Skip to main content
Ärzte Woche

11.04.2023 | Ärztekammer

Angst vor der eigenen Courage

verfasst von: Reinhard Hofer

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Wer ist verantwortlich für vermeintliche Fehlentscheidungen? Waren die Politiker schlecht beraten oder haben sie den Experten blind vertraut? Derzeit machen Schuldzuweisungen die Runde.

Drei Jahre Ausnahmezustand: Ein ganzes Land musste runtergefahren werden, die Menschen isoliert und Panik verhindert werden. Maskenpflicht, Ausgehverbote, Schulschließungen, fragwürdige Massentests und eine beschlossene aber nie exekutierte Impfpflicht haben tiefe Gräben in der Gesellschaft hinterlassen. Zahlreiche verfassungswidrige Verordnungen und widersprüchliche Zahlen zum Infektionsgeschehen haben zum Vertrauensverlust beigetragen. Von einem „Impfchaos“ spricht der Linzer SPÖ-Bürgermeister Klaus Luger.

„Politiker und Politikerinnen sollen zu ihren Entscheidungen stehen“, sagt beispielsweise der oberösterreichische Ärztekammerchef Peter Niedermoser. Bundeskanzler Karl Nehammer oder die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP) gehen derzeit auf Distanz zu ihren eigenen Beschlüssen.

„Die Impfpflicht war ein Fehler“, sagt die frühere Innenministerin Mikl-Leitner heute. Zusätzlich plant Niederösterreich die Rückzahlung von COVID-19-Strafen, was sich verfassungsmäßig und verwaltungstechnisch vermutlich nicht ausgehen wird. Die Mitglieder der Gecko ( Gesamtstaatliche Krisenkoordination, Anm. ) waren „not amused“ und haben ihre Tätigkeit vorzeitig beendet. „Der Hauptgrund ist aber, dass die COVID-19-Krise vorbei ist und die Arbeit von Gecko nicht mehr notwendig ist“, sagt das ehemalige Mitglied des Gremiums, Prof. Dr. Herwig Kollaritsch. Dass es in Zukunft schwerer werden wird, Experten zu finden, die sich als politische Berater hergeben, darin sind sich Tropenmediziner Kollaritsch, der Linzer SPÖ-Bürgermeister Luger und Ärztekammer-Grande Niedermoser einig.

In Zukunft wird es schwer sein, Experten zu finden

„Ich finde es unerträglich, dass diese Regierung – und hier vor allem der Bundeskanzler – den Ärzten und den Experten die Schuld an allem zuschiebt, was in der Corona-Zeit schiefgelaufen ist. Durch fehlerhafte politische Entscheidungen ist ein Wirrwarr entstanden. Dafür den Experten im Nachhinein die Schuld zuzuschieben, halte ich für politisch rückgratlos. Ich erinnere nur an den Maulkorberlass für die Ampelkommission, die nicht einmal ihre Entscheidungsgrundlagen offenlegen durfte.
Ich bin damals für die Impfpflicht eingetreten, und ich stehe auch heute noch zu meiner damaligen Entscheidung. Leider hat die Bundesregierung durch ihr Verhalten von Dezember 2021 bis Mai 2022 ein regelrechtes Impfchaos erzeugt. Es wurde eine Impfpflicht beschlossen, die nicht umgesetzt wurde – zuerst wurde sie aufgeschoben und schließlich ganz aufgehoben.
Ich finde dieses Verhalten schädlich für die Zukunft, da viele komplexe Herausforderungen vor uns liegen, für deren Bewältigung die Kooperation von Experten mit der Politik unbedingt notwendig sein wird. Man wird auch in absehbarer Zeit keine Impfpflicht mehr durchsetzen können, egal, um welche Krankheit es sich handelt.

Auch wenn es manchmal nicht erkennbar ist, aber im Wesentlichen reagieren Menschen rational, und ich glaube – trotz allem – an die Macht der Argumente. Die enorme Spaltung in der Gesellschaft lag keineswegs in der „Natur der Sache“, sondern sie wurde durch eindeutige Fehler der Bundesregierung mitverursacht. Gab es bis zum ersten Lockdown noch eine gute Performance, hat man danach eine unrealistische Erwartungshaltung erzeugt, z. B. dass die Impfung vor jeder Ansteckung schützt. Die Experten haben aber schon sehr früh gesagt, dass das nicht stimmt, weil es etwa durch rasche Mutationen gar keinen vollständigen Schutz vor Ansteckung geben kann.
Wir haben in Österreich auch einen desaströsen Umgang mit Daten. So gab es lange Zeit unterschiedliche Angaben über Todesfälle, niemand wusste exakt, wer „mit oder an Corona“ verstorben ist. Ein Verhinderungsinstrument dabei liegt auch in einem falschen Verständnis von Datenschutz.“

Mag. Klaus Luger, Bürgermeister von Linz, SPÖ

Politik trägt Verantwortung für ihre Entscheidungen

„Im wissenschaftlichen Diskurs gibt es immer wieder unterschiedliche Meinungen, noch dazu war die Situation zu Beginn der Pandemie völlig neu. Das Gecko-Expertengremium hat die Dinge abgewogen und sich dann zu einer gemeinschaftlichen Entscheidung durchgerungen. Diese wiederum war als Grundlage für die Entscheidung der Politiker zu sehen. Sie konnten sich dabei auf die Meinung der Experten und Expertinnen verlassen, aber es ist die Aufgabe der Politik, politische Entscheidungen zu treffen. Jetzt muss man evaluieren, was man in der Entscheidungsfindung besser machen hätte können, um in Zukunft auf solche Ereignisse besser vorbereitet zu sein.
Die Corona-Impfung stellt für mich einen Quantensprung in der Pandemie-Bekämpfung dar. Darum bin ich auch immer für die Impfpflicht eingestanden, und ich glaube nicht, dass sie damals ein Fehler war. Ich hätte mir nur gewünscht, dass man sie zu einem früheren Zeitpunkt gesetzlich umgesetzt hätte. Für mich persönlich, für mein Umfeld und für alle Verantwortlichen habe ich die Impfung immer als Auftrag verstanden, vor allem um einen schweren Krankheitsverlauf zu verhindern.
Leider gab es bei den Menschen viele Ängste, die man ihnen durch eine bessere Aufklärung nehmen hätte müssen. Zu vermitteln, dass die Impfung zu ihrem Wohl und nicht zum Schaden ist, ist die Aufgabe der Ärzteschaft. Genauso ist es ihre Aufgabe, das Risiko einer Impfung bzw. Nicht-Impfung individuell abzuwägen. Hier gab es viele Kommunikationsprobleme, die man zusammen mit der Einführung der Impfpflicht besser hätte machen können. In Zukunft gilt es, die Datenlage über Co-Morbiditäten, Vorerkrankungen und andere Risikofaktoren besser zu evaluieren, damit man sich auf die Risikogruppen konzentrieren kann und alle anderen nicht übermäßig einschränken muss.

Generell sollten die Politiker zu ihren gefällten Entscheidungen in der Corona-Zeit stehen, denn diese wurden auf Basis der damaligen Informationslage gefällt. Und sie dürfen sich nicht auf Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ausreden.“

Dr. Peter Niedermoser, Präsident der Ärztekammer für Oberösterreich

Vertrauensverlust in der Bevölkerung

„Gecko hat vorrangig ihre Arbeit deshalb eingestellt, weil sie als Kriseninterventionsinstrument in der momentanen Situation nicht mehr nötig ist. Wir haben zwar nach wie vor Probleme, wie etwa Long COVID, aber keine mehr, die das Gesundheitssystem an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit bringen würden. Was uns natürlich zusätzlich nicht gefreut hat, waren die Entwicklungen in Niederösterreich, wo es plötzlich hieß, wir zahlen Corona-Strafen zurück und wir machen keine Werbung mehr für die Impfung – und vor allem, dass die Bundes-ÖVP dazu geschwiegen hat. Damit konterkariert man die Arbeiten der Kommissionen. Unsere vornehmliche Aufgabe als medizinische Experten war es, die wissenschaftliche Evidenz so aufzuarbeiten und den Politikern so darzulegen, dass sie daraus Schlüsse für eine Entscheidungsfindung ziehen können. Nach Beschluss des Impfpflichtgesetzes haben wir den Bundeskanzler darauf hingewiesen, dass es derzeit keine Notwendigkeit gibt, dieses Gesetz zu exekutieren, da es weder von der juristischen noch von der medizinischen Seite zum damaligen Zeitpunkt noch verhältnismäßig war. Bei einer aus dem Ruder gelaufenen seuchenepidemiologischen Situation wird man – vorausgesetzt es ist ein entsprechender Impfstoff vorhanden – auch ad hoc wieder eine Impfpflicht einführen müssen, wenn man ansonsten Gefahr läuft, gesamtstaatlich mit der Situation nicht mehr fertig zu werden. Wir haben zusammen mit den Behörden einen öffentlich zugänglichen ‚Variantenmanagementplan‘ erstellt, in dem alles Notwendige aufgelistet ist, um zukünftig mit einer Pandemie besser umgehen zu können. Es wird die Aufgabe der nächsten Monate sein, die staatliche ‚Fitness‘ für pandemische Ereignisse zu verbessern. Die größten Fehler der Regierung waren sicherlich ihre schlechte Kommunikation und, dass es nicht gelungen ist, die politische Opposition dazu zu bewegen, mit an einem Strang zu ziehen. Damit ist in der Bevölkerung ein inhomogenes, ungünstiges und Raum für Spekulationen gebendes Bild entstanden, und ein hochgradiger Vertrauensverlust war die Folge. Aber auch das muss man relativieren, befanden wir uns doch alle in einer noch nie gekannten Situation. Neu und sehr verstörend war für mich auch, dass man persönlich angegriffen, bedroht und beschimpft wird. Alle, die heute nach Aufarbeitung schreien, sollten sich einmal selbst fragen, ob sie sich mit derartigen Aktionen richtig verhalten haben.“

Prof. Dr. Herwig Kollaritsch, Facharzt für Tropenmedizin




print
DRUCKEN
Metadaten
Titel
Angst vor der eigenen Courage
Schlagwort
Ärztekammer
Publikationsdatum
11.04.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 15/2023

Weitere Artikel der Ausgabe 15/2023