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Ärzte Woche

23.08.2023 | Generalisierte Angststörung

„Angst macht erfinderisch“

verfasst von: Mit Constanze Dennig hat Patrizia Steurer gesprochen.

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Klima, Kriege, Krisen. Menschen haben Ängste und Sorgen. Doch Angst hat auch gute Seiten und ist besser als ihr Ruf. Psychiaterin Dr. Constanze Dennig heißt Angst in ihrem Buch willkommen. Die Autorin spricht mit der Ärzte Woche über den positiven Nutzen von Furcht.

Angst wird als etwas Belastendes wahrgenommen. Sie gewinnen der Angst in Ihrem Buch positive Seiten ab. Warum?

Constanze Dennig: Angst hat nicht immer etwas Pathologisches und Krankhaftes. Sie wurde in den vergangenen Jahren nur medial sehr hochgespielt. Angst hat die Zivilisation geschaffen. Und sie ist Garant für das Weiterbestehen der Menschheit. Vielen ist das gar nicht bewusst. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich vorstellen kann, das etwas Schlimmes passiert. Also entwickelt er Strategien, wie er Katastrophen und schlimmen Ereignissen begegnet. Wir schließen Versicherungen ab, damit wir, wenn wir alt und krank sind, nicht ohne Geld dastehen. Das ganze Sozialversicherungssystem basiert auf Angst. Das Rechtswesen basiert auf Angst. Das Zusammenleben muss geregelt werden, indem man Regeln schafft, um die Angst zu minimieren. Angst forciert die Persönlichkeitsentwicklung. Wenn ich Angst überwinde, werde ich im Gehirn mit Glückshormonen belohnt. Jede Überwindung von Angst bewirkt, dass ich anschließend ein gutes Gefühl habe. Das ist ein treibender Motor, dass wir Dinge tun, die wir sonst nicht tun würden.

Besteht nicht der Großteil unseres Lebens aus Angst?

Dennig: Ja, natürlich. Die Vorstellung eines schrecklichen Ereignisses bringt uns dazu, Versuche zu starten, wie man dieses Ereignis abwenden kann. Das beginnt bei ganz banalen Dingen: Warum putzen wir uns in der Früh die Zähne? Weil wir Angst vor Karies haben.Wir entwickeln ständig Strategien, um die Auswirkungen unserer Angst zu vermeiden. Unser Zusammenleben funktioniert durch die Vermeidung eines befürchteten Ereignisses. Jedes Gesetz, jede Versicherung, jeder Airbag im Auto, alles dient der Vermeidung von Angst. Insofern halte ich Angst für etwas Positives, weil sie unser gesellschaftliches Zusammenleben erleichtert.

Und welchen Mehrwert hat Angst?

Dennig: So gefährlich und fatal Angst für uns selbst und andere ist, so hilfreich und beflügelnd kann sie auch sein. Sie hat entscheidend zu epochalen „Kunst-“Werken, wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fortschritt beigetragen. Es gibt kaum eine Erfindung, soziale und gesellschaftliche Entwicklung, die nicht auf der Sorge vor unangenehmen Folgen in der Zukunft basieren. Auch wenn man zwischen krankhafter und pathologischer Angst unterscheiden muss, so kann die Furcht auch ein Booster sein, um weiterzukommen. Angst hat einen Mehrwert für uns selbst und die Gemeinschaft.

Mit Angst lässt sich das beste Geschäft machen. Geschäftsfelder, die Angstfreiheit versprechen, haben eine lange Tradition. Profis im psychologischen Angstbusiness waren und sind vor allem esoterische, religiöse und transzendentale Anwender. Auch das Geschäft der Pharmaindustrie beruht auf Angst. Sie verdient mit Angst ihr Geld. Werbung beruht auf Angst. Es entsteht was aus der Angst. Der Angst ist ein Motor. Sonst hätte es keine Erfindungen gegeben. Die ganze Waffenindustrie beruht auf Angst. Auch im Fall des Ukrainekriegs wird aus Angst vor dem Zudrehen der Gas- und Erdölhähne die Etablierung der CO 2 -neutralen Energiegewinnung befeuert. Die Solarenergie boomt.

Und die Angst vor dem Tod? Viele Menschen meinen, sie hätten keine Angst.

Dennig: Die Furcht vor dem Tod ist die Quelle aller Ängste. Der Tod ist nicht kontrollier- oder veränderbar. Die Todesangst begleitet uns ab dem 11. Lebensjahr. Diese Urangst geht mit dem Verlust des Ichs einher. Es gibt niemanden, der keine Angst vor dem Tod hat. Wer wegen Schmerzen des Lebens überdrüssig ist, hat nur das geringere Übel zwischen Sterben und Dulden gewählt.

Viele Ängste sind doch auch berechtigt und lebenswichtig. Warum ist sie in der Gesellschaft derart negativ behaftet?   

Dennig:  Angst ist etwas Unangenehmes und wird vor allem im männlichen Bereich tabuisiert. Männer dürfen keine Angst haben, Frauen schon. Wenn sich die patriarchale Gesellschaft ändert, ändert sich auch die Einstellung zur Angst. Sämtliche Konflikte und Kriege funktionieren nur aus Angst vor einem übermächtigen Gegner.

Sind Menschen heute ängstlicher? Gibt es Unterschiede zu anderen Generationen?   

Dennig: Ja, jungen Menschen wird heute permanent eingetrichtert, wie schlecht es ihnen geht; was absurd ist. Es herrscht eine Art Weltuntergangsstimmung. Sie haben Angst vor Verlust. Sie können sich nicht vorstellen, mit weniger zu leben. Der Menschheit ist es noch nie so gut gegangen wie heute. Das weiß die ältere Generation, die noch den Krieg erlebt hat. Sie weiß, dass man auch mit weniger im Leben glücklich sein kann. Was dazukommt: Die ältere Generation musste mehr körperlich arbeiten. Das verhindert die Angst. Stresshormone werden durch körperliche Tätigkeiten abgebaut. Die beste Angstbekämpfung ist körperliche Erschöpfung.

Wir haben aber auch vor Dingen Angst, wo wir wissen, es besteht keine Gefahr, wie zum Beispiel vor Horrorfilmen.

Dennig: Das hat mit der Vorstellungskraft zu tun. Das Gehirn tut sich schwer, zwischen Realität und Vorstellung zu unterscheiden. Deshalb fürchten wir uns auch so oft vor Dingen, für die es statistisch keine Rechtfertigung gibt. In Filmen passiert genau das. Die Korrektur einer fiktiven Angst findet im Frontalhirn statt, das ist sozusagen der Verstand, der sagt: Das ist ein Film, das ist alles gespielt, und das ist kein Blut, sondern nur rote Farbe. Aber bevor diese Korrektur stattfinden kann, wird im Gehirn schon die Angstreaktion hervorgerufen, es werden schon entsprechende Hormone ausgeschüttet. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass jeder Reiz, dem wir ausgesetzt sind, eine chemische Reaktion im Organismus hervorruft. Die Art der chemischen Reaktion entscheidet dann darüber, ob wir diesen Reiz als angenehm oder als beängstigend wahrnehmen. So kann unter Umständen ein und derselbe Reiz ein Glücksgefühl oder auch Panik auslösen. Angstattacken treten auf, auch wenn keinerlei Lebensgefahr besteht. Unser Gehirn kann nicht unterscheiden zwischen Reizen, die das Leben bedrohen und fälschlich das Gehirn simulieren.

Gibt es Menschen, die außerordentlich ängstlich sind?  

Dennig: Die Neigung, ob man eher Angst hat oder nicht, ist bis zu einem gewissen Grad genetisch festgelegt. Rund die Hälfte der Menschen mit pathologischen Angstzuständen haben mindestens einen Elternteil, der ebenfalls darunter leidet. Angst ist aber auch eine Frage des sozialen Umfelds, der Erziehung und der Erfahrungen. Wenn ich aus ängstlicher Familie komme, bin ich sicher ängstlicher. Fürsorgliche Menschen, Menschen, die vorausschauend agieren, sind ängstlicher. Fantasievolle und kreative Menschen sind ängstlicher. Das Gehirn lernt, mit Angst umzugehen. Wenn Kindern alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden, engt man ihren Erfahrungsradius ein. Ein kontrollierendes und übermäßig beschützendes Verhalten kann die Ängstlichkeit bei Kindern fördern. Das Verhalten und die Reaktion auf furchterregende Umstände sind zumindest teilweise erlernt. Allerdings ist es schwierig, zwischen dem sozialen Lerneffekt und der direkten genetischen Vererbung zu unterscheiden.

Gibt es geschlechtliche Unterschiede? Inwiefern unterscheiden sich männliche und weibliche Furcht?  

Dennig: Die Hormone spielen eine zentrale Rolle. Testosteron erhöht den Aggressionspegel. Gerade Männer tendieren dazu, Angst wegzuscheuchen. Und wenn dies nicht fruchtet, zeigt sich die Angst oft in Form von Aggression.

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Metadaten
Titel
„Angst macht erfinderisch“
Publikationsdatum
23.08.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 35/2023

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