Skip to main content
Ärzte Woche

31.01.2022 | Gesundheitspolitik

Wer hat das Pieks-Ass?

verfasst von: Martin Křenek-Burger

Impfen regt so viele Menschen auf, dass die Impfpflicht eigentlich nur beruhigend wirken kann. Dennoch sind einige Fragen von den Experten noch nicht beantwortet. Beim Gesundheitspolitischen Forum war dazu Gelegenheit.

Der Streit über die Einführung der Impfpflicht lässt sich hierzulande, aber auch in Deutschland live und in Farbe verfolgen. „Wir hatten eine höhere Impfbereitschaft in der Bevölkerung erhofft und erwartet“, sagt Prof. Gernot Marx, Präsident der DIVI (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V.). Mit Blick auf die aktuelle Entwicklung des Infektionsgeschehens sei nur durch die Impfpflicht sicherzustellen, dass die epidemische Lage nationaler Tragweite auch langfristig zu bewältigen ist. „Die Mitarbeiter aller Bereiche der Kliniken – besonders die auf den Intensivstationen und in der Notfallmedizin tätigen – brauchen eine Perspektive! Wir können nicht in jeder Wintersaison wieder eine neue Welle zahlreicher schwerer COVID-19-Verläufe riskieren.“ „Das Thema Impfpflicht trifft uns unvorbereitet, weil wir von Seuchen zum Glück über Jahrzehnte verschont worden sind“, meint Prof. Dr. Karl Schwarz, Präsident der Karl Landsteiner Gesellschaft, aus Anlass des 122. Gesundheitspolitischen Forums ( „Impfpflicht – was heißt das?“, 27. Jänner 2022 ). Mit der Pocken-Impfung lasse sich die COVID-19-Impfpflicht, unter anderem wegen der noch unklaren Auffrischungsintervalle, nicht 1:1 vergleichen. „Ich möchte die Aufregung nicht kleinreden, aber wir haben doch eine gewisse rechtliche Erfahrung.“

Die Impfpflicht greife in eine Reihe von Grundrechten ein, die es argumentativ zu überwinden gelte, um sie zu rechtfertigen, sagt der Jurist Karl Stöger. Auch der Medizinethiker betont, dass eine Verpflichtung zur Impfung die schlechtere Lösung sei, der die Freiwilligkeit vorzuziehen sei. „Das heißt aber nicht, dass das nicht unter bestimmten Umständen nicht doch der Fall sein kann.“

Martin Krenek-Burger

Impfpflicht ist ein Eingriff in eine Reihe von Grundrechten

„Es gibt verschiedene Arten, mit COVID-19 umzugehen. In der ersten Phase der Pandemie waren Kontaktbeschränkungen das Mittel der Wahl. Die Impfung bietet jetzt dazu eine Alternative, die länger wirkt als ein Lockdown, der nur eine Welle abfangen kann. Eine Impfung kann eine Welle bis zu einem gewissen Grad einbremsen, massiv abflachen, vielleicht gar nicht erst entstehen lassen. Die Impfpflicht ist ein Eingriff in eine Reihe von Grundrechten, beispielsweise das Recht auf die Achtung des Privat- und Familienlebens nach Artikel 8 EMRK ( Anm.: Europäische Menschenrechtskonvention ), auch der Schutz der körperlichen Unversehrtheit gehört dazu, die im Recht auf Leben nach Artikel 2 und auch in Artikel 3 EMRK ( Anm.: Verbot der Folter ) festgelegt ist. Diese Bestimmungen muss man argumentativ überwinden, um eine Impfpflicht zu rechtfertigen.

Bei Artikel 8 ist ( Anm.: in Absatz 2 ) festgehalten, dass der Eingriff durch eine öffentliche Behörde zulässig ist, wenn er gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Das ist die Abwägung, um die es hier geht. Wie schwer wiegt die Gefahr von COVID-19, und zwar nicht nur auf die Gesundheit des Einzelnen, sondern auch auf das Gesundheitssystem als Ganzes, und wie sehr ist es zu diesem Zweck notwendig, zum Mittel der Impfung zu greifen? Hier wird in der Öffentlichkeit diskutiert, ob man auch bei einer milderen Variante zum Mittel der Impfung greifen muss. Nach Ansicht der Medizin ist die Impfung nach wie vor das geeignete und entscheidende Mittel, u. a. für den Fall, dass sich die jetzige Variante als doch nicht so harmlos herausstellt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte räumt den Staaten einen gewissen Spielraum ein. Dass der eine Staat eine Impfpflicht einführt, der andere aber nicht, bedeutet noch nicht, dass die Impfpflicht in den Staaten, in denen es sie gibt, um die Pandemie in den Griff zu bekommen, verfassungswidrig ist. Es bedeutet auch nicht, dass jene Staaten, die keine Impfpflicht machen, sondern nach anderen Methoden vorgehen, deswegen menschenrechtswidrig handeln.

Klar ist aber auch: Wenn man sich für eine Impfpflicht entscheidet, muss man ein Ziel haben, das ich mit dieser Impfpflicht erreichen will, und dass andere Mittel hinsichtlich ihrer Tauglichkeit dahinter zurückbleiben, weil man sonst ein Problem hat, den damit verbundenen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen.“

Prof. Dr. Karl Stöger, Abteilung Medizinrecht, Universität Wien

Verpflichtung kann unter Umständen nötig sein

„Das Prinzip der Menschenwürde meint, dass jedem Menschen ein Selbstwert zukommt. Ein Mensch ist um seiner selbst willen zu achten. Er soll sich nicht oder andere für bestimmte Zwecke total instrumentalisieren. Für dieses Verständnis von Menschenwürde hat Immanuel Kant den Begriff des kategorischen Imperativs vergeben.

Ich werde als Ethiker immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob Impfpflicht bedeutet, dass wir bereit sind, Impfschäden in Kauf zu nehmen, weil wir ein höheres Ziel verfolgen, nämlich den allgemeinen Schutz der Gesundheit. So wie sich die Dinge darstellen, geht es aber gar nicht darum, dass Menschen sehenden Auges zu Versuchskaninchen gemacht werden. Es geht vielmehr immer darum, fortlaufend und präventiv mögliche Risiken und Gegenstrategien abzuwägen.

Ich weiß, dass grundsätzlichen Debatten kommen werden. Dazu möchte ich festhalten: Es geht nicht darum, das eine Leben gegen das andere abzuwägen. In unserer Gesellschaft stehen wir immer vor der Frage, welche Risiken wir bereit sind, in Kauf zu nehmen. Beispielsweise in der Mobilität. Wir haben das Recht, uns frei zu bewegen, es kann dabei aber zu Verkehrsunfällen kommen.

Ich möchte vermeiden, dass eine utilitaristische Rechnung aufgemacht wird. Das scheint mir aber auch gar nicht das Problem zu sein, wenn ich mir vor Augen führe, wie viele Milliarden Impfungen bereits verabreicht wurden. Auch das, was wir über Todesfälle wissen, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung stehen – was noch lange nicht heißt, dass es sich auch um einen kausalen Zusammenhang handelt –, zeigt, dass es nicht um das Abwägen eines Lebens gegen das andere geht.

Ethisch wie rechtlich gilt das Gebot der Freiwilligkeit und der Verhältnismäßigkeit, d. h., Freiwilligkeit ist allemal besser, als einen Zwang auszuüben oder eine Verpflichtung einzuführen. Das heißt aber wiederum nicht, dass das nicht unter bestimmten Umständen nicht doch der Fall sein kann.“

Prof. Dr. DDr. h.c. Ulrich H. J. Körtner, Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin, Uni Wien

Große Population, die einen schweren Verlauf haben kann

„Ein Argument, das man häufig hört, ist, dass Omikron zwar eine sehr ansteckende Variante sei, die aber in ihrem Schweregrad eindeutig gegenüber den anderen Varianten verloren habe. Wieso solle man sich überhaupt noch impfen lassen? Wäre es nicht besser, wenn wir uns alle anstecken und auf diese Art eine Immunität erwerben würden?

Das könnte man sich denken, wenn wir – Nummer eins – sicher wären, dass die Omikron-Variante und folgende Varianten tatsächlich immer milder und milder ausfallen werden, sich also wie Rhinoviren verhalten und mit einem unangenehmen Schnupfen verbunden sind. Nummer zwei: Wenn wir nicht sehen würden, dass es bei bestimmten Bevölkerungsgruppen bei Omikron sehr wohl zu schweren Verläufen kommt. Das ist zum einen immer noch die Gruppe der älteren Personen über 65. Und das ist zum anderen die Gruppe der Risikopersonen. Das sind auf der einen Seite Menschen, die durch ihr Gewicht, durch einen Diabetes mellitus, durch eine Stoffwechselerkrankung oder durch andere grundlegende Beschwerden, was Herz-Kreislauf betrifft, oder durch Lungenerkrankungen, bei Kontakt mit dem Virus eine größere Wahrscheinlichkeit haben, dass auch bei einer milden Variante der Verlauf schlimm ist. Auf der anderen Seite gibt es eine wachsende Gruppe von immun-inkompetenten Personen, die durch Grundkrankheiten oder durch Therapien in ihrer Abwehrfähigkeit gestört sind. Das sind Menschen mit Krebserkrankungen, mit Autoimmunerkrankungen wie rheumatoider Arthritis, mit neurologischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose bis hin zu schwer immunsupprimierten Menschen, etwa alle Organtransplantierten. Diese Personen sind in hohem Maß gefährdet, sich anzustecken und dann nicht die Fähigkeit zu haben, mit diesem Virus zurechtzukommen. Wir reden von 4 bis 7 Prozent der Bevölkerung, die immun-inkompetent sind – bis zu 300.000 Leute nur in dieser Gruppe. Dazu kommt die Gruppe jener, die nicht geimpft werden können, weil sie noch zu klein sind, das sind die Kinder unter 5 Jahren. Es gibt also eine große Population in der Bevölkerung, die, wenn sie angesteckt wird, einen schweren Verlauf haben kann. Wenn alle gleichzeitig angesteckt werden, kann es zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommen.“

Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt, MD, MSc, PhD, Professorin für Vakzinologie und Leiterin des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie, MedUni Wien

Metadaten
Titel
Wer hat das Pieks-Ass?
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
31.01.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 5/2022

Weitere Artikel der Ausgabe 5/2022

www.gesundheitswirtschaft.at (Link öffnet in neuem Fenster)

Mit den beiden Medien ÖKZ und QUALITAS unterstützt Gesundheitswirtschaft.at das Gesundheitssystem durch kritische Analysen und Information, schafft Interesse für notwendige Veränderungen und fördert Initiative. Die ÖKZ ist seit 1960 das bekannteste Printmedium für Führungskräfte und Entscheidungsträger im österreichischen Gesundheitssystem. Die QUALITAS verbindet seit 2002 die deutschsprachigen Experten und Praktiker im Thema Qualität in Gesundheitseinrichtungen.

zur Seite

www.pains.at (Link öffnet in neuem Fenster)

P.A.I.N.S. bietet vielfältige und aktuelle Inhalte in den Bereichen Palliativmedizin, Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerzmedizin. Die Informationsplattform legt einen besonderen Schwerpunkt auf hochwertige Fortbildung und bietet Updates und ausgewählte Highlight-Beiträge aus Schmerznachrichten und Anästhesie Nachrichten.

zur Seite