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Open Access 05.08.2024 | Originalien

Die aktuelle Guideline Nebenniereninzidentalom

verfasst von: PD Dr. Leah Braun

Erschienen in: Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel

Zusammenfassung

Nebenniereninzidentalome werden in den letzten Jahren durch die Zunahme der abdominellen Bildgebung häufig diagnostiziert, sodass bereits 2016 eine dezidierte Guideline der European Society of Endocrinology erstellt wurde, welche nun 2023 in revidierter Form publiziert wurde. Ein multidisziplinäres Assessment dieser Inzidentalome sollte bei Verdacht auf Malignität oder bei hormoneller Sekretion erfolgen. Bis zu 10 % der Inzidentalome sind maligne. Die wichtigste Bildgebung zur Beurteilung der Dignität ist die Computertomographie ohne Kontrastmittel, da sich mit dieser Homogenität und Hounsfield Units (HU) ideal beurteilen lassen. Bis zu 50 % aller Nebennierenadenome sind durch eine milde autonome Cortisolsekretion gekennzeichnet. Daher wird empfohlen, in allen Fällen einen 1‑mg-Dexamethason-Hemmtest durchzuführen. Weitere biochemische Diagnostik (Ausschluss eines Phäochromozytoms, Bestimmung des Aldosteron-Renin-Quotienten, Steroidprofiling) ist in ausgewählten Fällen angezeigt. Ein hormonell inaktives und bildgebend eindeutig gutartiges Inzidentalom bedarf keiner Therapie und keiner weiteren Nachsorge. Bei Verdacht auf Malignität sollte eine Adrenalektomie erfolgen. Diese ist minimal-invasiv durchzuführen, wenn die Raumforderung ≤ 6 cm und nicht invasiv ist, anderenfalls muss offen operiert werden. Eine weitere Bildgebung nach 6–12 Monaten ist bei allen uneindeutigen Fällen vorgesehen; hierfür sollte eine CT oder MRT durchgeführt werden. Bei einem signifikanten Wachstum von mehr als 20 % muss in der Regel eine Operation erfolgen. Eine erneute hormonelle Abklärung ist nur bei klinischen Veränderungen vorgesehen. Forschungsbedarf in der Versorgung von Nebenniereninzidentalomen besteht vor allem in der Versorgung von Patienten und Patientinnen mit milder autonomer Cortisolsekretion, da es hier an Studien mangelt für evidenzbasierte Empfehlungen.
Hinweise
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Der folgende Artikel bezieht sich auf die überarbeitete Guideline der European Society of Endocrinology aus dem Jahr 2023:
Fassnacht M, Tsagarakis S, Terzolo M, Tabarin A, Sahdev A, Newell-Price J, Pelsma I, Marina L, Lorenz K, Bancos I, Arlt W, Dekkers OM. European Society of Endocrinology clinical practice guidelines on the management of adrenal incidentalomas, in collaboration with the European Network for the Study of Adrenal Tumors. Eur J Endocrinol. 2023 Jul 20;189(1):G1–G42. https://​doi.​org/​10.​1093/​ejendo/​lvad066. PMID: 37318239.

Epidemiologie des Nebenniereninzidentaloms

Bei dem sogenannten Nebenniereninzidentalom handelt es sich um eine adrenale Raumforderung, die in einer Bildgebung festgestellt wurde, welche primär aus einem anderen Grund durchgeführt wurde. Das Vorliegen einer adrenalen Erkrankung wurde dabei vor Durchführung der Bildgebung nicht vermutet. Es handelt sich somit um einen Zufallsbefund. Solche Zufallsbefunde sind in der Endokrinologie nicht selten; so sind beispielsweise auch Hypophyseninzidentalome häufig [1]. Auch in anderen Organen können Raumforderungen inzidentell auffallen (z. B. Leber, Schilddrüse, Niere). Bereits in den 1980er-Jahren – bei steigender Zahl der abdominellen Bildgebung – wurde das Management der adrenalen Inzidentalome diskutiert [2, 3]. Die Prävalenz des Nebenniereninzidentaloms liegt bei ca. 1–2 % und steigt mit dem Alter [47]. Der überwiegende Anteil der Inzidentalome ist gutartig. Bei ungefähr 80 % aller Raumforderungen handelt es sich um adrenokortikale Adenome oder bilaterale makronoduläre Hyperplasien. Davon ist wiederum der überwiegende Anteil hormoninaktiv [8], gefolgt von adrenalen Raumforderungen mit milder autonomer Cortisolsekretion [8, 9]. Andere gutartige Raumforderungen wie Zysten oder Myelolipome [10] sind deutlich seltener. Potenziell maligne oder maligne Raumforderungen wie Phäochromozytome, Nebennierenkarzinome oder Metastasen machen ca. 10 % der Inzidentalome aus [8], die Prävalenz steigt allerdings bei Raumforderungen, die ≥4 cm sind [11]. Einen genauen Überblick über die Prävalenzen der verschiedenen Raumforderungen gibt Tab. 1.
Tab. 1
Ätiologie des Nebenniereninzidentaloms (adaptiert nach Fassnacht et al. [13])
Benigne, hormonell inaktive Raumforderungen
Hormoninaktive Nebennierenadenome
40–70 %
Myelolipome
3–6 %
Zysten
1 %
Ganglioneuronome
1 %
Hormonell aktive Raumforderungen
MACS (milde autonome Cortisolsekretion)
20–50 %
Primärer Hyperaldosteronismus
2–5 %
Florides Cushing-Syndrom
1–4 %
Phäochromozytome
1–5 %
Maligne Raumforderungen
Nebennierenkarzinome
0,4–4 %
Andere maligne Raumforderungen, insbesondere Metastasen
3–7 %

Die Guideline zum Nebenniereninzidentalom

Aufgrund der hohen Prävalenz des Nebenniereninzidentaloms, der potenziellen Hormonaktivität sowie der potenziellen Malignität wurde bereits 2016 eine Guideline der European Society in Zusammenarbeit mit dem European Network for the Study of Adrenal Tumors erstellt [12], welche im Jahr 2023 revidiert wurde [13]. Ziel der Guideline ist es, einen Leitfaden zum klinischen Management der Nebenniereninzidentalome zu geben. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den folgenden vier Themenbereichen: Malignität, Cortisolsekretion, operative Therapie und Nachsorge. Die aktuellen Empfehlungen der Guideline werden – auch im Hinblick auf relevante Änderungen zur Guideline von 2016 – im Folgenden näher ausgeführt. Die Guideline ist nur gültig für Raumforderungen ab einer Größe von 1 cm.

Generelle Empfehlungen

Generell wird empfohlen, dass ein multidisziplinäres Assessment bestehend aus Vertretern der Radiologie, Endokrinologie und Chirurgie in folgenden Fällen erfolgen sollte:
  • Bei Raumforderungen, die in der Bildgebung nicht eindeutig als gutartige Läsion klassifiziert werden können
  • Bei Hormonexzess
  • Bei Planung einer Operation
  • Bei einem Tumorwachstum in der Nachsorge
Die Vertreter der jeweiligen Fachdisziplinen sollten dabei in der Versorgung von Patienten und Patientinnen mit Nebenniereninzidentalom erfahren sein [13].
Die Empfehlung zum multidisziplinären Assessment ist in diesen Fällen sinnvoll, da die Therapieentscheidungen teilweise nicht klar sind oder es nur niedrige Evidenzgrade für die weiteren Entscheidungen gibt.

Abklärung einer möglichen Malignität

Die Computertomographie – Bildgebung der Wahl

Das Malignitätsrisiko bei Nebenniereninzidentalomen ist statisch gesehen gering, aber dennoch relevant hoch. Wichtigstes Verfahren zu Beurteilung der Malignität ist die Bildgebung. Höchste Evidenz hat die Computertomographie (CT) ohne Kontrastmittel; weitere Bildgebungen wie die Fluordesoxyglucose-Positronenemissionstomographie-CT (FDG-PET-CT) oder die Magnetresonanztomographie (MRT) können bei unklaren Befunden hilfreich sein [13]. Eine Raumforderung kann als klar benigne eingestuft werden, wenn sie sich in der CT homogen mit einer Hounsfield-Unit (HU) von < 10 darstellt. Das Malignitätsrisiko ist hingegen deutlich erhöht bei Raumforderungen, die größer als 4 cm und zudem entweder heterogen sind oder eine HU > 20 haben. Bei allen anderen Raumforderungen, die nicht in eine dieser beiden Kategorien fallen, ist das Malignitätsrisiko nur gering erhöht. In der Regel ist eine zusätzliche Bildgebung zur weiteren Malignitätsabklärung dann der nächste Schritt [13]. Eine Übersicht zeigt Abb. 1.

Umgang mit potenziell malignen Raumforderungen

Heterogene Raumforderungen mit > 20 HU und größer als 4 cm haben ein deutlich erhöhtes Malignitätsrisiko [1315]. Daher ist in diesen Fällen eine sofortige operative Entfernung angezeigt. Vorab sollte ein Staging erfolgen, welches mindestens eine thorakale CT-Bildgebung und/oder ein FDG-PET-CT umfassen sollte [13].
Bei intermediären Raumforderungen kann zur besseren Einschätzung der Dignität ein Steroidprofiling hilfreich sein. Die Guideline gibt eine schwache Empfehlung zur Messung der Sexsteroide und Vorstufen der Steroidogenese bei Patienten und Patientinnen mit Verdacht auf ein Nebennierenkarzinom [13]. Die Studienlage zu Steroidprofilen ist bislang noch dünn: In einer prospektiven Studie wurde der Nutzen von Urinsteroiden untersucht [16], in einer retrospektiven Studie wurden Plasmasteroidprofile verwendet [17]. In beiden Fällen ist die biochemische Diagnostik allein nicht sensitiv genug, bietet aber in Kombination mit der Bildgebung einen Zusatznutzen. Hier ist allerdings zu bedenken, dass Steroidprofile nur in der Diagnostik des Nebennierenkarzinoms und nicht bei anderen malignen Raumforderungen (beispielsweise Metastasen) sinnvoll sein können. Zudem handelt es sich um ein Verfahren, dass noch nicht weit verbreitet ist.

Hormonelle Abklärung

Grundlage der hormonellen Abklärung ist die sorgfältige klinische Untersuchung, die bei allen Patienten und Patientinnen mit Nebenniereninzidentalom erfolgen sollte.

Hypercortisolismus

Bei allen Patienten und Patientinnen ist laut Guideline die Durchführung des 1‑mg-Dexamethason-Hemmtests empfohlen. Einschränkend sind hier lediglich Patienten und Patientinnen mit stark reduzierter Lebenserwartung genannt, bei denen im Einzelfall auf die Durchführung des Tests verzichtet werden kann. Zur Durchführung des Tests erfolgt eine spätabendliche Einnahme von 1 mg Dexamethason; die Blutabnahme am kommenden Morgen sollte nüchtern zwischen 8:00 und 9:00 erfolgen. Bei einem Cortisolwert im Plasma von ≤ 1,8 µg/dl (< 50 nmol/l) kann eine autonome Cortisolsekretion ausgeschlossen werden. Eine weitere biochemische Abklärung eines möglichen Hypercortisolismus beispielsweise durch die Bestimmung des Cortisols im 24-h-Sammelurin oder die spätabendliche Speichelcortisolbestimmung ist laut Guideline nicht standardmäßig vorgesehen [13].

Hyperaldosteronismus

Bei Patienten und Patientinnen mit einer Hypertonie oder unklaren Hypokaliämien sollte zusätzlich der Aldosteron/Renin-Quotient zum Ausschluss eines Hyperaldosteronismus bestimmt werden [13]. Bei der Beurteilung müssen interferierende Medikamente (z. B. diverse Antihypertensiva) berücksichtigt werden [18]. Die weitere Diagnostik richtet sich dann nach dem Testergebnis; hier wird auf entsprechende andere Guidelines verwiesen [19].

Metanephrine

Bei Adenomen mit untypischen Merkmalen für Benignität (z. B. heterogene Adenome) ist es angezeigt, ergänzend ein Phäochromozytom auszuschließen. Hierzu können sowohl die Plasmametanephrine als auch die Urinmetanephrine bestimmt werden; es wird keiner Methodik der Vorzug gegeben [13].

Operatives Vorgehen

Eine operative Therapie sollte bei Verdacht auf Malignität erfolgen, sie kann bei Hormonexzess erfolgen und ist nicht empfohlen bei asymptomatischen, benignen, nichtfunktionellen Raumforderungen. Falls eine Adrenalektomie indiziert ist, sollte diese in einem Zentrum mit großer Erfahrung erfolgen. Eine minimalinvasive Herangehensweise ist sowohl bei einseitigen adrenalen Raumforderungen mit Hormonexzess als auch bei malignitätsverdächtigen Raumforderungen ≤ 6 cm ohne Hinweis auf Invasion Mittel der Wahl. Lediglich bei Verdacht auf Malignität und Hinweisen auf Invasion sollte die Operation offen erfolgen [13]. Eine Übersicht zeigt Abb. 2.

Nachsorge

Die Nachsorgeempfehlungen der Guideline beziehen sich nur auf Inzidentalome, die nicht operiert werden. Bei eindeutig benignen Raumforderungen ist keine weitere Bildgebung erforderlich; für diese Empfehlung gilt ein hoher Evidenzgrad. Bei intermediären Befunden ist hingegen eine Verlaufsbildgebung nach 6–12 Monaten empfohlen. Diese kann in Form eines CTs oder MRTs erfolgen. Die Evidenz hierfür ist geringer. Die Verlaufsbildgebung dient dem Ausschluss eines signifikanten Wachstums. Ein signifikantes Wachstum wird hierbei als ein Wachstum von mehr als 20 % plus ein Mindestwachstum von 5 mm definiert. Ist diese Schwelle erreicht, sollte die Raumforderung operiert werden. Bei einem Wachstum unterhalb dieser Grenze empfiehlt die Guideline hingegen eine erneute Bildgebung nach 6–12 Monaten [13].
Eine erneute hormonelle Abklärung ist nicht standardmäßig vorgesehen, wenn die initiale Hormondiagnostik unauffällig war. Neue klinische Zeichen oder eine Verschlechterung von Komorbiditäten geben hingegen Anlass zur Wiederholung der Diagnostik [13].

Sonderfälle im Umgang mit Nebenniereninzidentalomen

Patienten mit bilateralen Adenomen

Bei Patienten und Patientinnen mit mehreren Raumforderungen in der Bildgebung gilt zunächst, dass jede Läsion individuell hinsichtlich ihrer Dignität bewertet werden sollte. Hieraus ergibt sich dann auch die folgende Gruppierung:
  • Bilaterale, makronoduläre Hyperplasie
  • Bilaterale adrenale Adenome
  • Morphologisch gleiche, aber nicht adenomtypische Raumforderungen
  • Morphologisch verschiedene Raumforderungen
Das klinische und biochemische Assessment sollte identisch sein zu unilateralen Raumforderungen. Lediglich zwei Sonderfälle müssen herausgegriffen werden [13]:
1.
Bei einer bilateralen Hyperplasie ohne das Vorliegen einer milden autonomen Cortisolsekretion sollte ergänzend die Bestimmung von 17-Hydroxyprogesteron zum Ausschluss einer kongenitalen adrenalen Hyperplasie erfolgen.
 
2.
Bei bilateralen Metastasen, Lymphomen, inflammatorischen Erkrankungen oder beidseitigen Einblutungen rät die Guideline zum Ausschluss einer Nebenniereninsuffizienz.
 

Besondere Patientengruppen: junge und ältere Patienten und Patientinnen

Bei jungen und älteren Patienten und Patientinnen sollten einige zusätzliche Aspekte der Guideline beachtet werden. So ist bei Patienten und Patientinnen < 40 Jahren und Schwangeren eine rasche Abklärung geboten, da hier statistisch das Risiko für Malignität höher ist im Vergleich zu anderen Patientengruppen. Bei Kindern, Jugendlichen und Schwangeren sollte zur Vermeidung einer Strahlenbelastung die MRT der CT vorgezogen werden. Bei intermediären Raumforderungen bei den genannten Patientengruppen sollte primär keine Verlaufsbildgebung, sondern eine direkte operative Versorgung erfolgen. Rationale hierfür ist wieder das per se erhöhte Risiko für Malignität [13].
Umgekehrt gilt bei Patienten und Patientinnen eines fortgeschrittenen Patientenalters und Patienten und Patientinnen in generell schlechtem Gesundheitszustand, dass die weitere Abklärung eines Nebenniereninzidentaloms in Anbetracht der klinischen Gesamtsituation erfolgen sollte [13].

Patienten und Patientinnen mit Neudiagnose einer adrenalen Raumforderung und maligner extraadrenaler Grunderkrankung

Eine separate Gruppe stellen Patienten und Patientinnen mit adrenalem Inzidentalom dar, bei denen bereits eine maligne extraadrenale Grunderkrankung bekannt ist. Generell gilt auch in dieser Gruppe, dass ein weiteres Follow-up nicht nötig ist, wenn sich die Raumforderung radiologisch eindeutig als benigne darstellt. In jedem Fall sollte aber eine Messung der Metanephrine zum Ausschluss eines Phäochromozytoms erfolgen, auch wenn es wahrscheinlich ist, dass es sich bei der Raumforderung um eine Metastase handelt [13].
Sollte die Raumforderung in einer PET-CT-Untersuchung auffallen, so ist ein starker FDG-Uptake suggestiv für eine Metastase. Bei fehlendem oder niedrigem FDG-Uptake ist die Durchführung einer CT ohne Kontrastmittel erforderlich, falls noch nicht erfolgt [13].
Beim weiteren Vorgehen ist zu berücksichtigen, ob sich bei Vorliegen einer malignen adrenalen Metastase das Grundmanagement ändern würde oder nicht. Sollte sich das klinische Management insgesamt nicht ändern, dann kann die adrenale Raumforderung im selben Intervall bildgebend nachgesorgt werden wie die Grunderkrankung. Bei unbestimmten Läsionen hingegen, bei denen sich das klinische Management bei sicherer Kenntnis der Dignität ändern würde, muss die Läsion weiter eingeordnet werden. Dafür stehen folgende drei Optionen zur Verfügung: FDG-PET-CT (falls noch nicht erfolgt), Biopsie oder direkte Operation mit anschließender pathologischer Begutachtung [13].

Biopsie adrenaler Inzidentalome

Die Biopsie adrenaler Raumforderungen ist nur in Ausnahmefällen empfohlen [20]. Drei Grundvoraussetzungen sind zu erfüllen, bevor eine Biopsie überhaupt angedacht werden kann:
1.
Die Raumforderung muss hormoninaktiv sein, insbesondere muss ein Phäochromozytom ausgeschlossen werden.
 
2.
Die Raumforderung darf radiologisch nicht als eindeutig benigne charakterisiert werden.
 
3.
Das klinische Management muss sich durch die Kenntnis der Histologie ändern.
 

Milde autonome Cortisolsekretion (MACS)

Die milde autonome Cortisolsekretion ist der mit Abstand häufigste hormonelle Befund bei der Abklärung eines Nebenniereninzidentaloms. Daher empfiehlt auch die Guideline zum Cushing-Syndrom immer die Abklärung einer möglichen Cortisolsekretion bei Vorliegen eines Inzidentaloms [21], da in diesen Fällen nicht selten tatsächlich ein Cushing-Syndrom vorliegt [22].

Definition der milden autonomen Cortisolsekretion

Per Definitionem handelt es sich bei Patienten mit MACS um Patienten und Patientinnen ohne klinische Zeichen eines Cushing-Syndroms, aber mit einem pathologischen 1‑mg-Dexamethason-Hemmtest (LDDST) (Cortisol > 1,8 µg/dl).
Eine 2022 publizierte große Studie zeigte, dass die Gesamtmortalität bei Patienten und Patientinnen mit autonomer Cortisolsekretion im Vergleich zu Patienten und Patientinnen mit hormoninaktivem Adenom erhöht ist. Auch die Prävalenz von Komorbiditäten wie arterielle Hypertonie, Dyslipidämie und Diabetes mellitus ist erhöht [23]. Es zeigten sich keine relevanten Unterschiede zwischen Patienten und Patientinnen mit möglicher autonomer Cortisolsekretion (LDDST bis 5 µg/dl) und Patienten und Patientinnen mit autonomer Cortisolsekretion (LDDST ≥ 5 µg/dl). Dies ist wahrscheinlich mitbegründend für den Verzicht auf diese Differenzierung in den revidierten Leitlinien und die reine Unterscheidung zwischen dem Vorliegen und dem Fehlen einer autonomen Cortisolsekretion.

Weitere diagnostische und klinische Abklärung

Bei Patienten und Patientinnen mit Verdacht auf MACS müssen Ursachen für das Vorliegen eines falsch-positiven 1‑mg-Dexamethason-Hemmtests ausgeschlossen sein (z. B. mangelnde Dexamethasonresorption). Im Zweifelsfall muss der Test wiederholt werden. Die Durchführung ergänzender biochemischer Tests, wie des spätabendlichen Speichelcortisols oder der Bestimmung des Cortisols im 24-h-Sammelurin, kann erfolgen, ist aber nicht standardmäßig vorgesehen. Unbedingt muss aber die Sicherung der ACTH-Unabhängigkeit durch die Bestimmung des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) erfolgen.
Wichtig ist das gründliche Screening auf möglicherweise Cortisol-abhängige Komorbiditäten. Hierzu zählen das Screening auf eine arterielle Hypertonie, auf das Vorliegen eines Diabetes mellitus Typ 2 und das Screening auf vertebrale Frakturen [13].

Therapie und Nachsorge bei MACS

Generell gilt auch bei Patienten und Patientinnen mit MACS, dass das klinische Management von der Gesamtsituation des Patienten abhängig ist.
Eine operative Therapie mittels einseitiger Adrenalektomie kann laut Guideline erwogen werden bei relevanten Komorbiditäten und unilateralem Adenom. Die Entscheidung hierfür sollte immer interdisziplinär getroffen werden. Es sind verschiedene Faktoren bei der Entscheidungsfindung zur berücksichtigen: Patientenalter, Geschlecht, allgemeiner Gesundheitszustand, Schwere der Komorbiditäten, Schwere des Cortisolexzesses und die Patientenpräferenz. Im Falle einer Operation ist eine endokrinologische Nachsorge auf jeden Fall so lange vorgesehen, bis sich die Hypophysen-Nebennierenachse wieder vollkommen erholt hat.
Sollte keine Operation erfolgen, dann ist eine jährliche klinische Kontrolle vorgesehen. Die Guideline betont, dass diese auch durch Hausärzte und Hausärztinnen erfolgen könne. Eine endokrinologische Vorstellung sollte erst wieder bei klinischer Verschlechterung erfolgen. Eine regelmäßige Wiederholung der biochemischen Diagnostik ist nicht per se vorgesehen [13].

Wichtige Änderungen der aktuellen Guideline im Vergleich zur Version von 2016

Da sich in der revidierten Fassung der Guideline [13] gegenüber der Version von 2016 [12] einige grundlegende Änderungen ergeben haben, sollen diese hier dezidiert beleuchtet werden. Die größten Änderungen betreffen drei Bereiche: Umgang mit intermediären CT-Befunden, Klassifikation der milden autonomen Cortisolsekretion, Klassifikation der bilateralen Erkrankung. Während in der Fassung von 2016 pauschal empfohlen wurde, dass bei unklarer Dignität im CT entweder eine zusätzliche Bildgebung, eine Verlaufsbildgebung oder eine Operation erfolgen kann, wird dies in der Fassung von 2023 genauer aufgeschlüsselt. Hier werden spezifische Empfehlungen für verschiedene Szenarien angegeben, was in der klinischen Praxis sicherlich hilfreich ist.
In der Klassifikation der Cortisolsekretion ist es zu einer Vereinfachung gekommen, Die ursprüngliche Unterteilung in eine mögliche autonome Cortisolsekretion und eine autonome Cortisolsekretion wurde aufgegeben; nun werden alle Fälle mit einem pathologischen Dexamethason-Hemmtest als milde autonome Cortisolsekretion klassifiziert. Die Operation als Therapieoption bei MACS wird mehr in den Fokus gerückt.
Bei bilateralen Erkrankungen wurde eine zusätzliche Klassifikation eingeführt, die es in dieser Form in der initialen Version nicht gab. Einen Überblick über alle relevanten Änderungen gibt Tab. 2.
Tab. 2
Wichtige Guidelineänderungen
Version 2016 [12]
Version 2023 [13]
Anmerkung
Substanzielle Änderungen
Bei unklarer Dignität im CT und hormoneller Inaktivität können folgende drei Optionen bedacht werden:
– Direkte zusätzliche Bildgebung
– Verlaufsbildgebung mittels CT oder MRT in 6–12 Monaten
– Operation
Bei homogenem Inzidentalom, einer HU zwischen 11 und 20 und < 4 cm und hormoneller Inaktivität sollte eine direkte zusätzliche Bildgebung erfolgen. Alternativ ist eine Verlaufsbildgebung möglich.
Raumforderung ≥ 4 cm, heterogen oder HU > 20: höheres Malignitätsrisiko, daher ist ein multidisziplinäres Assessment nötig. Die direkte Operation wird häufig das empfohlene Procedere sein, ggf. zusätzliche Bildgebung. Vor einer Operation sollte ein Staging erfolgen. Verlaufsbildgebung nach 6–12 Monaten, wenn keine Operation erfolgt.
Andere Raumforderungen: individuelle Herangehensweise, multidisziplinäre Besprechung, oft zusätzliche Bildgebung, Verlaufsbildgebung, wenn keine Operation erfolgt.
Die revidierte Fassung gibt deutlich dezidiertere Empfehlungen zum weiteren Procedere bei unklaren Raumforderungen.
Ergebnis des 1‑mg-Dexamethason-Hemmtestests:
Cortisol 1,9–5,0 µg/dl: Klassifikation als possibly autonomous cortisol secretion
Cortisol > 5,0 µg/dl: Klassifikation als autonomous cortisol secretion
Ergebnis des 1‑mg-Dexamethason-Hemmtests:
Cortisol > 1,8 µg/dl: milde autonome Cortisolsekretion, keine weiteren Unterteilungen
(weiters Procedere wie oben beschrieben)
Die Klassifikation wurde vereinfacht. Nun werden alle Patienten und Patientinnen mit auffälligem LDDST als MACS bezeichnet.
Individuelle Vorgehensweise bei Patienten und Patientinnen mit autonomer Cortisolsekretion
Die Möglichkeit einer Operation bei MACS sollte in Betracht gezogen werden und multidisziplinär besprochen werden.
Während in der alten Guidelineempfehlung bei MACS keine klaren Therapieempfehlungen ausgesprochen werden, wird in der Revision die Möglichkeit einer Operation betont.
Bei Patienten und Patientinnen mit autonomer Cortisolsekretion sollte ein jährliches klinisches Assessment erfolgen. Je nachdem sollte der potenzielle Nutzen einer Operation überdacht werden.
Bei Patienten und Patientinnen mit MACS sollte ein jährliches klinisches Assessment erfolgen im hausärztlichen Setting (wenn möglich). Bei Verschlechterung sollte eine endokrinologische Wiedervorstellung erfolgen.
Patienten und Patientinnen mit bilateralen Adenomen sollten eine identische klinische und biochemische Abklärung erhalten. 17-Hydroxyprogesteron sollte gemessen und eine Nebenniereninsuffizienz ausgeschlossen werden, wenn klinische Symptome bestehen oder bei beidseitigen Einblutungen/infiltrativen Erkrankungen.
Zusätzliche Aspekte:
Klassifikation der bilateralen Erkrankung in folgende Gruppen:
– Bilaterale makronoduläre Hyperplasie
– Bilaterale adrenale Adenome
– Morphologisch gleiche, aber nicht adenomtypische Läsionen
– Morphologisch verschiedene Läsionen
Ausschluss einer Nebenniereninsuffizienz in folgenden Szenarien: bilaterale Metastasen, Lymphome, infiltrative, inflammatorische Erkrankungen, Einblutungen
Die Empfehlungen zur Klassifikation der bilateralen Erkrankung wurde klarer. Neu ist die Einteilung in vier Untergruppen. Auch das hormonelle Assessment ist nun dezidierter dargestellt
Gänzlich neue Empfehlungen
Bei benignen Raumforderungen mit Hormonexzess inklusive MACS sollte eine minimal-invasive Operationstechnik genutzt werden
Zusätzlich aufgrund der Op-Empfehlung bei MACS
Patienten und Patientinnen mit MACS sollten postoperativ endokrinologisch nachgesorgt werden
Zusätzlich aufgrund der Op-Empfehlung bei MACS
Bei Kindern, Jugendlichen, Schwangeren und Erwachsenen <40 Jahren und uneindeutiger Bildgebung sollte eine Adrenalektomie erfolgen
CT Computertomographie; HU Hounsfield Units; LDDST Low-Dose-Dexmethason-Suppressionstest; MACS milde autonome Cortisolsekretion; MRT Magnetresonanztomographie

Weiterer Forschungsbedarf und Ausblick

Die Guideline 2023 nennt eine Reihe von offenen Aspekten und hebt insbesondere folgende Bereiche hervor, die randomisierte Studien benötigen, um Empfehlungen mit höherem Evidenzgrad angeben zu können [13]:
1.
Einschätzung der Dignität
  • Evaluation radiologischer Methoden bei adrenalen Raumforderungen mit einer HU > 10
  • Validierung der Steroidmetabolome bei der Bewertung der Malignität des Inzidentaloms
 
2.
MACS
  • Prospektive Studien zur Bewertung der Mortalität und Morbidität der milden autonomen Cortisolsekretion
  • Randomisierte Studien zur Evaluation der Therapieempfehlungen, insbesondere der Adrenalektomie
  • Bewertung des Zusammenhangs zwischen MACS und Osteoporose
  • Evaluation des LDDST zur Diagnosestellung MACS
  • Neue Biomarker zur Diagnosestellung des Cortisolexzesses
 
3.
Chirurgische Verfahren
  • Operationsverfahren bei potenziell malignen, nicht invasiven Raumforderungen: minimalinvasiv vs. robotergesteuert vs. offen
 
4.
Follow-up
  • Langzeitbeobachtung mit jährlicher biochemischer Verlaufskontrolle
  • Langzeitverlauf zu den Aspekten Lebensqualität, mentale Gesundheit, Kognition.
 
Insbesondere zur Thematik der milden autonomen Cortisolsekretion bedarf es also einer Reihe an Studien, um hier den behandelnden Klinikern und Klinikerinnen evidenzbasierte Empfehlungen an die Hand geben zu können.

Kommentar zur Guideline

Die Guideline zum Nebenniereninzidentalom ist eine hilfreiche Unterstützung im Alltag, die dem Kliniker und der Klinikerin viele Empfehlungen – teils mit hohem Evidenzgrad – an die Hand gibt. Die mangelnde Datenlage bedingt in einigen Bereichen aber auch das Fehlen einer eindeutigen Positionierung.
Die aktualisierte Guideline vereinfacht im Vergleich zu Version von 2016 die Klassifikation der autonomen Cortisolsekretion. Dies ist sicherlich in der klinischen Praxis sinnvoll, da sich aus der vorherigen Differenzierung keine klare Änderung des Therapie- oder Nachsorgemanagements ergab. Aufgrund des Mangels an randomisierten Studien kann die Guideline aber nur wenige Empfehlungen zur Therapie dieser Patienten und Patientinnen geben. Dies könnte sich aber gegebenenfalls in den kommenden Jahren ändern: In einer kürzlich veröffentlichen randomisierten Studie mit über 100 Patienten und Patientinnen zeigte sich so beispielsweise eine Verbesserung von Gewicht, Glukosewerten und Blutdruck bei Patienten und Patientinnen mit MACS nach Adrenalektomie [24], was sich auch in einer kürzlich publizierten Metaanalyse bestätigte [25]. In der klinischen Praxis ist auch eine medikamentöse, adrenostatische Therapie eine Option bei Patienten und Patientinnen mit MACS; aufgrund der fehlenden Datenlage [26] kann die Guideline hierfür aber keine Empfehlung aussprechen. Diese Option könnte aber in der Praxis erwogen werden.
Neu ist die Empfehlung, die Nachsorge der Patienten und Patientinnen mit MACS gegebenenfalls in den hausärztlichen Bereich zu verlagern. Hier muss abgewogen werden zwischen der Menge der Patienten und Patientinnen, die in einer endokrinologischen Praxis versorgt werden können, und der optimalen klinischen Versorgung. In der Praxis kann es sinnvoll sein, ausgewählte Patienten und Patientinnen (z. B. eher junge Patienten und Patientinnen) endokrinologisch nachzusorgen, während die Nachsorge anderer Patienten und Patientinnen eventuell tatsächlich in den hausärztlichen Bereich ausgelagert werden kann.

Fazit für die Praxis

Das Nebenniereninzidentalom ist ein häufiger Befund, der aufgrund der möglichen Malignität und hormonellen Aktivität leitliniengerecht abgeklärt werden sollte. Bei der Durchführung der Bildgebung ist zu beachten, dass die CT-Untersuchung ohne die Gabe von Kontrastmittel erfolgen muss. Die sorgfältige klinische Untersuchung ist bei allen Patienten und Patientinnen indiziert, ebenso die Durchführung des 1‑mg-Dexamethason-Hemmtests. Ein Großteil der Patienten wird keine spezifische Nachsorge benötigen. Eine bildgebende Nachsorge ist bei intermediären/unklaren Befunden erforderlich. Ein jährliches klinisches Follow-up muss bei Patienten und Patientinnen mit milder autonomer Cortisolsekretion erfolgen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

L. Braun gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
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Metadaten
Titel
Die aktuelle Guideline Nebenniereninzidentalom
verfasst von
PD Dr. Leah Braun
Publikationsdatum
05.08.2024
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel
Print ISSN: 3004-8915
Elektronische ISSN: 3004-8923
DOI
https://doi.org/10.1007/s41969-024-00242-6