Dr. Tekal
Privat
Vergleiche machen nicht immer sicher. Ob das berühmte Glas nun als halb voll oder halb leer empfunden wird, hängt letzten Endes von der beurteilenden Person ab und vor allem davon, was sich in dem Glas befindet.
Bei einem Gin Tonic wird sich ein halb ausgetrunkener Cocktail als halb leer anfühlen, bei einem grünen Smoothie aus Matcha, Spinat, Löwenzahnblättern und Wasabipaste wird auch das halb leere Glas als übervolle Zumutung empfunden. Meistens hat die Hälfte jedoch etwas Tröstliches. In schwierigen Zeiten kann es helfen, wenn man weiß, dass die Hälfte des Weges bereits zurückgelegt, die Hälfte des Ärmelkanals durchschwommen oder die Hälfte der Pandemie überstanden ist. Ist die Talsohle durchschritten, der Berg überwunden, bedeutet der zweite Teil der Strecke die Rückkehr nach Hause.
Doch der Mensch ist von seiner Natur her bekanntlich passionierter Jäger, Sammler und Haderer. So findet er nicht nur Beute und Wurzelwerk in der Natur, sondern auch an jeder Hälfte etwas auszusetzen. Vor allem, wenn man die Hälften miteinander vergleicht. So wird bei Theaterstücken und Fußballspielen auf Teufel komm raus diskutiert, welche Hälfte nun die Bessere sei, selbst bei der Beschreibung von Beziehungen ist der Terminus technicus einer vergleichsweise besseren Hälfte bekannt.
Auch im Leben spricht man von zwei Lebenshälften, die in der Regel von der Midlife-Crisis getrennt werden. Danach tritt man sprichwörtlich in den Herbst des Lebens ein, was die Krise in der Midlife zumindest nicht einfacher macht. Dass man diese Lebensmitte jedoch ehrlicherweise erst posthum definieren kann und sie zwischen 54 Jahren (Typ Jupi Heesters) und 13,5 Jahren (Typ Club 27) liegen kann, macht die Sache für die vom Leben betroffenen Menschen nicht einfacher. Die gute Nachricht: Auch wenn die zweite Lebenshälfte ein deutlich schlechteres Image hat und von der Sturm-und-Drang-Phase der jungen Jahre maximal der vermehrte Harndrang des Alters bleibt, ist dieser zweite Teil des Lebens allen Statistiken zufolge die bessere Hälfte.
Als persönliches Beispiel möchte ich das Zwillings-Eis Twinni ins Treffen führen, das zu meiner Jugendzeit noch um 2,50 Schillinge, umgerechnet heute rund 2,50 Euro, zum philosophischen Anschauungsobjekt wurde. Zwei Hälften mit Wassereis in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen. Ich selbst favorisierte die grüne Birne, begann jedoch stets mit der Orangenhälfte, um mir die bessere Hälfte aufzusparen. Diese Strategie kann aufgehen, muss aber nicht. Spätestens wenn man begierigen Nachwuchs bekommt, ist die bessere Hälfte des Gefrorenen verschwunden.
Auf eine solche Eichhörnchentaktik ist also nur wenig Verlass, denn die Vorräte für den Winter können verloren gehen, werden gefressen oder aber die Vorräte bleiben, doch das Eichhörnchen wird gefressen. Ich glaube, jetzt schon zu wissen, dass ich vor einer aufgesparten und in Jahrzehnten längst geschmolzenen grünen Twinni-Hälfte nicht viel hätte. Also entweder gleich konsumieren oder die Vergleiche lieber sein lassen und den Spinat-Smoothie als wertvollen Teil des Lebens anzuerkennen. Prost!