Open Access 01.08.2023 | Freies Thema
Interprofessionelle therapeutische Palliativversorgung auf der Intensivstation
Erschienen in: Anästhesie Nachrichten | Ausgabe 4/2023
Anhand eines fiktiven Fallbeispiels sollen die Möglichkeiten therapeutischer Palliativversorgung auf einer Intensivstation skizziert werden. Der Aufbau orientiert sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). Anhand der Ebenen Körperfunktion und -struktur, Aktivitäten, Partizipation und Umwelt werden die Tätigkeitsbereiche ausgewählter therapeutischer Berufe beschrieben.
Palliative Care bezeichnet nach der Definition der World Health Organisation (WHO) die umfassende, begleitende Versorgung von Patient:innen mit lebensverkürzenden oder lebensbedrohenden Erkrankungen. Eine palliative Versorgung unterliegt dabei keiner zeitlichen Einschränkung auf die reine Begleitung des Sterbeprozesses oder die Betreuung am Ende des Lebens im Sinne der „end-of-life care“, sondern sollte ab Diagnosestellung einer lebensverkürzenden Erkrankung Anwendung finden [1]. Sie beinhaltet neben der frühzeitigen Auseinandersetzung mit den Wünschen der betroffenen Patient:innen hinsichtlich ihres Sterbens auch die Begleitung der Angehörigen während und nach dem Ableben und wurde im Rahmen einer Überarbeitung durch die International Association for Hospice and Palliative Care (IAHPC) auch auf die Versorgung von Patient:innen mit schweren chronischen Erkrankungen ausgedehnt [2]. Beide Definitionen beinhalten neben der medizinischen Versorgung auch die psychologische und spirituelle Komponente des Leidens und dessen Versorgung im Sinne des Total Pain Konzepts nach Dame Cicely Saunders [3‐5].
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Gerade die nicht rein körperlichen Domänen des Leidens können mithilfe der begleitenden Betreuung durch therapeutische Berufsgruppen in Ergänzung zur Medizin und Gesundheits- und Krankenpflege in einem hohen Maße mitversorgt werden. Hierzu zählen die Berufsgruppen des Medizinisch-Technischen Dienstes (MTD) – namentlich die Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie – sowie außerdem die medizinische Heilmassage sowie die Musiktherapie. Im Sinne der höchstmöglichen Wahrung von Würde und Autonomie kann bereits im Zuge der Versorgung von Patient:innen auf Intensivstationen der palliative Gedanke durch ergo-, physio- oder musiktherapeutische Intervention Anwendung finden.
Das auf Basis umfassender Evidenz entwickelte ABCDEF-Bundle bietet heute einen spezifischen Leitfaden für die ganzheitliche Behandlung von Patient:innen auf Intensivstationen. Dieses ABCDEF-Bundle, von adäquater Analgesie (A) über frühzeitige Mobilisation (E) bis zur Integration von Familien sowie An- und Zugehörigen in das Behandlungskonzept (F), hebt auch den Stellenwert der oben genannten therapeutischen Berufsgruppen in der Intensivmedizin hervor [6].
Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) vertritt einen primär ressourcenorientierten Ansatz und beschreibt die Folgen von Krankheiten in Bezug auf Körperfunktionen/Körperstrukturen, Aktivitäten und Partizipation (Teilhabe) unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren eines Menschen [7]. Im Rahmen therapeutischer Interventionen können anhand der ICF mittels eines Top-Down-Vorgehens patient:innenzentriert Ziele definiert werden, die relevant für die jeweilige Lebenswelt und die maximale Partizipation im Sinne von Alltagsteilhabe sind. Von diesen Zielen lassen sich dafür notwendige Aktivitäten und die zugrundeliegenden Funktionen und Strukturen, an denen gearbeitet werden muss, ableiten. Die Definition des Patient:innenwunsches als „Goal of Care“ ist gerade in der Palliativversorgung als handlungsleitend für das therapeutische Vorgehen zu verstehen (Abb. 1).
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Im Fokus der Therapien stehen oft nicht nur die betroffenen, schwerkranken Personen, sondern auch Angehörige und Freund:innen. Das der ICF zugrundeliegende biopsychosoziale Modell ermöglicht, dass alle Lebensbereiche und Personen, die zum Wohlbefinden der Betroffenen beitragen, in den Therapieprozess einbezogen und berücksichtigt werden. Ein therapeutisches Vorgehen nach der ICF kann daher zu einer hohen Compliance der Patient:innen in der Palliative Care führen. Bei einer konsequenten Umsetzung der ICF im therapeutischen Prozess, beginnend bei der Befunderhebung bis hin zum Abschlussbericht, fühlen sich die Betroffenen mit ihren Wünschen und Problemen besser verstanden und unterstützt. Schlussendlich kann auch das therapeutische Handeln im multiprofessionellen Team nachvollzogen werden und Maßnahmen können besser aufeinander abgestimmt werden.
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Im Folgenden soll im Rahmen eines fiktiven Fallbeispiels eine mögliche multiprofessionelle Palliativversorgung auf einer Intensivstation auf Basis der ICF exemplarisch dargestellt werden. Den Autor:innen ist bewusst, dass weder die Rahmenbedingungen noch die Arbeitsabläufe überall gleich sind, und es soll an dieser Stelle betont werden, dass es sich hier keinesfalls um eine tatsächliche Handlungsempfehlung handelt. Vielmehr sollen Möglichkeiten der erweiterten Versorgung von Palliativpatient:innen im Intensivsetting aufgezeigt und diskutiert werden. Anhand der ICF-Ebenen Körperfunktion und -struktur, Aktivitäten, Partizipation und Umwelt werden die Tätigkeitsbereiche ausgewählter therapeutischer Berufe beschrieben.
Ein 71-jähriger Patient wird aufgrund einer akuten Hyperkapnie bei Exazerbation seiner vorbekannten chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) mit dem Schweregrad GOLD 4/E (ICD-11: akute hyperkapnische respiratorische Insuffizienz, CA22.0&XS50 – CB41.0) auf der Intensivstation einer großen Klinik aufgenommen. Vom Notarzt wurde er vor dem Transport intubiert, nach Stabilisierung auf der Station extubiert und auf eine nichtinvasive Beatmung umgestellt. Das Pflegepersonal ist palliativ geschult, auch auf ärztlicher Seite gibt es hohe Kompetenz in Palliative Care. Die Klinik ist personell optimal ausgestattet und verfügt über ein klinikinternes mobiles therapeutisches Palliativteam, das von der Intensivstation bei Aufnahme des Patienten parallel zur medizinischen und pflegerischen Erstversorgung angefordert wird. Die aktuelle medizinische Versorgung des Patienten umfasst eine nichtinvasive Beatmung (NIV) mittels oronasaler Maske sowie einen zentralen Venenzugang und eine Nasogastralsonde. Der Patient erhält antibiotische Therapie und Bronchodilatation.
Der Patient möchte laut Angaben der Familie keinesfalls erneut intubiert oder tracheotomiert werden. Es besteht außerdem der große Wunsch seitens des Patienten und seiner Familie, wieder nach Hause entlassen werden zu können, wo er gut sozial eingebettet ist. Es ist ihm wichtig, dass er sich bei der Morgenhygiene wieder selbstständig waschen kann.
Ausgehend von dieser Situation sollen nun Möglichkeiten geschildert werden, wie die zuvor erwähnten therapeutischen Berufsgruppen anhand des ICF-Schemas optimal in eine umfassende Palliativversorgung des dargestellten Patientenfalls eingebunden werden können.
In der Beurteilung der Mobilität zeigt sich der Patient teilweise selbstständig. Er kann sich im Bett selbstständig drehen und in den Querbettsitz aufsetzen. Mit einem Rollmobil kann er außerdem selbstständig aufstehen, ein freier Stand ist für weniger als eine Minute möglich. Ein unterstützter Stand mit Anhalten ist für einige Minuten möglich. Der Patient kann mit Rollmobil kurze Strecken in Begleitung gehen, für längere Strecken braucht er einen Rollstuhl. Sowohl einen tiefen als auch hohen Transfer in den Rollstuhl kann er selbstständig durchführen. Ohne Begleitung besteht jedoch ein erhöhtes Sturzrisiko beim Gang mit dem Rollmobil, da der Patient unsicher und ängstlich im Handling ist.
Es bestehen keine Einschränkungen in den Bereichen Orientierung und Gedächtnis, jedoch zeigt der Patient eine reduzierte Aufmerksamkeit und Konzentration bis hin zu leichten Verwirrtheitszuständen bei kognitiver sowie körperlicher Belastung von über 20 min, die sich durch gezielte Pausensetzung während der Therapie schnell bessern.
Die verbale Kommunikation ist durch den sehr heiseren und leisen Stimmklang infolge der Intubation erschwert. Als erstes Hilfsangebot wird dem Patienten eine kompakte Kommunikationsmappe ausgehändigt. Diese wurde gemeinsam mit ihm und seinen Angehörigen hinsichtlich seiner persönlichen Themenschwerpunkte erstellt und das Bildmaterial dementsprechend ausgewählt. Mithilfe der Mappe ist der Patient in der Lage, Grundbedürfnisse auch nonverbal klar zu äußern, indem er das entsprechende Bild antippt.
Im Rahmen der logopädischen klinischen Beurteilung der Schluckfunktion werden eine herabgesetzte Sensibilität und eingeschränkte Schutzfunktionen bei Aspiration von Nahrung beobachtet. Dieses Bild lässt auf eine Postextubationsdysphagie schließen, die allerdings instrumentell mittels einer fiberendoskopischen Schluckuntersuchung (FEES) evaluiert werden muss, um eine klare Diagnose stellen zu können. Die Sensibilität im Mundraum ist aufgrund der Xerostomie infolge der Beatmung herabgesetzt, die Kaufunktion eingeschränkt, da die vorhandenen Zahnprothesen nicht getragen werden. Die logopädische Therapie konzentriert sich vorerst auf Sekretmanagement, therapeutische Mundpflege, Techniken zur Verbesserung der intraoralen Sensibilität sowie das Erarbeiten von Schluckmanövern zur Sicherung der Atemwege während des Schluckens.
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Die Musiktherapeutin klärt im Erstgespräch mit dem Patienten das akute Vorhandensein von körperlichen Einschränkungen, Beklemmungsgefühlen und Atemnot sowie psychischer Belastung ab. Ebenso werden musikalische Vorlieben und allgemeine Ressourcen des Patienten besprochen.
Manuelle Heilmassage am Rücken bzw. im Bereich des Schultergürtels zur Spannungsreduktion der Atemhilfsmuskulatur bietet gleich nach der täglichen Körperpflege eine gute Vorbereitung für aktive Therapieeinheiten. An Tagen, an denen der Patient über verminderten Stuhlgang berichtet, wird eine sanfte manuelle Bauch- bzw. Kolonbehandlung zur Lösung von Spasmen im Magen-Darm-Trakt bzw. zur Unterstützung der Zwerchfellatmung durchgeführt. Sanfte Thorax-Klopfmassagen dienen nicht nur der Lockerung der verspannten Muskulatur, sondern können auch muskuläre Schmerzen in diesem Bereich reduzieren, die durch die ungewohnte Haltung beim Gehen mit dem Rollmobil entstanden sind. Mittels sanfter eventuell flächiger Bindegewebsmassage wird bronchospasmolytisch über den kutiviszeralen Reflex eingewirkt und so das Beklemmungsgefühl reduziert [8].
Im ergotherapeutischen Erstgespräch wird darauf geachtet, sowohl bestehende Einschränkungen als auch Ressourcen im Stationsalltag zu erfassen und Wünsche sowie Ziele des Patienten in der Therapieplanung zu berücksichtigen. Da der Patient das Ziel geäußert hat, sich selbstständig waschen zu können, wird ein besonderer Fokus auf kognitive sowie motorische Funktionen gesetzt, die als Voraussetzung für die Umsetzung der bedeutungsvollen Alltagsaktivität erforderlich sind (z. B. Handlungsplanung, Kraft, Ausdauer, Belastbarkeit in Bezug auf das gesetzte Ziel).
Die Physiotherapie beurteilt im Rahmen des initialen Assessments die Atemfunktion des Patienten (Dyspnoe, Sekret, Husten) sowie Muskelkraft und Mobilität. Hierfür stehen umfangreiche Assessment-Tools wie MRC-Sum-Score (Muskelkraft) oder ICU Mobility Scale (Mobilität) zur Verfügung. Zusätzlich werden gemeinsam mit dem Patienten Therapieziele und Ansätze auf z. B. Basis des Chelsea Critical Care Physical Assessment Tools (CPAx) definiert. Physiotherapeut:innen erklären dem Patienten Techniken zur Atemerleichterung durch Positionierung und Atemschulung. Zusätzlich werden Sekretmobilisationstechniken instruiert. Die Muskulatur wird durch Kräftigungsübungen, z. B. mit einem Theraband, gestärkt. Da der Patient zu starker Belastungsdyspnoe neigt, werden die Kräftigungsübungen unter nichtinvasiver Beatmung durchgeführt. Hierdurch wird dem Patienten Atemarbeit abgenommen, wodurch er weniger schnell wegen Dyspnoe pausieren muss. Zusätzlich wird beim Training der Fokus auf einzelne Muskelgruppen gelegt, um einen Trainingseffekt auf die lokale Muskulatur zu erzielen, ohne den Patienten kardiorespiratorisch zu erschöpfen. Als Selbsteinschätzungsparameter empfiehlt es sich, dem Patienten die Borg-Skala zu erklären, um Überlastungen frühzeitig erkennen zu können. Zusätzlich kann elektrische Muskelstimulation einen unterstützenden Effekt auf die Muskulatur erzielen [9]. Eine spezielle Form der Elektrotherapie, die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), wird vom St. Christopher’s Hospice in London auch an Akupunkturpunkten paravertebral des dritten Brustwirbelkörpers (BWK 3), 20 min im Burst-Modus, als supportive Maßnahme beim Dyspnoe- und Angstmanagement empfohlen [10]. Dies hat den Vorteil, dass die Anwendung auch im häuslichen Umfeld sehr einfach gestaltet werden kann.
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Im Rahmen der diätologischen Betreuung wird das Thema Ernährung besprochen, da dies sowohl für den Patienten als auch für die Angehörigen von großer Bedeutung ist. Essen und Trinken ist nicht nur wichtig für die Deckung des Kalorien- und Nährstoffbedarfes, sondern auch ein wichtiges Grundbedürfnis und sollte sich an den Bedürfnissen und Wünschen des Schwerkranken orientieren. Jegliche Ernährungstherapieansätze werden nur mit Zustimmung des Patienten und im Einklang mit seiner persönlichen Lebensqualität durchgeführt. Das oberste Ziel in der palliativen Situation ist die Erhaltung der Lebensqualität. Die Vorlieben des Patienten werden mitberücksichtigt und die Speisen nach Rücksprache mit der Logopädie in der richtigen Konsistenz ausgewählt bzw. zubereitet. Um die situationsangepasste Energie- und Nährstoffzufuhr zu decken, wird die Kost, soweit möglich, mit Eiweißpulver und Kalorien (Schlagobers, Butter …) angereichert. Zusätzlich wird eine hochkalorische, eiweißreiche Trinknahrung eingesetzt, um eine adäquate Ernährung zu erzielen. Ist es vom Patienten erwünscht und ist eine orale Zufuhr nur begrenzt möglich, kann sowohl zeitlich begrenzt wie auch dauerhaft ergänzend eine enterale Ernährung gegeben werden.
Die Nahrungsaufnahme ist aufgrund der Postextubationsdysphagie sowie der Xerostomie beeinträchtigt. Sowohl die orale Vorbereitungsphase als auch die pharyngeale Phase sind eingeschränkt, der Patient hat Schwierigkeiten beim Kauen und Aufbereiten von Boli aller Konsistenzen außer flüssig und breiig. Logopädisch-therapeutische Mundpflege, intraorale Stimulation, das Motivieren zum Tragen der Zahnprothesen sowie gezielte Manöver zum Glottisschluss und der Optimierung der Atem-Schluck-Koordination werden eingesetzt, um eine bedarfsdeckende, sichere orale Ernährung zu ermöglichen.
Es besteht eine eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit bei Hintergrundgeräuschen, Bedürfnisse und Gedanken können jedoch bei ruhiger Gesprächssituation klar verständlich geäußert werden. Es erfolgt bereits auf der Intensivstation ein Beratungsgespräch im Beisein der Logopädie, bei dem die funktionellen Auswirkungen auf die Aktivitäten der Nahrungsaufnahme sowie der Kommunikation bei einer in Zukunft möglichen Tracheotomie erklärt werden. Außerdem werden Hilfsmittel wie einfache Hörverstärker vorgestellt, um schnelle Abhilfe bei dringenden Äußerungswünschen zu schaffen. Im Rahmen der logopädischen Therapie wird direkt an der Stimmfunktion gearbeitet, um eine unangestrengte Kommunikation zu ermöglichen. Gerade im Rahmen der emotional belastenden Gespräche zu den Vorstellungen des eigenen Todes soll das Sprechen selbst so wenig anstrengend wie möglich sein.
Im Rahmen der Ergotherapie wird anhand von Alltagsaktivitäten (Duschen, Anziehen/Ausziehen, …) schrittweise die Belastbarkeit des Patienten gesteigert. Dabei wird das übergeordnete Ziel verfolgt, dass der Patient entsprechend seinem Wunsch zuhause wieder selbstständig duschen kann. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Gestaltung von erforderlichen Pausen und auf der Wahrnehmung von Grenzen der Belastbarkeit. Der Patient soll lernen, seine Ressourcen bei der Aktivität sinnvoll einzusetzen und keine Risiken einzugehen. Erfolgserlebnisse motivieren den Patienten für weitere therapeutische Schritte. Die Ergotherapie wird am Morgen eingeplant, um das Thema Körperhygiene direkt aufzugreifen, und nimmt sich dafür, je nach Belastbarkeit des Patienten, zwischen 30 bis 60 min Zeit. Die schwankende Belastbarkeit erfordert eine von der Tagesverfassung abhängigen Graduierung und Modifizierung der entsprechenden Alltagsaktivität Körperhygiene. Im Therapieverlauf wird darauf geachtet, von wenigen Teilschritten der Aktivität (Gesicht waschen) auf die gesamte Handlung überzugehen (eigenständig duschen).
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Die Musiktherapeutin besucht den Patienten täglich zu kurzen ca. 10- bis 15-minütigen Stimmübungssequenzen, die der Steigerung der respiratorischen Belastbarkeit dienen. Beim Patienten beliebte Lieder werden herangezogen und gemeinsam von der Musiktherapeutin und dem Patienten gesummt mit Gitarrenbegleitung seitens der Therapeutin. Die genannte Übung soll auch regelmäßig selbstständig durchgeführt werden.
Zur Förderung der Motivation und Leistungsfähigkeit nimmt die Musiktherapeutin auch an den Mobilisationseinheiten des Patienten teil. Hierzu wird neben den Mobilisationsübungen mit den Physiotherapeut:innen bedeutungsvolle und anregende Musik des Patienten abgespielt. Damit kann der emotionale Zustand des Patienten und folglich dessen Aktivität verbessert werden. Im Rahmen des Aufenthalts führt die Musiktherapeutin auf Wunsch des Patienten einmalig ein Entlastungsgespräch durch, in dem der Patient von Beklemmungsgefühlen und Ängsten berichtet. Im Anschluss folgt eine musikalische Entspannungsintervention zur Beruhigung mittels meditativer Harfenmusik.
Nach den aktiven Therapieeinheiten ist die dämpfende Wirkung auf das sympathische Nervensystem durch manuelle Lymphdrainage ein guter Abschluss, um die allgemeine Unruhe zu reduzieren und dem Patienten zu einem entspannten Schlaf zu verhelfen [11].
Neben der oben genannten Möglichkeit wird auch noch abgeklärt, in welcher Form hydro- und thermotherapeutische Verfahren möglich sind [12]. Eine kalte Kompresse (in Eiswasser getauchtes weiches Tuch) auf das Gesicht gelegt, kann zu einer Senkung der Herzfrequenz beitragen [10]. Ob feuchte, warme Wickel, feuchte Waschungen oder eine heiße Rolle für den Patienten noch angenehm sind und als lindernd empfunden werden, wird ebenso besprochen, wie mit der Gattin anregende oder beruhigende Öle aus der Aromapflege für den Gebrauch zu Hause. Eine rhythmische Einreibung kann nicht nur atemstimulierend sein, sondern dem Patienten auch Ruhe, Geborgenheit, Entspannung und Sicherheit bringen und ihm helfen, sich während einer starken Dyspnoe auf die Kontaktatmung einzulassen, was auch von den Angehörigen für zu Hause Unterstützung bietet [13].
Das Ansetzen von Klangschalen am Körper oder das Anschlagen der Schalen im Raum trägt vor und während der passiven Therapie zur Förderung der Entspannung und Reduzierung von Angst, Unruhe und Beklemmungsgefühlen bei – gerade bei den oft irritierenden Geräuschen, die auf der Intensivstation wahrgenommen werden. Somit kann auch die spirituelle Ebene erreicht werden, was einen besonders achtsamen Umgang des/der Therapeut:in erforderlich macht [14].
Der Patient verbringt seinen Lebensalltag gemeinsam mit der ebenfalls pensionierten Gattin. Die beiden verbindet eine große Leidenschaft für die Oper, die sie ungefähr einmal im Monat besuchen. Außerdem unternahmen sie bisher mehrmals wöchentlich Spaziergänge von mindestens 30 min, während derer sie nach Aussage der Gattin „über alles sprechen“. Eine weitere Freizeitaktivität ist die gemeinsame Gartenarbeit. Im Rahmen der Hausarbeit besteht eine relativ klar abgegrenzte Zuständigkeit, wobei die Führung des Haushalts bei der Gattin liegt und der Patient sich bisher um Reparaturen an Haus und Garten sowie das Auto gekümmert hat. Er pflegte zusätzlich einen monatlichen Stammtisch mit Freunden und Verwandten. Es besteht wöchentlicher Kontakt mit den drei erwachsenen Kindern.
Im Zuge des Entlassungsmanagements wird mit der Gattin eine Schulung von Griffen einer sanfte Thorax-Klopfmassage zur Lockerung der verspannten Muskulatur geübt, um für gemeinsame Spaziergänge die Atmung zu unterstützen und muskuläre Schmerzen in diesem Bereich zu reduzieren [8]. Während dieser Angehörigenschulung findet durch Physiotherapeut:innen auch eine Schulung zum Umgang mit der Atemnot (z. B. atemerleichternde Stellungen, Sekretmanagement, Einsatz von Ventilatoren, Sauerstoffhandling, …) und den inhalativen Medikamenten statt. Vor allem die Verwendung von entsprechenden Hilfsmitteln (z. B. Holding Chamber) wird hier erörtert. Auch sollten Adressen weitergegeben werden, die den Zugehörigen und dem Patienten im häuslichen Umfeld weiterführende Therapie und Unterstützung anbieten können. Eine Liste mit qualifizierten Atemphysiotherapeut:innen findet sich auf der Website der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie [15].
Neben dem ergotherapeutischen Training zu Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL), u. a. Schuhe binden, duschen oder Toilettengang, ist aufgrund der reduzierten respiratorischen Belastbarkeit des Patienten das Fatigue-Management von großer Bedeutung. Anhand von Energieprofilen kann der individuelle Tagesablauf der Person ressourcenschonend geplant, gestaltet und adaptiert werden. Dies sind wesentliche Aspekte für die Versorgung im häuslichen Umfeld [16].
Der Patient bezeichnet sich selbst als Genuss- und Lebensmensch und definiert den engen Kontakt mit seiner Familie als zentrales Element seiner Lebensqualität. Er möchte wieder bei gemeinsamen Familienessen „alles mitessen können“ sowie mit angebrachter Lautstärke mitsprechen können.
Die Ehefrau des Patienten kümmert sich um dessen Versorgung und führt den Haushalt. Sie hat Angst, dass sie ihren Mann nicht ausreichend unterstützen kann, da sie befürchtet, zu schwach zu sein, um ihm im Bedarfsfall zum Beispiel vom Boden aufzuhelfen, oder falsch zu reagieren, wenn er eine erneute respiratorische Krise erleidet. Außerdem kann sie gewisse Bereiche im Haushalt nicht abdecken, die bis zur Krankenhausaufnahme von ihm abgedeckt wurden – insbesondere technische Reparaturen. Mit den drei erwachsenen Kindern besteht jedoch ein regelmäßiger guten Kontakt, diese kommen abwechselnd wöchentlich zu Besuch. Im Rahmen eines gemeinsamen Gesprächs werden sie ersucht, ihren Eltern bei den Erledigungen diverser Haushaltstätigkeiten zur Seite zu stehen. Die Freizeitaktivitäten des Patienten sind Opernbesuche sowie Gartenarbeit. Er befürchtet eine mögliche eingeschränkte Partizipation aufgrund von O2-Bedarf und einer dauerhaft reduzierten Belastbarkeit. Mögliche Szenarien, trotz der Erkrankung noch seinen Hobbies nachgehen zu können, werden thematisiert.
Um die Unsicherheiten der Gattin möglichst frühzeitig zu klären, empfiehlt sich eine baldige Vorbereitung und Organisation einer häuslichen Weiterführung der therapeutischen und wenn möglich auch atemphysiotherapeutischen Begleitung. Ebenso muss, so noch nicht vorhanden, ausreichendes Sauerstoffangebot im häuslichen Umfeld organisiert werden. Ein Rufhilfegerät (z. B. vom Roten Kreuz) könnte für alle Beteiligten für mehr Sicherheit sorgen und sorgt im Bedarfsfall für rasche Hilfe.
Vorbereitend auf die Entlassung in das häusliche Umfeld berät die Ergotherapeutin den Patienten und seine Angehörigen bezüglich möglicher Barrieren im privaten Wohnumfeld und erforderlicher Adaptierungen vor seiner Entlassung. Gemeinsam werden das individuelle Wohnumfeld des Patienten und Maßnahmen für mehr Sicherheit und Selbstständigkeit angesprochen. Die Angehörigen möchten noch kleine Veränderungen vor der Entlassung im Badezimmer und auf der Toilette vornehmen (Haltegriffe, Toilettensitzerhöhung). Zusätzlich möchten sie in der Dusche eine Sitzgelegenheit sowie bei zwei Stufen im Wohnbereich einen Handlauf anbringen. Es wird darüber hinaus empfohlen, dass die Gänge mit einem Rollmobil bzw. Rollstuhl befahrbar sein sollen. Eine Bettaufstehhilfe soll das selbstständige und sichere Aufstehen ermöglichen.
Die Musiktherapeutin führt auf Bitte des Pflegepersonals mit der Gattin im Rahmen des Aufenthalts ihres Gatten auf der Intensivstation einmalig ein Entlastungsgespräch in einem separaten Zimmer durch. Die Gattin berichtet von vielen Sorgen und Ängsten. Sie wird über psychologische Betreuungsmöglichkeiten, Strategien und Wichtigkeit der Selbstfürsorge sowie zur Entlastung im aktuellen Lebensumfeld und über die Möglichkeit, Sozialarbeit zur Vermittlung relevanter Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen, informiert.
Faktoren bezüglich der Konsistenz von Speisen werden mit der Gattin besprochen, die für ihren Mann zuhause hinsichtlich der Schluckfunktion empfohlen oder eher vermieden werden sollen. Außerdem wird eine Beratung bezüglich bedarfsdeckender Ernährung durchgeführt. Der Einsatz von Supplementen und Trinknahrung bzw. die Verarbeitung von Trinknahrung wie auch eine enterale/parenterale Ernährung werden thematisiert.
Mit dem Patienten werden Griffe bzw. das Behandeln von Punkten aus der Tuina-Therapie bzw. Akupressur zur Eigenbehandlung beübt und mit der Gattin besprochen. An- und Zugehörigen werden einfache Anwendungen aus dem hydrotherapeutischen Methodenkatalog [13] vermittelt, u. a. Wickel, Waschungen und Einreibungen, damit diese unterstützend tätig werden können, um somit die entstehende Hilflosigkeit zu mindern [17].
Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) bietet eine Möglichkeit, patient:innenzentrierte Versorgung strukturiert abzubilden. Die Planung therapeutischer Interventionen erfolgt dabei in Hinblick auf die jeweiligen Ebenen. Der Top-Down-Zielsetzungsprozess orientiert sich an den langfristigen Teilhabezielen. Davon werden die mittel- und kurzfristigen Ziele der anderen Ebenen abgeleitet. Das könnte auf Ebene der Körperfunktionen und -strukturen beispielsweise den Kraftaufbau oder die Hustenkraft bedeuten. Auf der Ebene der Aktivitäten wäre dies wiederum mithilfe von Parametern wie voll oralisierter Nahrungsaufnahme oder weitgehend unabhängiger Durchführung der Alltagsaktivitäten möglich. Somit wird deutlich, welche Funktionen und Aktivitäten notwendig sind, um Patient:innen wieder maximale Teilhabe und Interaktion mit ihrer Umwelt zu ermöglichen, wie anhand des Patientenbeispiels in Abb. 2 ersichtlich ist.
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Das hier beschriebene Beispiel soll exemplarisch darstellen, wie auch im Intensivsetting mit einer palliativen Haltung therapeutisch vorgegangen werden könnte. Es ist selbstverständlich immer im Einzelfall abzuwägen, wann und ob welche Berufsgruppen im Laufe eines Intensivstationsaufenthalts hinzugezogen oder für die nahtlose Weiterversorgung nach Verlegung auf eine andere Station empfohlen werden sollten.
Im Sinne des eingangs erwähnten ABCDEF-Bundles sollte es das Ziel sein, Menschen bereits auf der Intensivstation wieder so weit wie möglich jenes Leben zu ermöglichen, das ihnen eine umfassende, für sie zufriedenstellende Teilhabe erlaubt. Daher spielt eine rehabilitativ-palliative Versorgung hier eine wesentliche Rolle [10, 18].
Infobox Dieser Artikel entstand unter Mitarbeit von
Saskia Laher, Musiktherapeutin; Sabine Reisinger, Heilmasseurin; Birgitt Schwarzinger, Diätologin; Birgit Nienhusmeier, Ergotherapeutin; Brigitte Loder-Fink, Ergotherapeutin; Alexander Müller, Physiotherapeut.
S.M. Javorszky, L. Thauerböck und E. Frieß geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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