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Ärzte Woche

04.01.2022 | Tekal

Corona im Paradies

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist , Medizin-Kabarettist Dr. Ronny Tekal

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© Pict Rider

Gute Gleichnisse machen komplizierte Sachverhalte anschaulich.

Bei Neujahrsansprachen hat man die lange Tradition aufgegeben, mit der rhetorischen Frage „Was erwartet uns im kommenden Jahr?“ zu beginnen. Schließlich ist mittlerweile nichts so alt wie die Prognose der letzten Stunde und Voraussagen absehbar falsch. Mit ziemlicher Sicherheit kann man allerdings sagen, dass das Jahr 2022 rund 365 Tage haben wird, es sei denn, es kommt eine neue Virus-Variante, sodass die Anzahl der Sonntage reduziert werden muss, um die Intensivstationen zu entlasten.

Tatsächlich haben sogar die Haudegen unter den Politjournalisten die Wahrscheinlichkeit für den Einschlag eines bewohnten Asteroiden auf den Grazer Uhrturm höher eingeschätzt als das Ereignis, dass der heimische Handel auch nur für einen einzigen Tag zusperrt. Nie hätte man es vor zwei Jahren für möglich gehalten, dass man sich Masken so selbstverständlich anzieht wie Socken, dass sich Kinder auf geöffnete Schulen freuen oder dass ungeimpfte Familienmitglieder beim Mittagstisch keine Nachspeise bekommen. Selbst mein Rechtschreibprogramm leugnet nach wie vor die Existenz der Ungeimpften (ein sogenannter „Coronaleugner-Leugner“), unterwellt den Begriff und schlägt mir stattdessen die Alternativen „eingeimpft“ oder „ungerupft“ vor. Da soll einmal einer sagen, künstliche Intelligenz hätte keinen Humor.

Die Weitsicht der ausgewiesenen Experten im Nebel der Pandemie ist enden wollend. Politisch wird, wie man gerne die Führerscheinsprache zitiert, „auf Sicht“ gefahren und beschließt jeden Tag aufs Neue lustige Maßnahmen. Die „Sicht“ ist übrigens eines von unzähligen Gleichnissen, mit denen man uns die Pandemie zu erklären versucht. Denn die Corona-Sache ist derart undurchsichtig, dass der Endkunde nach Einfachheit dürstet. Nicht jeder ist Immunologe und so liefern Wissenschaftsreporter in bunten Bildern Erklärungen zum Unerklärlichen. Da wird rasch mal die Autobahn als Szenerie hergenommen, die Autos zu Viren erklärt, die Baustellen als Antikörper tituliert und die Impfgegner als Geisterfahrer. Wer sich da nicht auskennt, dem ist nicht mehr zu helfen.

Damit jeder kapiert, dass wir uns im Ausnahmezustand befinden, verkleidet sich ein Mitglied des Krisenstabs bei Pressekonferenzen neuerdings sogar als Soldat im Camouflage-Kampfanzug und erklärt dem verdutzten Virus den Krieg. Gegen einen solch hinterlistigen Feind helfen nur militärische Präzision und geschicktes Tarnen. Bereits die Bibel ist voll von Bildern und Symbolen, um den Menschen zu zeigen, dass man nicht des nächsten Wei*bes begehren soll. So sollte der Papst nicht nur willentlich kinderlose Paare schelten, fruchtbar zu sein und sich zu mehren (wie er selbst mit gutem Beispiel vorangeht), sondern auch die Genesis neu auslegen: Adam und Eva (die Menschen), der Apfel (das Virus), das Feigenblatt (die Maske), die Schlange (die Fake News), das Paradies (das Robert Koch Institut) und Gott (Christian Drosten). Alles klar? Amen.

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Metadaten
Titel
Corona im Paradies
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
04.01.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 1-2/2022

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