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Open Access 01.10.2024 | Originalie

Thrombose-Prophylaxe einer Thrombembolie

verfasst von: PD Dr. Barbara Binder

Erschienen in: hautnah

Zusammenfassung

Thrombembolische Ereignisse können die Lebensqualität von Patienten stark einschränken und im schlimmsten Fall fatal enden. Das Risiko solcher Ereignisse maximal zu minimieren ist das Ziel. Wichtig für den Praxisalltag sind das Ab‑/Einschätzen des thrombembolischen Risikos betreffend die aktuelle Situation der Patienten. Chirurgische Eingriffe, krankheitsbedingte Reduktion der Mobilität wie auch Tumorerkrankungen und vor allem persönliche Anamnese stellen die Eckpfeiler für die Indikation einer Prophylaxe von thrombembolischen Erkrankungen dar.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Die Inzidenz der venösen Thrombembolie (VTE) – dazu zählen tiefe Beinvenenthrombose und Lungenembolie – beträgt in der europäischen Bevölkerung ca. 1–2/1000 Patientenjahre, wobei zwei Drittel davon auf tiefe Beinvenenthrombosen (TVT) zurückzuführen sind. Diese VTE-Ereignisse können für den Patienten mit Lungenembolie mit einer Mortalitätsrate mit bis zu 3,3 % behaftet sein [1]. Daher sind ausreichende prophylaktische Maßnahmen zur Verhinderung entscheidend.
Die VTE-Prophylaxe beinhaltet verschiedenste Möglichkeiten, die grundlegend auf dem Pathomechanismus für thrombembolische Ereignisse basieren. Auch im 21. Jahrhundert hat die Virchow-Trias aus dem letzten Jahrtausend volle Geltung, was die Bildung einer Thrombose im Gefäßsystem verursachen kann oder verursacht: Strömungsverlangsamung, Schädigung des Gefäßendothels, Veränderung der Blutzusammensetzung. Diese Faktoren für sich alleine oder in Kombination sind Wegbereiter für ein mögliches thrombembolisches Geschehen; und eben diese sind die Ansatzpunkte für eine Thrombembolieprophylaxe. Betroffen sind davon v. a. Patienten mit operativen Eingriffen, Verletzungen oder akuten Erkrankungen mit konsekutiver Einschränkung der Mobilität, aber auch in der Schwangerschaft kann ein erhöhtes Risiko bestehen [25]. Zu berücksichtigen ist dabei immer, dass die Indikation zur VTE-Prophylaxe entsprechend sowohl den individuellen Bedürfnissen des Patienten, als auch risikoadaptiert erfolgen soll.
Das individuelle Risiko setzt sich aus dem extrinsischen (expositionellen) und dem intrinsischen (dispositionellen) Risiko zusammen. Zu Ersteren gehören u. a. Art und Umfang eines operativen Eingriffes/Trauma, akute Erkrankung mit Immobilisation, maligne Erkrankung; zu Zweiteren angeborene und erworbene personenbezogene Faktoren wie Thrombophilie oder positive Familienanamnese bzgl. des thrombembolischen Geschehens. (Tab. 1; [6]). Für diese Risikoeinschätzung gibt es verschiedenste numerische Tools wie u. a. den Caprini-Score oder den Khorana-Score [711]. Allen gemeinsam ist, dass die individuellen Gegebenheiten trotzdem zusätzlich berücksichtigt werden müssen (Tab. 2; [6]).
Tab. 1
Patientenbezogene Risikofaktoren. (Mod. nach RR Blitzer 2021)
Intrinsische Faktoren
Extrinsische Faktoren
Faktor-V-Leiden
Höheres Lebensalter
Protein-C- oder -S-Mangel
Erhöhter BMI
Antithrombin-Mangel
Immobilität
Sichelzellanämie
Nikotinabusus
Antiphospholipid-AK-Syndrom
Herzinsuffizienz
Prothrombin-Mutation
Maligne Erkrankung
Familiäre Thrombophilie
Chronisch-entzündliche Darmerkrankung
Trauma
Hospitalisation
Operation
Zentraler Venenkatheter
Orale Kontrazeption, Schwangerschaft
Stattgehabte frühere TVT
Tab. 2
Risikoklassen. (Mod. nach RR Blitzer 2021)
Hoch
Mittel
Niedrig
Knochenfraktur
Thrombophilie
Laparoskopie
Trauma
Kongestive Herzerkrankung
Operationsdauer < 30 min
Ischämischer Insult
Orale Kontrazeption
Übergewicht
Wirbelsäulenoperation
Immobilität > 3 Tage
Nikotinabusus
Neurochirurgischer Eingriff
Schwangerschaft
Immobilität < 3 Tage
Maligne Erkrankung
Große Operation ≤ 7 Tage
Varizen
Postoperative Intubation
Infektion mit konsekutiver i.v.-Antibiose

Die 3 Säulen der VTE-Prophylaxe

Daher ist es notwendig, dementsprechende Maßnahmen in Risikosituationen zu setzen, um ein thrombembolisches Geschehen zu verhindern. Die VTE-Prophylaxe basiert auf „3 Säulen“: allgemeine Basismaßnahmen sowie physikalische und medikamentöse Interventionen [12].
An erster Stelle stehen die Frühmobilisierung sowie auch die Schulung der Patienten zu Bewegungsübungen, welche entweder eigenständig oder mit Unterstützung regelmäßig und frühzeitig erfolgen sollten [3, 4].
Die intermittierende Kompressionstherapie weist eine gute Datenlage auf
Als physikalische Maßnahme kann eine Kompressionstherapie durchgeführt werden, wobei aber die Datenlage aufgrund fehlender Studien derzeit noch unzureichend ist. Bezüglich Thromboseprophylaxestrümpfe konnten Untersuchungen zeigen, dass unterschenkellange Thromboseprophylaxestrümpfe ausreichend sind und oberschenkellange Strümpfe im Vergleich keine Vorteile bringen. Kompressionsstrümpfe Klasse II sollten auf jeden Fall bei mobilen Patienten mit Varizen – meist werden diese ja bereits als Dauertherapie vorher schon getragen – verwendet werden. Die intermittierende Kompressionstherapie weist eine gute Datenlage auf, wird aber im deutschsprachigen Raum eher selten in der herkömmlichen Thromboseprophylaxe verwendet [3].

Medikamentöse Therapie

Die am häufigsten eingesetzte Methode ist sicherlich die medikamentöse Therapie. Zur Verfügung stehen hier: unfraktioniertes oder niedermolekulares Heparin (NMH), Pentasaccharide, Nicht-Vit-K-abhängige orale Antikoagulanzien, Vit.-K-Antagonisten und Acetylsalycylsäure; wobei die beiden letzteren Substanzen, sowie das unfraktionierte Heparin, eher eine untergeordnete Rolle spielen.
Der derzeitige Standard in v. a. nichtoperativen Situationen sind die NMH in prophylaktischer Dosierung, wobei 2 Faktoren zu berücksichtigen sind: Bei Adipositas ist eine Dosiserhöhung anzudenken und bei einer mittelschweren bis schweren renalen Insuffizienz (NINS) muss die Dosis angepasst werden. Nach Einleitung der Therapie ist eine mögliche heparininduzierte Thrombozytopenie zu monitieren. Alternativ können Pentasaccharide verabreicht werden, wobei auch eine NINS in diesem Fall eine Dosisanpassung verlangt. Vor allem in chirurgischen Fächern – voran die Orthopädie – werden nicht Vit.-K-abhängige Antikoagulanzien, sog. direkt wirkende Antikoagulanzien (DOAK) gegeben [3].
Der Vorteil ist die perorale Gabe, und dass kein Monitoring notwendig ist. Aber auch hier ist eine Dosisanpassung an die renale und/oder hepatische Funktion notwendig. Die Datenlage bzgl. Acetylsalycylsäure (ASS) ist derzeit noch divergierend und weitere Untersuchungen/Studien sind erforderlich. Einzig bei orthopädischen/chirurgischen Patienten konnte in einzelnen Studien eine Nichtunterlegenheit gegenüber NMH gezeigt werden [13, 14].
ASS als Thromboseprophylaxe sollte ausgewählten Patienten vorbehalten bleiben
Daher sollte ASS als Thromboseprophylaxe nur ausgewählten Patienten vorbehalten bleiben. Die Dauer der Thromboseprophyaxe ist abhängig von den bestehenden bzw. andauernden Risikofaktoren und muss daher immer individuell angepasst werden. Auf jeden Fall ist eine vollständige Mobilisation ein entscheidender Faktor zur Beendigung der VTE-Prophylaxe.

Besondere Situationen

Besondere Situationen erfordern eine besondere Berücksichtigung, wobei in diesem Artikel v. a. auf dermatologische Spezifitäten eingegangen wird.
Oftmals ist eine Hospitalisation aufgrund von akuten entzündlichen Erkrankungen mit konsekutiver Einschränkung der Mobilität notwendig. Dies umfasst bakterielle und virale Infektionen wie akutes Erysipel oder Herpes Zoster, als auch inflammatorische Prozesse, wie z. B. eine Erythrodermie unterschiedlicher Genese oder Exazerbation einer atopischen Dermatitis oder Psoriasis vulgaris [3]. Auch in diesen Situationen ist eine VTE-Prophylaxe indiziert, welche meist mit NMH durchgeführt wird; zudem ist eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu gewährleisten.
In der operativen Dermatologie sollte abhängig von der Größe, der Lokalisation und des Anästhesieverfahrens an eine entsprechende VTE-Prophylaxe gedacht werden, immer auch unter Berücksichtigung der individuellen Patientensituation [3].
Onkologische Patienten, welche gegenüber der Normalbevölkerung ein bis 15 % erhöhtes VTE-Risiko haben, stellen eine weitere sensible Patientengruppe dar. Deren Risiko wird noch durch zusätzliche Faktoren wie Metastasierung oder multiple Komorbiditäten verstärkt (Tab. 3; [15]). Angewandt werden NMH und nicht Vit.-K-abhängige orale Antikoagulanzien wie Apixaban oder Rivaroxaban. Die Dermatoonkologie muss sich mit dieser Situation vermehrt auseinandersetzen. Eine Empfehlung findet man in den 2019 von der ASCO publizierten Guidelines [16].
Tab. 3
Erhöhung des VTE-Risikos bei onkologischen Patienten. (Mod. nach [15])
Erhöhung des VTE-Risikos bei malignen Erkrankungen
Metastasierung
Multiple Komorbiditäten (KHK, COPD etc.)
Infektionen
Lebenserwartung < 1 Jahr
Große Tumorchirurgie
Tumorspezifische Therapie (Chemotherapie, Immuntherapie etc.)
Strahlentherapie
Eine VTE-Prophylaxe fordert beispielweise eine Hospitalisierung bei aktiver Krebserkrankung mit akuter internistischer Erkrankung bzw. Verschlechterung des Allgemeinzustandes mit Reduktion der Mobilität. Kleine chirurgische Eingriffe bzw. eine Tumortherapie stellen keine Indikation zur VTE-Prophylaxe dar. Ambulante Patienten sollten nicht routinemäßig eine medikamentöse Thromboseprophylaxe erhalten. Auf jeden Fall ist jedoch auch in dieser Patientengruppe das persönliche/individuelle Risiko regelmäßig zu evaluieren.

Thromboseprophylaxe für Reisen

Eine im Alltag immer wieder auftretende Frage in der phlebologischen Sprechstunde betrifft die Thromboseprophylaxe für Reisen. Die sog. „Reisethrombose“ ist definiert als thrombembolisches Geschehen im Rahmen einer mehr als 4‑stündigen Reise (Flug, Bus, Auto, Rundreisen!), welche während dieser bzw. innerhalb von 4 Wochen nach der Reise aufgetreten ist [17].
Wegbereitend ist die Bewegungseinschränkung, oft verbunden mit geringer Flüssigkeitszufuhr. Auch hier muss zur Entscheidung betreffend das VTE-Risikos die individuelle Situation/das individuelle Risiko eingeschätzt werden. Eine Unterteilung in niedriges, mittleres und hohes Risiko unterstützt die Entscheidungsfindung (Tab. 4).
Tab. 4
Risikogruppen für Reisethrombose
Niedrig
Mittel
Hoch
Keine persönlichen Risikofaktoren
Gravidität
Anamnestisch pers. VTE
Postpartale Phase
Maligne Erkrankung
Alter > 60 Jahre
Ruhigstellung einer Extremität (gelenkübergreifend)
Thrombophilie/familiäre Thromboseneigung
St. p. operativer Eingriff mit hohem Thromboserisiko
Varikose
Hormontherapie (orale Kontrazeption, Hormonersatztherapie)
BMI > 30
Die allgemeinen Maßnahmen beinhalten Bewegungsübungen, ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Zurückhaltung bei Konsum von Sedativa und Alkohol. Ab dem mittleren Risiko kommen abhängig von den Risikofaktoren Kompressionsstrümpfe und/oder NMH bzw. Pentasaccharide zum Einsatz [18, 19]. Subkutane Injektionen sollten knapp (etwa 2 h) vor Reiseantritt appliziert werden und bei sog Rundreisen alle 24 h wiederholt werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

B. Binder gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
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Metadaten
Titel
Thrombose-Prophylaxe einer Thrombembolie
verfasst von
PD Dr. Barbara Binder
Publikationsdatum
01.10.2024
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
hautnah
Print ISSN: 1866-2250
Elektronische ISSN: 2192-6484
DOI
https://doi.org/10.1007/s12326-024-00684-4