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Ärzte Woche

07.03.2023 | Tekal

Pandemische Nachsaison

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist , Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist

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Das jüngste Kind ist nun in wenigen Jahren aus dem Haus und ich bin gespannt, ob sich das „Empty-Nest-Syndrom“ oder das „jetzt-stell-ich-mein-Fitnessrad-ins-empty-Nest-Syndrom“ einstellen wird. Auf jeden Fall beginnt ein neuer Lebensabschnitt, in dem man nicht mehr zur Hauptsaison in den Schulferien urlauben muss. 

Man hat den Luxus, azyklisch in der Nebensaison verreisen zu können. Meiner Frau gefällt der Gedanke, fortan nicht mehr mit den touristischen Massen schwimmen zu müssen. Ich selbst brauche zwar auch keine allzu großen Menschenansammlungen, freue mich jedoch über eine gewisse Belebtheit. Die morbide Nachsaison, von der sie so schwärmt, führt bei mir eher zu Beklemmungen. Vor allem Orte, die vier Millionen Nächtigungen verzeichnen, jedoch nur zwei Einwohner haben, halte ich für mäßig belebt.

Ich mag es nicht sonderlich, wenn man als einziger Gast die Reste der Saison aufessen und im kalten Zimmer nächtigen muss, da es sich nicht mehr auszahlt, das Hotel zu heizen. Wenn in den Feriendestinationen die Sonnenliegen bereits gestapelt und der Pool geleert ist oder die Gemeinde mit Presslufthammer und Betonmischer den neuen, naturbelassenen Strandabschnitt baut, kommt kein richtiges Urlaubsfeeling mehr auf. Auch wenn es so wunderbar authentisch ist und man endlich von den Einheimischen keine vorgespielte Freundlichkeit, sondern einen ehrlichen Grant zu sehen bekommt.

Selbst Pandemien haben Nachsaisonen. Wie aufregend ging es einst in den Impfzentren zu, die, wie Jahrmärkte, aus dem Boden geschossen sind. Da wurden am Ende des Tages marktschreierisch übrig gebliebene Spritzen angeboten, man feilschte um die beste Ware, es wurde diskutiert und kollabiert, an den dunklen Rändern verhökerte man gefälschte Waren, im Wiener Austria Center herrschte eine Stimmung wie bei einer Matura-Sause in Antalya. An den Teststraßen gab es Autokorsos, und sogar im Supermarkt saß ein Arzt an der Kasse, um die Kundschaft zu boostern.

Mittlerweile hat der Impfzirkus seine Zelte abgebrochen, die meisten Kojen sind demontiert und es macht sich eine postsaisonale Ruhe bemerkbar. Nur mehr vereinzelt verirrt sich ein Pensionist in eine noch geöffnete Impfstraße, um sich den 8. Stich abzuholen.

Die PCR-Goldminen sind weitgehend stillgelegt und verkaufen die Laborgeräte auf eBay. Mikrobiologen und Hygieniker verlassen das mediale Rampenlicht und kehren in die Krankenhäuser zurück, um den genervten Chirurgen zu erklären, dass man sich zwischen Gallenoperation und Sektempfang die Hände waschen sollte. Der Boden ist gesäumt von abgelaufenen Pfizer-Phiolen, gebrauchten FFP2-Masken, zerschlissenen Anti-Corona-Transparenten und jede Menge zerbrochenem Porzellan, für das die Gesellschaft wahrscheinlich noch jahrelang braucht, um es wegzukehren.

Zum Glück ist es vorbei. Nur die pandemischen Saisonarbeiter stehen etwas verloren herum und halten – auch wenn sie es niemals so explizit formulieren würden – Ausschau nach der nächsten Pandemie.

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Metadaten
Titel
Pandemische Nachsaison
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
07.03.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 10/2023

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