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Ärzte Woche

06.03.2023 | Ärztekammer

Ménage à trois mit Minister

verfasst von: Martin Křenek-Burger

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Das Verhältnis Ärzte-Patienten soll um den Apotheker erweitert werden. Gesundheitsminister Rauch forciert die Wirkstoffverschreibung. Diese hat für manchen Arzt zwar Charme, doch Kammer und Pharmabranche winken ab.

Der ambitionierte Gesundheitsminister Johannes Rauch ( Die Grünen ) möchte, wie schon seine Amtsvorgänger, die Wirkstoffverschreibung. Bei der Ablehnung – durch die Pharmaindustrie, aber auch die Ärztekammer ist strikt dagegen – gehe es ums Geschäft, meinte er. „Ich werde da drauf bleiben und dranbleiben.“ Österreich sei das einzige Land in Europa, das weder Wirkstoffverschreibung noch Arzneimittelsubstitution hat. Die hohe Abhängigkeit im Medikamentenbereich von China bereitet dem Minister Sorgen: „Das ist fulminant gefährlich.“ Die Wirkstoffverschreibung ist Thema des kommenden Gesundheitspolitischen Forums ( 7. März 2023, 18 Uhr, Billrothhaus Wien ). Drei der Diskutierenden haben wir vorab um ein Statement gebeten ( siehe unten ).

Das Zeitfenster für eine Reform des Gesundheitswesens wäre günstig. Bis zum Herbst müssen die Verhandlungen zum Finanzausgleich (FAG) zwischen Bund und Ländern abgewickelt sein. Auf Rauchs Liste stehen weitere Themen: die Reform der Sozialversicherungen etwa. Sie müssten im niedergelassenen Bereich „die Systeme attraktivieren“ – und zwar über die Ausgestaltung der Tarife, über die Vereinheitlichung der Leistungskataloge oder über die Qualitätssicherung. In den Spitälern müsse man die Effizienz steigern, über gemeinsame Medikamentenbestellung. Rauch denkt auch an „Tools zum Personalaustausch“ zwischen den einzelnen Spitälern. Rauch: „Die Wahrscheinlichkeit zu scheitern schreckt mich nicht. Dann wird halt der Finanzausgleich verlängert, und es wird nur kleine Stellschrauben geben“ – wenngleich es notwendig wäre, an „großen Schrauben“ zu drehen. Aber: „Ich würde es mir ewig vorwerfen, den Versuch nicht unternommen zu haben.“

Die Kompetenz der Ärzte habe ich zu schätzen gelernt

„Aus unserer Sicht als Patientenorganisation sprechen wir uns dezidiert dagegen aus, aus dem Duo Arzt-Patient ein Trio Arzt-Patient-Apotheker zu machen. Das ist der komplett verkehrte Weg. Unsere Begründung: Es ist schon schwierig genug, als chronisch Kranker eine dauerhafte Beziehung mit dem Arzt aufzubauen, die über Jahrzehnte übersteht und die naturgemäß Höhen und Tiefen durchmacht. Um ein gutes Behandlungsmanagement auf die Beine zu stellen, muss diese Beziehung stimmen. In den Spezialambulanzen, auf die wir großteils angewiesen sind, steht auch nicht immer derselbe Arzt zur Verfügung, aber es gibt Ärzteteams, die sich absprechen. Wenn jetzt noch ein Apotheker dazukommt, ist das nicht im Sinne der Patienten.

Wovon die Lieferengpässe abhängen, kann keiner wirklich beschreiben. Das hat offensichtlich unterschiedliche Gründe. Aber wenn die offenbar geplante Wirkstoffverschreibung in Kraft tritt, hätte das zur Folge, dass wir weniger Produkte zur Verfügung haben. Dass Arzneimittel nur nach Umsatzmenge bestellt werden. Dass Preiszuckerl gewährt werden vom Hersteller. Dann sind wir erst wieder von einem bestimmten Lieferanten abhängig. Das kann problematisch sein, wie die jüngste Vergangenheit mit der Pandemie oder dem versperrten Suezkanal gezeigt hat.

Die Apotheker müssen sich besser vernetzen und sollten immer wissen, wo welches Medikament verfügbar ist, den Bestand zentral abrufen und intern umverteilen. Die Kompetenz der Ärzte habe ich zu schätzen gelernt. Vor 33 Jahren, am Beginn meiner Krankheit, habe ich erstmals das Grundpräparat zum Einnehmen erhalten und darauf mit einer Pankreatitis reagiert. Der Arzt hat daraufhin das Arzneimittel gewechselt, und seither habe ich keine Probleme mehr gehabt. Die Galenik nimmt Einfluss, kann Nebenwirkungen hervorrufen. Hier ist die Expertise eines Arztes gefragt. Für chronisch Kranke gibt es ein weiteres Hindernis. Wenn sich Farbe, Form und Größe von Tabletten laufend ändern, kennt sich keiner mehr aus. Da passieren bei der Einnahme sicher Fehler.

Ich nehme vier verschiedene Tabletten, die ich optisch auseinanderhalten kann. Für hochpreisige Medikamente, z. B. Pens, die selbst injiziert werden und unterschiedlich anzuwenden sind, gibt es Schulungsvideos für Patienten. Jeder Wechsel würde eine erneute Einschulung bedeuten.“

Ing. Evelyn Groß, Präsidentin ÖMCCV (Österreichische Morbus-Crohn-Colitis-ulcerosa -Vereinigung)

Es geht darum, Stabilität in die Versorgung zu bringen


„Dreierkonstellationen sind grundsätzlich schwierig. Wie schätzen Sie diese Konstellation ein? „Den Patienten bestmöglich beim Management seiner Erkrankung zu unterstützen, steht im Vordergrund. Darum muss es gehen.“ Wie wäre hier eine Wirkstoffverschreibung einzuordnen? „Nun, eine Wirkstoffverschreibung bedeutet einen Eingriff in das bestehende Therapie- und Abgabesystem. Der Apotheker wird zum Therapieentscheider. Der Arzt ist jedoch für die Verordnung verantwortlich und hätte somit keinen Wissensstand darüber, welche Arzneispezialität tatsächlich abgegeben wurde. Darüber hinaus würden sich ungeklärte Haftungsfragen ergeben. Die von allen Playern als vernünftig angesehene Trennung von Arzneimittelverordnung durch Arzt und Abgabe durch Apotheke – Vier-Augen-Prinzip genannt – würde aufgehoben werden. Ein zu erwartender häufiger Wechsel des Handelspräparates würde sich speziell bei schwer chronisch Erkrankten negativ auf die Adhärenz der Patienten auswirken und birgt die Gefahr von Fehl-, Mehrfacheinnahmen oder sogar Verschwendung von Ressourcen durch Nichteinnahmen mit entsprechend negativen Auswirkungen für den Patienten, den Verlauf seiner Erkrankung und das Gesundheitssystem.“ Kann die Wirkstoffverschreibung nicht eine Maßnahme sein, die mehr Flexibilität ins System bringt? Die etwa dem Apotheker das Leben erleichtert, wenn der Arzt gerade nicht erreichbar ist? „Es muss darum gehen, Stabilität in die Versorgung zu bringen. Probleme in der Lieferkette von Arzneimitteln haben mehrere Gründe wie beispielsweise Wirkstoffknappheit, schwankende Nachfrage und daraus resultierend weniger Produktion sowie Parallelexporte. Eine Wirkstoffverschreibung wäre eine destabilisierende, national gesetzte Maßnahme, die zu schwankender Nachfrage und unsicherer Planung führen würde, und das gießt Öl ins Feuer. Es ist wichtig, dass Menschen mit schweren chronischen Erkrankungen therapeutische Vielfalt haben. Das setzt voraus, dass in einem Erkrankungsbereich mehrere Therapien zur Anwendung kommen können.“.

Mag. Ingo Raimon, General Manager von AbbVie in Österreich

Mühsame Suche nach Cephalosporin-Antibiotika


„Zum einen sehe ich die Erweiterung von der Arzt-Patienten-Beziehung hin zu einem Trio ehrlicherweise schwierig, weil Dreiecksbeziehungen oft zu viele Ecken und Kanten aufweisen. Andererseits ist die Vernetzung mit anderen Berufsgruppen in der heutigen Zeit fast eine Notwendigkeit. Wir wissen, dass die Lieferschwierigkeiten, die es hinsichtlich der Arzneimittel gibt, so eklatant sind, dass man sich als Arzt allein unglaublich schwertut, bei gewissen Substanzklassen zu wissen, ob die Medikamente vorhanden sind oder nicht. Da wäre der Apotheker die Schnittstelle. So gesehen ist die Idee, die Apotheken mit an Bord zu nehmen, gar nicht so schlecht.

In einer Stadt wie Wien, wo das Einzugsgebiet eines Kassenarztes nicht so groß ist, sind oft zwei bis drei Apotheken zuständig. Aber am Land, wo ein Arzt ein großes Einzugsgebiet betreut und die Patienten von weit herkommen, ist die Situation irrsinnig schwierig. Ich kann nicht mit allen Apotheken im Umkreis in Kontakt sein. Ich gebe zu, das spricht sogar für die Wirkstoffverordnung, wie sie von Gesundheitsminister Johannes Rauch ( Die Grünen, Anm .) geplant ist.

Wirklich mühsam ist die Recherche derzeit bei Cephalosporin-Antibiotika. Ich schreibe oft mehrere Präparate auf und setze dazwischen jeweils ein ,ODER’. Leider spielen die Apotheker noch nicht mit, sondern, im Gegenteil, mokieren sich mitunter sogar, weil ich als Arzt nicht nachschaue und nicht genau weiß, was gerade lieferbar ist. Aber auch meine Zeit ist begrenzt.

Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre es ein computerbasiertes System mit täglichen Updates, das auf Knopfdruck bei einer Verschreibung ausspuckt, ob das Arzneimittel verfügbar ist – und wo.

Wenn Sie mich fragen, ob ich aut idem grundsätzlich begrüßen würde, antworte ich: eigentlich ja. Aber der Teufel steckt im Detail. Im dermatologischen Bereich sind die verfügbaren Generika adäquat. In anderen Fachbereichen, wo das Nachfolgerpräparat womöglich zu schwach oder zu potent ist, schaut die Situation schon wieder ganz anders aus.“

Dr. Leo Richter, niedergelassener Dermatologe in Wien und Baden; Spezialist für Psoriasis.



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Metadaten
Titel
Ménage à trois mit Minister
Schlagwörter
Ärztekammer
Apotheke
Publikationsdatum
06.03.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 09/2023

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