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Ärzte Woche

28.02.2023

Stationen eines Ruhelosen

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Er war ein Rastloser – in seinem Leben, seiner Arbeit und seinem Denken. Heuer hätte Herwig Zens, Maler, Graphiker und Kunstvermittler, seinen 80. Geburtstag gefeiert. Die Rastlosigkeit forderte 2019 ihren vorzeitigen, endgültigen Tribut, aber eine Fülle an Ausstellungen spiegelt die vielen Facetten seines Werks, so auch im Kunstraum Dr. David in Wien.

Die Faszination des Zeichnens erfasste den 1943 in Himberg bei Wien geborenen Herwig Zens schon im frühen Kindesalter – und war gekommen, um zu bleiben. So bewarb er sich nach der Matura 1961 erfolgreich für ein Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, nahm die Einflüsse des Spätexpressionismus von Herbert Boeckl und Oskar Kokoschka auf und entdeckte neben der klassischen Malerei auch die nach wie vor eher vernachlässigte Technik und Ausdrucksform der Radierung für sich.

Wertschätzung für die Linie

Obwohl im Verlauf des künstlerischen Werks mit Öl, später Acryl auf Leinwand in zunächst dicht-pastoser Fülle malend, blieb die Charakteristik Zens’scher Bilder immer die ganz spezielle Strichführung – ob in der Zeichnung, in der Radierung oder in der mit dem Pinsel schwungvoll hingeworfenen Farbkontur. „Eine Linie – das ist schon was...“, stellte Zens dazu selbst mit großer Wertschätzung fest. Die Radierung in all ihren Nuancen wurde in unterschiedlicher Weise eines seiner Alleinstellungsmerkmale als zeitgenössischer bildender Künstler. Klaus Albrecht Schröder, langgedienter Direktor der Albertina in Wien, verglich ihn in seiner Exzellenz in dieser Technik gar mit Picasso und Goya und stellte fest: „In der Radierung ist er unerreicht.“ In der Malerei, die grundsätzlich immer gegenständlich bleibt, aber sich auch in einigen Bereichen in die Abstraktion auflöst, tritt die Farbe im Laufe der Jahre stärker zurück, die Spannung zwischen Farbe und weißem Bildgrund gewinnt an Bedeutung.

Die Themen, die Zens in Malerei, Zeichnung und Radierung erkundete, sind so vielfältig, wie die Umsetzung: Die Mythologie mit ihren meist sehr menschlichen Akteuren, die Stätten und Landschaften seiner zahllosen Reisen, die den Neugierigen mit seiner Frau Gerda von Italien bis nach Norwegen, in die Bretagne und die USA und immer wieder nach Spanien führte.

Der Tod als treuer Begleiter

Die eigene Erfahrung zur Nähe des Todes in Form von zwei Herzinfarkten mit 34 Jahren intensivierte wohl die Beschäftigung mit der Endlichkeit des Lebens und der Bedeutung des Todes in diesem Drama. Mittelalterliche und neuere Totentänze bildeten die Inspiration für Paraphrasen, die für ihn eine wichtige Form der Auseinandersetzung mit bewunderten Kunstwerken der alten Meister war. So gibt es in den meisten Fällen auch mehrteilige Serien zu diesen Bildmotiven, immer wieder neue Versuche. Ein beständiges Thema in Zens’ Werk bezieht sich auf die Musik von Franz Schubert, das freilich auch den Tod mit hineinnimmt in diese Auseinandersetzung, in Form von zahlreichen Bearbeitungen von „Tod und das Mädchen“ oder des Liedzyklus „Die Winterreise“. Der Tod ist hier ebenfalls ein ziemlich menschlicher Kamerad, manchmal zögernd, auch neckend, verführerisch und manchmal ... überrascht.

An Grenzen gehen

Der rastlose Geist des Herwig Zens liebte es, Grenzen auszuloten und sie möglichst immer weiter hinauszuschieben. In den künstlerischen Projekten gewann manches da eine geradezu monströse Dimension: So etwa die mit einem überdimensionalen Fries ausgestaltete Innenwand der ovalen Aufbahrungshalle am Friedhof in Brunn am Gebirge, seine Neufassung des Basler und des Lübecker Totentanzes, die radierte, vierteilige Paraphrase auf Goyas Hexensabbath, bei welchem die Druckplatten nicht mehr in die herkömmlichen Säurebadwannen passten, und schließlich der Zusammendruck der 460 schmalen Tagebuchplatten auf ein durchgängiges, 40 Meter langes Büttenpapier, das bis Ende Mai im Bassanosaal des Kunsthistorischen Museums in Wien zu besichtigen ist. Es ist dies die längste Radierung der Welt, die Herwig Zens‘ Frau dem Museum, dem der Künstler sehr verbunden war, als Schenkung übergab. Sie ist es auch, die den bunten Reigen an Zens‘ Werk-Präsentationen mit Hartnäckigkeit und Ideenreichtum vorantreibt.

Ein reicher Ausstellungsreigen

Die Ausstellung im Kunstraum Dr. David in Wien zeichnet unter dem Titel „Panorama des Lebens“ exemplarisch das Werk von Herwig Zens in Malerei, Zeichnung und Graphik nach und wird am 15. März eröffnet. In Salzburg gab es schon zu Jahresbeginn in der Galerie Welz Leinwandarbeiten zu sehen, parallel zur Ausstellung im Kunsthistorischen Museum zeigt das Kunst Service am Elisabethplatz in Wien unter dem Titel „Das Zeitgeschehen im ‚Radierten Tagebuch‘“ Zeichnung, Druckgraphik und Malerei von Herwig Zens, zum Geburtstag im Juni präsentiert das Museum auf Abruf MUSA als Außenstelle des Wien Museums „80 Jahre – 80 Radierungen“ und im Dommuseum ist Herwig Zens – naturgemäß – in einer Ausstellung zum Thema Tod präsent.Die Landesgalerie Niederösterreich in Krems widmet sich im November ausführlich den Arbeiten von Zens, dem sich das Forum Frohner auf der Kunstmeile ebenda mit einem Fokus auf „Zens und Frohner“ anschließt, und die kleine galerie in Wien plant ebenfalls einen Event mit der Versteigerung von Papierarbeiten im kommenden Herbst. Warum Zens in der aktuellen Ausstellung in der Albertina „Dürer, Munch, Miró. The Great Masters of Printmaking“, die nach eigenen Angaben einen „Querschnitt durch sechs Jahrhunderte der Geschichte der Druckgrafik“ gibt, trotz der Würdigung durch Herrn Schröder fehlt, bleibt ein Rätsel, verfügt das Haus doch über jene grenzüberschreitenden Kupferplatten und die daraus hervorgegangenen Drucke des Hexensabbath und andere Schenkungen.

* Die Schreibweise von Graphik folgt hier ausnahmsweise ZENS‘ persönlichem Plädoyer dafür.


Metadaten
Titel
Stationen eines Ruhelosen
Publikationsdatum
28.02.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 09/2023

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