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Erschienen in: Journal für Mineralstoffwechsel & Muskuloskelettale Erkrankungen 1/2023

Open Access 22.02.2023 | Originalien

„Critical illness“: erhöhtes Frakturrisiko und potenzielle Gegenmaßnahmen

verfasst von: Univ.-Prof. Dr. Katharina Kerschan-Schindl

Erschienen in: Journal für Mineralstoffwechsel & Muskuloskelettale Erkrankungen | Ausgabe 1/2023

Zusammenfassung

Bei kritisch kranken PatientInnen, die einer intensivmedizinischen Betreuung bedürfen, hat neben Inflammation, Medikation (zum Beispiel Glukokortikoide), Malnutrition und Vitamin-D-Mangel auch die Immobilisation besonders starke negative Auswirkungen auf Knochen- und Muskelstoffwechsel. Die Entkoppelung von Knochenresorption und -formation führt zu einem verstärkten Abbau von Knochenmasse und daher zu einer geringeren Belastbarkeit. Dies bedeutet bei erhöhtem Sturzrisiko ein gesteigertes Frakturrisiko, speziell bei der Remobilisation.
Aus diesem Grund sollte trotz des akuten Geschehens nach der kardiorespiratorischen und neurologischen Stabilisierung der PatientInnen an die Frakturprävention gedacht werden. Eine Basismaßnahme ist die adäquate parenterale bzw. enterale Ernährung, wobei speziell auf ausreichende Zufuhr von Proteinen und Vitamin D zu achten ist. Wichtige Beiträge in der Protektion von Knochen und Muskel leisten ein gezieltes Training und eine frühzeitige Mobilisation. Auch wenn keine Osteoporosemedikamente für die Therapie bzw. Prävention der immobilisationsbedingten Osteoporose zugelassen sind, kann die Initiierung einer antiresorptiven Therapie mit Bisphosphonaten oder Denosumab im Sinne einer Einzelfallentscheidung während des Intensivaufenthaltes in Erwägung gezogen werden. Nach dem Aufenthalt auf der Intensivstation sollte das individuelle Frakturrisiko bestimmt und ggf. eine osteoporosespezifische Therapie eingeleitet werden. Die Fortsetzung der rehabilitativen Maßnahmen (progressives Training, Sturzprophylaxe) und die den jeweiligen Bedürfnissen entsprechende Supplementation von Vitamin D und Kalzium sind weitere wesentliche Bausteine in der Frakturprävention der Betroffenen nach ihrem Intensivaufenthalt.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Eine schwere Erkrankung oder Operation erfordert häufig einen Aufenthalt auf einer Intensivstation („intensive care unit“, ICU), manchmal leider sogar eine wiederholte Aufnahme auf einer ICU [1]. Trotz steigendem Schweregrad an Erkrankungen nimmt die Überlebensrate intensivpflichtiger PatientInnen glücklicherweise zu [2]. Daher ist es besonders wichtig, dass wir die Lebensqualität der Langzeitüberlebenden verbessern. Dazu gehört auch, auf den Knochenstoffwechsel zu achten und Fragilitätsfrakturen zu verhindern.
Es gibt klare Evidenz dafür, dass sehr schwere Erkrankungen zu einem beschleunigten Verlust an Knochenmasse führen können. Die Pathogenese ist multifaktoriell. Die dazu beitragenden Faktoren sind der Anstieg inflammatorischer Zytokine (bei Verbrennungen besonders hoch), die neuroendokrine Stresssituation, eine Vitamin-D-Defizienz (v. a. bei Langzeit-ICU-Aufenthalt), eine Malnutrition, die Dysregulation des Mikrobioms (z. B. durch Antibiotikatherapie) oder auf der ICU verabreichte Medikamente (v. a. Kortison, Katecholamine, Schleifendiuretika) und natürlich die mit der Erkrankung einhergehende Immobilität [3, 4]. Vorbestehende allgemeine Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, chronische Erkrankungen, Lebensstilfaktoren oder eine allfällige genetische Disposition sind ebenfalls relevant. Die Immobilisierung (z. B. durch Sedativa) führt zusätzlich zur Sarkopenie, dem Verlust von Muskelmasse, -kraft und -funktion (Abb. 1).
Die durch eine schwere Erkrankung bedingte Immobilität/stark eingeschränkte Mobilität hat Effekte auf den Knochenstoffwechsel. Das erhöhte Knochenbruchrisiko und potenzielle Gegenmaßnahmen werden in diesem Artikel diskutiert.

Immobilität & Knochenmetabolismus

Bereits Galileo dokumentierte die Abhängigkeit der Knochenform von dessen Belastung – der Knochen ist mechanosensitiv. Das Mechanostat-Modell nach Harold Frost beschreibt die stete Anpassung der Knochenmasse an Belastung – Knochenanbau jenseits der Modelingschwelle und Knochenmasseverlust unterhalb der Remodelingschwelle [5]. Sogenannte Bedrest-Studien, welche die Effekte der Immobilität bei jungen gesunden Männern untersuchten, zeigten eine Entkopplung der Knochenresorption von der Formation und eine Verschlechterung der Knochenstruktur [6]. In einem Tiermodell konnte gezeigt werden, dass Immobilisation zu einer vermehrten RANKL(„receptor activator nuclear factor kappa B ligand“)-Produktion führt, welche einer gesteigerten Knochenresorption vorausgeht [7]. Ein fehlender mechanischer Stimulus führt auch zu einer Zunahme von Sklerostin und durch die gesteigerte Hemmung des WNT-Signalweges nimmt die Knochenformation ab [8]. Bedrest-Studien haben gezeigt, dass bereits im ersten 24-h-Harn nach Beginn einer Bettruhe die Kalziumausscheidung deutlich erhöht ist. Am zweiten Tag der Bettruhe steigen die Marker für Knochenresorption signifikant an; die Knochenformationsmarker tendieren zu einer leichten Abnahme [9]. Auch sehr bald nach der Aufnahme auf einer ICU steigt die Knochenresorption an [10]. Eine rezente Übersichtsarbeit beschrieb die gesteigerte Resorption (CTX1, C‑terminales Telopeptid vom Kollagen Typ 1) bei gleichzeitiger Reduktion des Osteoblastenmarkers Osteokalzin (Oc). Es dürfte hier – wie bei den Bedrest-Studien – zu einer Entkopplung von Knochenresorption und -formation kommen [11]. Die Wichtigkeit der Immobilität unterstreicht eine Post-mortem-Untersuchung. Der Oberschenkelknochen immobilisierter Frauen zeigte eine geringe Osteozytendichte mit verminderter Konnektivität und hypermineralisierten Lakunen, eine reduzierte Heterogenität der Mineralisation und eine kortikale Porosität [12, 13]. Diese Störung des Knochenstoffwechsels führt zu einem erhöhten Frakturrisiko, speziell bei älteren Frauen und Verbrennungsopfern [1416].

Immobilität & Knochenbruchrisiko

Das gesamte muskuloskelettale System bedarf regelmäßiger Belastung. Seit langem ist bekannt, dass ein Mangel körperlicher Aktivität zu einer Abnahme von Muskelmasse und -funktion führt [17]. Innerhalb von 10 Tagen auf einer ICU gehen in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung bis zu 20 % der Muskelmasse verloren und es dauert leider sehr lange, bis diese Muskelmasse wieder aufgebaut und Funktion sowie Koordination wiederhergestellt sind [18].
Muskel und Knochen sind sehr eng miteinander verbunden – örtlich, funktionell und auch biochemisch [19, 20]. Eine tierexperimentelle Arbeit zeigte, dass der Knochenmasseverlust rasch auf den Muskelmasseverlust folgt [21]. Der Knochenmineraldichte(KMD)-Abfall hält allerdings nach Ende des ICU-Aufenthaltes weiter an – nicht nur ein, sondern sogar 2 Jahre nach einem ICU-Aufenthalt. Männer verlieren im zweiten Jahr sogar mehr Knochenmasse als im ersten Jahr [22].
Neben verschiedenen anderen Faktoren sind die reduzierte Muskelmasse und -funktion mitverantwortlich für ein erhöhtes Sturzrisiko nach ICU-Aufenthalt [23, 24]. Die höhere Sturzhäufigkeit gepaart mit der reduzierten Knochenmasse bedeutet ein erhöhtes Frakturrisiko. Bei älteren Frauen zeigte sich das Risiko für Fragilitätsfrakturen nach kritischer Erkrankung verglichen zu gleichaltrigen Kontrollpersonen erhöht (HR 1,65) [14].
Ein ICU-Aufenthalt stellt somit ein Risiko für einen gestörten Knochenmetabolismus und ein erhöhtes Frakturrisiko dar. Ist dieses Risiko bei den in Österreich üblicherweise verwendeten Risikorechnern berücksichtigt? Nein, aber in der Leitlinie des DVO (Dachverband der Deutschsprachigen Wissenschaftlichen Osteologischen Gesellschaften; https://​dv-osteologie.​org/​osteoporose-leitlinien) gibt es die Möglichkeit, ggf. Immobilität („so stark eingeschränkte Mobilität, dass die maximale Gehstrecke unter 100 m beträgt, die Wohnung nicht verlassen oder die Hausarbeit nicht ausgeführt werden kann“) und multiple Stürze („mindestens einmal in den letzten 12 Monaten“) als zusätzliche Risikofaktoren anzugeben. Auch im FRAX (https://​www.​sheffield.​ac.​uk/​FRAX/​) können wir einen ICU-Aufenthalt nicht als Risikofaktor angeben. Trotzdem macht es Sinn, den FRAX zu bestimmen, denn einer retrospektiven Arbeit zufolge ist der basale FRAX – dem Risiko vor ICU-Aufenthalt entsprechend – bei jenen, die sich in den folgenden 2 Jahren etwas brechen, signifikant erhöht [15].

Immobilität & osteoporosespezifische Therapie

Derzeit ist kein Präparat zur Therapie der immobilisationsbedingten Osteoporose zugelassen. Es gibt aber durchaus positive Daten.

Antiresorptiva

Bisphosphonate

Sowohl bei jungen gesunden Männern im Rahmen einer Bedrest-Studie [25] als auch bei Querschnittpatienten [26] konnte der positive Effekt von Pamidronat auf den Knochenstoffwechsel im Sinne einer deutlichen Senkung der Knochenresorption gezeigt werden. Die Infusion von Zoledronsäure bei Immobilisation wegen eines Charcot-Fußes verhinderte einen signifikanten Abfall der KMD im Hüftbereich [27]. Eine einmalige Gabe von Ibandronat führte bei 20 Personen mit kritischer Erkrankung zu einer transienten Reduktion der Knochenresorption [28].
Eine große retrospektive Analyse zeigte, dass Personen, die bereits vor der Aufnahme auf die ICU unter Bisphosphonattherapie standen, eine geringere Abnahme der KMD (evaluiert mittels CT) aufwiesen als jene, die keine Bisphosphonattherapie hatten. Diese Unterschiede bestanden, obwohl jene mit Bisphosphonattherapie einen höheren Charlson Comorbidity Index, also mehr Komorbiditäten hatten. Gerade bei intensivpflichtigen PatientInnen ist die Reduktion der Mortalität ein wesentliches Therapieziel und erfreulicherweise konnte die Mortalität durch Bisphosphonate deutlich gesenkt werden, in Kombination mit der Vitamin-D-Gabe noch mehr. Sogar die Vitamin-D-Zufuhr als singuläre Maßnahme zeigte positive Effekte auf die Mortalität [29].
Die positiven Effekte der Initiierung einer osteoporosespezifischen Therapie bei Frauen belegte eine prospektive Observationsstudie. Nicht alle Betroffenen, aber die Majorität der Patientinnen wurde mit einem Bisphosphonat behandelt. Die Zunahme anstelle des Abfalls der KMD in der Lendenwirbelsäule und im Hüftbereich konnte allerdings nur bei Frauen beobachtet werden. Bei Männern zeigte sich keine Assoziation zwischen der osteoporosespezifischen Therapie und der jährlichen Änderung der KMD [22].

Denosumab

Bei seit einigen Monaten bestehendem komplettem Querschnitt konnte eine Denosumab(DSMB)-Applikation innerhalb von 6 Monaten die Knochenumbaumarker reduzieren und die KMD lumbal und im Hüftbereich steigern [30, 31]. Neben diesen beiden unkontrollierten Studien gibt es auch eine kontrollierte Arbeit. Patienten mit komplettem Querschnitt infolge eines Traumas, welches nicht länger als 3 Monate zurücklag, erhielten DSMB oder Placebo. Nach 18 Monaten war in der Verumgruppe die KMD unverändert, während es in der Placebogruppe zu einer Abnahme der KMD kam [32].
Zu bedenken ist, dass die Knochenumbaumarker nach Beendigung einer DSMB-Therapie kurzfristig überschießend ansteigen [33]. Dieses sogenannte Reboundphänomen, welches zu einem erhöhten Risiko vertebraler Frakturen führt, besteht vor allem nach einer Langzeittherapie mit DSMB [34]. Einer Post-hoc-Analyse der FREEDOM-Studie zufolge war die Inzidenz der Frakturen nach Therapieende allerdings nicht höher als in der Placebogruppe [35]. Da Frakturen bis dato nur nach mehrfacher Anwendung von DSMB aufgetreten sind [36], sollte eine einmalige Applikation während eines ICU-Aufenthaltes kein Problem darstellen. Vorteile von DSMB, die bei ICU-pflichtigen PatientInnen Relevanz haben, sind die positiven Effekte von DSMB auf Muskelmasse und -funktion [37] sowie das Sturzrisiko [38].
Wir haben die Effektivität von zu Beginn einer Immobilisation appliziertem DSMB auf den Knochenstoffwechsel bei zuvor gesunden Personen untersucht [39]: In diese Phase-2-Studie wurden 14 Personen mit aneurysmatischer Subarachnoidalblutung oder intrazerebraler Blutung (spontan/arteriovenöse Malformation) eingeschlossen. Innerhalb von 72 h nach Aufnahme auf der neurochirurgischen ICU erhielten die PatientInnen 1:1 randomisiert DSMB 60 mg oder Placebo subkutan. Primärer Endpunkt war die prozentuale Änderung von CTX1 innerhalb von 4 Wochen. In der Gruppe, die DSMB erhielt, fiel der CTX1-Spiegel um 80 %, während dieser in der Placebogruppe um 56 % anstieg. Dies bedeutet eine Differenz von 136 Prozentpunkten. Es gab keinerlei Hinweise auf medikamentenassoziierte Nebenwirkungen. Diese Studie zeigte, dass eine einmalige Gabe von DSMB, wenn diese bald nach der Aufnahme auf einer ICU erfolgt, die immobilisationsbedingte Steigerung der Knochenresorption bei zuvor gesunden Personen verhindern kann. Der Effekt war ausgeprägter als bei den mobilen postmenopausalen, osteoporotischen Frauen der FREEDOM-Studie. Hier betrug der Gruppenunterschied nur 86 Prozentpunkte [40].
Ziel der australischen dreiarmigen Bone-Zone-Studie (www.​clinicaltrials.​gov) ist es, den Effekt von DSMB 60 mg und Zoledronsäure 5 mg verglichen zu Placebo auf Veränderungen der Knochenmineraldichte innerhalb eines Jahres bei insgesamt 450 Frauen, die über 50 Jahre alt sind und länger als 2 Tage auf einer ICU verbringen müssen, zu untersuchen. Die Rekrutierung läuft.

Weitere antiresorptiv wirkende Substanzen

Zur Hormonersatztherapie und der Behandlung mit Raloxifen, einem selektiven Östrogenrezeptormodulator (SERM), gibt es keine Daten bei akuter kritischer Erkrankung. Aus pathophysiologischer Sicht macht eine kurzfristige Anwendung dieser Substanzen im Rahmen einer kritischen Erkrankung aber nicht wirklich Sinn.

Anabole Osteoporosemedikation

Es gibt keine Literatur zum Einsatz anaboler Medikamente bei ICU-PatientInnen. Aufgrund der rasch ansteigenden Knochenresorption nach Beginn einer Immobilisation erscheint eine antiresorptive Therapie jedenfalls besser geeignet zu sein. Vor der Initiierung einer Therapie mit Romosozumab muss man Kosten und Nutzen in Hinblick auf das kardiovaskuläre Risiko abwiegen.

Kalzium und Vitamin D

Bei der Implementierung einer osteoporosespezifischen Therapie ist neben der Berücksichtigung von Kontraindikationen der jeweiligen Präparate auf normale Serumspiegel von Kalzium und Vitamin D sowie deren ausreichende Zufuhr zu achten. Dies ist auch Grundvoraussetzung für Wirksamkeit der Medikamente. Die positiven Effekte einer Vitamin-D-Gabe auch als singuläre Maßnahme [29] wurden bereits im Abschnitt über die Bisphosphonate erwähnt.

Spezifische Therapie bei Verbrennungsopfern

Das anabole Steroidhormon Oxandrolon [41] und der nichtselektive Betablocker Propranolol [42] zeigten bei Verbrennungsopfern positive Effekte auf den Muskel- und Knochenkatabolismus.

Immobilität & nichtmedikamentöse Frakturprotektion

In einer Übersichtsarbeit haben Rousseau und Mitarbeiter [43] auch Empfehlungen zu nichtmedikamentösen Maßnahmen für intensivpflichtige PatientInnen gegeben: Es ist zwar nicht möglich, durch eine hoch dosierte Proteinzufuhr die negativen Auswirkungen auf Muskel und Knochen zu verhindern, aber eine ausreichende Zufuhr ist wichtig, ebenso wie eine Supplementation mit Vitamin D. Die PatientInnen sollten so rasch wie möglich mobilisiert und unterstützend mit Elektrostimulation therapiert werden. Nach der Entlassung von der ICU ist es auch wichtig, die Rehabilitation mit progressivem Training und Sturzprophylaxe fortzusetzen. Eine entsprechende Ernährung beziehungsweise Nahrungsergänzung sind weiterhin wichtige Bausteine der Frakturprävention.

Konklusion

Die fehlende bzw. stark eingeschränkte Mobilität kritisch erkrankter Patienten wirkt sich negativ auf den Muskel- und Knochenstoffwechsel aus. Das hohe Sturzrisiko und die geringere Knochenfestigkeit bedeuten ein erhöhtes Knochenbruchrisiko. Deshalb sollte man trotz des akuten Geschehens auch die Frakturprävention im Auge haben. Entsprechende Empfehlungen sind in Tab. 1 gegeben. Nicht derzeitigen Empfehlungen entsprechend, aber wie die Studie [39] zur Wirksamkeit von DSMB auf den Knochenstoffwechsel bei kritisch kranken PatientInnen gezeigt hat, ist in dem einen oder anderen Fall vielleicht auch die Initiierung einer osteoporosespezifischen Therapie sinnvoll. Nach einem Intensivaufenthalt sollten die PatientInnen in Hinblick auf ihr Frakturrisiko evaluiert werden. Im Falle eines erhöhten Frakturrisikos ist unbedingt eine osteoporosespezifische Therapie einzuleiten. Eine begleitende Kalzium- und Vitamin-D-Supplementation sind wie die Fortsetzung der rehabilitativen Maßnahmen essenziell.
Tab. 1
Empfehlungen zur Reduktion des Risikos von Fragilitätsfrakturen bei kritisch kranken PatientInnen
Während ICU-Aufenthalt
Adäquate parenterale/enterale Ernährung mit ausreichender Zufuhr von Proteinen und Mikronährstoffen, ggf. Supplementation – v. a. Vitamin D
Frührehabilitation: Muskelkräftigung, Mobilisation, neuromuskuläre Elektrostimulation
Evtl. Einzelfallentscheidung für antiresorptive Therapie
Verbrennungsopfer: Therapie mit Oxandrolon oder Propranolol in Erwägung ziehen
Nach ICU-Aufenthalt
Evaluierung des Frakturrisikos
Bei erhöhtem Frakturrisiko Initiierung einer osteoporosespezifischen Therapie (antiresorptiv oder bei Bedarf anabol)
Ausreichende Zufuhr von Proteinen, Kalzium, Vitamin D
Fortsetzung der rehabilitativen Maßnahmen, v. a. supervidiertes progressives Training, Sturzprophylaxe
ICU „intensive care unit“

Fazit für die Praxis

  • Eine schwerwiegende Erkrankung bedeutet einen beschleunigten Verlust an Muskel- und Knochenmasse, nicht zuletzt wegen der stark eingeschränkten Mobilität/Immobilität.
  • Innerhalb weniger Tage nach Beginn der Immobilität kommt es zur Entkopplung des Knochenstoffwechsels.
  • Das erhöhte Sturzrisiko und die reduzierte Knochenmasse bedeuten ein erhöhtes Frakturrisiko.
  • Derzeit ist kein Präparat zur Therapie der immobilisationsbedingten Osteoporose zugelassen, aber antiresorptiv wirksame Medikamente dürften sich positiv auswirken.
  • Eine rezente Studie zeigt erstmalig, dass Denosumab, bald nach der Aufnahme auf einer Intensivstation gegeben, die immobilisationsbedingte Steigerung der Knochenresorption verhindern kann.
  • Intensivpflichtige PatientInnen benötigen eine Frührehabilitation mit rascher Mobilisierung sowie die ausreichende Zufuhr von Proteinen und Vitamin D.
  • Nach dem intensivmedizinischen Aufenthalt sind eine Fortsetzung der Rehabilitation und ein osteologisches Screening sowie ggf. die Einleitung einer osteoporosespezifischen Therapie essenziell für die zukünftige Frakturprävention.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

K. Kerschan-Schindl gibt an, Forschungsunterstützung und/oder Vergütung von Amgen GmbH, Lilly GmbH, Merck, Sharp und Dohme GmbH, Stada GmbH, Roche Austria und Servier Austria erhalten zu haben.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
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Metadaten
Titel
„Critical illness“: erhöhtes Frakturrisiko und potenzielle Gegenmaßnahmen
verfasst von
Univ.-Prof. Dr. Katharina Kerschan-Schindl
Publikationsdatum
22.02.2023
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Mineralstoffwechsel & Muskuloskelettale Erkrankungen / Ausgabe 1/2023
Print ISSN: 2412-8260
Elektronische ISSN: 2412-8287
DOI
https://doi.org/10.1007/s41970-023-00221-4

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