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Erschienen in: Urologie in der Praxis 1/2023

Open Access 01.02.2023 | Aortenaneurysma | Fallbericht

Infiziertes natives Aortenaneurysma nach intravesikaler BCG-Instillation

Fallbericht und Vorstellung der Literatur

verfasst von: Matteo Giardini, Philipp Stalder, Dr. med. Yasmin Trachsel, Hubert John, Daniela Steffens, Thomas R. Wyss

Erschienen in: Urologie in der Praxis | Ausgabe 1/2023

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Zusammenfassung

Infizierte native Aortenaneurysmen (INAA, sog. mykotische Aneurysmen: historischer „misnomer“) sind eine seltene und lebensbedrohliche Erkrankung. Die Therapie ist insbesondere abhängig von Dringlichkeit, Zustand des Patienten sowie anatomischer Lokalisation und erfordert ein hohes Mass an interdisziplinärer Expertise.
Bacillus Calmette-Guérin (BCG) ist eine abgeschwächte Form von Mycobacterium bovis aus der Familie der Tuberkulosebakterien. Es hat sich in der urologischen Onkologie als adjuvante Standardtherapie bei nichtmuskelinvasivem Urothelkarzinom der Harnblase etabliert.
Wir beschreiben den Fall eines 56-jährigen Patienten mit einem asymptomatischen mit Mycobacterium bovis infizierten Pseudoaneurysma der infrarenalen Aorta. Der Patient erhält aktuell den 4. Erhaltungszyklus der adjuvanten BCG-Therapie 2 Jahre nach TUR‑B bei Urothelkarzinom, pT1 „high-grade“, der Harnblase. Das Pseudoaneurysma wurde als Zufallsbefund im Rahmen einer Nachsorgecomputertomographie diagnostiziert. Die betroffene Aorta wurde mit einer selbstgefertigten Rinderperikardrohrprothese ersetzt. Der Patient konnte am 6. postoperativen Tag mit neu etablierter tuberkulostatischer Therapie das Spital verlassen.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Fallbericht

Bei einem 56-jährigen Patienten wurde bei einem Urothelkarzinom der Harnblase, pT1pN0cM0, eine TUR‑B durchgeführt. Aktuell ist der Patient im vierten Erhaltungszyklus der adjuvanten BCG-Therapie. In der geplanten onkologischen Nachsorge zeigte sich folgender CT-Befund (Abb. 1).
a)
Was ist ihre Verdachtsdiagnose? Welche Differenzialdiagnosen bestehen?
 
b)
Was sind die nächsten diagnostischen Schritte?
 

Lösung

a)
Es zeigt sich ein Weichteilplus paraaortal links. Differenzialdiagnostisch sind Lymphknotenmetastasen, infizierte Aortenaneurysmen sowie abszedierende retroperitoneale Entzündungen/Infektionen zu evaluieren.
 
b)
Weitere diagnostische Schritte beinhalten Blutentnahmen inklusive CRP und BSG, Abnahme von Blutkulturen, weitere Bildgebung mittels PET-CT sowie die Evaluation einer navigierten Punktion zur mikrobiologischen und histologischen Untersuchung.
 

Hintergrund

Das Urothelkarzinom ist das fünfthäufigste Malignom des Mannes in der Schweiz [1]. Zur Erstlinientherapie gehört die transurethrale Resektion. Die adjuvante intravesikale Instillation mit BCG hat sich in den letzten 50 Jahren als sichere und effektive Zusatztherapie bei nicht muskelinvasivem Karzinom mit hoher Rezidivwahrscheinlichkeit sowie beim Carcinoma in situ etabliert [2]. Die Nebenwirkungen der intravesikalen Therapie sind häufig lokale Irritationen sowie Fieber und Unwohlsein [2]. Es kann zu urogenitalen Infektionen und Entzündungen kommen, eine hämatogene Streuung mit schliesslich systemischer Erkrankung zeigt sich in weniger als 5 % der Patienten und präsentiert sich je nach Organbefall sehr unterschiedlich. Charakteristisch hierfür sind die positive BCG-Blutkultur sowie der histologische Nachweis von Granulomen [3]. Vaskuläre Komplikationen nach BCG-Therapie sind sehr selten, mehrheitlich handelt es sich um infizierte arterielle Aneurysmen. Seit der Erstbeschreibung 1988 wurden 18–60 Fälle [4, 5] von BCG-Aneurysmen in der Literatur beschrieben.
In Europa sind lediglich 0,6–2,0 % aller Aortenaneurysma durch eine − meist bakterielle − Infektion bedingt [6]. Bei infizierten nativen Aortenaneurysmen (INAA) führt eine Infektion der Aortenwand zu deren Destruktion mit Bildung eines meist lokalisierten Aneurysmas [7]. Die Folge ist eine mögliche Ruptur mit Blutung. Diese INAA stellen eine Herausforderung dar mit im Vergleich zu degenerativen Aneurysmen erhöhter perioperativer Morbidität und Mortalität von 18–43 % [6]. Die Therapie besteht, beim fitten Patienten, aus der Resektion und dem biologischen Ersatz des betroffenen Aortenabschnitts, dem Débridement des infizierten Gewebes, der Deckung mit vitalem Gewebe (z. B. Omentumplombe) und der resistenzgerechten Erregerbekämpfung [8]. Ein engmaschiges Follow-up wird empfohlen, um den Therapieerfolg zu bestätigten bzw. mögliche Komplikationen, auch im Langzeitverlauf, zu entdecken.

Fall

56-jähriger Patient mit Erstdiagnose eines Urothelkarzinoms der Harnblase, pT1cN0cM0 „high-grade“; initiale Therapie mittels TUR‑B, danach Beginn einer BCG-Induktionstherapie mit anschliessend vier Erhaltungszyklen.
Im Rahmen der elektiven onkologischen Nachsorge zeigte sich eine lokalisierte Aufweitung der infrarenalen Aorta mit Fettgewebsimbibierung, entsprechend einem sog. Pseudoaneurysma (Defekt der Gefässwand; Abb. 1). Gemäss interdisziplinärem Entscheid des urologischen Tumorboards erfolgte zur weiteren Diagnostik eine 18F‑Fluordesoxyglukosepositronenemissionstomographie, kombiniert mit einer Computertomographie (PET-CT), mit Nachweis einer erhöhten Anreicherung (Abb. 2).
Bei Zuweisung in die gefässchirurgische Klinik zeigte sich ein asymptomatischer Patient in gutem Allgemeinzustand. Laborchemisch imponierten unauffällige Entzündungsparameter inklusive C‑reaktives Protein (CRP) und Blutsenkungsreaktion. In den Blutkulturen konnte kein Erregerwachstum nachgewiesen werden. Es bestand keine Klaudikationssymptomatik mit beidseits palpablen Fusspulsen. Die Empfehlung des interdisziplinären Gefässboards war die operative Exploration mit biologischem Gefässersatz.
Intraoperativ zeigte sich nach Laparotomie, Heparingabe und Ausklemmen der infrarenalen Aorta paraaortal links ein verkäsender, nekrotischer Prozess. Hier wurde Gewebe für die bakteriologische sowie histologische Untersuchung entnommen. Intravasal bestand, wie erwartet, ein Wanddefekt im Sinne eines Pseudoaneurysmas. Es erfolgten die Resektion der betroffenen infrarenalen Aorta und der orthotope Ersatz mit einer selbstgefertigten Rohrprothese aus Rinderperikard sowie das grosszügige Débridement des infizierten Gewebes und die Ummantelung mit einer Omentumplombe (Abb. 3).
Nach Nachweis von Mycobacterium-tuberculosis-Komplex aus dem Gewebe mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) wurde eine tuberkulostatische Therapie mit Isoniazid, Rifampicin und Ethambutol gemäss infektiologischem Konsilium begonnen. Die mikrobiologische Kultur bestätigte die PCR mit Nachweis von Mycobacterium-tuberculosis-Komplex. Histologisch liess sich eine granulomatöse Entzündung mit Nekrosen nachweisen.
Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. Der Patient konnte am 6. postoperativen Tag beschwerdefrei nach Hause entlassen werden.
Die erste computertomographische Kontrolle wird 6 Wochen postoperativ durchgeführt werden. Zwischenzeitlich werden wöchentliche laborchemische Verlaufskontrollen erfolgen. Die tuberkulostatische Therapie ist für mindestens 9 Monate vorgesehen. Danach erfolgt eine Reevaluation je nach Allgemeinzustand, laborchemischen Werten sowie computertomographischem Befund. Eine Kontrolle mittels PET-CT ist 6 Monate postoperativ vorgesehen.

Diskussion

Intravesikale BCG-Instillationen sind in der urologischen Onkologie etabliert und werden weltweit eingesetzt [2]. Unser Fall bestätigt eine sehr seltene, aber gefürchtete Komplikation der BCG-Therapie. Die Gefahr von INAA besteht in der Aortenruptur mit konsekutiver lebensbedrohlicher Blutung. Mit 60 beschriebenen Fällen in der Literatur bleibt es weiterhin eine Rarität, und entsprechende diagnostische und therapeutische Empfehlungen basieren auf limitierter Evidenz [5]. Um die wissenschaftliche Analyse im Gebiet der infizierten nativen Aortenaneurysmen zu standardisieren, wurden vor Kurzem einheitliche Terminologien, Definitionen, Klassifikationen, diagnostische Kriterien und Algorithmen sowie „reporting standards“ in einem Delphi-Konsensus-Dokument ausgearbeitet und zusammengefasst [7].
Patienten mit einem INAA weisen in erster Linie Allgemeinsymptome wie Schmerzen, Fieber und Fatigue auf. Die Infektparameter sind in aller Regel erhöht. Die Therapie von INAA wird aufgrund des Infekts und der Rupturgefahr unabhängig von ihrer Grösse empfohlen. Grundsätzlich besteht die Behandlung im orthotopen Ersatz des infizierten Gefässabschnittes sowie dem Débridement des infizierten Gewebes. Als Ersatzmaterial für die Gefässrekonstruktion etablierten sich biologische Materialen (z. B: autologe Venen, Homografts oder Rinderperikard, [6]). Diese zeigen eine gute Durabilität, tiefe Reinfektionsraten und eine tiefe Gesamtmortalität (5 % nach 30 Tagen); trotz grossem Eingriff. Alternativ besteht die Möglichkeit einer endovaskulären Aneurysmaausschaltung. Dabei werden die infizierte Läsion der Aorta kathetertechnisch mit einem Stentgraft lediglich abgedeckt und eine antimikrobielle (Dauer)Therapie installiert. Dies bietet im kurzfristigen Verlauf, aufgrund der minimalen Invasivität, tiefe Mortalitätsraten. Sie ist insbesondere bei Notfällen im Rahmen von Blutungen oder bei fragilen Patienten von Bedeutung. Die Durabilität der endovaskulären Behandlung ist im Vergleich zur offenen chirurgischen Therapie jedoch noch nicht abschliessend geklärt.
Unser Fall zeigt den seltenen, aber typischen Verlauf einer hämatogenen Streuung von Mykobakterien nach intravesikaler Instillation, das (fehlende) klinische Bild, das diagnostische Vorgehen sowie die Therapie mit Gefässersatz und tuberkulostatischer Therapie.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Giardini, P. Stalder, Y. Trachsel, H. John, D. Steffens und T.R. Wyss geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Bundesamt für Statistik/Nationale Krebsregistrierungsstelle (2022), BFS-Nr. gr-d-14.03.03.03.01-loc-a Bundesamt für Statistik/Nationale Krebsregistrierungsstelle (2022), BFS-Nr. gr-d-14.03.03.03.01-loc-a
2.
Zurück zum Zitat Vahr S, De Blok W, Love-Retinger N, Thoft Jensen B, Turner B, Villa G et al (2015) Intravesical instillation with mitomycin C or bacillus Calmette-Guérin in non-muscle invasive bladder cancer, EAUN Guidelines p18-28 Vahr S, De Blok W, Love-Retinger N, Thoft Jensen B, Turner B, Villa G et al (2015) Intravesical instillation with mitomycin C or bacillus Calmette-Guérin in non-muscle invasive bladder cancer, EAUN Guidelines p18-28
4.
Zurück zum Zitat Palmier M, Monnot A, Tenière T, Cohen Q, Plissonnier D (2022) Mycotic arterial aneurysm secondary to BCG intravesical instillation: a review. J Med Vasc 47(2):94–105 Palmier M, Monnot A, Tenière T, Cohen Q, Plissonnier D (2022) Mycotic arterial aneurysm secondary to BCG intravesical instillation: a review. J Med Vasc 47(2):94–105
Metadaten
Titel
Infiziertes natives Aortenaneurysma nach intravesikaler BCG-Instillation
Fallbericht und Vorstellung der Literatur
verfasst von
Matteo Giardini
Philipp Stalder
Dr. med. Yasmin Trachsel
Hubert John
Daniela Steffens
Thomas R. Wyss
Publikationsdatum
01.02.2023
Verlag
Springer Vienna
Schlagwörter
Aortenaneurysma
Urologie
Erschienen in
Urologie in der Praxis / Ausgabe 1/2023
Print ISSN: 2661-8737
Elektronische ISSN: 2661-8745
DOI
https://doi.org/10.1007/s41973-023-00204-6

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