Skip to main content
Ärzte Woche

03.09.2018 | Tekal

Giftiges Kokosöl

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist , Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Das Superfood von heute ist vielleicht schon das Gift von morgen.

In Zeiten, in denen eine Gesellschaft im Überfluss lebt, können es sich die Menschen leisten, sich die Rosinen aus dem Kuchen zu picken. Im wahrsten Sinn des Wortes, schließlich sind Rosinen aufgrund der enthaltenen Flavonoide und Antioxidanzien deutlich gesünder als der Kuchen herum. So lassen gesundheitsbewusst lebende Personen den Kuchen übrig oder ersetzen ihn durch eine Mischung aus Quinoa und Seegras. Hungrige essen alles.

Welche Nahrungsbestandteile tatsächlich gesund sind und das Leben um durchschnittlich 50 Jahre verlängern, ist immer wieder Thema bewaffneter ernährungswissenschaftlicher Diskussionen. Jüngstes Beispiel: Aufstieg und Fall des Kokosöls. Als Wundermittel gepriesen hat es eine steile Karriere vom bloßen Food, über das Super-, hin zum Megafood gemacht. Bis es vor Kurzem in Ungnade fiel, um geteert und gefedert vor die Stadttore der Bobo-Viertel verbannt zu werden. Eins vorweg: Der Kokosnuss ist es vermutlich völlig egal, ob sie nun Super- oder Junkfood ist. Dennoch hat der in den vergangenen Wochen geführte Glaubenskrieg einiges an Feinstaub aufgewirbelt.

Stein des Anstoßes war ein Vortrag der Freiburger Harvard-Professorin Karin Michels zu Ernährungsirrtümern. Dass die einstündige Vorlesung aus dem Hörsaal auf Youtube mehr als eine Million Mal angeklickt wurde, stellt dabei die Do’s und Don’ts für soziale Medien gehörig infrage. An der Kokosnuss ließ sie kein gutes Haar: Das Öl sei „eines der schlimmsten Nahrungsmittel überhaupt“, „ungesünder als Schweineschmalz“ und damit „das reine Gift“. Das hat gesessen. Und da eine eine Million Mal geklickte Botschaft auch eine Million Mal mehr wert zu sein scheint, wurden binnen weniger Tage vom Endkunden Tonnen an Kokosölprodukten in die Tonne entsorgt.

Dass das Bounty also doch nicht so gesund ist, wie wir bislang angenommen haben, wurde damit begründet, dass Kokosöl einen hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren hat. Und die gelten bekanntlich als die Bösen, sodass ernährungsbewusste Personen immer schon die teuflische Bio-Butter durch gesunde Industrie-Margarine tauschten. Nach kurzer Schockstarre hat die Internet-Community das Kokosöl wieder aus der Tonne geholt und sachlich mit einem Shitstorm geantwortet.

Eines ist jedoch klar: Jede Wirkung hat auch Nebenwirkungen, das gilt auch für das Kokosöl. Immerhin sagt man, dass mehr Menschen durch herabfallende Kokosnüsse als durch Haiangriffe sterben. Eine zwar niemals verifizierte Statistik, dafür eine umso wundervollere Parabel darauf, dass man sich nicht im Sicheren wiegen darf, wenn man statt im Meer unter der Palme sitzt.

Ich persönlich liebe solche Diskussionen um potenziell fundierte Fakten und vermeintliche Irrtümer, die sich im Nachhinein ohnehin völlig anders darstellen. Wer jedoch von diesen Diskussionen nicht nur gesättigt, sondern mehrfach gesättigt ist, sollte sich vielleicht besser auf sein Bauchgefühl – oder allenfalls auch auf sein Bauchfett – verlassen.

print
DRUCKEN
Metadaten
Titel
Giftiges Kokosöl
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
03.09.2018
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 36/2018

Weitere Artikel der Ausgabe 36/2018