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Erschienen in: psychopraxis. neuropraxis 1/2024

Open Access 19.12.2023 | Neurologie

Künstliche Intelligenz in der Neuroonkologie

verfasst von: PD Dr. Martha Nowosielski-Krappinger, PhD

Erschienen in: psychopraxis. neuropraxis | Ausgabe 1/2024

Zusammenfassung

Künstliche Intelligenz ist in aller Munde, teilweise bemerkt, großteils jedoch unbemerkt, ist sie seit vielen Jahren Teil unseres Lebens. Die Bestrebungen, menschliche Intelligenz zu mechanisieren, bestehen schon seit den 1950er-Jahren. Erst die technischen und mathematischen Errungenschaften der letzten 20 Jahre haben die Anwendung erleichtert, sodass unterschiedliche Institutionen die künstliche Intelligenz in ihrem (Arbeits‑)Alltag nützen. Auch die Medizin bedient sich der künstlichen Intelligenz, im Folgenden exemplarisch dargestellt für neuroonkologische Erkrankungen. Als multidisziplinäres Fach müssen viele Faktoren (Bildgebung, molekulare und genetische wie auch klinische Faktoren) miteinander in Zusammenhang gebracht werden, um den Patient:innen die bestmögliche Behandlung anzubieten. Je größer der Datensatz, desto eher ist man auf eine computerbasierte Unterstützung in Form von künstlicher Intelligenz angewiesen. Wie künstliche Intelligenz funktioniert und in welchen Bereichen sie in der Neuroonkologie Anwendung findet, wird im folgenden Artikel beleuchtet.
Hinweise
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Künstliche Intelligenz (KI) ist spätestens seit ChatGPT (OpenAI, 2022) in aller Munde. Und wenn sich dann auch Hollywood mit dem Thema auseinandersetzt, dann weiß man, dass es in der breiten Bevölkerung angekommen ist. Doch künstliche Intelligenz begleitet uns schon lange, teilweise auch unbemerkt im Hintergrund. Den Grundstein für das Fachgebiet der Künstlichen Intelligenz legte der britische Mathematiker Alan Turing im Jahr 1936. Turing bewies, dass eine Rechenmaschine – eine sogenannte „Turingmaschine“ – in der Lage ist, kognitive Prozesse auszuführen. Heute nutzt zum Beispiel die Finanzbranche KI zur Betrugserkennung. Regierungen und Behörden nutzen KI-Techniken, wie automatische Gesichtserkennung, zur Überwachung. Auch in Videospielen oder der Werbebranche kommt KI zum Einsatz.
Was ist denn nun künstliche Intelligenz? Einfach gesagt ist es die Bestrebung, menschliche Intelligenz zu mechanisieren. Als künstliche Intelligenz wird somit jegliche Arbeit bezeichnet, die von einem Computer durchgeführt wird, die normalerweise durch den Menschen gemacht wird. Durch die technischen Errungenschaften mit Schaffung großer Rechenkapazitäten zusammen mit den mathematischen Entwicklungen ist dieses Feld in den letzten 20 Jahren enorm gewachsen.

Machine learning: supervised learning und unsupervised learning

Es gibt unterschiedliche Arten der KI (Abb. 1). Eine Untergruppe der KI bezeichnet das maschinelle Lernen (engl. „machine learning“). Hier wiederum gibt es zwei prinzipielle Ansätze, das „supervised learning“ und das „unsupervised learning“. Beim „supervised learning“ wird dem Computer ein spezieller Datensatz präsentiert und mittels spezieller mathematischer Algorithmen „lernt“ dieser aus den Daten und erkennt Gesetzmäßigkeiten (Training) und kann diese dann auf neue unbekannte Daten umlegen (Validierung), z. B. lineare Regression, „support vektor machines“, „random forest analyse“, „decision trees“. Beim „unsupervised learning“ findet der Computer Zusammenhänge in großen Datenmengen, ohne festzulegen wonach gesucht werden soll (Clusteranalyse) [1].

Deep Learning

„Deep Learning“ – wiederum eine Untergruppe des maschinellen Lernens – entstand aus der Idee heraus, den visuellen Kortex des Menschen nachzuahmen. Im Gehirn entstehen aus einzelnen Linien und Formen durch Interaktion unterschiedlicher Ebenen ganze Objekte und auch im „deep learning“ sind unterschiedliche Ebenen miteinander durch künstliche Netzwerke (sog. „artificial neuronal networks“) miteinander verbunden. Durch einen sog. „backpropagation“ Algorithmus kann das System selbstständig einen Schritt zurückgehen und eine Erkenntnis, die es gewonnen hat, auf die niedrigeren und intermediären Ebenen anwenden, um das Ergebnis am Ende zu verbessern.
KI ist vor allem in Bereichen mit digitalisierten Datensätzen weit verbreitet
Wie kommen diese Methoden nun in der Neuroonkologie zur Anwendung? KI ist vor allem in Bereichen mit digitalisierten Datensätzen weit verbreitet, an erster Stelle steht hier die Bildgebung, doch auch die Pathologie wird zunehmend digitalisiert und auch aus elektronischen Patientendaten werden zunehmend mittels KI basierter Technologien Analysen durchgeführt.

KI und Bildgebung

Sei es bei neuroonkologischen Kongressen, allgemein radiologischen oder spezialisierten neuroradiologischen Tagungen – das Schlagwort, unter dem alle neuen KI-basierten Entwicklungen im Bereich der Bildgebung zusammengefasst werden können, nennt sich „radiomics“. Das Suffix „omics“, aus dem Griechischen kommend, beschäftigt sich mit der Analyse der Gesamtheiten ähnlicher Einzelelemente. In der Neuroonkologie ist der „golden standard“ der Bildgebung für eine Vielzahl an Fragestellungen die Magnetresonanztomographie (MRT).
Mittels „radiomics“ werden Grauwerte aus einzelnen Voxel analysiert und statistisch zueinander in Beziehung gesetzt
Der Radiologe, die Radiologin betrachtet und befundet anschließend anatomische Strukturen, Verläufe von Faserbahnen und erkennt Pathologien und Veränderungen, die das „Gesamtbild“ betreffen. Mittels „radiomics“ werden die einzelnen Voxel im Bild und deren Grauwerte (welcher der Radiologie/die Radiologin mit bloßem Auge gar nicht erkennen könnte) analysiert und die statistische Verteilung der Grauwerte wird mittels unterschiedlicher Berechnungen erfasst (diese umfassen Mittelwert und Median, jedoch auch Texturanalyse und z. B. die Fourier’sche Transformation). Diese großen Datenmengen werden anschließend gebündelt, in Datenbanken eingespeist und es wird versucht, diese bildgebenden Daten mit klinischen Parametern und molekularen Markern in Zusammenhang zu bringen, mit dem Ziel, spezifische „Muster“ zu identifizieren. Hier kommen die eingangs erwähnten mathematischen Methoden aus dem Kreise des „machine learnings“ und „deep learnings“ zum Tragen.

ANN-Volumetrie

Hierzu ein spannendes Beispiel aus der Literatur. Kickingereder et al. [2] präsentierte in einer Arbeit, welche in der renommierten Zeitschrift Lancet Oncology vorgestellt wurde, ein Beispiel für „deep learning“ und „artifical neuronal network (ANN)“. In einer retrospektiven Studie wurde ein ANN trainiert, den kontrastmittelaufnehmenden Anteil eines Tumors und die umgebende T2-Signalpathologie zu volumetrieren. Dies konnte einerseits in einer Kohorte (n = 455) an primären Glioblastompatient:innen des Universitätsklinikum Heidelberg, aber auch an einer großen Studienkohorte der EORTC26101-Studie mit rezidivierten Glioblastomen (n = 532, 2034 MRI-Untersuchungen im Verlauf) durchgeführt werden. Zuerst wurden alle Volumina „händisch“ durch den/die Radiologen/in ausgemessen. Anhand dieser Messungen wurde anschließend das ANN trainiert. In weiterer Folge wurde die gesamte Kohorte noch einmal automatisiert durch das ANN volumetriert. Ein Parameter, der darüber Auskunft gibt, wie gut zwei Volumina bzw. „Segmentierungen“ zusammenpassen, ist der „Dice-Koeffizient“. „O“ bedeutet keine Überlappung der Volumina, „1“ ist die bestmögliche Überlappung. Die ANN konnte für beide Volumina (kontrastmittelaufnehmender Anteil und T2-Signalpathologie) einen sehr guten „Dice-Koeffizient“ zwischen 0,89 bzw. 0,93, erzielen.
Interessanterweise konnte auch gezeigt werden, dass die automatisierte Ermittlung eines Tumorprogresses durch eben jene ANN-Volumetrie besser mit dem Überleben assoziiert war als die händische Volumetrie bzw. die 2‑D-Messung des kontrastmittelaufnehmenden Tumoranteils anhand der etablierten radiologischen Kriterien (RANO-Kriterien). Die ANN-Volumetrie diente in dieser Studie somit als besserer Surrogatendpunkt für das Überleben als der zentrale Review – eine richtungweisende Studie, die hoffentlich in Zukunft auch in der klinischen Routine den/die Radiologen/in bei der radiologischen Verlaufsbeurteilung unterstützen wird.
Zu einem weiteren Beispiel für „deep learning“ in der Neuroonkologie und Bildgebung zählt die Detektion von Hirnmetastasen. Die Befundung von Hirnmetastasen ist von entscheidender prognostischer und therapeutischer Relevanz für Patient:innen mit unterschiedlichen Primärtumoren. Zeitgleich ist es für Radiolog:innen mit einem großen Arbeitsaufwand verbunden, betrachtet man die zunehmende Anzahl an durchgeführten Untersuchungen, Dünnschicht MRTs und längeren Patientenüberlebenszeiten. Hier konnte in einer Studie mittels Deep-Learning-Methoden die Detektionsrate von Hirnmetastasen mit einer Größe von > 6 mm auf 98 % gesteigert werden, bei niedriger falsch positiver Detektionsrate [3]. In einer eigenen Arbeit konnte bei Patient:innen(n = 85) mit singulären Hirnmetastasen und unterschiedlichen Primärtumoren mittels „radiomics“ die Vorhersage des Überlebens zusätzlich zu den etablierten klinischen Faktoren verbessert werden [4]. Zwei interessante Beispiele, wie KI in Zukunft die Neuroonkologie unterstützen könnte.
Deep Learning steigert die Detektionsrate von Hirnmetastasen
Die automatisierte Bildanalyse ist derzeit noch sehr zeitaufwendig und hat bis zum klinischen Routineeinsatz noch viele Hürden zu überwinden. Unterschiedliche MRT-Scanner, kleine Patientenkohorten und ein aufwendiges heutzutage oftmals noch händisch durchgeführtes „Post-Processing“ stehen hier an erster Stelle. Trotz aller Hürden sind die Entwicklungen auf diesem Gebiet unaufhaltsam im Vormarsch und werden in Zukunft zur besseren Diagnose, Prognoseabschätzung und auch Therapieentscheidung neuroonkologischer Patient:innen herangezogen werden.

KI und digitale Pathologie

Eine korrekte neuropathologische Diagnostik ermöglicht eine bessere Abschätzung des Überlebens und ist die Grundlage zur Planung der optimalen weiteren Therapie. Nach erfolgter Gewebegewinnung durch den Neurochirurgen/die Neurochirurgin gelangt das Gewebe in die Neuropathologie und wird dort aufbereitet. Mittels unterschiedlicher Färbungen, Mikroskopie und molekulargenetischer Untersuchungen wird anschließend eine integrierte neuropathologische Diagnose analog der 5. Edition der WHO-Kriterien 2021 erstellt – ein Prozess, der oft zwischen 10 bis 14 Tage dauert. Kürzlich konnte in der renommierten Zeitschrift Nature Medicine [5] eine neue KI-basierte Methode zur Gewebeklassifizierung vorgestellt werden, die bereits im OP-Saal zur Anwendung kommt. Mittels „stimulierter Raman-Histologie“ kann direkt im Operationssaal ein digitaler Gewebeschnitt erstellt werden, der nach nur wenigen Minuten aufgerufen und befundet werden kann. In einer wissenschaftlichen Studie an der MedUni Wien konnte eine Übereinstimmung der digitalen Histologie mit dem konventionellen Schnellschnitt von 99 % gezeigt werden [6]. In einer multizentrischen Studie, die mittels „machine learning“ auf histologische Eigenschaften von über 2 Mio. Bilddatensätzen zurückgreift, konnten zu über 93 % auch bestimmte genetische Tumormerkmale innerhalb weniger Minuten erkannt werden. Diese genetischen Tumormerkmale spielen bei der Einschätzung und Behandlung von Gehirntumoren heutzutage eine entscheidende Rolle. Anhand dieser Informationen könnten man in Zukunft so die weitere OP planen bzw. nachgeschaltete Therapien früher zur Anwendung bringen.
Dies sind nur einige wenige Beispiele wie KI in Zukunft die Neuroonkologie beeinflussen wird. Randomisierte kontrollierte (multizentrische) Studien mit einer ausreichend großen Patientenanzahl sind jedoch noch zur Evaluierung dieser neuen Methoden notwendig, um in Zukunft als unterstützendendes Werkzeug dem Behandler/der Behandlerin (zur Therapieentscheidung), dem Radiologen/der Radiologin (zur Befundung), dem Operateur/der Operateurin (zur OP-Planung/-Unterstützung) zur Hand zu gehen.

Fazit für die Praxis

  • Künstliche Intelligenz ist bereits jetzt essenzieller Bestandteil unserer Gesellschaft und begegnet uns in unterschiedlichen Lebensbereichen wie auch der Medizin.
  • Maschinelles Lernen kann in „supervised“ und „unsupervised learning“ unterteilt werden.
  • Tiefes Lernen (sog. „deep learning“) ist dem visuellen Kortex des Menschen nachgeahmt und bedient sich unterschiedlicher Ebenen und Netzwerke.
  • „Radiomics“ beschreibt eine computerunterstütze Bildanalyse, bei der Grauwerte aus einzelnen Voxeln extrahiert, statistisch analysiert und mit klinischen, molekularen und genetischen Daten in Zusammenhang gebracht werden.
  • Digitale Pathologie beschäftigt sich mit der Informationsgewinnung auf Basis digitalisierter Objektträger.
  • Randomisierte kontrollierte (multizentrische) Studien sind jedoch noch zur Evaluierung dieser neuen KI-basierten Methoden notwendig.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Nowosielski-Krappinger gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
Metadaten
Titel
Künstliche Intelligenz in der Neuroonkologie
verfasst von
PD Dr. Martha Nowosielski-Krappinger, PhD
Publikationsdatum
19.12.2023
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
psychopraxis. neuropraxis / Ausgabe 1/2024
Print ISSN: 2197-9707
Elektronische ISSN: 2197-9715
DOI
https://doi.org/10.1007/s00739-023-00967-0

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