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Ärzte Woche

03.12.2018 | Tekal

Nebenwirkungen

Einen Moment Zeit?

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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Kostbare Güter verschenkt man nicht so gerne. 

„Haben Sie einen Moment Zeit?“ Nicht nur Fundraiser gemeinnütziger Vereine und Telefonkeiler, sondern auch Patienten stellen diese Frage der Fragen, die beim Gegenüber eine Mischung aus Panik und dem Bemühen, die gute Kinderstube nicht zu vergessen, auslöst. Im Falle eines Patienten bedeutet dieses Anliegen, dass da eine Person, die man gerade mal beruflich oberflächlich kennt (so man Dermatologe ist und nicht Gastroenterologe, wo man Menschen bereits auch im Innersten erreicht hat) ein Stück vom Kostbarsten möchte, das man besitzt. Besser wäre da sogar noch, um Geld gebeten zu werden. Oder um ein Taschentuch. Zudem ist in der Frage auch keine exakte Zeitangabe enthalten. Das verunsichert. Denn wer weiß schon, ob dieser Moment tatsächlich nur einen Augenblick dauert oder sich über Stunden oder gar Tage hinzieht, man möglicherweise mit dem Patienten auf Urlaub fahren muss, um all das zu besprechen, was ihn so beschäftigt.

Sicherheitshalber lehnen wir mal ab. Die Antwort fällt knapp aus: „Ist grad ungünstig“, „tut mir leid, es ist grad ungünstig“ oder nur „ungünstig“. Manche können es sich erlauben, eine Alternative anzubieten „Lassen Sie sich einen Termin geben“. Das ist elegant und wer eine Praxis hat, kann so die gewünschten Momente Zeit auf einen fixen Zeitpunkt verlegen, irgendwann in drei Monaten. Eine Win-Win-Situation, denn so füllt sich das Auftragsbuch und die kostbare Zeit wird im Moment nicht gestohlen.

Im Spitalsalltag ist das nicht ohne Weiteres möglich. Denn es gibt, abgesehen von der Visite, auf vielen Abteilungen kaum Möglichkeiten zum direkten Patientenkontakt, ohne dass sich dazwischen ein Ultraschallkopf, ein Skalpell oder ein MRT befindet. Man kann also die Frage „Haben Sie einen Moment Zeit“ ehrlicherweise nur verneinen und auf die Visite verweisen, die aber erst kommende Woche stattfindet, da man bis dahin auf Kongress ist. So etwas frustriert nicht nur den fragenden Patienten, sondern auch den gefragten Mediziner. Denn damit wird einem vor Augen geführt, wie arm man eigentlich ist, dass man nicht einmal so etwas Banales besitzt wie Zeit. Spätestens, wenn der Lebenspartner zuhause die gefürchtete Frage nach dem Moment Zeit stellt und man empfiehlt, sich einen Termin geben zu lassen, sollte man sich ernsthaft Gedanken machen.

Auch die Adventzeit soll dem Vernehmen nach eine besinnliche sein. Umso erstaunlicher, dass man hier alles hineinpackt, was im Jahr noch zu erledigen ist: Das fristgerechte Abarbeiten von Dingen, die bereits die vergangenen Jahrzehnte liegen geblieben sind, die Steuererklärung oder das zeitgerechte Besorgen der Weihnachtsgeschenke für den Steuerfahnder.

Wenn in einem Spital also dafür gesorgt wird, dass ausreichend Infusionsflaschen, Tupfer oder Gangbetten zur Verfügung stehen, wäre es nicht verkehrt, auch die Zeit auf die Inventarliste zu setzen, um sie für die vielen wertvollen Momente immer griffbereit zu haben.

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Metadaten
Titel
Nebenwirkungen
Einen Moment Zeit?
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
03.12.2018
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 49/2018

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