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Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz 2/2022

Open Access 31.05.2022 | Der rätselhafte Fall

Der rätselhafte Fall

verfasst von: Dr. med. Annette Bachmann

Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz | Ausgabe 2/2022

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Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Bei Kinderwunsch spielt die Schilddrüsenfunktion eine wichtige Rolle. Eine Überprüfung des TSH-Werts bei Kinderwunsch wird empfohlen. Entsprechend internationalen Leitlinien sollte eine weitere Abklärung mittels Ultraschall und Bestimmung spezifischer Antikörper ab einem TSH-Wert > 2,5 mIU/l durchgeführt werden [1]. Aktuelle Arbeiten empfehlen eine Therapie mit Levothyroxin (LT4) bei Vorliegen eines TSH-Werts von > 4 mIU/l [2].
Bei TSH-Werten zwischen 2,5 und 4 mU/l und negativen Schilddrüsenantikörpern gibt es keine Evidenz für eine Therapie mit LT4. Der TSH-Wert unterliegt auch intraindividuellen, zirkadianen und saisonalen Schwankungen ohne Krankheitswert. Solange der Wert im Normbereich liegt, sollten eine Übertherapie und voreilige Dosisanpassungen vermieden werden. Bei TSH-Werten zwischen 2,5 und 4 mU/l und positiven Schilddrüsenantikörpern kann eine Therapie mit LT4 erwogen werden. Im Moment liegen allerdings keine Daten aus Interventionsstudien vor, die den Einsatz von LT4 in dieser Indikation eindeutig belegen. Die Gabe von LT4 führte weder zu einer Verbesserung der kindlichen kognitiven Funktion und Entwicklung noch zu einer Reduktion der Abortrate oder Erhöhung der Geburtenrate [3].
Ist eine Substitutionstherapie erforderlich und ist sonographisch funktionsfähiges Schilddrüsengewebe nachweisbar, sollte eine Einstellung auf einen Ziel-TSH-Wert zwischen dem unteren Referenzwert und 2,5 mIU/l – was dem Referenzbereich im 1. Trimenon entspricht – erfolgen. Bei Frauen ohne funktionsfähige Restschilddrüse scheint ein TSH-Wert zwischen dem unteren Referenzwert und 1,2 mU/l vorteilhaft zu sein. Es empfiehlt sich hier immer und wiederholt auf die korrekte Einnahme der Substitution (1/2 h vor dem Frühstück), mögliche Medikamenteninteraktionen bei der Resorption, insbesondere mit Eisenpräparaten, sowie die regelmässige Zufuhr hinzuweisen [3].
Bei Eintritt einer Schwangerschaft muss im Hinblick auf den Mehrbedarf die Dosis des LT4 gesteigert werden, siehe Tab. 1.
Tab. 1
Trimesterspezifische Referenzbereiche für TSH, fT3 und fT4. (Mit Genehmigung aus [4]. © Georg Thieme Verlag KG. Diese Tabelle fällt nicht unter die Creative Commons CC BY-Lizenz dieser Publikation.)
Trimester
TSH [mlU/l]a
fT4 [pg/ml]b
fT3 [pg/ml]b
1
0,1–2,5
9,4–15,3
2,46–3,89
2
0,2–3,0
7,5–13,2
2,09–3,55
3
0,3–3,0
6,5–12,1
2,01–3,27
TSH thyreoideastimulierendes Hormon, fT3 freies Trijodthyronin, fT4 freies Tetrajodthyronin
aAmerican-Thyroid-Association(ATA)-Empfehlungen 2011
bAngaben für die von den Autoren aus [4] verwendete Methode

Der Fall

Die 34-jährige Patientin, promovierte Akademikerin, in gutem Allgemein- und schlankem Ernährungszustand (BMI = 20,57 kg/m2), stellte sich mit seit 2 Jahren unerfülltem Kinderwunsch in unserer Sprechstunde vor. Die Werte der Hormonbasisdiagnostik waren unauffällig bis auf einen TSH-Wert von 4,0 mIU/l. Die Patientin nahm nach eigenen Angaben bei einer bereits diagnostizierten Autoimmunthyreopathie LT4 50 µg seit 6 Monaten ein. Die Patientin bejahte explizit die abgefragte korrekte Einnahme. Daraufhin wurde die LT4-Dosis auf 75 µg erhöht. Die Kontrolluntersuchung nach 6 Monaten ergab einen unauffälligen TSH-Wert von 2,4 mIU/l.
Aufgrund eines eingeschränkten Spermiogramms und eines sonographischen Verdachts auf Endometriome beider Ovarien ohne Leidensdruck durch Dysmenorrhö oder Dyspareunie, aber hohem Leidensdruck durch den unerfüllten Kinderwunsch entschloss sich das Paar primär für eine assistierte Reproduktion mittels IVF. Bei der unmittelbar im Anschluss durchgeführten Stimulationsbehandlung konnten 12 reife (MII) und 9 befruchtete Eizellen (2PN) gewonnen, kryokonserviert und eine Blastozyste idealer Qualität (02AA) gewonnen und transferiert werden. Es kam zum Eintritt einer klinischen Schwangerschaft, die aber im Abort in der 7. SSW endete. Die mit positivem Schwangerschaftstest durchgeführte Dosiserhöhung um 30 % wurde rückgängig gemacht.
Nach einem weiteren Kryoembryotransfer ohne Eintritt einer Schwangerschaft wurde neben einem Thrombophiliescreening 6 Monate nach der letzten Kontrolle auch eine erneute Überprüfung des TSH-Werts durchgeführt. Dieser war nun bei gleicher Dosis des LT4 von 75 µg entsprechend einer latenten Hyperthyreose auf einen Wert von 0,05 mIU/l supprimiert.
Die Patientin wurde zur weiteren Abklärung nun internistisch vorgestellt. Der körperliche Untersuchungsbefund ergab keine peripheren Ödeme, keine Zyanose, keinen Ikterus, Puls = 59/min, RR = 123/78 mm Hg. Nur die TG-AK waren mit 472 IU/ml isoliert erhöht und auch sonographisch wurde das Vorliegen einer Autoimmunthyreopathie bei normal grosser Schilddrüse mit unauffälliger Vaskularisation und Nachweis echoärmerer, inhomogener Areale in beiden Schilddrüsenlappen ohne Nachweis von Schilddrüsenknoten bestätigt. Bei der Patientin wurde nach nochmaliger Aufklärung über die korrekte Einnahme eine Dosisreduktion des LT4 auf 50 µg durchgeführt. In der Kontrolluntersuchung nach 6 Wochen war der TSH-Wert nun auf 5,2 mIU/l angestiegen. Abb. 1 zeigt den Verlauf der TSH-Werte nach erneuter Dosisanpassung auf nun 62,5 µg LT4.
Bei einem TSH-Wert von 2,0 mIU/l wurde eine erneute Stimulationsbehandlung für eine 2. IVF mit 9 MII und 8 2PN, Kryokonservierung und Transfer von 2 nicht idealen Embryonen (Morula/frühe Morula) an d5 durchgeführt. Erneut kam es zum Eintritt einer Schwangerschaft, die in der 7. SSW mit Abort endete.
Im Anschluss an den Abort wurden erneut auffällige TSH-Werte gemessen. Zunächst kam es zu einer Suppression des TSH auf 0,04 mIU/l bei anschliessender Dosisreduktion auf 62,5 und 50 µg im Wechsel auf einen TSH-Anstieg des Werts auf maximal 8,46 mIU/l innerhalb von 3 Monaten. Die Patientin stellte auf Anraten die Einnahmezeit auf den Abend mit 3 h Abstand zur letzten Mahlzeit um. Zudem entschloss sich die Patientin bis zur weiteren Einstellung der Schilddrüsenfunktion zu einer Hysteroskopie mit unauffälligem Befund und Laparoskopie mit bestätigender Erstdiagnose einer Endometriosis genitalis externa ASRM III und partieller Entfernung der Endometrioseherde.
Nach 6 Wochen konnte ein TSH-Wert von 2,0 mIU/l nachgewiesen werden. Im unmittelbar darauf durchgeführten Kryoembryotransfer von 2 Embryonen an d3 (8B, 8B) kam es erfreulicherweise zum Eintritt einer fortdauernden Schwangerschaft. In der 7. SSW wurde bei steigendender Tendenz des TSH-Werts eine Dosiserhöhung auf 100 µg/d durchgeführt, die im Lauf der Schwangerschaft im 3. Trimenon auf 125 µg angepasst wurde. Es erfolgte die Geburt eines gesunden Mädchens am Termin.
Was nun entscheidend zum Erfolg der Kinderwunschbehandlung beigetragen hat, konnte nicht geklärt werden. Inwiefern die partielle Endometriosesanierung zum Erfolg geführt hat, ist nicht quantifizierbar und wir haben keine Kenntnis darüber, welche der transferierten Embryonen euploid waren. Retrospektiv räumte die Patientin aber ein, dass die Compliance in besonderen Stressphasen des unerfüllten Kinderwunschs am schwierigsten war. Daher müssen wir davon ausgehen, dass doch Einnahmefehler die wahrscheinlichste Ursache der extremen TSH-Wert-Schwankungen waren.

Fazit für die Praxis

  • Einnahmefehler sind die häufigsten Ursachen von Schwierigkeiten bei der Einstellung des TSH-Werts.
  • Die Einnahme von Levothyroxin muss morgens früh nüchtern, nur mit Wasser und mit mindestens 30 min Abstand zur ersten Mahlzeit, zum ersten Kaffee, zu Milch etc. und allen anderen Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln erfolgen.
  • Gibt es Schwierigkeiten, sollte die Einnahme vor dem Zubettgehen mit mindestens 2 h Abstand zur letzten Mahlzeit und allen anderen Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln vor komplexen Dosisveränderungen empfohlen werden.
  • Der TSH-Wert unterliegt intraindividuellen, zirkadianen und saisonalen Schwankungen ohne Krankheitswert. Solange der Wert im Normbereich liegt, sollten eine Übertherapie und voreilige Dosisanpassungen vermieden werden.
  • Perikonzeptionell besonders bis zur 8. SSW und in der Schwangerschaft sollte bei einer Autoimmunthyreopathie im Hinblick auf die Deckung des embryofetalen Mehrbedarfs streng darauf geachtet werden, dass der TSH-Wert im entsprechenden Normbereich liegt, und die Dosis in jedem Trimenon überprüft und entsprechend angepasst werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A. Bachmann gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von der Autorin keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
2.
Zurück zum Zitat Okosieme OE, Khan I, Taylor PN (2018) Preconception management of thyroid dysfunction. Clin Endocrinol 89:269–279CrossRef Okosieme OE, Khan I, Taylor PN (2018) Preconception management of thyroid dysfunction. Clin Endocrinol 89:269–279CrossRef
Metadaten
Titel
Der rätselhafte Fall
verfasst von
Dr. med. Annette Bachmann
Publikationsdatum
31.05.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz / Ausgabe 2/2022
Print ISSN: 1995-6924
Elektronische ISSN: 2520-8500
DOI
https://doi.org/10.1007/s41975-022-00253-z

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