Die frühe Psychoanalyse und ihr Verhältnis zum Körper
„Das Verhältnis zur Körperlichkeit ist in der Psychoanalyse in der Tat ein zwiespältiges: Sie ist wie kaum eine andere psychologische Lehre von je einzelnen Körpern eines Menschen ausgegangen. Ihre Voraussetzungen fußten auf direkten Annahmen von Körperprozessen wie in der Trieblehre oder setzten eine grundlegende Beteiligung von Körperorganen voraus“ (Lemche 2006, S. 15). Vordenker (Messmer, Janet) und frühe Psychoanalytiker (Freud, Groddeck, Ferenczi, Schilder, Reich …) arbeiteten mit ihren Patient:innen auf körperlicher und psychischer Ebene und stellten sich die Frage nach dem Ort des Unbewussten im Körper. Deren Beantwortung führte im Verlauf der Schulenentwicklung zu unterschiedlichen Ergebnissen. Sigmund Freud ging in seinen frühen Schriften von einer stetig fließenden Triebenergie aus (1905), die sich körperlich manifestiere und entwicklungsgeschichtlich mit der psychosexuellen Entwicklung und libidinösen Zonen im Körper verbunden sei. „In der zweiten, also klinisch relevanten Triebdefinition Freuds stellten die Triebe die Repräsentanzen dar, d. h. die bewussten oder unbewussten Abbildungen der Anforderungen des Somatischen an das Seelische“ (Krause 2012, S. 175). Triebe sieht Freud als „Grenzbegriff“ (Freud 1915, S. 214) zwischen Psyche und Soma. Die (sexuelle) Triebenergie musste aus sozialen Gründen unterdrückt und kanalisiert und damit ins Unbewusste verdrängt werden. Im Folgenden wird beispielhaft kurz auf drei frühe psychoanalytische Theoretiker eingegangen, die für die Entwicklung einer psychodynamisch orientierten Körperpsychotherapie relevant erscheinen.
Der Arzt George Groddeck (1866–1934) leitete eine psychosomatische Klinik und behandelte seine Patient:innen mit tiefer Gewebemassage, mit dem Ziel chronisch verspannte Muskulatur zu lockern. Auch arbeitete er bereits daran, die eingeschränkte Atmung der Patient:innen zu erweitern (Groddeck 1990 [1923]). Er behielt diese Technik auch nach seinem Kontakt mit der Psychoanalyse bei, nicht als Ergänzung zur Psychoanalyse, sondern als Möglichkeit, Zugang zur Körperabwehr von Triebimpulsen und Affekten zu erlangen (vgl. Downing 1996, S. 346ff).
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Paul Schilder (1886–1940), ein Wiener Psychiater und Neurologe, befasste sich schon früh mit dem Körperschema (Schilder 1923), das er als Bewusstsein des Körpers, Lokalisationsvorstellung, Raumauffassung, Bewegungsentwurf, Beziehung der Körperteile untereinander, motorisches Wissen u. a. subsumierte. „Diese Aufstellung belegt augenfällig, daß [sic] Schilder im Körperbild eine viel übergreifendere Instanz beschreibt als Freud im Körper-Ich“ (Lemche 2006, S. 62). Er betrachtet das Körperbild nicht als feststehende Entität, sondern als sich verändernd, expandierend oder kontrahierend, je nach emotionaler Lage der Person. Psychotherapeutische Interventionen verändern also auch das bewusste und unbewusste Körperbild.
Wilhelm Reich (1897–1957) wurde schon sehr jung in die Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen und widmete sich der Erforschung des Widerstandes. Zur Zeit seiner Publikation des Körperschemas war Schilder sein Supervisor. Reich beschrieb den Widerstand auf körperlicher und psychischer Ebene als funktional ident. Aus seiner Sicht gibt es eine Entsprechung jeder psychischen Bewegung auf der körperlichen Ebene. In seiner Charakteranalyse (1989 [1933]) bringt er diese körperlichen Haltungen mit der Verdrängung psychischer Inhalte in Verbindung. Für Reich war Verdrängung ein körperlicher Vorgang und damit das Unbewusste immer schon auch ein körperliches, mit der Existenz der Libidoenergie verbundenes Phänomen. In „Die Funktion des Orgasmus“ sieht Reich im Orgasmus den Zweck überschüssige Energie des Organismus abzuführen (Reich 2000 [1927]). Wenn dies nicht möglich oder die Entladung unzureichend ist, wird die Energie im Körper durch verminderte Atmung und Blockaden im Muskelsystem reduziert. In späteren Jahren beschäftigte sich Reich immer weniger mit der Erforschung der Psyche und damit auch mit dem in Sprache bringen psychischer und körperlicher Phänomene zugunsten der Arbeit an einer Steigerung der menschlichen Energie. Der berechtigte Vorwurf sich damit von der Psychotherapie verabschiedet zu haben, schmälert nicht seine Leistung, ein Modell einer ganzheitlichen Beschreibung von Persönlichkeit zur Verfügung gestellt zu haben (Reich 1989, [1933]).
Freud erschien die Topologie bewusst, vorbewusst, unbewusst zunehmend ungenügend und er entwickelte die 2. Topologie – das Instanzenmodell (1923), indem das Unbewusste keinen körperlichen Ort mehr kannte. Die Kontroverse zwischen Freud und Reich, die viele Ebenen berührte, kann auch als Auseinandersetzung zum Thema konkreter Ort des Unbewussten gelesen werden.
Der Wunsch nach Anerkennung der Psychoanalyse in der Wissenschaft folgte damit vermehrt dem Descart’schen Paradigma der Trennung von Körper und Geist: „Ich denke, also bin ich.“, die Körperlichkeit wurde dem Denken und der Psyche hintan gereiht. Trotz Freuds Aussage: „Jede Forschungseinrichtung, welche diese beiden Tatsachen (Übertragung und Widerstand) anerkennt und sie zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit nimmt, darf sich Psychoanalyse heißen, auch wenn sie zu anderen Ergebnissen als den meinigen gelangt“ (Freud 1914, S. 54), verlief die Entwicklung der Psychoanalyse und psychodynamisch orientierter Körperpsychotherapie seither weitestgehend getrennt.
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Das Festhalten Reichs und seiner Schüler:innen an der Triebtheorie und deren körperlicher Basis brachte sie in den Verruf der Unwissenschaftlichkeit. Weiterentwicklungen wurden von der psychoanalytischen Community nicht wahrgenommen (Lemche 2006).
Weiterentwicklungen
Container-Contained
Bereits die Objektbeziehungstheoretiker:innen, allen voran Wilfred R. Bion, näherten sich dem Körper wieder an, indem sie die Entstehung des psychischen Apparats ganz körpernah in den frühen Erfahrungen der Beziehung zwischen Säugling und Betreuungsperson verorteten. Bion verwendete das Bild eines schreienden Säuglings, der über sein Schreien die frühe Bezugsperson zu einer Pflegehandlung animiert. Der Säugling projiziert Gefühle und (körperliche) Zustände (Bion nennt sie Beta-Elemente) auf seine Bezugsperson, die diese unerträglichen Zustände als Container verdaut und in Alpha-Elemente umwandelt (Bion 1992 [1962], S. 54ff). Dabei lernt der Säugling den Umgang mit inneren Spannungszuständen (z. B. Hunger) auf einer konkreten Ebene (indem er z. B. gefüttert wird) und gleichzeitig bildet sich ein innerer eigener Container, der mit zukünftigen Spannungszuständen umgeht, sie reguliert, unterdrückt, ausdrückt, oder erneut projizierend unverdaut an andere weitergibt. Die Psyche wird hier als komplexes vom Körper angelerntes Verdauungssystem, das „nur über den Weg des Interaktionellen zu voller Funktionsfähigkeit heranreift“ (Crepaldi 2018, S. 30), verstanden.
Das Unbewusste wird zu einem intersubjektiven Unbewussten, die (verkörperte) Erfahrung von Beziehung.
Dieses Verständnis der Entwicklung der Psyche wird später, angereichert durch die Erkenntnisse der Säuglingsforschung, zur Basis des Verständnisses von Persönlichkeitsstörung.
Säuglingsforschung, Bindungstheorie und Intersubjektivität
Die Erkenntnisse der Säuglingsforschung (Stern, Dornes, Downing) bestätigen diese frühe Beschreibung der Geschehnisse zwischen erster Bezugsperson und Kind. George Downing bezeichnet als Säuglingsforscher mit körperpsychotherapeutischem Hintergrund das Zusammenspiel von früher Bezugsperson und Säugling als körperliche Mikropraktiken (Downing 2007), als eine im Menschen grundsätzlich angelegte Bereitschaft zum Kontakt und zur Beziehung. In gefilmten Mikroanalysen des frühen Kontakts von Säugling und Elternteil wird sichtbar, dass Säuglinge schon von Geburt an mit den wesentlichen Möglichkeiten Kontakt aufzunehmen, zu intensivieren und wieder zu beenden ausgestattet sind. „Die Muskelgruppen, die die Bewegungen der Augen und das Drehen des Kopfes steuern, funktionieren von Geburt an sehr gut. […] Beachten sie auch, dass hier bereits Verbindungsschemata und Differenzierungsschemata am Werk sind, wenn auch natürlich in begrenzter Form“ (Downing 1996, S. 146, 147). Diese Mikropraktiken bezeichnet Downing als Teil des prozeduralen Unbewussten, eines „Wissen-Wie im Unterschied zu einem Wissen-Dass“ (Downing 2007, S. 335). Hier stoßen wir auf einen anderen Teil des Unbewussten, einen Teil der nicht verdrängt wurde, sondern immer schon unbewusst war und überwiegend auch bleibt. Auch dieser Teil des Unbewussten ist aber genährt von erworbenem Beziehungswissen. Wir verkörpern Beziehungsmuster von Kontakt (Anschauen und Abwenden), gemeinsamer Körperspannung und Rhythmus, die uns lebenslang und ganz basal in Beziehungen begleiten. Downing nennt das Zusammenspiel zwischen Säugling und Bezugsperson Zwei-Körper-Feld (Downing 2006, S. 336). Er versteht den Unterschied zwischen seinen Beschreibungen der körperlichen Mikropraktiken und Daniel Sterns RIGs (Representation of Interactions which have been Generalized) (Stern 1985) dahingehend, dass körperliche Mikropraktiken verkörperte Muster der Beziehung darstellen, wohingegen RIGs kognitive Schemata meinen, in der Erinnerung gespeicherte motorische Komponenten. Auch auf dieser Ebene kann ein Unterschied zwischen Körper und Körperschema (als kognitive und symbolische Repräsentanz) festgestellt werden (ebenda).
Die Bindungsforschung baut auf die Säuglingsforschung auf und fasst die basalen körperlichen Erfahrungen zu (relativ überdauernden) Bindungsmustern mit damit verbundenen Arbeitsmodellen von Beziehung zusammen. Auch diese Grundmuster der Beziehung sind nicht verdrängt, sondern als basale Muster im prozeduralen Unbewussten verkörpert.
Immer mehr geht es auch in der modernen psychodynamischen Psychotherapie um das hier und jetzt statt dem dort und dann der Erforschung der Vergangenheit. Psychotherapeut:innen und ihre Klient:innen erleben neben Übertragung- und Gegenübertragung auch ihre, darauf aufbauende, gegenwärtige Beziehung. Diese Beziehung verändert alle Beteiligten, in einem intersubjektiven Verständnis von Psychotherapie entsteht ein gemeinsames Unbewusstes (Ogden 2016, S. 36). „Verstehen entwickelt sich vielmehr in einem dialogisch strukturierten Prozess der Interaktion, als etwas, das wir miteinander teilen und das uns Gelegenheiten vermittelt, wechselseitig Anerkennung zu erfahren“ (Benjamin 2016, S. 80). Beteiligt daran ist, wie in jeder nahen Beziehung, auch der Körper mit seinen bewussten und unbewussten Anteilen. Mit diesem Hintergrund verändert sich der therapeutische Zugang. „Erst die Aufgabe der Vorstellung einer wissenden Behandlerin im Kontakt mit einer bedürftigen Klientin ermöglicht das Einlassen auf ein gemeinsames Bewegungs‑, Handlungs-, und Beziehungsexperiment“ (Pechtl 2023, S. 104).
Neurobiologie
Unser Gehirn entsteht, indem es Bilder und Landkarten von wichtigen Ereignissen und Abläufen abbildet. „Die kartierten Muster stellen das dar, was wir als bewusste Lebewesen als Anblicke, Klänge, Gerüche, Geschmack, Schmerz, Freude und Ähnliches kennen – oder kurz gesagt als Bilder. Die Bilder in unserem Geist sind die derzeitigen Gehirnkarten von allem und jedem in unserem Körper und in unserer Umgebung“ (Damasio 2013, S. 82).
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Was uns bemerkenswert erscheint, sind Veränderungen in der Anordnung zwischen Organismus und Umgebung. Wir erleben Interaktion und speichern die über Sensoren im und am Körper wahrgenommenen Signale über diese Interaktionen Lage- und Zustandsveränderungen ab. Bei Wiederholungen oder großer zugemessener (emotionaler) Wertigkeit solcher Interaktionsmuster bilden sich im Gehirn zugehörige neuronale Muster, die durch jede weitere Interaktion aktiviert und ausdifferenziert werden. Interaktionserfahrungen strukturieren also unser Gehirn vor.
Unser Bewusstsein (und damit auch das Unbewusste) entsteht in Beziehung, in Wechselwirkung zwischen Körper, Geist und Umwelt. Unser Körper wird kartiert, immer im Kontakt mit dem Gehirn, das ihn kartiert. Jedes Signal auf neuronaler Ebene wirkt also in beide Richtungen. Das Gehirn steuert über neuronale Signale den Körper, der wieder über sensorische Wahrnehmungen und deren Weiterleitung das Gehirn steuert, das wieder Bilder dieses Vorgangs anlegt, die unsere nächste Handlung präjudizieren.
„Wegen dieses eigenartigen Arrangements kann die Repräsentation der Welt, die sich außerhalb des Körpers befindet, nur über den Körper ins Gehirn gelangen, genauer gesagt über die Oberfläche“ (Damasio 2013, S. 103).
Die von Gallese, Fadiga, Fogassi und Rizzolatti 1996 entdeckten Spiegelneuronen sind die neurobiologische Bestätigung der Beteiligung des Körpers am Übertragungsgeschehen (Pechtl und Trotz 2019).
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Affekte
Hat Freud den Affekten noch keinen motorischen bzw. motorisch expressiven Anteil zugesprochen (Freud 1915), werden Affekte heute stark beziehungsorientiert und mit einer Appellfunktion ausgestattet betrachtet. „Die meisten Forscher verstehen das Emotionssystem als eine Art von Interface zwischen der Umwelt und verschiedenen Subsystemen des Organismus. […] Zum einen gibt es eine expressive Zeichenperipherie, die anderen Artgenossen anzeigen kann, in welchen Zustand sich das Individuum befindet und gleichzeitig eine Appellfunktion hat. […] Für olfaktorische Zeichen haben wir noch ganz wenig Befunde, obgleich es mittlerweile als gesichert gelten kann, dass Gerüche massive Einflüsse auf die Sozialpartner haben und sehr eng mit spezifischen Emotionen verbunden sind“ (Krause 2012, S. 180). Diese Interaktionen bleiben unbewusst und lösen im Gegenüber unbewusste (Übertragungs‑)Prozesse aus. Gut erforscht sind dabei inzwischen Gesichtsausdrücke, „ob und wieweit andere Affekte spezifische psychophysiologische Aktivierungen beispielsweise des Blutdrucks, der Herzrate, des Schlagvolumens, der Gesichtstemperatur, der Atemfrequenz beinhaltet, ist noch ungeklärt“ (Krause 2012, S. 181). Studien zeigen, dass im emotionalen Prozess das parasympathische autonome Nervensystem aktiviert wird, der Blutdruck und die Herzrate sich erhöhen, die Gesichtstemperatur sich verändert, uvm. (Krause 2006).
Strukturniveau, OPD und Mentalisierung
Kernberg (2013) folgend, beschreibt das OPD‑2 vier Stufen des Strukturniveaus – gut, mäßig, gering und desintegriert (vgl. Arbeitskreis OPD 2014, S. 120). Die Fähigkeit zur Strukturierung des psychischen Binnenraums, zur Selbstregulation, zur Empathie, zur realistischen Selbst- und Fremdwahrnehmung, zur Affektkontrolle und zur Bindung an innere und äußere Objekte nimmt dabei kontinuierlich ab bzw. bricht ein, bis sie psychotisch desintegriert zusammenbricht. In den ergänzenden Modulen zur Einschätzung des Strukturniveaus wird das Körpererleben als zentraler Hinweisgeber zur Einschätzung des Funktionsniveaus beschrieben. „Von den frühesten Lebenserfahrungen an ist der Körper in Interaktion eingebettet und entwickelt sich aus ihnen“ (Arbeitskreis OPD 2014, S. 489). Dieses Körpererleben auf unbewusster Ebene ist empirisch nur schwer zugänglich. So orientieren sich die Diagnostiker:innen in den Interviews an der Wahrnehmung und dem Erleben des eigenen Körpers und dem der frühen Bezugspersonen, der körperlich wahrnehmbaren Kommunikation und der Inanspruchnahme des Körpers zur psychischen Regulation. Die Möglichkeit körpertherapeutisch geschulter Therapeut:innen, die unbewussten Aspekte der eigenen Körperlichkeit (Atemmuster, Spannung, Haltung, Bewegung) in der Diagnostik und therapeutischen Beziehung mitzuberücksichtigen und über Körperarbeit und Berührung wahrnehmbar zu machen, wäre eine wichtige Erweiterung.
Strukturbezogene Diagnostik macht es möglich, das eigene Interventionsrepertoire situativ anzupassen. „Dass Strukturbildung auf Verinnerlichungsprozessen geordneter und gesunder Erfahrung basiert, ist hier (bei geringem bis mäßigem Strukturniveau – Anmerkung der Autorin) ein stärker aktiver und führender Interventionsstil bis hin zum symbolischen Austragen in der therapeutischen Beziehung erforderlich“ (Galuska und Galuska 2007, S. 596). Körperpsychotherapie mit einem breiten Interventionsrepertoire, das vom Erleben von Übertragung und Gegenübertragung zum Erfassen von Mimik und Bewegungsimpulsen, dem gemeinsamen (körperlichen) Agieren, dem Anbieten korrigierender körperlicher Erfahrungen bis zur gemeinsamen Reflexion des therapeutischen Prozesses reicht, kann hier viele Ebenen der Bearbeitung anbieten. Aus dem Wissen über die Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit (Bateman und Fonagy 2014) können auf Körperebene verschiedene Interventionen zur Stabilisierung des Strukturniveaus beitragen. Erfahrungen von basalen Abstimmungsprozessen (gegenseitiges anschauen, aufeinander zugehen, sich abwenden) als Wiederholung gemachter Erfahrung, als Enactments, können angeboten werden.
Das Wahrnehmen von Unterschieden zwischen Außen- und Innenwahrnehmung, von Körpergrenzen, kann gefördert werden. Im Sinne des Als-Ob-Modus führt das Ausprobieren und Erleben von Neuem spielerisch an neue Handlungsmuster und damit verbundene Emotionen heran. Korrigierende körperliche Erfahrungen sind möglich (Weber-Steinbach 2018). Körperpsychotherapie kann an der konkreten körperlichen Erfahrung ansetzen und Klient:innen in der Entwicklungen hin zur Generalisierung und Symbolisierung (Körperbild) unterstützen, wo dies nur unvollständig in früher Kindheit geschehen ist.
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Die Rehabilitation der Katharsis
Katharsis muss nicht immer die Folge einer invasiven Körperintervention sein, wie das für die frühe Zeit der Körperpsychotherapie oft kritisch angemerkt wurde (Geißler 2009). Kleine Haltungsänderungen und Bewegungen (Berührung, Halte- und Unterstützungstechniken, Arbeit mit dem Blickkontakt), eingebettet in eine intensive Übertragungsbeziehung, können kathartische, Spannung lösende Momente ermöglichen. Immer müssen diese in einen intensiven Reflexions- und Generalisierungsprozess eingebettet sein. Die moderne psychodynamische Therapie nennt diese besonders intensiven Momente Now-Moments (Stern 2018). Diese beinhalten authentische, spezifische und persönliche Reaktionen zwischen den Interaktionspartner:innen. „Gemeinsam berücksichtigen sie eine dramatische Bewusstwerdung (Einsicht), einen von innen nach außen gerichteten Prozess (Ausdruck) und eine sowohl qualitative als auch quantitative Veränderung“ (Klopstech 2008, S. 476). Körperinterventionen ermöglichen den Kontakt und die Veränderung basaler Organisation des Organismus – ganz basal auf Körperebene, übergeordnet im Selbst-(empfinden), dem Körperbild (dem symbolisierten Körper) und dem Beziehungsverhalten. „Es ist zu beobachten, dass embodied memories nicht statisch gespeichert und abgerufen werden, sondern stets dynamisch im Hier und Jetzt vom verkörperten Geist neu konstruiert werden“ (Storck und Brauner 2021, S. 47).
Voraussetzungen für den Einbezug des Körpers in die psychodynamische (Körper‑)Psychotherapie
In der Weiterentwicklung der Psychoanalyse können wir heute nicht von einem Unbewussten ausgehen, sondern müssen anerkennen, dass es neben dem verdrängten Unbewussten (Freud), das prozedurale Unbewusste und das intersubjektive Unbewusste gibt, jeweils mit körperlichen, semantischen und symbolischen Teilen.
Passend dazu können wir unter Körper den realen Körper, den intersubjektiv gebildeten Körper, die Körpervorstellung, das Körperselbst und Körperbild wahrnehmen und beschreiben.
„In der Psychotherapie ist der Therapeut nicht bloß Zuschauer, er interpretiert die Inszenierung nicht nur in Richtung eines möglichen verborgenen Sinns, sondern er ist am Zustandekommen der Inszenierung auch beteiligt“ (Küchenhoff 2012, S. 156). In der Begegnung von zwei Personen, Körpern und Psychen, in ihrer zwischenleiblichen Intersubjektivität, ist vorauszusetzen, dass der:die Therapeut:in über ausführliche Selbsterfahrung im körperlich-in-Beziehung-sein verfügt. Das Wissen wie er:sie in der Beziehung interagiert, was sich in seiner:ihrer Beteiligung (un-)bewusst auf körperlicher Ebene mitteilt, welcher Grad an Einlassen möglich ist, ohne den:die Klient:in alleine zu lassen oder übergriffig zu sein, muss körperlich selbst erfahren werden. Denn: „Der Körper produziert hier eine andere Übertragung als die Seele, die psychische Erinnerung“ (Moser 2012, S. 224). Die Ebenen des Einbezugs des Körpers in die Therapie müssen in ihrer Wirkung bekannt und in der Vielfältigkeit erlebt worden sein. Eine gute Möglichkeit dafür ist auch die Selbsterfahrung in der Gruppe, wo nicht nur der eigene Körper erlebt und wahrgenommen werden kann, sondern auch die Wirkung verschiedener anderer anwesender Personen auf mich und das gemeinsam Mögliche. „Körperübungen werden von uns angeleitet, wir machen aber auch selbst mit, denn das eigene Empfinden und Energieniveau, die eigene körperliche Resonanz auf diese spezielle Gruppe gibt diagnostische Hinweise“ (Majce-Egger 2019, S. 87). Ohne dieses Wissen über die eigenen verkörperten Erfahrungen, das eigene Körperselbst, über eigene Regulations- und Copingstrategien kann Körperpsychotherapie nicht gelingen. Klient:innen können nur dorthin begleitet werden, wo der:die Therapeut:in bereits Erfahrungen gemacht hat.
Interessenkonflikt
C. Pechtl gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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