testosteron (z. B. Nebido® i.m. oder Testogel® transdermal) sind aufgrund der Reduktion der 5α-Reduktase-Aktivität durch Mitotane oft unzureichend und ein reines Dihydro-Testosteron-Präparat ist anzudenken (z. B. Andractim® 2,5 % Gel transdermal).
Hypothyreose
Mitotane erhöht nicht nur die Serumkonzentrationen von CBG und SHBG, sondern auch von Thyroxin-bindendem Globulin (TBG). Dem dadurch erhöhten Synthesebedarf der Schilddrüse kann diese durch die direkte TSH-suppressive Wirkung von Mitotane mitunter nicht nachkommen. Bei laborchemischer Konstellation einer sekundären Hypothyreose (erniedrigtes fT4 und Thyreoidea-stimulierendes Hormon TSH) sollte eine T4-Substitution überlegt werden.
Hypercholesterinämie
Mitotane ist ein Hemmer der Side-Chain-Cleavage-Enzyme, der Schlüsselenzyme in der Steroidbiosynthese, aber auch ein Induktor der β‑HMG-CoA-Reduktase, dem Schlüsselenzym der Cholesterinbiosynthese. Bei Hypercholesterinämie ist der Grenzwert, ab dem eine Therapie indiziert ist, nicht anders als ohne Mitotane-Therapie. Durch die CYP3A4-Induktion ist aber der Abbau von Simvastatin und Atorvastatin gesteigert, was in der Wahl des Statins berücksichtigt werden muss (s. Tab. 2).
Als starker Induktor des CYP3A4-Enzymsystems beschleunigt Mitotane den Metabolismus vieler Medikamente und schwächt deren Wirkung ab. Auch wenn es dazu kaum klinische Daten gibt, wird bei möglichen alternativen Medikamenten die Verwendung dieser empfohlen. Wenn keine Alternativen zur Verfügung stehen, muss bei klinischem Verdacht (Nachlassen des therapeutischen Effekts, Zunahme von Nebenwirkungen) eine Dosistitration, allfällig unterstützt durch therapeutisches Drug-Monitoring und/oder laborchemische Surrogatparameter des klinischen Effekts, überlegt werden. Auf der Internetseite https://www.drugs.com/drug-interactions/mitotane.html finden Sie eine aktualisiert gehaltene Datenbank der von Mitotane beeinflussten Medikamente.
Take-home-Messages
A.
Therapie an einem Zentrum bevorzugen, optimalerweise unterstützt durch Tumorboards
B.
Adjuvante Mitotane-Therapie durch Leitlinien „suggested“ (schwache Empfehlung), Haupttherapie ist immer eine chirurgische, wenn möglich auch bei Rezidiven (in Abstimmung mit einem Tumorboard)
C.
Dosierung nach Spiegel (Ziel: 14–20 mg/l Serumkonzentration), in Europa für Einsender kostenloser Service über HRA-Pharma
D.
Glucocorticoid-Substitution in (mindestens 2‑fach) höherer Dosis als gewöhnlich, Notfallpass für Nebenniereninsuffizienz ausstellen, Dokumentation über Aufklärung (alles am Tag der Erstverschreibung von Mitotane)
E.
Kontraindikation gegen Schwangerschaft, hormonelle Kontrazeption ineffektiv, Barrieremethode erforderlich, Dokumentation über Aufklärung (alles am Tag der Erstverschreibung von Mitotane)
F.
Lange Wirkung auch nach Absetzen der Therapie (Monate bis 1–2 Jahre), Fortführen der Hydrocortisontherapie und der Kontrazeption (Barrieremethode) lange über Mitotane-Stopp hinaus
G.
Nebenwirkungen und Wechselwirkungen beachten, Aufklärung und Dokumentation
W. Raber hat ein einmaliges Vortragshonorar von HRA-Pharma erhalten.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.