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21.06.2023 | Anpassungsstörungen

Klima und Psyche eng verschränkt

verfasst von: Mag. Christopher Waxenegger

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Der Verlust der eigenen Umwelt und Traditionen durch den Klimawandel führt zu psychischen Störungen, die nun eine eigene Bezeichnung erhalten haben. Wer psychisch krank ist, kann umgekehrt schlechter mit den Auswirkungen des Klimawandels umgehen.

Klar ist, dass sich der Klimawandel und damit einhergehende Extremwetterereignisse direkt und indirekt auf die psychische Gesundheit auswirken. Das Risiko zu erkranken ist fast doppelt so hoch, wenn man eine Naturkatastrophe miterlebt hat. Vor allem Depression, Angst- und posttraumatische Belastungsstörungen werden häufiger diagnostiziert.

Trauer um verlorenen Lebensraum

Die wachsende Bedrohung angesichts der Klimakrise hat zur Definition neuer psychischer Syndrome wie der „Solastalgie“ geführt. Solastalgie bezeichnet die Trauer über den Verlust von Orten, Aktivitäten oder Traditionen durch die klimabedingte Zerstörung der Heimat bzw. Umwelt. Das Konzept geht davon aus, dass unsere physische und psychische Gesundheit eng mit der Gesundheit unserer unmittelbaren Umwelt verknüpft ist.. Vergleichbare Symptome und Ängste können sich allerdings ebenso in der allgemeinen Bevölkerung äußern. Der Begriff „eco distress“ beschreibt eine Reihe emotionaler Reaktionen auf die Umweltzerstörung der Erde. Damit sind unter anderem Gefühle wie Hoffnungslosigkeit, Angst, Wut und Sorgen gemeint. Ein mit eco distress assoziiertes Phänomen ist die Klimaangst. „Climate anxiety“ beschreibt die Erwartung, in Zukunft selbst einmal vom Klimawandel betroffen zu sein.

Direkte Einflussfaktoren

Extremwetterereignisse wie Waldbrände, Hurricanes und Dürren nehmen großen Einfluss auf das angeborene Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Je stärker ein Individuum von einer Naturkatastrophe beeinflusst wird, desto schwerer ist der zu erwartende Effekt auf dessen psychische Symptomatik. Diese Beschwerden können über die akute Notlage hinaus bestehen und das alltägliche Leben massiv beeinträchtigen. So leidet ein Jahr nach heftigen Überschwemmungen etwa ein Viertel der Beteiligten unter Angsterkrankungen und ein Fünftel unter Depression. Studien liefern Belege für vermehrten Alkohol- und Substanzgebrauch und -missbrauch sowie gehäufte häusliche Gewalt infolge von Naturkatastrophen.

Weniger Hitzeresistenz

Doch auch allmähliche Umweltveränderungen, wie ein Anstieg der Durchschnittstemperaturen, wirken sich nachhaltig auf die mentale Gesundheit aus. Psychische Erkrankungen zählen zu den wichtigsten Risikofaktoren für hitzebedingte Todesfälle.

Umgekehrt zeigt eine 2021 publizierte Metaanalyse eindrücklich, dass pro 1°C Temperaturanstieg ein 0,9 Prozent höheres Risiko für die Entwicklung psychischer Erkrankungen besteht. Dieser Zusammenhang schlägt sich in einem deutlichen Anstieg von (Not-)Aufnahmen in psychiatrischen Kliniken während der heißen Jahreszeit nieder. Daten zur menschenverursachten Luftverschmutzung illustrieren ferner eine Beziehung zwischen Feinstaub auf der einen und Depression, Schizophrenie sowie Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) auf der anderen Seite. Ein Aspekt, der angesichts der zunehmenden Urbanisierung zusätzlich an Relevanz gewinnt.

Indirekte Einflussfaktoren

Daneben gilt es auch, indirekte Folgen des Klimawandels auf die Psyche zu berücksichtigen. Akute Nahrungsmittelknappheit zwingt schon jetzt ganze Bevölkerungsgruppen dazu, ihre Heimat zu verlassen und in benachbarte Regionen und Länder zu migrieren. Frauen, ältere Menschen und Kinder reagieren auf Mangelernährung ausgesprochen verletzlich, was sich in Fatigue, Gedächtnisschwäche und depressiven Verstimmungen äußern kann. Wohnortwechsel sind zudem stets mit einer Unterbrechung sozialer Netzwerke und Arbeitsplatzunsicherheit verbunden – beides erhebliche Belastungsfaktoren, die die psychische Gesundheit gefährden. Negative Erfahrungen im Anpassungsprozess nach der Migration fördern depressive Beschwerden und erhöhen das Suizidrisiko.

Verschärfte Ungleichheiten

Meist werden diejenigen Menschen, die am wenigsten zur Verursachung der Klimakrise beitragen, am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Das betrifft aufgrund begrenzter Anpassungs- oder Bewältigungskapazitäten den körperlichen und den psychischen Gesundheitszustand. In ärmeren Ländern kommen verstärkend soziale und wirtschaftliche Faktoren hinzu, durch die der Klimawandel ausgesprochen heftige bis hin zu existenziellen Auswirkungen hat. Arbeiter und Landwirte gehören mit zu den ersten, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind, was Verzweiflung und Selbstmord begünstigt.

Der Klimawandel verschärft weltweit bestehende soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Ungleichheiten. Mehr als wir selbst, werden die Kinder und Jugendlichen von morgen die größte Last der gesundheitlichen Auswirkungen tragen und in erheblichem Maße von der Ungerechtigkeit zwischen den Generationen betroffen sein.

Quelle : Heinz A et al. Klimawandel und psychische Gesundheit. Positionspapier einer Task-Force der DGPPN. Nervenarzt 94. 2023; 225–233. https://doi.org/10.1007/s00115-023-01457-9

Metadaten
Titel
Klima und Psyche eng verschränkt
Publikationsdatum
21.06.2023
Zeitung
Apotheker Plus
Ausgabe 26/2023

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