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Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz 3/2023

Open Access 23.06.2023 | Blick über den Tellerrand

Andropause – gibt es das überhaupt?

verfasst von: Prof. Dr. med. Michael Zitzmann, FRSM

Erschienen in: Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz | Ausgabe 3/2023

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Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Was ist ein Testosteronmangel und kommen Männer in die Wechseljahre? Mit dieser Fragestellung befassen sich derzeit viele Forscher, darunter auch das US-amerikanische Institute of Medicine (IOM) sowie die National Institutes of Health (NIH), die im Rahmen der sogenannten T‑Trials den Einfluss einer Testosteronsubstitution bei alternden Männern untersuchten [1].
Man muss hier zunächst differenzierend darauf hinweisen, dass ein Testosteronmangel beim Mann verschiedene Ursachen haben kann. Zum einen kann es sich um Hodenschädigungen verschiedener Art handeln (primärer Hypogonadismus), zum anderen um Störungen der zentralen Steuereinheiten der Hoden (und anderer endokriner Organe) im Gehirn: der Hypophyse oder des Hypothalamus (sekundärer Hypogonadismus). Diese Männer weisen meist ein deutliches klinisches Testosterondefizit auf, das mit Beschwerdebildern wie Erektionsstörungen, Libidoverlust, Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit bis Depressivität, Verlust von Muskel- und Knochenmasse, Zunahme von Körperfett, Anämie und auch Insulinresistenz einhergeht. Die Behandlungsindikation wird auch in entsprechenden Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Urologie (EAU) und der Europäischen Akademie für Andrologie (EAA) bejaht [2, 3]. Natürlich betreffen solche Ursachen des Testosteronmangels auch ältere Männer.
Zudem gibt es eine dritte Form des Testosteronmangels, die mit dem Alter und anderen Faktoren wie Übergewicht und einem allgemein schlechten Gesundheitszustand (wie bei allen chronischen Erkrankungen) zusammenhängt. Dazu gehören insbesondere Grunderkrankungen wie das metabolische Syndrom und Diabetes mellitus Typ 2. Dabei ist klar, dass es sich um einen Kreislauf handelt: Zum einen fördert ein zu niedriger Testosteronspiegel die Entstehung von Stoffwechselkrankheiten, zum anderen verstärken bereits bestehende Stoffwechselerkrankungen den Testosteronmangel. Ein solcher Hypogonadismus stellt für die Gesundheit des Mannes daher ein Risiko dar. Dieser sogenannte funktionelle Hypogonadismus tritt also vermehrt mit höherem Alter auf, das Altern an sich ist aber nicht die Ursache. Es wird von den Fachgesellschaften (Deutsche Gesellschaft für Urologie, Deutsche Gesellschaft für Andrologie und European Association of Urology) empfohlen, bei Patienten mit Beschwerden genau hinzuschauen und bei einem klinischen Verdacht auf einen Hypogonadismus die Testosteronwerte zu untersuchen. Man muss darauf hinweisen, dass gerade diese Form eines sogenannten funktionellen Hypogonadismus bei den oben genannten neuen Studien untersucht wurde [1]. Die klassischen Formen des Hypogonadismus des Mannes wurden dabei bewusst als Ausschlusskriterium gesehen.
Die EAU und EAA stellen auch für diese dritte, funktionelle Form des Testosterondefizits eine Behandlungsindikation in ihren aktuellen Leitlinien fest [2]. Dabei ist immer auch zuerst die Grunderkrankung zu behandeln [2, 3]. Die Pathomechanismen, die diesen funktionellen Hypogonadismus bedingen, sind bekannt.
Lebensgewohnheiten und Verfügbarkeit von hochkalorischer Nahrung haben sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch geändert: Die Zahl übergewichtiger Menschen steigt dramatisch an. Daraus resultiert oft eine komplexe Störung, die das viszerale Fett (Bauchfett, das die Organe umgibt) als hochaktives endokrines Organ als zentralen Bestandteil aufweist: das metabolische Syndrom. Diese Störung führt zu einem deutlich erhöhten Risiko von Diabetes mellitus sowie kardiovaskulären Problemen. Diese kündigen sich beim Mann oft durch eine bereits Jahre zuvor manifestierte endokrine Störung an, den Testosteronmangel, denn bei Männern besteht ein Zusammenhang zwischen viszeralem Fett und Testosteronproduktion, wie dies in verschiedenen Studien gezeigt wurde [4]. Dabei führen einerseits inflammatorische Stoffe/Interleukine und das Leptin, die von den hormonell aktiven Zellen des Bauchfettgewebes ausgeschüttet werden, durch Hemmung sowohl der testikulären Leydig-Zellen als auch zentraler Regelmechanismen in Hypothalamus und Hypophyse zu einem Testosteronmangel; andererseits fördert ein Mangel an Testosteron die weitere Akkumulation von viszeralem Fett, sodass viele Männer in einen Teufelskreis geraten. Auch die vermehrte Bildung von Östradiol aus Testosteron (durch Aromatisierung), die im Fettgewebe stattfindet, trägt durch einen hemmenden Effekt auf die zentrale Ausschüttung der Gonadotropine weiter zum Hypogonadismus bei [4, 5].
Ganz analog zu den Störungen von z. B. der Schilddrüse ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Hypogonadismus mit zunehmendem Alter des Mannes erhöht. Allerdings gibt es keine „Wechseljahre des Mannes“, keine „Andropause“: Das Altern per se ist keine Ursache für ein Sinken der Testosteronspiegel. Männer, die das Glück und das Gesundheitsbewusstsein haben, bis in das hohe Alter nicht übergewichtig zu werden oder an chronischen Krankheiten zu leiden, behalten die Testosteronspiegel ihrer Jugend. In der Tat kann daher ein Testosterondefizit auch ein Marker für eine bisher nicht erkannte chronische Erkrankung sein [3, 4].
Deutliches Übergewicht oder Adipositas kann praktisch als ein weltweit zu beobachtendes Phänomen betrachtet werden, sowohl in den sogenannten „entwickelten“ Gesellschaften als auch häufig in „sich entwickelnden“ Ländern. Generell ist die Adipositas ein Risikofaktor für eine erhöhte Inzidenz von Morbidität und Mortalität. Die gesundheitsökonomischen Kosten, gerade im Hinblick auf die Assoziation mit dem Diabetes mellitus Typ 2, sind enorm. Offensichtliche Ansätze wie die Reduktion der Kalorienzufuhr und sportliche Aktivität sind oft nur von kurzer Erfolgsdauer, wie auch pharmakotherapeutische Ansätze, die meist nur eine kurze Adhärenzdauer haben [57].
Adipositas ist deutlich mit kardiovaskulären Endpunkten verknüpft, sogar bei Männern in jüngerem Alter. In einer Kohorte von Männern, die ab dem Alter von 22 Jahren für 33 Jahre beobachtet wurden, war das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen oder vorzeitige Mortalität um 30 % erhöht [8, 9].
Es ist gezeigt worden, dass eine Gewichtsreduktion allein schon zu einer Zunahme der Testosteronspiegel führt, aber schwer aufrechtzuerhalten ist [10]. Entsprechend der Annahme des o. g. Circulus vitiosus konnte in verschiedenen neuen Ansätzen gezeigt werden, dass eine Testosterongabe und gleichzeitige Änderung des Lebensstils bei Männern mit metabolischem Syndrom und Hypogonadismus (Testosteronmangel) diesen aus dem Teufelskreis heraushelfen kann: Durch Abbau der viszeralen Fettmasse sowie Steigerung der Muskelmasse wird ein Weg aus dem Problemfeld gewiesen. Eine kürzlich veröffentlichte umfassende Analyse aktueller Daten zum Thema Adipositas und Testosteron legt dies deutlich dar [11].
Da es sich beim metabolischen Syndrom und der Adipositas um eine zivilisationsbedingte Erscheinung handelt, sind gleichzeitige Umstellungsmassnahmen zur vernünftigen Ernährung und körperlichen Betätigung eine grundlegende Bedingung zur Förderung der Gesundheit des Mannes.

Fazit für die Praxis

  • Der Hypogonadismus/das Testosterondefizit des Mannes ist unabhängig von seiner Pathogenese eine ernst zu nehmende Entität, die zu multiplen metabolischen Beschwerden und Risiken führen kann.
  • Der funktionelle Hypogonadismus ist meist mit einer Adipositas und einem metabolischen Syndrom vergesellschaftet. Die Behandlung dieser Grunderkrankungen ist essenziell.
  • Die Testosteronersatztherapie ist mittels moderner transdermaler und injizierbarer Depotpräparate einfacher und besser steuerbar geworden.
  • Testosteron ist kein Arzneimittel oder Jungbrunnen, sondern ein natürliches Hormon, das der Mann für den Erhalt von Körper- und Geistesfunktionen essenziell benötigt.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Zitzmann gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
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Metadaten
Titel
Andropause – gibt es das überhaupt?
verfasst von
Prof. Dr. med. Michael Zitzmann, FRSM
Publikationsdatum
23.06.2023
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz / Ausgabe 3/2023
Print ISSN: 1995-6924
Elektronische ISSN: 2520-8500
DOI
https://doi.org/10.1007/s41975-023-00306-x

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