Algorithmen zur Systemtherapie bei Prostata‑, Urothel- und Nierenzellkarzinom

Die Autoren erheben in der folgenden Darstellung nicht den Anspruch, den Inhalt der Leitlinien komplett widerzugeben. Aufgrund des vorgegebenen Formats beschränken sich die Autoren darauf, die markanten Passagen dazustellen und zu erläutern. Prostatakarzinom Andreas Eisenhardt In Abb. 1 ist der klinische Verlauf eines Patienten mit Prostatakarzinom vereinfacht dargestellt. Hieraus geht hervor, dass die Diagnose der Erkrankung auch in einem späteren Krankheitsstadium als dem primär nicht-metastasierten Stadium diagnostiziert werden kann. Im Folgenden werden die praxisrelevanten Details zur Systemtherapie beim Prostatakarzinom entsprechend der Leitlinienversion 5.1 der S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom aus dem Mai 2019 erläutert. Abb. 1: Schematische Darstellung des klinischen Verlaufs eines Patienten mit einem Prostatakarzinom und der Therapiesequenz × Therapie des hormonsensitiven metastasierten Prostatakarzinoms Weiterhin gilt die Empfehlung, den Patienten in dieser Erkrankungsphase eine Androgendeprivation anzubieten. Hierbei ist auf die Aufklärung der Patienten zu achten, dass es sich um eine palliative Therapie handelt, sich die Lebensqualität unter Androgendeprivation verschlechtern kann und unerwünschte Nebenwirkungen auftreten können [1– 4]. Hintergrund der Empfehlung für eine Androgendeprivation stellt der Nachweis einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens dar, wobei dies nur für den sofortigen Einsatz der Hormonablation nachgewiesen wurde [1]. Neu ist die Empfehlung, dass bei Erstdiagnose im hormonsensitiven metastasierten Erkrankungsstadium den Patienten mit einem guten Allgemeinzustand (ECOG 0‑1, „Eastern Cooperative Oncology Group“) in Ergänzung zur Androgendeprivation eine Chemotherapie mit Docetaxel oder eine weitere Hormonmanipulation durch Abirateron plus Prednison angeboten werden kann. Grundlage für die Möglichkeit der Kombination einer Androgendeprivation mit 6 Kursen einer Docetaxel-Chemotherapie nach dem Schema 75 mg/m 2 Körperoberfläche (KOF) waren die Publikationen der CHAARTED- und STAMPEDE-Studien, die eine Verlängerung des Gesamtüberlebens um 15 bzw. 13,6 Monate durch eine Kombinationstherapie im Vergleich mit alleiniger Androgendeprivation aufzeigen konnten [5, 6]. Eine weitere prospektiv randomisierte Studie einer französischen Arbeitsgruppe konnte diese Ergebnisse nicht bestätigen [7]. Eine Subgruppenanalyse der CHAARTED-Daten wies nach, dass nur Patienten mit einer hohen Tumorlast definiert als das Vorliegen von viszeralen Metastasen oder >4 Knochenmetastasen außerhalb des Beckens von der Therapie profitieren. Da die Therapie nach dem Schema Docetaxel alle 2 Wochen mit 50 mg/m 2 KOF in dieser Indikation nicht prospektiv untersucht wurde, kann diese nicht empfohlen werden und der Zeitpunkt bis zum Beginn der Chemotherapie sollte innerhalb von 4 Monaten nach der Einleitung der Hormonentzugstherapie liegen. In 2 großen randomisierten prospektiven Studien wurde die Wirksamkeit von dem Cyproteronacetat-17-Hemmer Abirateron in Kombination mit einer Androgendeprivation analysiert (LATITUDE, STAMPEDE; [ 8, 9]). Die Studieneinschlusskriterien unterschieden sich insofern, als dass an der LATITUDE-Studie nur Patienten mit mindestens 2 Risikofaktoren teilnehmen durften, die als das Vorliegen von Gleason-Score 8 oder höher, mindestens 3 Knochenmetastasen oder viszerale Metastasen definiert waren. In beiden Studien konnte eine Verlängerung des Gesamtüberlebens durch die Kombinationstherapie aufgezeigt werden, wobei das progressionsfreie Überleben mit 33,0 Monaten im Kombinationsarm vs. 14,8 Monaten im Androgendeprivationstherapie- (ADT-)Arm in der LATITUDE-Studie deutlicher diskriminierbarer war als in der STAMPEDE-Studie (43,9 vs. 30,0 Monate). Auch die Empfehlung für die Kombination von Abirateron mit einer ADT gilt nur für einen sofortigen Einsatz, da für eine spätere Therapie keine prospektiv randomisierten Studien vorliegen. Therapie des androgenunabhängigen oder kastrationsresistenten Prostatakarzinoms Folgende Therapien in Ergänzung der ADT kommen für Patienten mit metastasierter asymptomatischer oder gering symptomatischer und progredienter Erkrankung optional in Betracht: Abirateron, Enzalutamid oder Docetaxel. Grundlage für die Empfehlung einer Therapie mit Abirateron als extragonadale Hormonsuppression stellen die Daten der COU-AA-302-Studie dar, die einen Überlebensvorteil im Gesamtüberleben der Kombination von Abirateron mit Prednison im Vergleich zur Placebo mit Prednison von 34,7 vs. 30,3 Monaten in dieser Erkrankungsphase aufzeigen konnte [ 10, 11]. Als schwere Nebenwirkungen unter Therapie sind das Auftreten von Herzerkrankungen, erhöhte ALT-Werte (Alanin-Aminotransferase) und Bluthochdruck und als häufige Nebenwirkungen Harnwegsinfektionen, Hypokaliämie, periphere Ödeme und Hepatotoxizität zu beachten [ 10]. Enzalutamid ist ein Androgenrezeptorhemmer und blockiert die Verschiebung des Androgenrezeptors in den Zellkern sowie die DNA-Bindung. Die prospektiv randomisierte PREVAIL-Studie zum Vergleich von Enzalutamid mit Placebo konnte einen Überlebensvorteil von 32,4 Monaten in der Enzalutamid-Gruppe gegenüber 30,2 Monaten in der Placebogruppe nachweisen [ 12]. Des Weiteren zeigte sich eine signifikante Verlängerung der Zeiten bis zum Einsatz einer Chemotherapie, bis zu einem relevanten Knochenereignis und bis zur PSA-Progression (prostataspezifisches Antigen). In diese Studie wurden nur Patienten mit einem guten Allgemeinzustand eingeschlossen (ECOG 0‑1) und als relevante Nebenwirkungen sind Gedächtnisstörungen, Hypertonie und Müdigkeit zu nennen. Des Weiteren werden unter Einnahme von Enzalutamid vermehrt Interaktionen mit CYP2C8- und CYP3A4-Inhibitoren und Induktoren beobachtet, was unbedingt einem entsprechenden Monitoring der entsprechenden Komedikation bedarf. Die Zulassung für Abirateron oder Enzalutamid besteht bei asymptomatischem oder mild symptomatischem Patienten mit einem kastrationsresistenten Prostatakarzinom nach Versagen der Hormondeprivation, bei denen eine Chemotherapie noch nicht indiziert ist. Die Zulassung zur Chemotherapie mit Docetaxel in Kombination mit Prednison für die Behandlung von Patienten mit metastasiertem kastrationsresistenten Prostatakarzinom gründet sich auf die Daten der TAX-327-Studie, die einen 2,9 Monate messenden Überlebensvorteil der Docetaxel-Therapie gegenüber einer Therapie mit Prednison aufzeigen konnte [ 13]. Relevante Nebenwirkungen, über die die Patienten vor Therapiebeginn aufgeklärt werden müssen, umfassen Alopezie, Müdigkeit, Übelkeit, Neutropenie, Diarrhö, Nagelveränderungen und eine periphere Neuropathie, die auch persistieren kann. Besonderer Wert ist darauf zu legen, dass bei Patienten über 70 Jahre ein geriatrisches Assessment vor Therapiebeginn durchzuführen ist, um das Risiko von therapiebedingten Grad-3- bis -5-Nebenwirkungen besser einschätzen zu können [ 14]. Da in einer Studie eine ähnliche Effektivität der Therapie mit Docetaxel 50 mg/m 2 KOF alle 2 Wochen bei geringeren Nebenwirkungen wie in dem 3‑Wochen-Schema mit 75 mg/m 2 KOF nachgewiesen wurde, kann den Patienten in dieser Erkrankungsphase auch das 2‑Wochen-Schema angeboten werden [ 15]. Das Radionuklid Radium-223 stellt eine Erst- und Zweitlinientherapieoption bei Patienten mit androgenunabhängiger, symptomatischer und progredienter Erkrankung und symptomatischen ossären Metastasen ohne gleichzeitige viszerale Metastasen dar. Hintergrund der Zulassung stellt der Nachweis eines Überlebensvorteils von 14,9 Monaten im Therapiearm gegenüber 11,3 Monaten im Placeboarm der prospektiv-randomisierten ALSYMPCA-Studie dar, in der in beiden Gruppen ca. 43 % der Patienten nicht mit Docetaxel vorbehandelt waren [ 16]. Zusätzlich konnte eine Verlängerung der Zeit bis zum skelettalen Ereignis und bis zu einem PSA-Anstieg dargestellt werden. Als potenzielle Nebenwirkung sind Neutropenien, Thrombozytopenien, Diarrhö, Erbrechen und Übelkeit zu beachten. Zweitlinientherapie nach Docetaxel In der Situation des kastrationsresistenten progredienten Prostatakarzinoms nach Docetaxel-Chemotherapie bei gutem Allgemeinbefinden des Patienten bieten sich in Kombination mit der symptombezogenen supportiven Therapie folgende therapeutische Möglichkeiten: Abirateron in Kombination mit Prednison, Enzalutamid, Cabazitaxel und die Radiotherapie mit Radium-223. Die Zulassung von Cabazitaxel beruht auf den Daten einer randomisierten Studie, in der Cabazitaxel in einer Dosis von 25 mg/m 2 KOF mit Prednison nach Docetaxel-Chemotherapie gegen Mitoxantron mit Prednison getestet wurde. In diese Studie wurden nur Patienten in gutem Allgemeinbefinden (ECOG 0‑1) eingeschlossen und durch die Therapie mit Cabazitaxel war eine mittlere Überlebensverlängerung von 2,4 Monaten und eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens um 1,4 Monaten nachweisbar [ 17]. Wichtig bei der Anwendung ist die kontinuierliche Blutbildüberwachung, da es unter Therapie zu febrilen Neutropenien kommen kann und des Weiteren werden Hämaturien, Diarrhö und Müdigkeit beobachtet, welche bei der Dosis von 20 mg/m 2 KOF bei gleicher Effektivität zur höheren Dosis seltener auftreten [18]. Das Radionuklid 177Lu-PSMA (prostataspezifisches Membranantigen) stellt einen interessanten Ansatz zur Therapie von Patienten nach Docetaxel-Chemotherapie dar. Da das Medikament noch nicht zugelassen ist, sollte ein Therapieversuch nur nach Vorstellung in einer interdisziplinären Tumorkonferenz erfolgen und der Patient muss aufgeklärt werden, dass es sich um einen individuellen Therapieversuch handelt. Die bisherige Datenlage ist heterogen, jedoch wird in den bisherigen Fallserien ein PSA-Abfall bei ca. 50 % der Patienten beschrieben [ 19]. Therapie von Knochenmetastasen Die Therapie von symptomatischen Knochenmetastasen umfasst die Schmerztherapie, die Möglichkeit einer lokalen Bestrahlung und/oder ein operativer Eingriff ggf. in Kombination mit einer Bestrahlung [ 20]. Bezüglich des Einsatzes von Bisphosphonaten zur Prävention von Knochenereignissen bei Patienten mit einem hormonsensitiven Prostatakarzinom und nachgewiesenen Knochenmetastasen hat sich die Leitliniengruppe gegen einen Einsatz dieser Substanzen bei dieser Indikation ausgesprochen, da der Vorteil der Gabe von Bisphosphonaten nicht ausreichend war. Für den RANK-Liganden („rezeptor activator of NF kappa-B“) Denosumab liegt für eine dementsprechende Empfehlung keine eindeutige Studienlage vor. Demgegenüber überwiegen die möglichen Nebenwirkungen der Behandlung wie Kieferosteonekrosen und Nierenfunktionseinschränkungen bei den Bisphosphonaten und Kieferosteonekrosen sowie Hypokalzämien bei Denosumab. In der Therapie von Knochenmetastasen bei Patienten mit einem androgenunabhängigen Karzinom sind beide Substanzgruppen zur Verzögerung skelettaler Ereignisse weiterhin als optionale Therapieempfehlung belassen worden. Da die aktuelle Studiensituation sich seit Verfassen der Leitlinie im letzten Jahr geändert und zu neuen Zulassungen geführt hat, erlauben sich die Autoren außerhalb der Leitlinie hierzu Stellung zu nehmen, da davon auszugehen ist, dass sich diese Entwicklungen in der Überarbeitung der Leitlinien wiederfinden werden. In der PROSPER-Studie wurde der Einsatz von Enzalutamid in Kombination mit einer ADT im Vergleich mit der Kombination von Placebo und ADT bei Patienten mit einem asymptomatischen kastrationsresistenten nicht-metastasierten Prostatakarzinom und einer PSA-Verdoppelungszeit unter 10 Monaten getestet [ 21]. Da sich durch die Therapie mit Enzalutamid eine Verlängerung des metastasenfreien Überlebens von 36,6 Monaten gegenüber 14,7 Monaten und eine Verlängerung des Intervalls zu einer anderen antineoplastischen Therapie von 39,6 zu 17,7 Monaten darstellen ließ, wurde Enzalutamid im weiteren Verlauf für diese Indikation in den USA und auch Europa zugelassen. Die ENZAMET-Studie aus dem Jahr 2019 testete den Einsatz von Enzalutamid in Kombination mit einer Androgendeprivation gegen eine nicht-steroidale Androgenrezeptorblockade in Kombination mit einer ADT. Es wurde eine Verbesserung des Gesamtüberlebens, eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens sowie des klinisch progressionsfreien Überlebens durch den Einsatz von Enzalutamid dargestellt und die Zulassung für Enzalutamid in dieser Indikation ist in Deutschland beantragt worden [ 22]. Apalutamid ist ein nicht-steroidaler Androgenrezeptorblocker, der im Rahmen der SPARTAN-Studie bei Patienten mit einem nicht-metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom und einer PSA-Verdoppelungszeit unter 10 Monaten in Kombination mit einer ADT gegen Placebo in Kombination mit einer Hormonentzugstherapie untersucht wurde. Hierbei zeigte sich eine Verlängerung des metastasenfreien Überlebens von 40,5 Monaten im Vergleich zu 16,2 Monaten in der Placebogruppe sowie eine Verbesserung der sekundären Endpunkte wie progressionsfreiem Überleben und Zeit bis zur symptomatischen Progression [ 23]. In der TITAN-Studie wurde der Einsatz von Apalutamid in Kombination mit einer ADT vs. Placebo in Kombination mit der ADT bei Patienten mit metastasiertem hormonsensitiven Prostatakarzinom prospektiv randomisiert analysiert. Dabei wurde ein Vorteil in der Apalutamid-Gruppe hinsichtlich des progressionsfreiem Überlebens sowie des Gesamtüberlebens dargestellt [ 24]. Als häufigste Nebenwirkung unter Apalutamid wurden Hautausschläge und des Weiteren Hypothyreoidismus beobachtet. Apalutamid ist in Deutschland bei Patienten mit metastasiertem hormonsensitiven und bei Patienten mit nicht-metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom zugelassen. Systemtherapie Harnblasenkarzinom Carsten Ohlmann Die Systemtherapie beim Urothelkarzinom der Harnblase wird entweder in kurativer Intention perioperativ zur Zystektomie (neoadjuvant/induktiv oder adjuvant) oder als palliative Chemotherapie eingesetzt. Aktuell kommt für den perioperativen Einsatz als Systemtherapie nur die Chemotherapie in Frage, beim metastasierten Harnblasenkarzinom stehen die Chemotherapie und Immuntherapien zur Verfügung, was im Weiteren zusammengefasst wird. Entscheidend für die Auswahl der Systemtherapie ist die Frage der Eignung des Patienten für eine Cisplatin-haltige Chemotherapie, die von verschiedenen Faktoren abhängig ist (s. Abb. 2). Bei einer grenzwertigen Nierenfunktion (GFR 40–60 ml/min) besteht die Möglichkeit, die Cisplatin-Dosis auf zwei Applikationen als sog. „split-dose“ zu verteilen. Bei einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) <40 ml/min soll Cisplatin nicht mehr eingesetzt werden. Therapiealgorithmus zur Systemtherapie des Urothelkarzinoms der Harnblase ( ECOG Eastern Cooperative Oncology Group, CTCAE Common Terminology Criteria for Adverse Events of National Cancer Institute, GFR glomeruläre Filtrationsrate, NYHA New York Heart Association, PD-L1 „programmed cell death ligand 1“, PD‑1 „programmed death receptor 1“ [ 27]) × Bezüglich der Chemotherapie wird die Effektivität von Gemcitabin/Cisplatin (Gem/Cis) und Methotrexat/Vinblastin/Adriamycin/Cisplatin (MVAC) nach den Ergebnissen der van der Maase-Studie als gleichwertig angesehen [ 25]. Dabei waren das Ansprechen (49 % vs. 46 %) sowie das Gesamtüberleben (13,8 vs. 14,8 Monate) nicht signifikant unterschiedlich. Statistisch gesehen war die Studie allerdings als Überlegenheitsstudie geplant, so dass der primäre Endpunkt nicht erreicht wurde. Formal kann daher aus der Studie nicht geschlossen werden, dass Gem/Cis gleich effektiv ist wie MVAC. Dieser Aspekt wird jedoch im klinischen Alltag aufgrund des günstigeren Toxizitätsprofils vernachlässigt und Gem/Cis als Standard angesehen. Der Einsatz von Carboplatin anstelle von Cisplatin kann bei einer GFR zwischen 20–40 ml/min erfolgen, allerdings bei geringerer Effektivität. Unter Cisplatin wird eine Ansprechrate von 36–71 % erwartet im Vergleich zu 28–56 % unter Carboplatin [ 26]. Auch das Gesamtüberleben ist unter Carboplatin kürzer und liegt in den verschiedenen Studien bei 9–10 Monaten [ 27]. Alternativ zur Carboplatin-basierten Chemotherapie steht bei Patienten, die für eine Cisplatin-haltige Chemotherapie nicht in Frage kommen, eine Immuntherapie mit Pembrolizumab oder Atezolizumab zur Verfügung. Voraussetzung für den Einsatz der Immuntherapie ist jedoch, dass ein positiver PD-L1-Status vorliegt. Für das Pembrolizumab ist der positive PD-L1-Status („programmed cell death ligand 1“) als CPS („combined positive score“) von ≥10 % definiert. Für den CPS wird die Anzahl PD-L1-positiver Tumor- und Immunzellen im Tumormaterial dividiert durch die Gesamtzahl der vitalen Tumorzellen × 100. Im Gegensatz dazu wird für die Therapie mit Atezolizumab ein IC („immune cell“) von ≥5 % gefordert. Hierbei wird nur die PD-L1-Expression der tumorinfiltrierenden Immunzellen im Tumormaterial gewertet. Idealerweise werden beide Scores ermittelt, um eine freie Auswahl der Therapie zu ermöglichen. In Einzelfällen kann der Score für die eine Therapie nicht ausreichen, jedoch dann für die andere Substanz den Cut-off erfüllen. Die Analyse erfolgt immunhistochemisch und sollte von jedem Pathologen nach entsprechender Fortbildung erbracht werden können. Die Evidenz zum Erstlinieneinsatz der Immuntherapie bei Cisplatin-ungeeigneten Patienten generiert sich aus 2 Phase-II-Studien. In der IMvigor210-Studie zeigte Atezolizumab eine Ansprechrate von 23 % unabhängig von der PD-L1-Expression [ 28]. Neuere Studien belegen jedoch einen Zusammenhang der Effektivität mit der PD-L1-Expression mit einem Vorteil bei Patienten mit einer hohen PD-L1-Expression (IMvigor130; [ 29]). Für Pembrolizumab liegen Ergebnisse der KEYNOTE-052-Studie vor, die eine Ansprechrate von 24 % beschreibt [ 30]. In einer Zwischenauswertung der KEYNOTE-361-Studie als Phase-III-Studie in der First-line-Therapie wurde ein Zusammenhang zwischen der PD-L1-Expression (CPS-Score) und dem Überleben berichtet, so dass auch für Pembrolizumab die Zulassung für die hohe PD-L1-Expression eingeschränkt wurde. Im Falle eines Progresses nach erfolgter Erstlinientherapie sollte eine Immuntherapie mit Pembrolizumab erfolgen, alternativ kann Atezolizumab oder Nivolumab eingesetzt werden. Der Unterschied im Empfehlungsgrad kommt durch das Evidenzlevel zustande, da lediglich für Pembrolizumab bisher Daten aus einer Phase-III-Studie zur Verfügung stehen. In der KEYNOTE-045-Studie wurde Pembrolizumab gegenüber einer Chemotherapie (Vinflunin oder Taxane) verglichen. Hierbei zeigte sich ein Überlebensvorteil von 10,3 vs. 7,4 Monaten [ 31]. Das Ansprechen lag bei 21,1 %. Auch in dieser Studie fand sich ein Zusammenhang zwischen der PD-L1-Expression und der Effektivität, der jedoch nicht zu einer Einschränkung der Zulassung geführt hat, was u. a. auch auf das gute Toxizitätsprofil von Pembrolizumab im Vergleich zur Chemotherapie zurückzuführen ist. Für Atezolizumab und Nivolumab liegen Daten aus Phase-II-Studien vor. Atezolizumab zeigte dabei ein Ansprechen von 15 % bei einem Gesamtüberleben von 7,9 Monaten [ 28]. Nivolumab erreichte in der ChackMate-275-Studie ein Ansprechen von 19,6 % und ein Gesamtüberleben von 8,7 Monaten [ 32]. Bei einer Kontraindikation gegen eine Immuntherapie kann erneut eine Chemotherapie eingesetzt werden. Hierfür sollte Vinflunin eingesetzt werden, da es in einer Phase-III-Studie gegenüber „best supportiv care“ ein Gesamtüberlebensvorteil (OS [„overall survival“] 6,9 Monaten) bei einer Ansprechrate von 9 % gezeigt hat [ 33, 34]. Alternativ kann eine Taxan-basierte Chemotherapie erfolgen, ggf. in Kombination mit Gemcitabin. Wenn die sich unter der Erstlinienchemotherapie mit Cisplatin ein gutes Ansprechen mit einem progressionsfreien Intervall >6 Monate und guter Verträglichkeit gezeigt hat, kann auch erneut eine Cisplatin-basierte Kombinationstherapie erfolgen. Die Datenlage für die Zweitlinienchemotherapie ist bis auf die Vinflunin-Studie sehr heterogen mit geringen Evidenzleveln, so dass der Einsatz im Einzelfall anhand des Allgemeinzustands des Patienten und der zu erwartenden Effektivität und Toxizität entschieden werden sollte. Derzeit wird die Immuntherapie als Monotherapie und in Kombination in Studien perioperativ zur Zystektomie und in der Erstlinientherapie beim metastasierten Harnblasenkarzinom untersucht. Es bleibt daher abzuwarten, ob sich die alleinige Cisplatin-basierte Chemotherapie als Standardtherapie behaupten kann. Systemtherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms Christian Doehn Hintergrund Anfang 2020 stehen – außer den seit vielen Jahren bekannten Zytokinen Interferon‑α und Interleukin‑2, deren Stellenwert allerdings höchst begrenzt ist – insgesamt 14 andere Medikamente zur Therapie des fortgeschrittenen/metastasierten Nierenzellkarzinoms zur Verfügung: Tyrosinkinaseinhibitoren (Axitinib, Cabozantinib, Lenvatinib in Kombination mit Everolimus, Pazopanib, Sorafenib, Sunitinib, Tivozanib), mTOR-Inhibitoren („mechanistic target of rapamycin“: Everolimus, Temsirolimus), VEGF-Antikörper („vascular endothelial growth factor“: Bevacizumab in Kombination mit Interferon-α), PD-1-Inhibitoren (Pembrolizumab in Kombination mit Axitinib, Nivolumab in Kombination mit Ipilimumab [Erstlinie] oder allein [Zweitlinie]), PD-L1-Inhibitoren (Avelumab in Kombination mit Axitinib [Erstlinie]), CTLA-4-Inhibitoren („cytotoxic t‑lymphocyte antigen“: Ipilimumab in Kombination mit Nivolumab [Erstlinie]). Die Entscheidung für eine bestimmte Therapie richtet sich v. a. nach den Parametern Prognose (MSKCC-Score oder Motzer-Score genannt oder International Metastatic Renal Cell Carcinoma Database Consortium [IMDC], auch IMDC-Score oder Heng-Score genannt) und Therapielinie. Beim MSKCC-Score werden die Parameter Allgemeinzustand, Zeit von Diagnose bis zur Therapie (von Metastasen), Hämoglobin, Laktatdehydrogenase und korrigiertes Kalzium betrachtet und für jedes abnorme Ergebnis ein Punkt verteilt. Eine gute, intermediäre und schlechte Prognose (im Hinblick auf das OS) wird angenommen bei 0 Punkten, 1–2 Punkten bzw. ≥3 Punkten. Beim IMDC-Score werden die Parameter Allgemeinzustand, Zeit von Diagnose bis zur Therapie (von Metastasen), Hämoglobin, korrigiertes Kalzium, neutrophile Granulozyten und Thrombozyten betrachtet und für jedes abnorme Ergebnis ein Punkt verteilt. Eine gute, intermediäre und schlechte Prognose (im Hinblick auf das OS) wird angenommen bei 0 Punkten, 1–2 Punkten bzw. ≥3 Punkten. In den Studien der letzten Jahre wurden die oben genannten Scores und auch die jeweiligen Risikogruppen in unterschiedlicher Weise verwendet. Das genannte Vorgehen erschwert den Vergleich verschiedener Studien.Konkretes Vorgehen bei Patienten mit metastasiertem klarzelligen NierenzellkarzinomBei Patienten mit einem metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinom (etwa 80 % aller Patienten mit einem Nierenzellkarzinom) muss zunächst die Vorgeschichte hinsichtlich bisheriger Tumordiagnostik und Tumortherapie verstanden werden. Patientenfaktoren wie Allgemeinzustand, Alter, bestehende Medikation etc. sind ebenso wie Tumorfaktoren wie Dynamik der Erkrankung, Symptomatik, histologischer Subtyp, Metastasenlast etc. zu erheben (Abb. 3). Therapiealgorithmus zur Systemtherapie des Nierenzellkarzinoms ( NZK, IMDC International Metastatic Renal Cell Carcinoma Database Consortium, IL‑2 Interleukin-2) × Bei in situ befindlicher tumortragender Niere – heute in etwa 15 % aller Fälle zu erwarten – ist die Durchführung einer zytoreduktiven Nephrektomie zu diskutieren. Aus onkologischer Sicht ist diese Frage heutzutage zurückhaltend zu bewerten. Bei bestehender Symptomatik kann die Operation allerdings indiziert sein. Eine lokale Metastasentherapie (Operation oder perkutane Radiatio) kann bei Vorliegen einer Oligometastasierung durchaus sinnvoll sein (geschätzt <10 % aller Patienten). Erneut kann eine derartige Therapie bei Vorliegen einer Symptomatik indiziert sein.Bei der Frage nach dem Beginn einer Systemtherapie ist die Tumordynamik ein entscheidendes Kriterium. Bei fehlender oder geringer Dynamik ist durchaus ein verzögerter Therapiebeginn möglich (geschätzt <20 % aller Patienten). Wird die Indikation zum Therapiebeginn erstellt ist die Bestimmung des Heng-Scores vor dem Hintergrund einer zulassungskonformen Medikamentenauswahl essentiell und dauert bei Vorliegen der betreffenden Laborparameter <30 s.Zur Erstlinientherapie bei Patienten mit einem fortgeschrittenen und/oder metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinom und guter Prognose (etwa 20 % aller Fälle) soll nach den Empfehlungen der deutschen S3-Leitlinie (bis 05.04.2020 offene Konsultationsfassung) Pembrolizumab in Kombination mit Axitinib verwendet werden. Alternativ können Bevacizumab + Interferon‑α, Pazopanib, Sunitinib oder Tivozanib (Nennung in alphabetischer Reihenfolge) eingesetzt werden. Die Auswahl der systemischen Therapie sollte individuell anhand der zu erwartenden Effektivität, des Toxizitätsspektrums und der Komorbidität des Patienten erfolgen. Bei asymptomatischen Patienten mit günstiger Prognose kann die zielgerichtete Therapie auch erst bei nachgewiesenem Progress und fehlender lokaler Therapieoption eingeleitet werden (aktive Überwachung).Zur Erstlinientherapie bei Patienten mit einem fortgeschrittenem und/oder metastasiertem klarzelligen Nierenzellkarzinom und intermediärer bzw. schlechter Prognose (etwa 60 % bzw. 20 % aller Fälle) soll nach den Empfehlungen der deutschen S3-Leitlinie (bis 05.04.2020 offene Konsultationsfassung) Nivolumab in Kombination mit Ipilimumab oder Pembrolizumab in Kombination mit Axitinib verwendet werden [ 35]. Alternativ sollte Cabozantinib eingesetzt werden. Bei Patienten mit schlechter Prognose kann auch Temsirolimus verwendet werden. Bei asymptomatischen Patienten mit intermediärer Prognose kann die zielgerichtete Therapie auch erst bei nachgewiesenem Progress und fehlender lokaler Therapieoption eingeleitet werden (aktive Überwachung).Zur Zweitlinientherapie wird nicht mehr nach Prognosescore sondern nach der Art der Vortherapie entschieden. Nach den Empfehlungen der deutschen S3-Leitlinie zum Nierenzellkarzinom (bis 05.04.2020 offene Konsultationsfassung) ist bei Patienten mit einem fortgeschrittenem und/oder metastasiertem klarzelligen Nierenzellkarzinom nach einer CPI-basierten (Checkpoint-Inhibitor) Kombinationstherapie kein Standard etabliert [ 35]. Gleichwohl sollte bei diesen Patienten ein Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) verabreicht werden. Bei Patienten mit vorheriger alleiniger VEGF-gerichteter Therapie soll die Folgetherapie aus Cabozantinib oder Nivolumab bestehen. Eine spezifische Sequenz der Substanzen kann nicht empfohlen werden. Alternativ kann die Kombination aus Lenvatinib und Everolimus eingesetzt werden.Für eine Drittlinientherapie ist nach den Empfehlungen der deutschen S3-Leitlinie zum Nierenzellkarzinom (bis 05.04.2020 offene Konsultationsfassung) kein Standard etabliert. Die Auswahl der Systemtherapie soll die Vortherapie berücksichtigen und es sollten Substanzen gegeben werden, die in der Vortherapie nicht enthalten waren.Fazit für die PraxisDer Therapiealgorithmus für das metastasierte klarzellige Nierenzellkarzinom beinhaltet die aktive Überwachung, eine lokale Metastasentherapie und die Systemtherapie.Im Jahr 2016 waren insbesondere im Zweitlinienbereich deutliche Veränderungen zu verzeichnen. Dabei sind die neuen Substanzen Nivolumab, Cabozantinib und Lenvatinib in Kombination mit Everolimus zu nennen.Im Jahr 2017 zeigten Cabozantinib als auch die Kombination aus Nivolumab und Ipilimumab einen Vorteil gegenüber Sunitinib.Im Jahr 2019 wurden drei Kombinationstherapien (Nivolumab plus Ipilimumab, Pembrolizumab plus Axitinib sowie Avelumab plus Axitinib, jeweils gegen Sunitinib getestet) für die Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms mit intermediärer/schlechter Prognose bzw. über alle drei Prognosegruppen zugelassen. Die Kombinationstherapie stellt hierbei den neuen Standard dar.Zukünftige Aktivitäten müssen weiterhin Antworten auf die folgenden Punkte liefern: Patientenselektion, Biomarker, (bildgebende) Bewertung des Therapieansprechens und Nebenwirkungsmanagement.Die deutsche S3-Leitlinie liegt bis zum 05.04.2020 als Konsultationsfassung vor.

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