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Ärzte Woche

25.06.2023 | Gesundheitspolitik

Reise ins Kleinkarierte

verfasst von: Michael Krassnitzer

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Für nicht wahrgenommene Arzttermine sollen Stornogebühren eingehoben werden. Diese Forderung hat die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) nun zum wiederholten Mal aufs Tapet gebracht.

Ein Steckenpferd der Standesvertretung ist die Stornogebühr, da lassen die Ärztefunktionäre einfach nicht locker. Begründung: Es sei frustrierend, wenn die ohnehin schon knappen Ressourcen für Kassenärzte durch unentschuldigtes Fernbleiben verschwendet werden, betont Prof. Dr. Dietmar Bayer, stellvertretender ÖÄK-Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte.

Die Gründe, warum Patienten ihre Arzttermine nicht absagen, seien unterschiedlich: Es könne einfache Vergesslichkeit sein. Es gebe aber auch Patienten, die Termine bei mehreren Fachärzten ausmachen, dann den erstmöglichen Termin wahrnehmen und die anderen unentschuldigt verstreichen lassen.

Bis zu 40 Euro Stornogebühr müssen Patienten bei der Wiener Allgemeinmedizinerin Dr. Naghme Kamaleyan-Schmied für unentschuldigtes Verabsäumen eines vereinbarten Termins zahlen. Bei der stellvertretenden ÖÄK-Bundeskurienobfrau der niedergelassenen Ärzte können Patienten über eine Webseite rund um die Uhr Termine vereinbaren und auch online wieder stornieren. Bei Vorliegen von triftigen Gründen für das Fernbleiben bei einem vereinbarten Termin lässt Kamaleyan-Schmied selbstverständlich Kulanz walten.

„Wir hoffen, dass allein die Ankündigung der Stornogebühr zu Termintreue bei den Patienten beitragen kann“, sagt die Ärztin. Die Ärzte Woche hat auch den Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse nach seiner Meinung zu diesem Thema befragt: Andreas Huss hält nichts von Stornogebühren. Im Gegenzug kann er sich Säumniszahlungen an die Patienten vorstellen, falls diese trotz Termins länger als eine Stunde auf die Behandlung warten müssen.

Heutzutage wird alles für selbstverständlich erachtet

„Ich bin Verfechterin der solidarischen Gesundheitsversorgung, da ich der Meinung bin, dass die beste Gesundheitsversorgung unabhängig vom sozialen und finanziellen Hintergrund des Patienten ein Grundrecht ist. Leider kämpfen wir im Kassenbereich mit einem Ärztemangel, den wir und die Patienten in den Ordinationen stark spüren. Dieser Mangel erfordert, dass wir hoch effizient arbeiten und administrative Abläufe optimieren. Um Wartezeiten zu vermeiden, setzen wir zum Beispiel in der Ordination auf Online-Terminanmeldungen. Patienten können damit zeitungebunden ihre Arzttermine ausmachen, zudem gibt es eine Erinnerungsfunktion. Ebenso könnten Arzttermine einfach per Mausklick storniert werden – ein Anruf in der Ordination ist damit nicht mehr notwendig. Trotz dieses Services kommt es immer wieder vor, dass Patienten nicht erscheinen. Würden diese rechtzeitig Bescheid geben, dann können wir die frei gewordenen Termine an jene vergeben, die sie dringend brauchen.

Sollten die Kassenverträge eines Tages flexibler und die Leistungen von der Sozialversicherung auch modernisiert werden – Stichwort Gesprächsmedizin, Deckelungen und Degressionen – dann werden sich mehr Ärzte für eine Kassenordination entscheiden. Solange das aber nicht der Fall ist, bleibt die Situation, wie sie ist: Die medizinische Versorgung und die Arzttermine sind leider rare Ressourcen im öffentlichen, solidarischen Gesundheitssystem. Umso mehr sollten diese auch wertgeschätzt werden. In der Wüste würde auch niemand auf die Idee kommen, Wasser zu verschwenden. Es gehört auch zu einem höflichen und respektvollen Umgang, vereinbarte Arzttermine abzusagen, wenn diese nicht eingehalten werden können – und zwar nicht nur den Ärzten und Mitarbeitern in den Ordinationen gegenüber, sondern auch den anderen Patienten gegenüber.

Leider scheint es in der heutigen Gesellschaft generell die Tendenz zu geben, alles für selbstverständlich zu erachten und davon auszugehen, dass man alles auch sofort und auf Abruf erhält, wie eine gute Gesundheitsversorgung. Die Sinne für die aktuell prekäre Situation in der Kassenmedizin sollten geschärft werden. Niemand verlangt aus Jux und Tollerei Stornogebühren für Leertermine. Und selbstverständlich gibt es gute Gründe, dass man akut einen Termin nicht wahrnehmen kann. Aber wenn das regelmäßig vorkommt, dann kann schon das bloße Verlangen einer Stornogebühr dazu führen, die Termintreue zu verbessern.“

Dr. Naghme Kamaleyan-Schmied, stv. Bundeskurienobfrau der niedergelassenen Ärzte der Österreichischen Ärztekammer

Erlebe es täglich, dass Patienten nicht erscheinen


„Zeitmangel ist der ständige Begleiter eines Kassenarztes. Die viel zitierte Drei-Minuten-Medizin ist durch die von Kasse und Politik verursachten Fehlentwicklungen leider Realität. Da die Zuwendungsmedizin in Österreicher nicht als Kassenleistung honoriert wird, führt das zu einem enormen Stress in der Patientenbetreuung. Wenn Patienten ihre ausgemachten Arzttermine dann nicht wahrnehmen, ist das daher ziemlich frustrierend. Es gibt natürlich viele Gründe für ein Nichterscheinen – aber dadurch, dass wir in der Ordination nicht vorab informiert werden, wird uns die Möglichkeit genommen, entweder einen Patienten einzuschieben oder uns mehr Zeit für andere Patienten zu nehmen.

Leider erlebe ich es täglich, dass Patienten ihre Termine nicht wahrnehmen und einfach nicht erscheinen. Es hat sicher etwas mit Haltung, Erziehung, Werten und Wertschätzung zu tun, ob man Arzttermine klanglos verstreichen lässt. Daher verrechne ich mittlerweile eine Stornogebühr, damit Patienten zukünftig entweder ihre Termine tatsächlich wahrnehmen oder eben rechtzeitig absagen. Das gehört auch zur Fairness dazu.

In Zusammenhang mit Fairness und Wartezeiten kommt zwangsläufig auch die Frage auf, ob im Umkehrschluss nicht Patienten entschädigt werden, wenn sie trotz eines Termins eine Stunde oder länger warten müssen, bis sie drankommen. Ein Nichterscheinen ist allerdings nicht mit Wartezeit im Wartezimmer aufgrund von medizinischer Notwendigkeit zu vergleichen. Wir bemühen uns natürlich, dass die Wartezeiten möglichst kurz sind. Leider ist die Dauer von Arztterminen nicht exakt voraussagbar. Wir wollen unsere Patienten adäquat betreuen, das bedeutet dann natürlich auch, dass man sich bei manchen aufgrund der medizinischen Probleme länger Zeit nimmt, als ursprünglich gedacht. Und auch in Terminordinationen werden Notfälle selbstverständlich eingeschoben. Eine Terminvergabe kann daher immer nur eine Richtschnur darstellen und kann nicht für sich beanspruchen, eine exakte Vorgabe zu sein. Patienten sind nun einmal Menschen und wir widmen – trotz der Herausforderungen in der Kassenmedizin – ihnen die Zeit, die wir für sie benötigen.

Stornogebühren zu verlangen, ist kein Spaß, aber letztendlich eine Notwendigkeit, die von den Patienten auch großteils nicht nur akzeptiert wird, sondern auch auf viel Verständnis stößt. Oft reicht auch der einfache Hinweis auf die Ausfallsgebühr, dass Patienten sich entweder an den Termin halten oder frühzeitig absagen.“

Prof. Dr. Dietmar Bayer, stellvertretender Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte der Österreichischen Ärztekammer

Das System ähnelt der Stornierung eines Hotels

„Die wiederkehrende Diskussion über Strafgebühren für Versicherte, die Termine in Ordinationen ohne Absage verfallen lassen, ist für mich etwas unverständlich. Es gibt keine Regel, die diese Vorgehensweise seitens der Ärzte verhindert. Die Ordinationsbesitzer können jederzeit in den eigenen Wänden im Sinne des Hausrechts mit der Kundschaft vereinbaren, dass Gebühren anfallen, wenn der geschilderte Fall eintritt. Bei der Terminvereinbarung muss den Versicherten schriftlich bekannt gegeben werden, wie die Konditionen aussehen, welche Fristen zu beachten sind und wie hoch die Strafgebühr im Fall des Falles ist. Das wäre dann ein ähnliches System wie bei Hotels, die mit unterschiedlichen Stornierungsbedingungen werben. Die Versicherten können sich dann überlegen, ob sie diese Bedingungen akzeptieren oder doch lieber eine andere Ordination besuchen, die von Strafgebühren absieht.

Darüber hinaus kann es auch gute Gründe für Versicherte geben, einen Termin ausfallen zu lassen. In manchen Ordinationen ist die Organisation so gering ausgestattet, dass beim Versuch eines Anrufes nur die Telefon-Warteschleife einen möglicherweise akut erkrankten Versicherten begrüßt. Es gibt Versicherte, die verzweifelt schildern, dass sie bei der angestammten Ordination mehrere Telefon-Anläufe brauchen, um bis zur Sprechstundenhilfe durchzukommen, obwohl nur so eine Absage möglich ist. Es ist also an den Ordinationen und den freiberuflichen Ärzten selbst, gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Treten in manchen Ordinationen gehäuft Fälle auf, dass Termine ohne Absage ausgelassen werden, sollte der Ordinationsbetreiber hinterfragen, welche Bedingungen verbessert werden müssen, um gute Abläufe zu gewährleisten.

Ich halte nichts davon, Versicherte mit Strafgebühren zu belegen, denn für versäumte Termine gibt es wohl oft gute Gründe. Verständnis hätte ich für eine derartige Gebühr nur dann, wenn Versicherte Termine wiederholt und mutwillig ausfallen lassen, was aber wohl eine sehr seltene Ausnahme ist. Die Versicherten werden bei der Einführung solcher Gebühren in einzelnen Ordinationen ohnehin mit den Füßen abstimmen und zeigen, was sie davon halten. Darüber hinaus könnte man in den Ordinationen darüber nachdenken, ob bei der Terminvereinbarung Säumniszahlungen an die Patienten angeboten werden, falls man trotz Termins länger als eine Stunde auf die Behandlung wartet.“

Andreas Huss, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse 

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Metadaten
Titel
Reise ins Kleinkarierte
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
25.06.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 26/2023

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