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Ärzte Woche

27.02.2022 | Gesundheitspolitik

Die feine Linie zwischen den Polen treffen

Wie schafft man es, die neuartigen Corona-Medikamente anzubieten, ohne dass komplett auf die Impfung verzichtet wird? Nur ein Beispiel für die Probleme der Wissenschaftskommunikation.

Der Smartphone-Reparaturdienstmann meines Vertrauens hat eine Frage: „Was ist drin, Mann?“ In einer Dosis Impfstoff meint er, nicht im Smartphone. Er sei zweimal geimpft, den Booster werde er sich aber nicht holen. Weil: „Kein Arzt kann mir sagen, was drin ist. Ich bin nicht überzeugt.“ Jetzt hätte ich ihm die verschiedenen Arten von Impfstoffen auseinandersetzen können, aber ich versuche es anders: „Hast du Angst?“ Das war hier und nur hier der richtige Ton oder besser gesagt: Ich habe ihn „erwischt“. Natürlich hat ein echter Kerl wie er keine Angst vor einem „Autschi-Pieks“, wie es Ärzte Woche -Kolumnist Ronny Tekal einmal ausdrückte. Ob ich mein Gegenüber mit dieser Gegenfrage zum Boostern bewogen habe, ist ungewiss. Das Beispiel führt hinein in das Feld der Kommunikation mit Laien.

Auf dem gesundheitspolitischen Forum (Ausgabe 123) wurde dieser steinige Acker tief gepflügt. Johannes Steinhart, ÄK-Vizepräsident, brachte ein Beispiel aus seinem Ordinationsalltag: Eine Dame meldete Zweifel an den großen Errungenschaften der Medizin, Antibiotika und Impfung, an. Steinhart hat sie nicht ins Eck gestellt, ihm ist eine emotionale Antwort eingefallen, ohne sie ins „Covidioten“-Eck zu stellen. Er holte die Erinnerung an die Corona-Toten hervor: „Schön gestorben sind die nicht.“ Die Dame geriet ins Grübeln. Mission erfüllt. Das kann im Einzelfall funktionieren oder auch nicht. Mediziner stehen seit zwei Jahren vor dem generellen Problem, ihr Wissen in klaren Worten zu vermitteln, ohne zu stark zu vereinfachen. Für wissenschaftlich geschultes Personal keine geringe Leistung. „Aber wichtig“, sagt der Virologe Dr. Christoph Steininger. Er hat es als Gutachter mit Staatsanwälten zu tun. „Wir sorgen für mehr Gerechtigkeit.“

Martin Krenek-Burger

Impfskeptiker muss man in der Emotion abholen

„Eine der wichtigsten Lehren aus der Pandemie ist, wie wir kommunizieren. Social Media ist ein Phänomen, das – zumindest derzeit – außer Kontrolle ist. Die Argumente für und wider die Impfung haben sich aufgeschaukelt, was ich sehr bedauere. Ich habe auch keine Generallösung, wie wir aus dieser extremen Polarisierung wieder herauskommen. Als Urologe bin ich mit der Corona-Impfung auch nicht unmittelbar konfrontiert. Aber eine persönliche Erfahrung zum Thema Kommunikation möchte ich weitergeben: In einem Gespräch mit einer Patientin mit Harnwegsinfekt fiel die Bemerkung: ,Wissen Sie, ich mag keine Medikamente und schon gar nicht Antibiotika.’ Ich habe die Dame gefragt, ob sie geimpft ist. ,Nein.’

Ich habe es vermieden, ihr zu antworten: ,Das müssen Sie.’ Mir ist damals ein spontaner Kommentar herausgerutscht: ,Schön gestorben sind die nicht.’ Damit habe ich sie gewissermaßen erwischt.

Was ich damit sagen will: Wenn jemandem etwas zu Herzen geht, wenn er oder sie – aus unserer Sicht – falsch gepolt ist, erreiche ich den- oder diejenige nicht mit kalten Zahlen. Ich muss ihn oder sie in der Emotion abholen.

Daran besteht großer Bedarf und in den Ordinationen haben wir auch die Möglichkeit zu solchen vertrauten Gesprächen. Als Arzt habe ich die Chance, mit dem Patienten noch einmal zu sprechen, ich kann ihn dazu bringen, seine Haltung zu überdenken und abzuwägen, ohne ihn aber zu verurteilen.

Auch die Leitung – Politik und Experten – muss sich überlegen, wie sie mit der Bevölkerung richtig kommuniziert, damit es zu einer allgemeinen Akzeptanz der empfohlenen Maßnahmen kommt.

Klar ist aber auch: Wir sind eine Gesellschaft, die sich zu einem großen Teil ökonomisch definiert, daher wird Anerkennung bei uns ökonomisch ausgedrückt. Beim Ärztefunkdienst hatten wir Probleme, die Dienste zu besetzen, weil die Honorare unattraktiv waren. Wir konnten die Honorare besser gestalten, und schlagartig gibt es Wartelisten. Man sieht: Es bewegt sich was, wenn man ins Personal investiert. Das Bett allein nutzt mir nichts, ich brauche die Mannschaft dazu, sowohl Pfleger als auch Ärzte.“

MR Dr. Johannes Steinhart, Vizepräsident der Ärztekammer

Medikamente statt impfen – das wäre die falsche Strategie

„Wir haben in der Pandemie geübt und gelernt, komplexe Zusammenhänge einfach zu kommunizieren. Ich konnte das bei vielen Kollegen an der MedUni beobachten, wie sie in diese Rolle hineingewachsen sind und wie sie viel von ihrer Freizeit investiert haben, um mit Wissenschaftskommunikation mehr Sicherheit zu schaffen. Das war ein wichtiger Aspekt zu Beginn der Pandemie, als wir noch sehr wenig über die Krankheit wussten und die Verunsicherung groß war.

Wir haben bemerkt, dass bei der Vereinfachung eine Übervereinfachung passieren kann. Einige sehr kritische Menschen haben daraufhin versucht, die Fakten umzudrehen, aber diesen Leuten kann man wiederum mit einfachen Worten entgegnen.

Wir haben es über Jahrzehnte verabsäumt, stärker in Prävention zu investieren, vor allem in geistige. Wenn wir jetzt die Diskussion beginnen, lieber Medikamente zu nehmen als sich impfen zu lassen, ist das die falsche Argumentationslinie für mich. Die Prävention steht an erster Stelle, erst dann kommt die Therapie, erst dann können wir die Spitzen mit Medikamenten kupieren.

Ich begleite Gerichtsverfahren häufig als Gutachter im Bereich Infektiologie und in jüngster Vergangenheit speziell bei Fragen zu COVID-19. Das ist eine verantwortungsvolle Position. Man versucht Laien, in meinem Fall Richtern, Staatsanwälten und Angeklagten, einen medizinischen Sachverhalt zu erklären. So wie in der Politik fällt die Entscheidung nicht der Gutachter, sondern jemand anderer, in meinem Fall der Richter. Die Informationsweitergabe führt aber fast immer zu mehr Transparenz und sorgt für mehr Gerechtigkeit.“

Prof. Dr. Christoph Steininger, Institutsleiter des Karl Landsteiner Instituts für Mikrobiomforschung

Wir liefern die Grundlage für politische Entscheidungen

„Die gesamtstaatliche Krisenkoordination GECKO bündelt und strukturiert die unterschiedlichen Expertisen in diesem Land. Wir liefern die Grundlage für die politischen Entscheidungen, wir sind aber nicht politisch. Die Wissenschaftler versuchen, die Evidenz, die vorhanden ist – die ist aber nicht immer da –, zusammenzufassen und aufzubereiten. Die Politik nimmt das auf und entscheidet. Die beiden Prozesse, der wissenschaftliche und der politische, werden in den sozialen Medien heftig diskutiert und nicht selten miteinander vermischt. Wer aber ein wenig hinter die Kulissen schauen kann und zwischen den Zeilen liest, erkennt, dass es zwischen diesen beiden Bereichen eine Trennung gibt, d. h., das eine ist mit dem anderen zwar verknüpft, aber nicht mitgemeint.

Stichwort: Kommunikation mit der Bevölkerung! Vielleicht wäre jetzt, rund um die Einführung der Impfpflicht, auch ein guter Zeitpunkt, den Themenkomplex Impfschäden und Impfnebenwirkungen noch einmal anzugehen und transparent zu machen. Ob es uns gelingen wird, kann ich nicht sagen. Es gibt zwar ein regelmäßiges Reporting des BASG ( Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen, Anm. ), und das Nationale Impfgremium hat zusätzlich ein Safety Board eingerichtet. Aber die Frage ist extrem emotional besetzt. Es stehen immer Einzelschicksale dahinter.

Zweites Stichwort: „Corona-Pille“! ( Anm.: Schlagzeile der Gratiszeitung heute vom 15. Februar: Impfknaller – jetzt kommt Corona-Pille nach Österreich ) In Wahrheit geht es um das COVID-19-Medikament Paxlovid von Pfizer, das erst seit wenigen Tagen im Land ist. In Wien gibt es auf dem Gelände der Klinik Favoriten ein Pilotprojekt dazu ( Es wird der Betrieb einer Infusionsambulanz getestet, Anm. ). Vorarlberg hat ebenfalls eine Pilotphase durchgeführt.

Hier bestand die berechtigte Sorge, dass mit dem Eintreffen des Medikaments die Impfung in den Hintergrund tritt. Diese Bedenken wurden ausgeräumt, GECKO wird in Kürze über die Ausrollung des Medikaments ( Anm.: Österreich erhält im März mehrere Zehntausend Dosen ) und die Abgabe informieren.“

SC Dr. Katharina Reich, Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Leiterin derSektion VII – Öffentliche Gesundheit und Gesundheitssystem,Chief Medical Officer im Gesundheitsministerium und Leiterinder GECKO-Kommission (mit Generalmajor Rudolf Striedinger)


Metadaten
Titel
Die feine Linie zwischen den Polen treffen
Schlagwort
Gesundheitspolitik
Publikationsdatum
27.02.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 9/2022

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