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Ärzte Woche

21.08.2023 | Gesundheitspolitik

Prävention? Brauchen wir nicht

verfasst von: Josef Broukal

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Seit Monaten streiten Bund, Länder und Gemeinden um mehr Geld für die Versorgung kranker und verunfallter Menschen. 10 Milliarden Euro mehr wollten die Länder Mitte Juli für die nächsten fünf Jahre, 2 Milliarden Euro war der Finanzminister bereit zu geben. Stichworte wie Ärztemangel, Spitalsnotstand, unbesetzte Kassenordinationen, Ansturm auf die Ambulanzen bestimmen die öffentliche Debatte. Nur ein Wort fehlt: Prävention. Dabei könnte sie die größten Einsparungen bringen.

An großen Worten mangelt es nicht: Im Regierungsprogramm von Türkis-Grün versprechen die Koalitionäre sich und uns, dass wir bereits im Jahr 2023 zwei Lebensjahre mehr in Gesundheit verbringen werden. Die traurige Wahrheit: 2014 konnten sich 65-Jährige noch über durchschnittlich 11,35 gesunde Lebensjahre freuen. Fünf Jahre später, im Jahr 2019, waren es nur mehr 9,75 Jahre – sagt Statistik Austria . Im internationalen Vergleich liegt Österreich bloß im europäischen Mittelfeld. Und das, obwohl es eines der reichsten Länder der Europäischen Union ist. 2019 hat die EU-Statistikbehörde „Eurostat“ herausgefunden: Fast 73 gesunde Lebensjahre können Neugeborene in Schweden erwarten – der Spitzenplatz in Europa. In Österreich liegen die Frauen mit 59,3 Jahren auf dem beschämenden siebtletzten Platz. Und Männer mit 58,2 Jahren auf dem achtletzten Platz – als eines der reichsten Länder der Welt. Thomas Szekeres, Ex-Präsident der Österreichischen Ärztekammer, stellte 2019 lapidar fest: „Das Gesundheitssystem in Österreich wird erst aktiv, wenn man krank ist.“

Das österreichische Gesundheitssystem sei auf einem sehr hohen Niveau, sagte Szekeres damals. Trotz vieler Beschwerden könnten die Menschen dank der medizinischen Leistungen ein hohes Alter erreichen. Es werde aber viel zu wenig in Prävention und Gesundheitsvorsorge investiert. Wie sieht Szekeres das heute – als ehemaliger Ärztekammerpräsident, der sich kein Blatt mehr vor den Mund nehmen muss? Statistiken würden zeigen, „dass wir weniger für Prävention ausgeben als der Durchschnitt der Industriestaaten oder auch der Staaten der Europäischen Union. Und der Hintergrund ist, dass eigentlich niemand zuständig ist. Die Krankenkassen sind für die Kranken da, nicht für die Gesunden. Wenn die Kassen Geld für Prävention ausgeben, dann ist das eine Fleißaufgabe, aber nichts, was ihnen gesetzlich vorgeschrieben wäre.“ Zuständig seien die Länder und der Bund, „die schon etwas ausgeben, aber leider zu wenig“.

Das größte Defizit in der Prävention sieht Szekeres bei den Kindern. „Man müsste die Gesundheitserziehung schon im Kindergarten forcieren.“ Er sei in seiner Zeit als Ärztekammerpräsident bei einigen Unterrichtsministerinnen vorstellig geworden. Alle hätten wohlwollend genickt, „aber leider waren sie vollauf damit beschäftigt, den Kindern Lesen und Schreiben beizubringen – und selbst das schaffen sie, wie wir wissen, nur schlecht“. Szekeres erinnert sich, wie ihn die Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek abblitzen ließ. Sie werde sich nach ihrem Sommerurlaub mit ihm zusammensetzen, habe sie versprochen. Ergebnis: „Bis heute ham ma uns nimma troffen.“

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Große Worte - wenig Taten

Dass in Österreich so wenig gesunde Jahre zusammenkommen, liege an Wohlstandskrankheiten, gegen die wenig getan werde. Das beginne schon beim im europäischen Vergleich hohen Konsum von Alkohol und Nikotin. Jugendliche bis zum zehnten Lebensjahr seien noch sportlich. Zwischen zehn und 15 Jahren hörten sie aber meist auf. Hinzu komme bei vielen Menschen Übergewicht. All das führe dazu, dass man in Österreich relativ früh Diabetes bekomme oder die Blutgefäße nicht mehr in Ordnung seien. Gesundheitserziehung in den Schulen, aber auch die tägliche Turnstunde könnten dem entgegenwirken.

Szekeres sagt, hier könnten die Schulärztinnen und -ärzte gemeinsam mit den Biologielehrerinnen und -lehrern aktiv werden. „Aber es gibt zu wenige, und sie werden schlecht bezahlt.“ Und weiter: „In den letzten Jahren haben die Kinder in den Schulen gelernt, den Müll zu trennen, und haben es dann auch ihren Eltern beigebracht. Ähnlich könnte man sie auch für Gesundheit, Ernährung und Bewegung sensibilisieren. Auch als Botschafter an ihre Eltern.

Prävention, so Szekeres abschließend, würde auch nicht viel kosten, aber: „Sie bringt kurzfristig nichts, sondern nur langfristig.“ „Es macht einen Unterschied, ob jemand mit vierzig oder mit sechzig an Diabetes erkrankt.“

Woran liegt es eigentlich, dass sich Herr und Frau Österreicher zwar über ein langes Leben freuen können, nicht aber über lange Jahre in voller Gesundheit? Wir fragen Prof. Hans-Peter Hutter, Oberarzt am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien.

Vor allem bei der sogenannten „Sekundärprävention“ sind die Österreicher laut Hutter Vorsorgemuffel: Darmspiegelung, Melanom- oder Prostatakrebsvorsorge werden hierzulande viel zu selten gemacht. Nur bei der Brustkrebsfrüherkennung sehe es besser aus. Doch gerade bei Männern sei Früherkennung ein Fremdwort. „Da kommt diese verbreitete toxische Männlichkeit ins Spiel.“ Die hohe Lebenserwartung von Herrn und Frau Österreicher gehe leider mit vielen Jahren eingeschränkter Lebensqualität einher.

Auch bei der Primärprävention, also der Vermeidung von Krankheiten, sei die Welt nicht in Ordnung. „Da geht es um einen gesundheitsbewussten Lebensstil, etwa um mehr Bewegung. Es geht aber auch um Umweltfaktoren. Zum Beispiel um Lärm. Um Feinstaub. Um die steigende Zahl von Asthmatikern und Allergikern.“

7,4 Millionen Menschen in der EU leiden allein an Allergien gegen das aus Nordamerika eingeschleppte Ragweed. Die jährlichen Kosten werden auf 14 Milliarden Euro geschätzt – „vom Leid der Betroffenen ganz zu schweigen“, sagt Hutter.

Was also tun? Der Vorsorgegedanke sei in Österreich noch nicht angekommen. Das hätten die ersten Monate der SARS-CoV-2-Pandemie deutlich gezeigt – nach dem Ende des ersten Lockdowns hätten sich viele gefragt, warum sie eigentlich noch Masken tragen müssten. Die Folge: Die Maskenpflicht wurde aufgehoben – und im September 2020 stiegen die Erkrankungszahlen sprunghaft an. Hutters Fazit: „Es geht darum, den Menschen zu erklären, dass Prävention dann stattfindet, wenn man eigentlich nichts hat.“

Wir alle wissen, dass wir krank sind, wenn wir krank sind. Das scheint uns ein bedauernswerter Zustand zu sein. Aber, sagt Hutter, auch gesund zu sein ist ein Zustand, den es zu erhalten gilt. Durch einen gesunden Lebensstil, durch Vorsorgeuntersuchungen, aber auch durch eine gesunde Umwelt, zu der man als Einzelner oft nur wenig beitragen könne, etwa bei Luftverschmutzung und Lärmbelastung. Hier sei die Gesellschaft gefordert – auch mit kreativen Anreizen. „Anders geht es nicht.“

ÖGK verspricht mehr Aufklärung

Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) wolle ihrem Namen gerecht werden und sich auch darum kümmern, dass die Menschen gesund bleiben. Das meinte kürzlich ÖGK-Obmann Andreas Huss. Die ÖGK werde ihre Ausgaben für Prävention deutlich erhöhen: Von derzeit 1,4 Prozent auf 5 Prozent, also um das Zweieinhalbfache. Huss wörtlich: „Dabei muss aber klar sein, dass nur in Maßnahmen investiert wird, deren Nutzen evidenzbasiert abgesichert ist, sonst finanzieren wir etwas, das nicht zum Ziel der gesunden Lebensjahre beiträgt. Das können wir uns nicht leisten und wollen wir auch nicht. Ein Teil der zusätzlichen Mittel für Prävention soll in die teilweise Mitfinanzierung des Ausbaus des öffentlichen Impfprogramms investiert werden.“

Die ÖGK werde dafür sorgen, dass in den Ordinationen gute Informationen über Prävention und Gesundheitsförderung aufliegen. Schon jetzt sei bei vielen Programmen hinterlegt, dass die Ärzte und Ärztinnen für die Zuweisung zu Gesundheitsprojekten so etwas wie eine Kopfpauschale bekommen. Die Ärzte selbst müssen dann nicht mehr viel beraten, es reicht, wenn sie auf die kompetente Beratung direkt beim Anbieter verweisen – wie jetzt schon beim Kinder-Abnehmprogramm. Eine wichtigere Rolle wird den Angehörigen anderer Gesundheitsberufe zukommen. Pflegekräfte, Diätologen, Psychologen, Therapeuten und Vertreter anderer Gesundheitsberufe können die Menschen hier viel besser begleiten als Ärztinnen und Ärzte. Und sie tun dies bereits heute in den Primärversorgungszentren.

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Metadaten
Titel
Prävention? Brauchen wir nicht
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
21.08.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 34/2023

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