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18.04.2024 | Tekal

Die Vor-Boten

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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Seit der Antike weiß man, dass die einzige Konstante im Leben die Veränderung ist. Und dennoch wollen wir, dass alles so bleibt, wie es ist. 

Natürlich ist es praktisch, wenn man sein Leben lang mit einem einzigen Anzug das Auslangen findet. Mit zunehmendem Alter führt jedoch jedes genaschte Konfekt naturgemäß auch zu einer Änderung der Konfektionsgröße. Hier braucht es niemanden, der uns sagt, dass man mit 50 bald nicht mehr in den Matura-Anzug passt. Man bekommt es auch so schmerzhaft mit, wenn die Slimfit-Hose bereits an den Oberschenkeln steckenbleibt. Für andere Belange helfen Boten, die verkündigen, dass etwas in der Luft liegt, das dort nicht hingehört.

Denn die objektiv bedrohlichere Veränderung betrifft das Klima. Die Meteorologen überschlagen sich Jahr um Jahr mit Rekordmeldungen zu Wetterkapriolen, die auf die globale Erwärmung zurückzuführen sind. Manchmal beunruhigend („noch nie war es so heiß im August“), manchmal skurril („es war der wechselhafteste April seit Beginn der Aufzeichnungen“). Auch die Bauernregeln ändern sich in den urbanen Speckgürteln: „Dem Poolboy ist ums Chlor recht leid, wenn es in den Pool rein schneit!“ Klimaaktivisten haben es heute jedoch schwer, Gehör zu finden. Während Aktionen von Greenpeace in den 1980er-Jahren noch für anerkennenden Respekt in der Bevölkerung gesorgt haben, da die wenigsten privat eine Chemiefabrik, einen Atommeiler oder ein Walfangschiff besaßen und sie durch die spektakulären Aktionen nicht direkt betroffen waren, sorgt der Aktionismus in diesen Tagen für großen Unmut. So sehen viele das Problem weniger in der globalen Erwärmung als in der lokalen Erzürnung, die sich einstellt, wenn sich wieder einmal ein Aktivist vor den eigenen SUV geklebt hat. Die Klimakleber gelten als vogelfrei und Zielscheibe für Hohn und Spott. Aber manchmal ist es eben leichter, den Boten zu töten, als die Botschaft zu akzeptieren.

Vor allem, wenn Vor-boten Ver-bote aussprechen, die unangenehm sind: Du sollst nicht Autofahren! Du sollst nicht Naschen! Du sollst nicht Rauchen! Damit sind wir in der Medizin stets auch damit konfrontiert, als Überbringer unangenehmer Nachrichten fungieren zu müssen. Zum Glück geht es nicht immer um lebensbedrohliche Diagnosen, aber für viele Patienten um lebensfeindliche. Denn wenn wir zum Verzicht mahnen, bei miesem Risikoprofil empfehlen, der Völlerei Einhalt zu gebieten, umzukehren und zu bereuen, machen wir uns nicht sonderlich beliebt. Sich als Cholesterinkleber zwischen Patient und Kugelgrill zu befestigen, damit er nicht an die Bratwürste gelangt, mag ja gut gemeint sein, hier sieht man jedoch den Feind oft im Hausarzt und weniger im LDL.

Man will gesund sein, doch in einer Form, die es erlaubt, sich wie ein 18-Jähriger im Maturaanzug die Kante zu geben, ohne Verzicht, ohne Veränderung. Da kann bereits die tägliche Einnahme einer einzigen Tablette oder das Tragen eines Hörgerätes als Zumutung gesehen werden, die die Lebensfreude bremst. Und dann muss eher der Bote daran glauben.

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Metadaten
Titel
Die Vor-Boten
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
18.04.2024

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