Open Access 01.04.2022 | Aktuelles
Der Desmopressintest in der differenzialdiagnostischen Abklärung des Cushing-Syndroms
Erschienen in: Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel | Ausgabe 1/2022
Das Cushing-Syndrom entsteht durch eine chronische, übermäßige systemische Cortisolexposition als Folge einer vermehrten exogenen Zufuhr von Glukokortikoiden oder der endogenen Überproduktion von Cortisol [1]. Es ist mit einer deutlich erhöhten Morbidität und Mortalität, vor allem aufgrund kardiovaskulärer Komplikationen, assoziiert. Einerseits beobachtet man bei Betroffenen das vermehrte Auftreten kardiometabolischer Komorbiditäten (viszerale Adipositas, Diabetes, Hypertonie), andererseits kommt es beim Cushing-Syndrom zu einer überschießenden Aktivierung der Blutgerinnung, was zusätzlich die Entwicklung thromboembolischer Ereignisse begünstigt [2]. Diese Komorbiditäten bleiben oft selbst nach erfolgreicher Behandlung bestehen, vor allem bei zuvor längerfristig vorbestehendem Hypercortisolismus [3]. Eine möglichst frühzeitige Diagnostik zur Ermöglichung einer raschen kurativen Therapie des Cushing-Syndroms ist demnach essenziell [4], in der klinischen Praxis jedoch manchmal aufgrund von nicht immer eindeutigen Befundkonstellationen mit Schwierigkeiten verbunden. Rezente Arbeiten zur routinemäßigen Verwendung des Desmopressintests im Algorithmus der differenzialdiagnostischen Abklärung des Cushing-Syndroms, welcher auch in einem kürzlich publizierten Experten-Consensus Berücksichtigung findet [5], zeigen in der Kombination mit dem CRH-Test und der Bildgebung eine hohe Sensitivität und Spezifität [6]. Die routinemäßige Anwendung dieser nichtinvasiven diagnostischen Testkombination könnte die Differenzialdiagnostik des endogenen Cushing-Syndroms vereinfachen und dadurch einen früheren Beginn der notwendigen suffizienten Therapie ermöglichen. In diesem Artikel möchten wir daher den Desmopressintest in der Abklärung des Cushing-Syndroms vorstellen.
Das endogene Cushing-Syndrom ist eine seltene Erkrankung mit einer geschätzten Prävalenz von 4–8 Patient*innen pro 100.000 Einwohner. Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer. Eine vom adrenocorticotropen Hormon (ACTH) unabhängige Form des Cushing-Syndroms mit vermehrter endogener Cortisolproduktion der Nebennieren wird bei einer von fünf Patient*innen gefunden. Bei vier von fünf Patient*innen besteht eine ACTH-abhängige Form des Cushing-Syndroms, wobei hier bei der überwiegenden Mehrheit ein corticotropes Hypophysenadenom (Morbus Cushing) als Ursache vorliegt, während eine ektope Sekretion durch einen ACTH-produzierenden Tumor nur in ca. 15 % gefunden wird [1].
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Die Differenzialdiagnostik des ACTH-abhängigen Cushing-Syndroms stellt oft eine Herausforderung dar: In bildgebenden Verfahren sind corticotrope Hypophysenadenome zu fast 50 %, und ektope ACTH-produzierende Tumore zu ca. 20 % zu klein, um mittels konventioneller radiologischer Verfahren sicher entdeckt werden zu können. Daher ist eine Kombination mit dynamischen Tests der ACTH- und Cortisolsekretion (CRH-Test, Desmopressintest sowie Hochdosis-Dexamethason-Hemmtest) empfohlen. Bei Befunddiskrepanz oder zur Diagnosesicherung kann ein Sinus-petrosus-Sampling notwendig sein; hier wird der Gradient von ACTH in den inferioren Sinus petrosus im Vergleich zur Peripherie gemessen. Das Sinus-petrosus-Sampling ist jedoch eine invasive, aufwendige Untersuchung, die für die erfolgreiche Durchführung erfahrene Interventionist*innen benötigt und daher manchmal nur eingeschränkt verfügbar ist. Dies kann den diagnostischen Weg und dadurch den Beginn der Therapie des Hypercortisolismus teils deutlich verzögern. Eine Kombination aus radiologischen Verfahren, also einem MRT der Hypophyse sowie einer CT von Thorax und Abdomen in Kombination mit einem CRH-Test und einem Desmopressintest könnte jedoch eine ausreichend hohe positiv und negativ prädiktive Zuverlässigkeit haben und dadurch den Bedarf eines Sinus-petrosus-Samplings verringern [6].
Das im Hypothalamus produzierte Peptidhormon Vasopressin spielt eine wichtige Rolle im Elektrolyt- und Wasserhaushalt und der Regulation des Gefäßtonus, der Plättchenfunktion und des Glukosestoffwechsels. Außerdem ist Vasopressin an der Kontrolle der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse im Rahmen der physiologischen Stressantwort beteiligt.
Während systemisch wirksames Vasopressin im magnozellulären Anteil des hypothalamischen Nucleus paraventricularis (PVN) produziert und vom Hypophysenhinterlappen sezerniert wird, wird im parvozellulären Anteil des PVN produziertes Vasopressin in den hypophysären Portalkreislauf freigesetzt und kann so in hypophysären corticotropen Zellen zur Wirkung kommen.
Die physiologische Wirkung von Vasopressin in corticotropen Zellen wird über den G‑Protein-gekoppelten Vasopressinrezeptor-Subtyp V1b (auch als AVPR3 bezeichnet) sowie nachfolgend durch die Phospholipase C reguliert.
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In Zusammenwirkung mit hypothalamischem Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) bewirkt Vasopressin eine Aufrechterhaltung der corticotropen Sensitivität im Rahmen von chronischem Stress und eine verminderte Sensitivität auf negatives Glukokortikoid-Feedback [7].
Desmopressin (DDAVP, 1‑Deamino, 8‑D Arginin Vasopressin) ist ein langwirksames synthetisches Analogon von Vasopressin, welches hauptsächlich auf den Vasopressinrezeptor-Subtyp 2 (AVPR2) wirkt. Dieser ist überwiegend in der Niere exprimiert und dort für den Wasserhaushalt essenziell. Auf normale corticotrope Zellen des Hypophysenvorderlappens hat die alleinige Gabe von Desmopressin wenig Einfluss. Bei Patient*innen mit Morbus Cushing konnte jedoch eine vermehrte Stimulierbarkeit von ACTH nach Desmopressingabe dokumentiert werden. Dies liegt möglicherweise an der Überexpression von AVPR3 oder auch an der aberranten Expression von AVPR2 in corticotropen Hypophysenadenomen [8, 9]. Ähnlich zum CRH-Test werden auch beim Desmopressintest regelmäßige Blutabnahmen über zumindest eine Stunde, meist jedoch über zwei Stunden, nach Gabe von 10 µg Desmopressin zu den Zeitpunkten –15, 0, 15, 30, 45, 60, 90 und 120 min empfohlen. Ein maximaler Anstieg von ACTH > 33 % und ein Cortisolanstieg > 18 % wurde hier zuletzt als Cut-off für die Annahme einer zentralen Genese empfohlen [6]. Eine Stimulierbarkeit von ACTH und Cortisol im Desmopressintest ist ein Anhaltspunkt für Morbus Cushing.
Neben der Differenzialdiagnostik des ACTH-abhängigen Cushing-Syndroms ermöglicht der Desmopressintest auch eine Unterscheidung zwischen Pseudo-Cushing und echtem endogenem Cushing-Syndrom, wo es bei Ersterem zu keinem ACTH- und Cortisolanstieg kommt [10].
Ein weiterer Vorteil des routinemäßigen Einsatzes des Desmopressintests in der differenzialdiagnostischen Abklärung des Cushing-Syndroms liegt im postoperativen Nutzen in der Vorhersage des Rezidivrisikos bei Patient*innen mit Morbus Cushing nach Hypophysenoperation. Trotz initialer postoperativer Remission kann es in bis zu 45 % der Patient*innen zu einem Erkrankungsrezidiv im langfristigen Verlauf kommen. In einer rezent publizierten retrospektiven Arbeit einer französischen multizentrischen Studie wurde die Aussagekraft eines Anstiegs von ACTH und Cortisol im postoperativen Desmopressintest bei Patient*innen mit corticotroper Insuffizienz nach Hypophysenoperation untersucht. Hier konnte gezeigt werden, dass ein Anstieg von Cortisol auf über 100 nmol/l bzw. ein relativer Anstieg von Cortisol von mehr als 30 nmol/l im Desmopressintest mit einem erhöhten Rezidivrisiko assoziiert ist. Die Kombination aus der morgendlichen Coritsolkonzentration mit dem dynamischen Cortisolanstieg nach Stimulation erlaubt eine genauere Abschätzung der Prognose sowie womöglich eine frühzeitige Identifizierung von Patient*innen mit erhöhtem Rezidivrisiko [11].
Der Desmopressintest ist eine im klinischen Alltag leicht durchzuführende Untersuchung zur dynamischen Testung der ACTH- und Cortisolsekretion. Die Kombination mit Bildgebung und anderen dynamischen Tests könnte helfen, die differenzialdiagnostische Abklärung zwischen einer ektopen ACTH-Sekretion und einem Morbus Cushing zu vereinfachen, und damit den Bedarf invasiver diagnostischer Tests reduzieren. Weiters könnte der routinemäßige Einsatz des Desmopressintests auch in der postoperativen Nachsorge für die Abschätzung des Rezidivrisikos einen zusätzlichen Nutzen haben.
M.H. Schernthaner-Reiter: Vortrags- und Beratungstätigkeit (Recordati, Cogitando). P. Wolf gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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