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Ärzte Woche

28.03.2022

Sichtbarmachung von Luft

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In „Wenn der Wind weht“ befassen sich 22 Künstlerinnen und Künstler mit Beziehungen des Menschen zu den unsichtbaren Elementen Wind, Luft und Atem – es entstanden sehr unterschiedliche Arbeiten.

Noch bevor man die Ausstellungsräume des Kunsthauses betritt, wird man von einem Exponat Olafur Eliassons angeblasen: „Windy corner“ aus dem Jahr 1997 besteht aus kleinen, vertikal angebrachten Ventilatoren und wurde extra für die Schau adaptiert. Die Luft wird zur unsichtbaren Skulptur, die man auf der Haut spürt. Der dänische Starkünstler beschäftigt sich häufig mit Naturphänomenen.

Sjoerd Knibbeler macht in seiner Serie „Current Studies“ (2013 bis 2016) Luft sichtbar. Er führt Experimente im Studio oder in Forschungseinrichtungen durch. Der holländische Künstler fängt Luft in Plastiksäcken ein oder macht Wind durch rotierende Fäden und Rauch sichtbar. Das Ergebnis sind ästhetische, großformatige Fotografien in Blau-, Gelb- und Rosatönen.

Endzeit-Stimmung

Eduardo Leals Fokus liegt auf dem Plastiksackerl. Der meistproduzierte Konsumartikel wird durch den Wind an die entlegensten Orte der Welt geweht. Leal fotografiert in seiner Serie „Trees“ Plastiksäcke, die sich in Büschen der Hochebene von Altiplano in Südost-Peru und West-Bolivien auf 3.600 Metern verfangen haben, und das in niedrigem Blickwinkel bei Sonnenuntergang. Die Fotos wirken wie aus einem Endzeitfilm und machen den großen Schaden deutlich, den die Sackerln anrichten: Für Natur und Tiere sind sie todbringend. Es wird Jahrhunderte dauern, bis sie sich auflösen. Für die „Trees“ auf den Fotos des portugiesischen Künstlers kommt die Befreiung zu spät.

Emily Parsons-Lords Videoarbeit „Our Fetid Rank“ aus dem Jahr 2015 zeigt Politiker wie Angela Merkel, Margaret Thatcher, Bill Clinton und Barack Obama bei Ansprachen zum Thema Klimawandel. Die Künstlerin hat diese so zusammengeschnitten, dass nur Momente des Luftholens zwischen den Worten erhalten bleiben. So japsen die ehemaligen World Leader vor sich hin und es scheint ihnen der Sauerstoff auszugehen. Im Angesicht der drohenden Klimakatastrophe waren die Worte der Politiker heiße Luft.

Ein weiteres Video zeigt das Künstlerpaar Marina Abramovic und Ulay beim Küssen. In „Breathing In/Breathing Out“ aus dem Jahr 1977 tauschen die zwei Atemluft über ihre Münder aus. Durch am Hals angebrachte Mikrofone hört man die Geräusche, die dabei entstehen. Der Kuss wirkt unheimlich. Erst als die beiden keine Luft mehr bekommen, stoppen sie die Zärtlichkeiten.

Auf einem kleinen, aber feinen Schwarz-Weiß-Foto von Nadim Vardag ist ein Objekt, das an eine organische Blütenform erinnert, zu sehen. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es sich um Marilyn Monroes berühmtes weißes Kleid aus Billy Wilders Film „Das verflixte siebente Jahr“ handelt, das durch den Luftzug eines U-Bahn-Schachtes hochgewirbelt wird, nur dass der Filmstar weggelassen wurde.

Die in Melbourne lebende iranische Dokumentarfotografin Hoda Afshar zeigt in „Speak the wind“ die vom Wind geprägte Landschaft und Kultur der Inseln der Straße von Hormus, einer Meerenge im Süden des Iran. Einem weit verbreiteten Glauben zufolge können Winde von Menschen Besitz ergreifen und diesen schaden. Mehr als hundert Winde mit verschiedenen Namen haben bestimmte Eigenschaften und Auswirkungen. Ist eine Person von einem Wind besessen, kann nur ein Schamane helfen. Auf Afshars eindrucksvollen Bildern sind von Tüchern umhüllte Frauen, die wie Skulpturen wirken, oder Protagonistinnen mit geheimnisvollen roten Stoffmasken, die das Gesicht bedecken, zu sehen. Auch Wellen und Landschaft sind in Rottöne getaucht.

Sophie Jung ist wegen einer Beziehung über einen Zeitraum von zwei Jahren zwischen Amsterdam und Basel hin- und hergeflogen. Für „easyJet“ (2011-2013) hat sie immer den gleichen Sitzplatz gebucht und von diesem aus einen Tragflügel der Maschinen abgelichtet. Auf 22 Fotos dokumentiert sie ihre Flüge. Die Bilder stehen auf dem Kopf und zeigen das Farbspektrum des Himmels zu verschiedenen Tageszeiten.

Bei Julius von Bismarck fliegen Zelte in die Luft. Es scheint, als wollten sie davonschweben und sich auf eine Reise durch die Lüfte begeben. Die geöffneten Eingänge an den Seiten der Campingzelte werden zu Flügeln. Die unterschiedlich hoch gehängten Schwarz-Weiß-Fotos erzählen von Aufbruch, Freiheit und Abenteuer. Was passiert, wenn ein Wind zum Orkan wird, zeigt Bismarcks Video „Irma to Come In Earnest“, wobei er den Hurrikan in Zeitlupe versetzt. In dem Schwarz-Weiß-Film sieht man die Blätter und Zweige verschiedener Palmenarten in bedächtigen Bewegungen. Gräser, Bambus und Louisianamoos wirken durch die Verlangsamung wie schwebende Unterwasserpflanzen. Der Film wirkt auch durch seine Größe, wird er doch wie in einem Kino an die Wand projiziert.

Katja Uccusic-Indra

Weitere Informationen:

www.kunsthauswien.com


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Metadaten
Titel
Sichtbarmachung von Luft
Publikationsdatum
28.03.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 13/2022

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