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Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz 3/2020

Open Access 16.09.2020 | Gynäkologische Endokrinologie

AMH – Ovarreserve nach onkologischen Erkrankungen

verfasst von: Dr. Daniela Rebhan

Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz | Ausgabe 3/2020

Zusammenfassung

Onkologische Erkrankungen im Kindesalter und jungen Erwachsenenalter haben nicht selten eine gute Prognose. Entsprechend wird für Betroffene früher oder später die Frage relevant, inwieweit nach einer onkologischen Behandlung die Fertilität beeinträchtigt ist. Nicht nur der Zeitraum der Fertilität, sondern auch die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Ovarialversagens mit allen Risiken eines längerfristigen Östrogenmangels ist für die Lebensplanung der Frauen wichtig. Mittlerweile können vor Behandlung fertilitätserhaltende Maßnahmen angeboten werden. Sie bieten manchmal die einzige Chance, auf ovarielle Reserven nach Behandlung zurückgreifen zu können, sind aber nicht immer nötig und von späterem Nutzen. Das Anti-Müller-Hormon (AMH) hat sich als validester Marker für die Beurteilung der ovariellen Reserve herausgestellt. Mithilfe dessen sind Prognosen über die Ovarreserve vor und nach der onkologischen Therapie möglich. Dies erleichtert die Entscheidung für die Indikation für fertilitätserhaltende Maßnahmen und kann wegweisend in der Lebensplanung der Frauen und Familien sein.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Über 10.000 Frauen und Mädchen unter 40 Jahren erkranken jährlich an einer malignen Erkrankung [1]. Vor dem 20. Lebensjahr sind die häufigsten malignen Erkrankungen Leukämien, Tumoren des zentralen Nervensystems und Lymphome. Das maligne Melanom, Brustkrebserkrankungen und Schilddrüsenkarzinome sind die häufigsten Krebsdiagnosen im jungen Erwachsenenalter der Frau [2].
Die Heilungschancen sind bei vielen dieser Diagnosen gut und somit müssen Langzeitfolgen der Erkrankungen und Therapien Beachtung finden.
Eine mögliche Auswirkung einer systemischen onkologischen Behandlung ist die Einschränkung der Funktion der Eierstöcke. Häufig kommt es zu einer Reduktion der angelegten Reserve an Primordialfollikeln in den Eierstöcken der betroffenen Mädchen oder Frauen. Bei jungen Frauen kann es beispielsweise durch eine Chemotherapie zu einer solchen Schädigung der Ovarien kommen, dass sie nicht eigenständig die Menarche erreichen oder die Menopause deutlich vor dem durchschnittlichen Menopausenalter von 51 Jahren einsetzt. Folglich erhöhen sich die Risiken für Osteoporose, kardiovaskuläre Erkrankungen und psychosoziale Probleme [35]. Eine vorzeitige Erschöpfung des Eizellpools kann auch zu Sterilität führen [6]. Bei Diagnosestellung eines Hodgkin-Lymphoms oder eines Non-Hodgkin-Lymphoms zum Beispiel haben mehr als 90 % der Frauen noch keine Kinder, sodass das Risiko der Sterilität für einen erheblichen Anteil dieser Patientinnen eine Rolle spielt [7].
Mittlerweile können etablierte Maßnahmen angeboten werden, den Eizellpool zu schützen [8]. Zum Beispiel kann ovarielles Gewebe vor der onkologischen Behandlung entnommen und kryokonserviert werden und zur Pubertätsinduktion, Reaktivierung der menstruellen Zyklen und Sterilitätsbehandlung den Betroffenen rücktransplantiert werden. Postpubertäre Frauen können zum Schutz der Antralfollikel GnRH-Analoga während der Zeit der Chemotherapie injizieren oder noch vor Beginn der Therapie Oozyten entnehmen und kryokonservieren lassen.
Eine akkurate Einschätzung des individuellen längerfristigen Risikos für Subfertilität und ein vorzeitiges Eintreten der Wechseljahre bleibt eine Herausforderung.
Eine Einschätzung für Patientinnen vor und nach Behandlung ist aber von großer Relevanz, zum Beispiel um die Indikation fertilitätserhaltender Maßnahmen solide stellen zu können. Diese Maßnahmen sind nicht immer empfehlenswert und mit zusätzlichen körperlichen Risiken, körperlicher und psychischer Belastung und Kosten verbunden.
Nach der Behandlung wünschen die Betroffenen eine valide Information über ihre Fertilität. Eine Einschätzung, ob der Kinderwunsch überhaupt umsetzbar ist und, wenn ja, ob eine Therapie nötig und sinnvoll ist, ist für viele Frauen von Belang.
Neben sonographischer Beurteilung der Ovarien gibt es biochemische Marker, die eine Einschätzung der Ovarreserve geben können. Diese laborchemischen Marker sind zum Beispiel der FSH- oder Inhibin-B-Spiegel. Als validester Marker gilt das Anti-Müller-Hormon (AMH; [9]).

Anti-Müller-Hormon (AMH) – prädiktiver Marker der Ovarreserve

Das Anti-Müller-Hormon wird weitläufig als biochemischer Marker genutzt, um die ovarielle Reserve zu bestimmen.
Ursprünglich war es vor allem als männliches Hormon bekannt, welches von den Sertoli-Zellen des männlichen embryonalen Hodens gebildet wird und zur Differenzierung des männlichen Genitales notwendig ist [10].
Bei fehlender oder eingeschränkter AMH-Sekretion, was bei weiblichen Feten physiologisch der Fall ist, bilden sich statt eines männlichen Genitales Tuben und Uterus aus den paarig angelegten Müller-Gängen.
Bei Frauen wird AMH nur in den Granulosazellen des Ovars gebildet, welche die heranwachsenden, stimulierbaren Oozyten in allen Stadien der Follikulogenese umgeben. Sobald der Primordialfollikel in die Wachstumsphase rekrutiert wird, fängt er an, AMH auszuschütten. Vom Präantralfollikel bis zu den Antralfollikeln schütten die Granulosazellen aller Follikelstadien AMH aus ([11]; Abb. 1). Die höchste Expression findet in den Granulosazellen der frühen Follikulogenese, also der Präantral- und kleinen Antralfollikel statt. Die Expression fällt ab, wenn der dominante Follikel selektiert ist, und ist so gut wie beendet, sobald das FSH-abhängige Wachstumsstadium des Follikel beginnt. Nur noch wenig ist in den Cumuluszellen des präovulatorischen Follikels vorhanden.
Bereits in der embryonalen Entwicklung sind bei Mädchen Follikel in den Anfangsstadien zu finden, welche in den Granulosazellen bereits AMH bilden. Mit der Menopause endet dieser Prozess [12].
Die Größe des primordialen Follikelbestands ist direkt nicht messbar. AMH als Marker, der die Anzahl der Follikel widerspiegelt, die den Übergang vom primordialen Follikelpool zum wachsenden Pool vollzogen haben, ist ein guter indirekter Messwert des gesamten Follikelbestands.
Auch kleine, ultrasonographisch nicht sichtbare Follikel werden erfasst. FSH-stimulierte Follikel des aktuellen Zyklus spielen eher keine Rolle mehr. Entsprechend kann AMH als Marker der gesamten ovariellen Grundreserve betrachtet werden [13].
Dies macht AMH als Marker der Ovarreserve nicht nur gegenüber der sonographischen Einschätzung valider. Andere biochemische Marker wie FSH oder Inhibin B sind präpubertär noch nicht nachweisbar. FSH ist präpubertär wegen der Ruhe der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse nicht aussagekräftig. Inhibinproduzierende Follikel sind in späteren Reifephasen, die mehr FSH-abhängig sind [14]. AMH ist in allen prämenstruellen Lebensphasen von Mädchen und Frauen messbar, unabhängig davon, ob bereits Menstruationszyklen eingesetzt haben oder nicht [15].
FSH und Inhibin haben außerdem eine deutliche inter- und intrazyklische Variabilität, während AMH zyklusunabhängig aussagekräftig ist [16]. Außerdem ist der AMH-Spiegel unbeeinflusst von Pathologien wie Hyperprolaktinämie oder hypothalamischer Amenorrhö [17].
Im Mausmodel konnte gezeigt werden, dass ein AMH-Mangel zu einer schnelleren Rekrutierung von Primordialfollikeln und entsprechend zu einer schnelleren Erschöpfung des Pools an Primärfollikeln führt [18]. Man spricht von einem „burn-out“ der Ovarreserve bei AMH-Mangel.
AMH scheint außerdem einen schützenden Effekt auf kleine heranwachsende Follikel zu haben [19]. Ein AMH-Defizit führt zu einer schnelleren Degeneration der Oozyten und vermehrten Atresie der Follikel.
AMH reguliert zudem das Ansprechen der Follikel auf FSH und reduziert die Anzahl der LH-Rezeptoren der Granulosazellen [11].
Alles in allem kann ihm also eine regulierende Rolle des Follikelpools und des Follikelwachstums zugesprochen werden.
Schwierigkeiten gibt es in der Auswertung der Daten und Beurteilung des AMH-Werts, da weltweit unterschiedliche ELISA-Immunassays zur AMH-Bestimmung verwendet werden. Unterschiedliche monoklonale Antikörper und unterschiedliche Standards wurden in den Auswertungen der Forschungsteams verwendet. Mittlerweile konnten standardisierte ultrasensitive Assays mit automatisierter Auswertung entwickelt werden, welche vergleichbare Werte generieren und damit die klinische Anwendbarkeit des Markers verbessert haben [20].

AMH-Konzentration und Ovarreserve nach Chemotherapie

Patientinnen nach einer onkologischen Behandlung haben einen niedrigeren AMH-Spiegel als gleichaltrige ohne Vorbehandlung [21].
Diese Reduktion des AMH-Werts während der Zeit der onkologischen Behandlung passiert bei allen Mädchen und Frauen, unabhängig vom Alter und Menopausenstatus.
Während einer Behandlung bei Mammakarzinom beispielsweise ist oft bereits nach dem ersten Zyklus, spätestens nach dem sechsten Zyklus der Chemotherapie der AMH-Wert im nicht mehr nachweisbaren Bereich.
Je nach Ausgangsalter, Art der Substanz und Basis-AMH kommt zu einer mehr oder weniger langfristigen Erholung der Ovarreserve [22].
Der Rückgang des AMH-Werts spiegelt eine zunächst erhöhte Atresie der heranwachsenden Follikel wider. Je nach Größe des Primordialfollikelpools können anschließend wieder Follikel in die frühen Wachstumsphasen gelangen. Ist der Primordialfollikelpool stärker geschädigt, können nur wenige oder gar keine frühen Follikel mehr in die Wachstumsphase gelangen, sodass AMH nur in geringen oder gar nicht nachweisbaren Mengen ausgeschüttet wird. Entsprechend ist ein längerfristig reduzierter AMH-Wert indirekter Marker nicht mehr für die akute Atresie, sondern für die Schädigung des Grundstocks an Follikeln.
Eine Vorhersage zur Wiederherstellung der Eierstockfunktion nach einer chemotherapieinduzierten Amenorrhö unter Verwendung biologischer Marker ist hilfreich, um Behandlungsstrategien für Patientinnen zu entwerfen und den Frauen im reproduktiven Alter eine Aussage bzgl. ihrer reproduktiven Möglichkeiten zu geben. AMH hat sich bisher als der genauste Marker für die Wiederherstellung der Eierstockfunktion herausgestellt [23].
Um schon vor der Behandlung eine Prognose bezüglich der Möglichkeit abzugeben, ob sich der AMH-Wert wieder normalisieren kann, eignet sich eine prätherapeutische Bestimmung des AMH-Werts.
Frauen mit niedrigerem AMH bereits vor Therapiebeginn haben statistisch ein höheres und längerfristiges Risiko für eine Amenorrhö nach Behandlung ([24]; Abb. 2). Cut-off-Werte, um ein langfristiges Ovarversagen für Frauen jeden Alters vorherzusagen, konnten bisher nicht generiert werden.
Der Zeitraum, in dem sich das Anti-Müller-Hormon wieder erholen kann, ist noch nicht sicher geklärt. AMH-Werte können sich auch noch über 2 Jahre nach der Behandlung hinaus verbessern.
Auch nach dem zweiten Jahr nach Chemotherapie ist in seltenen Fällen ein erneutes Einsetzen von Zyklen möglich. Nach Chemotherapie bei Mammakarzinom sind in 62 % der Fälle nach 6 Monaten wieder Zyklen zu erwarten, nach weiteren 6–12 Monaten in weiteren 31 % und nach 12 Monaten nur noch bei 7 %. Bei Frauen, die länger als ein Jahr nach Chemotherapie amenorrhoisch bleiben, ist die Chance sehr gering, wieder eine normale zyklische Aktivität der Eierstöcke zu bekommen [26].
Entsprechend sollte bei niedrigen AMH-Werten innerhalb des ersten Jahres bei entsprechend günstiger Ausgangslage und abhängig vom Chemotherapeutikum nicht direkt eine langfristige Amenorrhö vorausgesetzt werden und eine endgültige Aussage bezüglich der zukünftigen Konzeptionschancen getroffen werden.
Allerdings zeigt sich auch am Ende der Chemotherapie bereits ein Unterschied in den AMH-Werten zwischen Frauen, die 2 Jahren nach Behandlung weiterhin im Ovarialversagen sind, und Frauen ohne langfristiges Ovarialversagen. Frauen mit langfristigem Ovarialversagen haben zum Zeitpunkt direkt am Ende der Therapie bereits niedrigere Werte [27].
Oben aufgeführtes Schema (Abb. 2) zeigt auch, dass nach einem Erholungszeitraum die Ovarreserve auch mehr oder weniger schnell wieder abnehmen kann mit der Folge eines prämaturen Ovarialversagens.
Je älter die Frau bei Behandlungsbeginn ist, desto höher ist das Risiko, nach der Behandlung einen AMH-Wert unterhalb der Nachweisgrenze zu haben [28].
Dies hängt am ehesten mit dem schon geringeren Grundstock an Primordialfollikeln zusammen. Allerdings verliert bei älteren Frauen der AMH-Wert seine Voraussagekraft.
Frauen über 35 können auch unabhängig vom Ausgangs-AMH und bei weniger gonadotoxischen Substanzen einen längerfristigen Verlust der Ovarfunktion haben [29].
Neben Alter und ovarieller Reserve vor Therapie beeinflussen auch die Art der gonadotoxischen Therapie und die Therapiedauer das Ausmaß der Ovarschädigung. Die Stärke der Auswirkung auf das Ovar ist abhängig von der Art der chemotherapeutischen Substanz und der kumulativen Dosis. Bestimmte Chemotherapeutika, zum Beispiel Alkylanzien, zählen zu den hoch gonadotoxischen Substanzen. Frauen und Kinder, die mit hohen Dosen von Alkylanzien therapiert wurden, zeigen kaum eine Normalisierung des AMH-Spiegels [15].
Abb. 3 zeigt die Einschätzung des Risikos für Infertilität nach den häufigsten Chemotherapieregimen.
In der High-risk-Gruppe ist ein so schwerer Verlust an Primordialfollikeln zu erwarten, dass sich keine ausreichende Menge an kleinen nachwachsenden Follikeln mehr regeneriert und in die AMH-ausschüttende Phase übergeht.

AMH-Konzentration nach Radiatio

Oozyten reagieren deutlich auf Bestrahlung im Bereich der Beckenregion. Strahlendosen ab 2,5 Gray (Gy) auf die Gonadenregion können bereits mit einer Wahrscheinlichkeit von circa 60 % zu einer Ovarialinsuffizienz führen. Dosen von circa 7 Gy können zu einer langfristigen Auslöschung der Ovarfunktion führen [31]. Oberhalb einer Dosis von 20 Gy wird die Ovarfunktion – unabhängig vom Alter der Patientin – irreversibel geschädigt. Sind beide Ovarien betroffen, kann es bei jungen Mädchen zu einer primären Amenorrhö und fehlenden pubertären Reifung kommen. Bei Frauen und Mädchen nach der Pubertät wird die Menopause mit allen klinischen Folgen ausgelöst [32].
Der Effekt der Bestrahlung hängt ab von der applizierten Dosis, der Fraktionierung und dem Bestrahlungsfeld [6]. Je höher das Alter der Patientin, umso höher der Effekt der Strahlendosis auf die Ovarien. Die effektive sterilisierende Dosis bei Neugeborenen liegt bei 20,3 Gy, im Alter von 10 Jahren bei 18,4 Gy, im Alter von 20 Jahren bei 16,5 Gy und im Alter von 30 Jahren bei 14,3 Gy [31].
Ganzkörperbestrahlung bei Kindern mit Leukämie vor Stammzelltransplantation sowie abdominelle Bestrahlungen bei Wilms-Tumoren, Dysgerminomen oder anderen abdominellen Tumorerkrankungen können Gründe für eine Mitbestrahlung der Ovarregion sein. Die kumulative Dosis bei Ganzkörperbestrahlung beträgt meist etwa 8–12 Gy, bei Wilms-Tumoren können noch höhere Dosen auf die Beckenregion notwendig sein.
Zum AMH-Wert nach Beckenbestrahlung existieren weniger Daten. Wie zu erwarten zeigen bisherige Auswertungen, dass Frauen nach Bestrahlung im abdominellen Bereich, der Beckenregion oder des gesamten Körpers im Kindesalter einen niedrigeren AMH-Wert haben als nach Bestrahlung anderer Körperregionen (<0,1 μg/l versus 1,5 μg/l; [33]).
Frauen nach Ganzkörperbestrahlung vor Stammzelltransplantation entwickelten alle ein prämatures Ovarialversagen mit AMH-Werten im nichtmessbaren Bereich auch noch lange nach Behandlung [34].
Bezüglich des Langzeitverlaufs der Ovarreserve nach Radiatio ist die Datenlage noch begrenzter. AMH-Werte scheinen sich aber nach Behandlung nicht wesentlich zu erholen [35].
Nicht zu vergessen ist der negative Effekt auf den Zyklus, wenn eine Bestrahlung der Hypophysenregion stattgefunden hat, auch wenn dies nicht direkt die Ovarreserve beeinträchtigt. Ebenso der Effekt auf die endometriale Beschaffenheit, wenn die Uterusregion mitbestrahlt wurde.

Beeinträchtigung der AMH-Konzentration durch Immuntherapie oder zielgerichtete Therapien

Insgesamt ist die Datenlage zur Ovarreserve nach immunologischen oder zielgerichteten Substanzen dünn [36].
Bevacizumab zeigte in einer Untersuchung als Zusatz zu einem Chemotherapieregime für das kolorektale Karzinom eine um 32 % höhere Rate an Ovarialinsuffizienzen als ein Regime ohne Bevacizumab [37].
Über das unklare Risiko einer Ovarialinsuffizienz und die Möglichkeit für fertilitätserhaltende Maßnahmen sollten Patientinnen, die Immuntherapien oder zielgerichtete Therapien erhalten, aufgeklärt werden [30].

Beeinträchtigung der AMH-Konzentration bereits vor Therapie

In kleinerer Fallzahl wurde bei Frauen mit Lymphomerkrankung bereits vor Behandlung ein um circa 1,1 ng/ml niedrigerer AMH-Wert gemessen als in der gesunden Kontrollgruppe (2,06 ng/ml vs. 3,20 ng/ml; [38]).
Auch für hämatoonkologische Erkrankungen konnten ähnliche Beobachtungen gemacht werden [34].
Ursachen hierfür sind noch unklar, denkbar ist, dass Zytokine zu einer Reduzierung der ovariellen Reserve führen. Ein weiterer denkbarer Grund könnte der konsumierende Charakter der Systemerkrankung an sich sein [39].
Als klinische Konsequenz sollte man entsprechend über eine eventuell bereits reduzierte Ovarreserve des kryokonservierten Ovargewebes aufklären und bei ovarieller Stimulation die Dosis der Gonadotropine ausreichend hoch wählen. Außerdem sollte bei Lymphompatientinnen an eine Kombination der fertilitätserhaltenden Maßnahmen gedacht werden, um die Effektivität der Methoden zu verbessern [40].

Konklusion

Die möglichen Folgen nach einer onkologischen Therapie können von einem langfristigen Ausbleiben der Zyklen bis zu einer dauerhaften Normalisierung reichen. Entsprechend sollte den Frauen mit guter Prognose bzgl. ihrer Fertilität die Sorge in Bezug auf Unfruchtbarkeit genommen werden und anderen bewusst gemacht werden, dass ein Kinderwunsch nach Behandlung ohne fertilitätserhaltende Maßnahmen unmöglich ist.
Einschätzungen zur Schwankung des AMH-Spiegels während und nach einer onkologischen Behandlung sind möglich. Diese sind zwar sehr individuell und von vielen Einflussfaktoren abhängig, genaue Zeitangaben bzgl. der verbleibenden reproduktiven Zeitspanne nach Behandlung können nicht abgegeben werden. Genaue Cut-off-Werte für exakte Therapieentscheidungen gibt es meist nicht. Aber mittlerweile sind bei gängigen onkologischen Behandlungen ausreichend Beobachtungen zu den Zyklusverläufen der Frauen gemacht worden, sodass den Frauen Einschätzungen bezüglich ihrer Reproduktivität gegeben werden können.
Um den Frauen bei Entscheidungsschwierigkeiten bezüglich der fertilitätserhaltenden Maßnahme Hilfestellung zu leisten, eignet sich die Bestimmung eines AMH-Werts vor Behandlung.
Eine Ovarkryokonservierung bei sehr niedrigen Basis-AMH-Werten sollte infrage gestellt werden.
Ist eine Kryokonservierung bereits erfolgt, wird unter anderem der AMH-Wert bei der Entscheidung mit einbezogen, wie viele Ovargewebsstückchen rücktransplantiert werden [41].
Wurde eine Rücktransplantation von Ovargewebe bereits durchgeführt, gibt der AMH-Wert einen Hinweis auf die Stimulierbarkeit durch Gonadotropine und kann so bei der Wahl der Gonadotropindosis sinnvoll sein [42].
Mittlerweile gibt es tierexperimentelle Ansätze, AMH therapeutisch während der Chemotherapie einzusetzen. So erhofft man sich, den einleitend erwähnten Burn-out-Effekt zu vermeiden. Frauen, bei denen der übliche AMH-Abfall während der Chemotherapie nur vorübergehend ist, verlieren nicht den schützenden Effekt des Anti-Müller-Hormons auf den regenerierfähigen Follikelpool.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

D. Rebhan gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von der Autorin keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

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Metadaten
Titel
AMH – Ovarreserve nach onkologischen Erkrankungen
verfasst von
Dr. Daniela Rebhan
Publikationsdatum
16.09.2020
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz / Ausgabe 3/2020
Print ISSN: 1995-6924
Elektronische ISSN: 2520-8500
DOI
https://doi.org/10.1007/s41975-020-00153-0

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