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Ärzte Woche

06.03.2023 | Mazhar

Des Teufels Applaus

verfasst von: Raoul Mazhar

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Die Bestie im Menschen ist nicht unbedingt teuflisch. Manchmal ist sie nur süchtig nach dem Beifall des Bösen.

Hannah Arendt hat es nicht als erste erklärt, doch hatte sie auch ein anschauliches Beispiel: Adolf Eichmann. Sein Prozess war für sie Gelegenheit, das Konzept des „banalen Bösen“ zu entwickeln, in dem sie darlegt, dass unmenschliches Verhalten nicht unbedingt einem bösen Kern entspringt, sondern mitunter aus Unwissenheit, mangelhafter Empathie und Ignoranz. Wahrscheinlich funktionieren tyrannische Regime nur deshalb.

Die Erkenntnis, dass die Bestie im Menschen nicht zwingend da ist, könnte beruhigend sein. Ist es aber nicht. Zu diesem Schluss komme zumindest ich, wenn ich die Thesen von Boris Cyrulnik lese. Dennoch trägt der Neurologe und Psychiater eine Resilienz in sich, die seinesgleichen sucht. Als Kind entkam er haarscharf den Nazis, als die 1944 bei einer Razzia in Bordeaux Juden zusammentrieben und ermordeten. Der kleine Boris versteckte sich hinter einer sterbenden Frau.

Heute trägt Cyrulnik, aus dem kleinen Boris wurde ein großer Denker, einerseits das Verzeihen in seinem Herzen, während er andererseits den Menschen jederzeit eine Brutalitätsorgie zutraut. Man könnte behaupten, dass der Keim des Guten aus der Hoffnung genährt wird, in seiner Gemeinschaft anerkannt zu werden. Was aber, wenn die Moral sich umkehrt, und man mit Bösartigkeit mehr Beifall bekommt? Das Buch löst großes Nachdenken aus und stand sieben Wochen auf Platz 1 der französischen Bestsellerliste – aus gutem Grund.

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Metadaten
Titel
Des Teufels Applaus
Schlagwort
Mazhar
Publikationsdatum
06.03.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 10/2023

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