Dr. Tekal
Privat
Manche medizinische Lebensweisheiten wirken ein wenig profan.
Auch wenn in der Medizin der Spaß des therapeutischen Freestyles schon seit Längerem dem öden Befolgen von Leitlinien gewichen ist, gibt es in Teilbereichen noch ein wenig Spielraum. Hier darf man sich noch medizinisch austoben und mit religiösem Eifer diskutieren, welche Behandlung nun die einzig Wahre ist. Doch so heftig die Dispute und Gelehrtenstreite von der Impfung bis hin zur fachgerechten Versorgung einer Dornwarze auch geführt werden, ist man sich in einem einig: Mehr Bewegung und gesunde Ernährung sind gut!
Das ist gleichermaßen schlüssig wie auch enttäuschend. Denn dies soll tatsächlich die Quintessenz jahrhundertelanger medizinischen Forschung sein? Immerhin hat meine Oma genau dasselbe postuliert. Und die hat nicht hundert Jahre lang studiert. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass man je einem Patienten geraten hätte, sich weniger zu bewegen, außer vielleicht bei ADHS oder im Lockdown. Dennoch gilt es als der Weisheit letzter Schluss.
Zwei Parameter, die ebenfalls bezüglich der Wirksamkeit von Maßnahmen von Fachverbänden, Apothekern und Werbeprofis genannt werden sind: „durchblutungsfördernd“ und „immunsystemstärkend“. Es sind dies die beiden Qualitätsmerkmale, die aus einem einfachen Haferbrei einen multifunktionalen Kombinationswirkstoff machen, gegen den eine Therapie mit monoklonalen Antikörpern alt ausschaut.
Scheinbar kann man also auch niemals genug an Durchblutung haben und niemals genug an immun. Selbst wenn man in einem hypertensiven Zustand wie ein Druckkochtopf mit hochrotem Gesicht durchs Leben läuft, bekommt man als guten Ratschlag, etwas Ginkgo zu sich zu nehmen, da dieser durchblutungsfördernd ist. Und auch einem Atopiker, der nicht nur gegen Pollen und Penicillin, sondern auch gegen Giraffen, Heizdecken und dem eigenen Lebenspartner allergisch reagiert, wird die Einnahme eines PolyKomplex-Vitamin-Spuren-und-Ballaststoff-Präparates empfohlen, das das Immunsystem stärkt. Wie stark soll es denn noch werden?
Mir ist schon bewusst, dass man die Durchblutung woanders haben möchte, nicht in der Gesichtshaut, sondern in Gehirn, im Herz, den Nieren oder im Penis. Und auch ein überreagierendes Immunsystem ist nicht zwangsläufig ein starkes Immunsystem. Aber die kolportierten Wirkungen auf Abwehr und Blutgefäße wirken gegen die High-Tech-Medizin doch ein wenig schwammig.
Neulich habe ich mich selbst wieder dabei ertappt, einem Patienten zusätzlich ein Mittel ans Herz zu legen, das gut fürs Immunsystem ist und die Durchblutung steigert. Ich glaube, er hat meine Zweifel erkannt, als er sagte: „Des muss ich aber nicht nehmen, oder?“ Wie auch immer Sie künftig vorgehen wollen: Lesen Sie immer brav diese Kolumne. Lesen wirkt durchblutungsfördernd und Lachen steigert das Immunsystem!