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Ärzte Woche

25.10.2023 | Tekal

Eigen-Torjubel

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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Lobe den Moment wie dich selbst.

Die Begeisterung kennt keine Grenzen: Unter dem Jubel der tosenden Menge schlittert der Torschütze meterweit auf seinen Knien über den Rasen, reißt sich sein T-Shirt vom Leib, sendet Küsse gen Himmel und widmet den Treffer den Ahnen, seinem Volk und der ganzen Menschheit. Auch wenn meine minderjährigen Kinder und deren Freunde aus der Volksschule sich einst ein wenig befremdet zeigten, wenn ich jedes Tor derart zelebrierte: Wenn Emotion zu zeigen sind, dann wohl hier, im brutalen Amateurkampf Mann gegen Kind.

Bemerkenswert, dass es auch im Profi-Sport ähnlich euphorisch abläuft. Dabei geht es auch hier nicht um die Existenz, sondern um ein, für einen Fußballer, nicht unübliches Ereignis. Es ist nun mal beruflicher Alltag, dass ein Tor fällt. So wie das Abstempeln eines Rezeptes, das Versenden einer E-Mail oder das unbeabsichtigte Schließen einer Datei, ohne sie vorher abgespeichert zu haben. Es macht wohl einen Unterschied, ob man mit dem Arztkoffer in die Arbeit geht oder mit der Sporttasche.

Tatsächlich mutet die Routine im ärztlichen Dasein überaus grau an, wenngleich es durchaus gefühlsbetont hergehen müsste. Immerhin geht es hier tatsächlich um Leben und Tod, Schmerz und Erleichterung, Klasse oder Kasse, also essenzielle Themen, die emotional hoch aufgeladen sind. So ist es mir ein Rätsel, wie besonnen man nach einer geglückten Operation am offenen Herzen wieder zur Tagesordnung übergeht. Warum sich der Chirurg nach der letzten gesetzten Naht nicht seines OP-Kittels entledigt, einen Siegesschrei ausstößt, um den Operationstisch läuft, verfolgt von seinem Team, das ihn zu Boden reißt und unter dem Knäuel der Kollegenschaft begräbt.

So aber beendet man emotionslos das Werk, beklagt sich noch ein wenig über die ungeschickten Hände der zweiten Assistenz, die schlechten Arbeitsbedingungen oder die missglückte Politik der Standesvertretung. Keine aufgeregten Reporter warten vor dem OP, um im Detail zu erfragen, wie man sich zwischen Hautschnitt und Abklemmen der Blutgefäße gefühlt hat. Keine Fans zünden, verbotenerweise, vor lauter Begeisterung bengalisches Feuer unter dem Anästhesiearbeitsplatz.

Was soll dieses gefühlsmäßige Understatement? Warum holen wir den Kick an Dopaminen und Endorphinen nicht einfach ab, der uns eigentlich zusteht? Vielleicht verbietet es ja die gute Kinderstube, uns selbst in den Himmel zu loben. Immerhin zählte der Hochmut einst zu den Todsünden, als verwerflichstes aller Laster. Dabei fordert man in der klugen Psychotherapie längst den Mut zum Eigenlob ein.

Nicht, dass es in der chirurgischen Oberschicht zu sehr an Arroganz mangelt. Aber oft an echter Wertschätzung dem Menschen gegenüber, mit dem wir 24 Stunden täglich zu tun haben. Wenn wir unserem inneren Torjubler ähnlich viel Platz einräumen wie unserem inneren Kritiker, sind wir vermutlich ein gutes Stück weiter auf dem Weg zum Glück.

Insofern wünsche ich Ihnen allen jemanden, der Ihnen auf die Schulter klopft. Auch wenn gerade niemand hinter Ihnen steht.

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Metadaten
Titel
Eigen-Torjubel
Schlagwort
Tekal
Publikationsdatum
25.10.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 45/2023

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