Einleitung
HAP, VAP, Sepsis und septischer Schock
Empirische HAP-Therapie
Allgemeine Grundregeln der empirischen HAP-Therapie
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Vor Beginn oder Umstellung der antimikrobiellen Therapie adäquates Material für die mikrobiologische Diagnostik gewinnen (respiratorisches Sekret, Blutkulturen, EDTA-/Citrat-Blut oder Serum für beispielsweise spezifische Virus‑/Pilzdiagnostik, Urin für Legionella-/Pneumokokken-Schnelltest).
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Die empirische Therapie erfasst das zu erwartende Spektrum, spart aber unwahrscheinliche Pathogene/Resistenzen aus (weder „undertreatment“ noch „overtreatment“). Die antimikrobielle „Bandbreite“ ist dabei abhängig von Schweregrad und Akuität der Infektion, dem spezifischen Risikoprofil der Patient*innen und der aktuellen lokalen epidemiologischen Situation.
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Eine empirische Kombinationstherapie ist nur bei hohem Risiko für MRE oder Pseudomonas notwendig. Dabei ist der Begriff „hohes Risiko“ nicht klar definiert, das Risiko steigt aber mit der Zahl der erfüllten Risikofaktoren und der Schwere der vorliegenden Infektion (Tab. 1).
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Bei der Auswahl antimikrobieller Substanzen ist auf potenzielle Nebenwirkungen und individuelle Risikofaktoren Rücksicht zu nehmen (Beispiel: Vorsicht mit Aminoglykosiden bei älteren Patient*innen oder bereits reduzierter glomerulärer Filtrationsrate – GFR). Zu erwartende Nebenwirkungen werden durch regelmäßiges aktives Screening frühzeitig erfasst (siehe unten).
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Substanzen mit einer lokalen Resistenzrate für relevante Erreger von > 10 % sind für eine Monotherapie nicht geeignet.
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Bei antimikrobieller Vorbehandlung sollten möglichst Substanzen aus einer anderen Antibiotika-Klasse verwendet werden (Beispiel: nach Piperacillin/Tazobactam folgt eine Therapie mit beispielsweise Carbapenem oder Cephalosporin).
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Antiinfektiva müssen ausreichend hoch dosiert, initial intravenös appliziert und die Dosis je nach Substanz gegebenenfalls der Nierenfunktion angepasst werden.
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Die Wirksamkeit der empirischen Therapie wird nach circa 72 h reevaluiert. Bei ausbleibender klinischer Besserung sind Komplikationen (beispielsweise Empyem, Lungenabszess), andere Infektionen, MRE und alternative Diagnosen aktiv auszuschließen.
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Eine Kombinationstherapie ist in der Regel dann nur noch im Einzelfall bei hochgradig resistenten Gram-negativen Erregern sinnvoll.
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Die Therapiedauer beträgt in der Regel acht Tage (Ausnahmen siehe unten).
Keine schwere Infektion, niedriges Risiko für MRE oder Pseudomonas | ||
1. Wahl: Ceftriaxon 1 × 2 g/d Cefotaxim 3 × 2 g/d | 2. Wahl: Levofloxacina 2 × 500 mg/d oder Moxifloxacina 1 × 400 mg/d Ampicillin/Sulbactamb 3 × 3 g/d Amoxicillin/Clavulansäureb 3 × 2,2 g/d Ertapenem 1 × 1 g/d | |
Keine schwere Infektion, niedriges Risiko für MRE aber hohes Risiko für Pseudomonas, beziehungsweise VAP, schwere HAP oder Sepsis (kein septischer Schock), niedriges Risiko für MRE aber auch niedriges Risiko für Pseudomonas | ||
1. Wahl: Piperacillin/Tazobactam 3 × 4,5 g/d (bei Mukoviszidose 4 × 4,5 g/d) | 2. Wahl: Cefepim 3 × 2 g/d Meropenem 3 × 1 g/d (bei Mukoviszidose 3 × 2 g/d) | |
VAP, schwere HAP oder Sepsis UND hohes Risiko für MRE oder Pseudomonas | ||
1. Wahl: Piperacillin/Tazobactam 3–4 × 4,5 g/d Ceftazidimc 3 × 2 g/d Cefepim 3 × 2 g/d Meropenem 3 × 2 g/d (bevorzugt bei lokaler ESBLd-Inzidenz > 10 %) | In Kombination mit: Ciprofloxacinc 3 × 400 mg/d oder Levofloxacin 2 × 500 mg/d oder Aminoglykosid | Bei MRSA-Verdacht oder lokaler MRSA-Inzidenz von > 10 % zusätzlich: Linezolid 2 × 600 mg/d oder Vancomycin 2 × 15 mg/kg KG/d (Talspiegel 15–20 μg/ml oder AUC/MHK 400–600 mg/h/L) |
VAP, schwere HAP oder Sepsis UND lokale Inzidenz für MDR-Pseudomonas oder Klebsiella pneumoniae Carbapenemase (KPC5) > 5 % | ||
1. Wahl: Ceftolozan/Tazobactamc 3 × 2 g/1 g (bei hoher MDR-Pseudomonas-Inzidenz) Ceftazidim-Avibactamc 3 × 2 g/0,5 g (bei hoher KPCe-Inzidenz) | In Kombination mit: Ciprofloxacinc 3 × 400 mg/d oder Levofloxacin 2 × 500 mg/d oder Aminoglykosid | Bei V. a. MRSA oder lokaler MRSA-Inzidenz von > 10 % zusätzlich: Linezolid 2 × 600 mg/d oder Vancomycin 2 × 15 mg/kg KG/d (Talspiegel 15–20 μg/ml oder AUC/MHK 400–600 mg/h/L) |
Empirische Initialtherapie bei Immunsuppression und Risiko für opportunistische Infektionen | ||
– Antibakterielle Therapie wie oben – Zusätzlich unverzügliche fungale, virologische und mykobakterielle Diagnostik (siehe Teil 1) – Bei schwerem Krankheitsbild und hochgradigem Verdacht auf Pneumocystis jirovecii-Pneumonie, invasive Schimmelpilz- oder CMV-Infektion empirische Therapie bis zum Ausschluss der entsprechenden Infektion gerechtfertigt | ||
RISIKOFAKTOREN für das Vorhandensein von Pseudomonas aeruginosa (das Risiko für eine Pseudomonas-HAP steigt mit der Zahl der erfüllten Faktoren und der Schwere der Erkrankung) | ||
– Bronchiektasen – Fortgeschrittene chronisch obstruktive Lungenerkrankungen – Vorbekannte chronische Pseudomonas-Infektion/-Kolonisation | ||
RISIKOFAKTOREN für das Vorhandensein von MRE (das Risiko für eine MRE-Infektion steigt mit der Zahl der erfüllten Faktoren und der Schwere der Erkrankung) | ||
– Lokale MRE-Rate von > 10 % – Antimikrobielle Breitspektrum-Therapie in den letzten 3 Monaten – Hospitalisierung ≥ 5 Tage (late-onset) – Vorbekannte MRE-Kolonisation/-Infektion in den letzten 12 Monaten – Medizinische Versorgung in Süd- und Osteuropa, Afrika, Naher Osten, Asien in den letzten 3 Monaten – Septischer Schock, ARDS, Sepsis-assoziierte Organdysfunktion, Behandlung auf ICU Zusätzliche Risikofaktoren bzgl. MRSA (kein validierter MRSA-Risiko-Score für HAP oder Sepsis verfügbar): – Vorbekannte MRSA-Kolonisation oder Z. n. MRSA-Infektion, ICU-Aufenthaltsdauer > 6 d, invasive maschinelle Beatmung, rezente Therapie mit Fluorchinolonen oder Cephalosporinen, zentrale Venenverweilkatheter (beispielsweise Dialyse), rezent stattgehabte Operation (beispielsweise Neurochirurgie) | ||
RISIKOFAKTOREN für das Vorhandensein opportunistischer HAP-Erreger (in erster Linie Pneumocystis jirovecii, Schimmelpilze, CMV, HSV‑1, Mykobakterien) | ||
– Organ- oder Knochenmark- bzw. Stammzelltransplantation – Chemotherapie solider oder hämatologischer Neoplasien mit und ohne Neutropenie – HIV im Stadium AIDS – Immunsuppressive oder immunmodulierende Therapie bei Autoimmunopathien – Systemische Glukokortikoidtherapie über einen Zeitraum von mindestens 4 Wochen mit einer Erhaltungsdosis ≥ 10 mg/d Prednisolon-Äquivalent (bei ICU-Patienten mit schwerer Influenza- bzw. SARS-CoV‑2 Pneumonie oder mit sehr hoher Glukokortikoiddosis auch bereits ab 1 Woche) |
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Die Therapie erfasst initial ein breites Erregerspektrum (hit hard, broad and early). Liegt zusätzlich ein hohes MRE- oder Pseudomonas-Risiko vor, sollte empirisch mit einer Kombinationstherapie begonnen werden.
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Die Dosierung der Antiinfektiva sollte nach pharmakokinetischen/-dynamischen Prinzipien optimiert werden (beispielsweise Betalaktam-Antibiotika nach initialer Bolus-Gabe als prolongierte Infusion verabreichen, siehe auch unten). Bei bestimmten Substanzen ist ein Drug-Monitoring sinnvoll.
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Bei schwerer Immunsuppression (Tab. 1), aber auch bei ICU-pflichtiger Influenza- oder SARS-CoV-2-Pneumonie („severe acute respiratory syndrome coronavirus“), wird primär auch Pilzdiagnostik veranlasst (in der Regel CT-Thorax, Kulturen, Serum- und BAL-Galactomannan, Serum-(1-3)-beta-D-Glucan, gegebenenfalls auch PCR; BAL: bronchioalveoläre Lavage). Bei hohem Risiko für eine invasive Pilzinfektion (Candidämie, Pneumocystis-Pneumonie, invasive Aspergillose) und schwerem Krankheitsbild sollte bis zum Ausschluss empirisch auch eine antifungale Therapie eingeleitet werden.
Substanz | Spektrum im MDR-Bereich | Tagesdosis | Kommentar |
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Ceftobiprol (Zevtera®) | MRSA | 3 × 500 mg über je 2 h | Für HAP, aber nicht für VAP zugelassen Auch geeignet für non-MDR P. aeruginosa |
Ceftolozan-Tazobactam (Zerbaxa®) | ESBL AmpC CR P. aeruginosa (non-MBL) | 3 × 2 g/1 g über je 1 h | Nicht ausreichend wirksam im Gram-positiven Bereich (z. B. bei MSSA) |
Meropenem-Vaborbactam (Vabomere®) | ESBL AmpC KPC | 3 × 2 g/2 g über je 3 h | Auch geeignet für non-MDR P. aeruginosa Auch geeignet für non-MDR A. baumannii |
Imipenem-Relebactam Cilastatin (Recarbrio®) | ESBL AmpC KPC CR P. aeruginosa (non-MBL) | 4 × 0,5 g/0,25 g/0,5 g über je 30 min | – |
Ceftazidim-Avibactam (Zavicefta®) | ESBL AmpC KPC OXA 48 CR P. aeruginosa (non-MBL) | 3 × 2 g/0,5 g über je 2 h | Nicht ausreichend wirksam im Gram-positiven Bereich (z. B. bei MSSA) |
Cefiderocol (Fetcroja®) | ESBL AmpC KPC MBL CR P. aeruginosa (CR A. baumannii) S. maltophilia | 3 × 2 g über je 8 h | „All-cause“ Letalität für Patient*innen mit CR- A. baumannii-Infektionen und Cefiderocol-Monotherapie möglicherweise erhöht Nicht ausreichend wirksam im gram-positiven Bereich (z. B. bei MSSA) |
Erreger und Resistenz | Empfehlung entsprechend der vorliegenden Resistenz | Grad der Empfehlung |
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Enterobakterien | ||
ESBL | Leichte Infektion: Traditionelle (alte) Substanzen (z. B. Piperacillin/Tazobactam, Amoxicillin/Clavulansäure, Fluorchinolone bei In-vitro-Wirksamkeit) | Schwach |
Sepsis oder Hochrisiko-Infektionena: Meropenem oder Imipenem (bei klinischer Stabilisierung im Verlauf Deeskalation nach Antibiogramm) | Stark | |
Carbapenem-Resistenz (CRE) | Leichte Infektion: Traditionelle Substanzen (bei In-vitro-Wirksamkeit) | Schwach |
Sepsis: Meropenem/Vaborbactam oder Ceftazidim/Avibactam | Schwach | |
Tigecyclinb nach Möglichkeit nicht (oder nur high-dose) einsetzen | Schwach | |
Breite Carbapenem-Resistenz (X-CRE) | Cefiderocol (alternativ Aztreonam plus Ceftazidim/Avibactam) | Schwach |
Kombinationstherapie bei CRE-Infektionen – bei guter Empfindlichkeit in der Regel nicht notwendig – bei Sepsis empfohlen, wenn Erreger nur noch auf Colistin, Aminoglykoside, Tigecyclinb oder Fosfomycin sensibel ist bzw. neue BLBLI nicht verfügbar sind (Einsatz von mehr als einer aktiven Substanz empfohlen) – bei einer Meropenem-MHK ≤ 8 mg/L kann eine Carbapenem Kombinationstherapie mit high-dose extended-Carbapenem-Infusion erwogen werden | ||
Pseudomonas aeruginosa | ||
Keine Carbapenem-Resistenz | Bei In-vitro-Wirksamkeit sollten traditionelle (alte) Pseudomonas-wirksame non-Carbapenem-β-Laktame (z. B. Piperacillin/Tazobactam, Ceftazidim, Cefepim, Aztreonam) gegenüber Carbapenemen bevorzugt werden | GPS |
Carbapenem-Resistenz | Leichte Infektion: Traditionelle Pseudomonas-wirksame Substanzen (bei In-vitro-Wirksamkeit) | GPS |
Sepsis oder Hochrisiko-Infektionena: Ceftolozan/Tazobactam (alternativ bei In-vitro-Wirksamkeit traditionelle Pseudomonas-wirksame non-Carbapenem-β-Laktame als high-dose-extended infusionstherapie oder Imipenem/Relebactam oder Ceftazidim/Avibactam) | Schwach | |
Kombinationstherapie bei Pseudomonas-Infektionen – bei guter Empfindlichkeit in der Regel nicht notwendig – bei Sepsis empfohlen, wenn Erreger nur auf Colistin, Aminoglykoside oder Fosfomycin sensibel ist bzw. neue BLBLI nicht verfügbar sind – bezüglich der neuen BLBLI oder Cefiderocol kann aktuell keine Empfehlung für oder gegen eine Kombinationstherapie ausgesprochen werden (fehlende Evidenz) | ||
Acinetobacter baumannii | ||
Keine Carbapenem-Resistenz | Leichte Infektion: Ampicillin/Sulbactam, Meropenem, Cefepim als Monotherapie Schwere Infektion: Kombinationstherapie | GPS |
Carbapenem-resistenter A. baumannii (CRAB) | Sulbactam empfindliche CRAB: Ampicillin/Sulbactam | Schwach |
Sulbactam resistente CRAB: Colistin oder high-dose Tigecyclinb (bei In-vitro-Wirksamkeit) | Schwach | |
CRAB sollten nicht primär mit Cefiderocol behandelt werden (nur bei fehlendem Ansprechen auf andere Substanzen oder Unverträglichkeit) | Schwach | |
Kombinationstherapie bei schweren CRAB-Infektionen – Bei Sepsis wird eine Kombination von zwei in vitro wirksamen Substanzen empfohlen (high-dose Ampicillin/Sulbactam, Carbapenem, Colistin, Aminoglykosid, Minocyclin, high-dose Tigecyclinb, Rifampicin). – Nicht empfohlen ist jedoch die Kombination von Colistin-Meropenem oder Colistin-Rifampicin (in Studien kein Vorteil gegenüber der Monotherapie) – Bei einer Meropenem-MHK ≤ 8 mg/L kann eine Carbapenem Kombinationstherapie mit High-dose extended-Carbapenem-Infusion erwogen werden | ||
Stenotrophomonas maltophilia | ||
Leichte Infektion: Primär Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Minocyclin oder Levofloxacin als Monotherapie (bei fehlender klinischer Besserung als Kombinationstherapie) | ||
Schwere Infektion: Trimethoprim/Sulfamethoxazol PLUS Minocyclin, (alternativ zu Minocyclin: Levofloxacin, Tigecyclinb, Cefiderocol), alternativ Ceftazidim/Avibactam PLUS Aztreonam |
Prolongierte Infusionsdauer bei schwerer HAP
Allgemeine Therapiedauer
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schwere Bronchiektasenerkrankung
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schwere Immunsuppression
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Empyem, Lungenabszess, einschmelzende Pneumonien oder superinfizierte Kavernen
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verzögertes Therapieansprechen (nur langsam regrediente Entzündungsparameter)
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initial inadäquate antimikrobielle Therapie
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Nachweis einer Bakteriämie durch Gram-negative Erreger oder Staphylococcus-aureus
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Nachweis von „extensively drug resistant“ (XDR)/„pandrug resistant“ (PDR) oder Carbapenem-resistenten Enterobakterien