Skip to main content
Ärzte Woche

28.01.2020 | Tekal

Shame on you!

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Vom Flight-Shaming und gewissen anderen Genierern.

Heute schon ausgiebig geschämt? Menschen genierten sich früher für sündige Gedanken, die dem lieben Herrgott, vor allem aber dessen irdischen Vertretern, missfallen könnten. Man schämte sich seiner unadeligen Abstammung oder eines unehelichen Kindes, ob einer aussätzigen Krankheit oder seiner Armut. Die Liste ist lange und reicht auch heute noch vom Übergewicht über chronische Erfolglosigkeit bis zum peinlichen Internet-Posting, das das Gesäß als Abschussrampe einer Silvesterrakete ablichtet. Und zwar nach dem missglückten Start.

Scham, sagen Psychologen, sei der Kitt der Gesellschaft, da er hilft, Grenzen zu wahren und ein Übertreten von Schwellen mit einem unangenehmen Gefühl zu besetzen. So ist auch zu erklären, warum Volksvertreter diese Grenzen wahren und aufgrund ihres Schamgefühls niemals unehrenhafte Geschäfte abwickeln würden. Aber hier macht die Übung den Meister und „ist der Ruf mal ruiniert, so lebt sich’s völlig ungeniert!“ Selbst die eindrückliche Anordnung „Sie sollten sich was schämen“ ist nicht mehr als ein frommer Wunsch, da sich ein Gefühl nicht verordnen lässt.

Dennoch benützt man immer wieder gerne den beliebten Pranger und veröffentlicht etwa in den USA offiziell Bilder von Freiern, die bei Prostituierten ertappt wurden oder Fotos von Schnellfahrern. Hierzulande wäre das nicht denkbar, man hat schließlich Facebook, damit geht es unkomplizierter. Eine Spielart des Schämens ist das „Fremdschämen“. Obwohl das Gefühl, sich für peinliche Anverwandte entschuldigen zu müssen, eine lange Tradition hat, haben Doku-Soaps über betrunkene Teenager und Baumeister, die Mütter werden, Hochsaison. Laut einer Studie werden dabei die gleichen Hirnareale aktiviert wie beim Mitleid für körperliche Schmerzen anderer.

En vogue ist Flight-Shaming, wo man sich geniert, Flugreisen zu unternehmen. Verständlich, denn zum Einkaufen eines schicken Pullis nach Mailand zu jetten, ist von der CO₂-Bilanz weniger nachhaltig, als einen alten Pullover beim Schneider flicken zu lassen. Allerdings nicht viel weniger nachhaltig, als viermal einen Pullover von Zalando zu bestellen und wieder zurückzuschicken. Oder den Schneider aus Mailand einzufliegen. Es geht bei der Flugscham weniger um das eigene Schamgefühl, das man, angesichts einer sonnigen Urlaubsdestination, hintanstellt, sondern eher um die gesellschaftliche Forderung, sich gefälligst zu schämen. Während man sich also früher geniert hat, seinen Urlaub am Semmering statt auf den Malediven zu verbringen, vermeidet man es heute tunlichst, Grüße vom tropischen Strand zu schicken, postet lieber ein foto-geshopptes Bild mit Semmering im Hintergrund und dem Text „Coole Ferien, mit der Bahn CO2-neutral“, um von den anderen statt Verachtung Daumen nach oben zu bekommen. Auf dass die Bräune karibischer Sonne die Schamesröte überdeckt.

print
DRUCKEN
Metadaten
Titel
Shame on you!
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
28.01.2020
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 5/2020

Weitere Artikel der Ausgabe 5/2020