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Ärzte Woche

11.08.2023 | Onkologie und Hämatologie

Runter mit der Tarnkappe

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Ein neues Verfahren eines Wiener Biotech-Unternehmens identifiziert wesentlich genauer als bisherige Labortests jene Patienten mit Tumorerkrankungen, die auf die neuesten Immuntherapien ansprechen werden. Ausschlaggebender Faktor ist offenbar das Darm-Mikrobiom.

Die neuen Krebs-Immuntherapien mit monoklonalen Antikörpern, die sogenannten „Checkpoint-Inhibitoren“, haben die Behandlung von Tumorerkrankungen in vielen Fällen deutlich wirksamer gemacht. Die Biotech-Medikamente sollen die körpereigene Immunabwehr wieder gegen die bösartigen Zellen „scharf“ machen.

Dabei richten sich die monoklonalen Antikörper gegen Strukturen wie PD-L1, PD-1 oder CTLA 4, welche Tumoren quasi eine „Tarnkappe“ gegenüber der körpereigenen Immunabwehr vermitteln. Diese Strategie hat beispielsweise bei nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen die längerfristigen Therapie-Erfolgsraten stark erhöht.

Das Problem: Bisher gab es nur sehr beschränkte Mittel, um unter den Patienten jene zu identifizieren, welche zu einem hohen Prozentsatz auf diese Behandlung mit erheblichem Nebenwirkungspotenzial und Kostenaufwand auch wirklich ansprechen. Bei den Darmbakterien könnte eine Lösung liegen.

Mikrobiom-Analyse

„Das Darm-Mikrobiom ist mittlerweile ein Hauptakteur für den klinischen Erfolg von Immun-Checkpoint-Inhibitoren geworden. Bisher wurde aber noch keine Mikrobiom-Analysemethode für die Therapie-Entscheidungsfindung entsprechend validiert“, schrieb jetzt ein onkologisch tätiges Autorenteam aus Pneumologen, Urologen und Dermatologen der Klinik Floridsdorf (Wiener Gesundheitsverbund) sowie der drei heimischen MedUnis Wien, Graz und Innsbruck in der Fachzeitschrift Cancer .

Das Autorenteam um Arschang Valipour, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie an der Klinik Floridsdorf und Leiter des Karl-Landsteiner-Instituts für Lungenforschung und Pneumologische Onkologie hat die Prognose-Genauigkeit eines vom Wiener Biotech-Unternehmen Biome Diagnostics GmbH entwickelten Darm-Mikrobiom-Testverfahrens ( BiomeOne ) für das Ansprechen von Patienten auf eine Krebs-Immuntherapie bestimmt. Bei der Technik wird eine Stuhlprobe an das Unternehmen geschickt, das mittels Erbgut-Sequenzierung dann die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms bestimmt und die Ergebnisse rückmeldet. Diese Abläufe dauern zwei Wochen.

Für die Studie wurden Stuhlproben von 63 Patienten mit fortgeschrittenen Karzinomerkrankungen (Stadium III oder IV von Melanomen, nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen oder Nierenzellkarzinomen) verwendet. Je nachdem, ob die Kranken auf die Checkpoint-Inhibitor-Therapie ansprachen oder nicht, zeigte sich ein unterschiedliches Spektrum an Darmbakterien: Bei Behandelten mit einer objektiv dokumentierten Wirkung der Behandlung wurden vermehrt sogenannte Oscillospira-, Clostridia-, Lachnospiraceae und Prevotella copri-Keime festgestellt. Umgekehrt zeigten sich weniger Keime vom Typ der Sutterella-, Lactobacillales- und Streptococcus-Bakterienfamilien.

„Die Klassifizierung von Patientenproben in dieser Validierungsgruppe nach Ansprechen oder Nichtansprechen ergab eine Sensitivität (Vorhersage eines positiven Behandlungseffektes; Anm.) von 81 Prozent und eine Spezifität (wahrscheinlich kein Effekt bei negativem Ergebnis; Anm.) von 50 Prozent“, schrieben die Wissenschafter.

Bei 38 Erkrankten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom, die häufigste Lungenkrebserkrankung weltweit, brachte es der BiomeOne-Test auf eine Sensitivität (Vorhersage des Ansprechens auf eine Immuntherapie) von 78,6 Prozent. Das war zahlenmäßig mehr als die derzeit routinemäßig verwendete Bestimmung der PD-L1-Oberflächenproteine aussagte (67,9 Prozent Sensitivität).

Von Anfang an gab es bei der Etablierung der modernen Immuntherapien zahlreiche Versuche, die am besten geeigneten Patienten zu identifizieren. Die Häufigkeit von PD-L1-Oberflächenproteinen auf Gewebeproben wird routinemäßig verwendet. In verschiedenen Studien zeigte sich eine Abhängigkeit der Wirksamkeit von diesem Faktor, aber nur teilweise und nicht mit hoher Aussagekraft. Möglicherweise lassen sich die verschiedenen Tests kombinieren, um eine höhere Vorhersagegenauigkeit zu erhalten.

„Die Validierung ( des Tests; Anm. ) bei zusätzlichen Anwendungsgebieten und das Erweitern auf andere Interventionen auf der Basis von Mikrobiom-Analysen ist entscheidend, um solche Diagnostika in die Routineanwendung zu bringen“, schrieben die Forscher.

Seitenwechsel. Um die Sicht der Patientinnen und Patienten auf eine Krebsbehandlung zu ermitteln, werden in onkologischen Studien patientenberichtete Zielgrößen, sogenannte „Patient-reported outcomes“, kurz PRO, erhoben – leider oft zu kurz, etwa nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem im Röntgenbild ein Wachstum des Tumors angezeigt wird und es zum Behandlungsabbruch kommt.

So lassen sich die Auswirkungen des im Röntgenbild dargestellten Progresses oder auch langfristige Nebenwirkungen der Krebstherapie auf das Leben der Betroffenen nicht sicher einschätzen. Begründet wird das mit organisatorischen Schwierigkeiten oder mit dem Desinteresse der Betroffenen an einer langfristigen Nachverfolgung. Aber stimmt das überhaupt?

Solche Fragen wurden 2020 in einem Round-Table-Gespräch diskutiert, an dem 16 Interessenvertreter aus Wissenschaft, klinischer Praxis, Betroffenenverbänden, internationalen Zulassungsbehörden, HTA-Einrichtungen und der pharmazeutischen Industrie teilnahmen. Das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) war durch das Ressort Arzneimittelbewertung vertreten.

Gute Erläuterungen notwendig

Alle Parteien waren sich einig, dass es wichtig ist, die langfristigen Auswirkungen von Therapien auf die Patientinnen und Patienten in klinischen Studien zu verstehen – auch über den Behandlungsabbruch hinaus. Damit patientenberichtete Endpunkte aus der Zeit nach Abschluss der Studienbehandlung möglichst gut genutzt werden können, müssen die Sponsoren klinischer Studien bereits vor Beginn der Erhebung klare Forschungsfragen festlegen. Alles andere wäre unethisch und eine Vergeudung von Mitteln und der wertvollen Lebenszeit der Erkrankten.

Den Patientenvertretungen zufolge sind Betroffene willens, Zeit in die PRO-Erfassung zu investieren, wenn man ihnen erläutert, wozu ihre Angaben benötigt werden. Das zeigt: Eine längere Erhebung solcher Zielgrößen ist kein wirklichkeitsferner akademischer Wunschtraum, sondern mit guter Planung machbar – und läuft den Interessen der Betroffenen keineswegs zuwider.

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Metadaten
Titel
Runter mit der Tarnkappe
Publikationsdatum
11.08.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 34/2023

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