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Ärzte Woche

27.05.2021 | Tekal

Ja, aber!!

verfasst von: Medizin-Kabarettist Dr. Ronny Tekal

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Über die zarten, schaumgebremsten Öffnungsschritte.

Nachdem vor einem Jahr bereits die neue Normalität verlautbart wurde, wo das Leben normal weiterging, nur mit Einschränkungen, sehen wir uns nun einer neuen, neuen Normalität gegenüber, die das Ziel hat, zur alten Normalität zurückzukehren, bis niemand mehr weiß, was jetzt normal ist. Für die meisten bedeutet es, sich uneingeschränkt bewegen zu dürfen. Schließlich will der Mensch – von seinem Wesen her – nicht mit angezogener Handbremse durch das Leben rasen, sondern mit Vollgas und ohne Rücksicht auf den CO 2 -Ausstoß gegen den nächsten Baum fahren.

Es ist schön, die Menschen dieser Tage in ihrer Glückseligkeit zu beobachten. Wenn man schon von Volksgesundheit spricht, so hat sie mit dem Tag der Öffnung gewaltigen Rückenwind bekommen. Selten hat man so viele glückliche Gesichter Mitte Mai im Schanigarten bei Minus zehn Grad gesehen. Plötzlich gibt es kein schlechtes Wetter mehr, man lächelt frierend. Der Geschmack der wiedererlangten Freiheit ist großartig: Der erste Schluck Kaffee aus fremdem Porzellan, das erste Bier aus dem Fass, der erste Biss in den trockenen Schinken-Käse-Toast aus der Mikrowelle, der ein Gefühl des Abenteuers vermittelt, das am Küchentisch nicht so recht aufkommen mag. Allerdings – und hier spricht der mahnende Mediziner aus mir – muss man behutsam sein mit den Öffnungsschritten. Denn auf Ja und Nein beginnen die Losgelassenen in ihrem Übermut die Grenzen der Corona-Etikette auszureizen und zu übertreten.

Damit die ungehemmte Lebenslust auch nach der Pandemie wieder entstehen kann, muss man daher ein wenig schaumgebremst in die Freiheit starten. Also die Käfigtüre auf sperren, doch mit geschlossener Tür , Jubeln, doch mit vorgehaltener Hand und in trunkener Ekstase versinken, aber mit Käsepappeltee.

Daher habe ich mir ein paar Gedanken gemacht, die auch bereits in den aktuellen Verordnungen übernommen wurden: Fitnesscenter ja, aber ohne Gewichte an den Hantelstangen, um keine forciert ausgeatmeten Keime zu provozieren. Bekleidungsgeschäfte ja, aber ohne Ankleide, insbesondere das sonst so beliebte Probieren von Suspensorien, Stringtangas und Antitranspirant-Socken muss noch ein wenig warten. Stehbar ohne Stehen, Discoschuppen ohne Disco, Swingerclub ohne Swingen, machen Bar, Schuppen und Club sicher. Tanzen, aber ohne Partner, Fußball spielen, aber ohne Gegner, Wippschaukel ohne menschliches Gegengewicht und die für Clusterbildung bekannten Männergesangsvereine ohne Singen und ohne Männer, also quasi schweigende Frauengruppen. Aber im Prinzip ist es die wiedererlangte eingeschränkte volle Freiheit.

Dass sich die Virologen-Community wünscht, dieser Zustand möge ewig währen, ist verständlich. Die Viren-Community freut sich indes bereits auf den Herbst. Dann wird uns ein banaler Erkältungskeim in der U-Bahn niederstrecken, da unser Immunsystem völlig vergessen hat, wie ungefilterte öffentliche Verkehrsluft schmeckt.

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Metadaten
Titel
Ja, aber!!
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
27.05.2021
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 21/2021

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